Amtsenthebungsverfahren

Amtsenthebungsverfahren

Ein Amtsenthebungsverfahren kann in bestimmten Rechtsordnungen ergehen, wenn ein Amtsträger gegen seine Aufgaben verstoßen hat. Das Amtsenthebungsverfahren stellt einen traditionellen Bestandteil des präsidentiellen Regierungssystems dar, in dem es keine Wahl und Abwahl der Exekutivmitglieder durch das Parlament gibt.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland kann eine Präsidentenanklage gegen den Bundespräsidenten erhoben werden, wenn dieser vorsätzlich ein Gesetz verletzt haben soll. Eine Klage muss von zwei Dritteln des Bundestags oder zwei Dritteln des Bundesrats unterstützt werden. Die Entscheidung über die folgende Amtsabsetzung des Bundespräsidenten trifft dann das Bundesverfassungsgericht. Bislang ist es noch zu keiner Präsidentenanklage gekommen.

Österreich

Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) sieht in Art. 60Vorlage:Art./Wartung/RIS-Suche Abs. 6 vor, dass der Bundespräsident durch Volksabstimmung abgesetzt werden kann. Die Volksabstimmung ist durchzuführen, wenn die Bundesversammlung es verlangt. Die Bundesversammlung ist zu diesem Zweck vom Bundeskanzler einzuberufen, wenn der Nationalrat einen solchen Antrag beschlossen hat. Zum Beschluss des Nationalrates ist die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich. Durch einen derartigen Beschluss des Nationalrates ist der Bundespräsident an der ferneren Ausübung seines Amtes verhindert. Die Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als neue Wahl des Bundespräsidenten und hat die Auflösung und Neuwahl des Nationalrates zur Folge. Auch in diesem Fall darf die gesamte Funktionsperiode des Bundespräsidenten nicht mehr als zwölf Jahre dauern.

Gegen den Bundespräsidenten und die anderen höchsten Verwaltungsorgane, wie Bundeskanzler, Bundesminister, Landeshauptmann und Landesrat kann gemäß Art. 142Vorlage:Art./Wartung/RIS-Suche B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof als Staatsgerichtshof die sogenannte Ministeranklage erhoben werden. Das verurteilende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hat auf Verlust des Amtes, unter besonders erschwerenden Umständen auch auf zeitlichen Verlust der politischen Rechte (wie das passive Wahlrecht), zu lauten; bei geringfügigen Rechtsverletzungen kann sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung beschränken, dass eine Rechtsverletzung vorliegt.

Schweiz

In der Schweiz existieren für Bundesrat und Mitglieder des Parlaments keine in der Verfassung festgelegten Amtsenthebungsverfahren. Es kommt jedoch vor, dass Bundesräte bei schweren Vorwürfen freiwillig zurücktreten (z. B. im Fall Elisabeth Kopp). Die Vereinigte Bundesversammlung kann die Amtsunfähigkeit von amtierenden Bundesräten feststellen.[1]

Eine Amtsenthebung von Bundesrichtern ist einzig aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Vergehens möglich. Es handelt sich dabei um eine Nebenstrafe, welche vom Strafrichter ausgesprochen wird. Zudem sind die eidgenössischen Räte befugt, über die vorläufige Einstellung im Amt zu beschließen, wenn sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen.

In einigen Kantonen (z. B. Bern) kann hingegen mit einer Unterschriftensammlung eine Volksabstimmung über die vorgezogene Neuwahl der Kantonsregierung und/oder des Kantonsparlaments gefordert werden.[2]

USA

Eine Anklage wegen Amtsvergehen (englisch impeachment) ist ein in der Verfassung der Vereinigten Staaten (Artikel II, Abschnitt 4) vorgesehenes Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten sowie anderer Amtsträger, zum Beispiel der Richter des Supreme Court, wenn diese „des Landesverrats, der Bestechung oder anderer schwerer Verbrechen und Vergehen für schuldig befunden worden sind“. Es ist sowohl auf Bundes-, sowie auf Staatenebene möglich, jedoch gelten hierfür andere Standards. Diese „anderen schweren Verbrechen und Vergehen“ (other high crimes and misdemeanors) sind nicht eindeutig definiert und somit geeignet, der Opposition als oftmals willkommene Hilfsmittel für politische Attacken gegen den Präsidenten zu dienen.

Das Repräsentantenhaus trifft mit einfacher Mehrheit die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens. Nun finden im Senat Anhörungen statt. Für den Fall, dass der Präsident oder der Vizepräsident angeklagt ist, führt der oberste Richter den Vorsitz, in allen anderen Fällen der Vizepräsident in seiner Funktion als Präsident des Senats. Jede Seite hat das Recht, Zeugen zu vernehmen und Kreuzverhöre durchzuführen. Danach finden geheime Unterredungen statt. Für einen Schuldspruch ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Senates erforderlich. Die angeklagte Person kann danach entweder ihres Amtes enthoben werden oder es wird verboten, dass sie in Zukunft ein öffentliches Amt bekleidet. Es ist also ein zweistufiges Verfahren, erst mit der Feststellung der Schuld und dann die tatsächliche Amtsenthebung.

US-Senat beim Impeachment-Verfahren gegen Andrew Johnson

Bisher gab es nur 16 Anklagen wegen Amtsvergehens, davon drei gegen US-Präsidenten:

  • 1868 gegen Andrew Johnson wegen Missachtung der Rechte des Kongresses. Die notwendige Stimmenzahl wurde nicht erreicht. Ihm wurde damals vorgeworfen, den Tenure Office Act verletzt zu haben, indem er Lorenzo Thomas zum Kriegsminister ernannt hatte.
  • 1974 gegen Richard Nixon wegen der Watergate-Affäre. Nixon kam dem Abschluss des Verfahrens durch Rücktritt zuvor, als sich im Repräsentantenhaus die zur Amtsanklage notwendige absolute Mehrheit und im Senat die zur Amtsenthebung erforderliche Zweidrittelmehrheit abzeichneten.
  • 1999 gegen Bill Clinton wegen Meineids und Behinderung der Justiz im Zuge der Lewinsky-Affäre. Der Meineidvorwurf wurde mit 55 zu 45 Stimmen zurückgewiesen, jener der Behinderung der Justiz mit 50 zu 50 Stimmen. Alle demokratischen Senatoren unterstützten den demokratischen Präsidenten.

Großbritannien

Auch in Großbritannien gibt es Amtsenthebungsverfahren: Es ist eine auf Antrag des englischen Unterhauses vor dem Oberhaus verhandelte Anklage gegen hohe Staatsbeamte wegen schwerer Pflichtverletzungen, z. B. wegen Hochverrats. Die Möglichkeit besteht seit dem 14. Jahrhundert. 1376 klagte das Unterhaus erstmals hohe Beamte an.

Litauen

In Litauen wurde gegen Rolandas Paksas 2004 ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Er wurde als erster europäischer Staatschef der neueren Zeit auf diesem Weg des Amtes enthoben.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Art. 140a Parlamentsgesetz
  2. Art. 57 Berner Kantonsverfassung

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