Jorge Francisco Isidoro Luis Borges Acevedo

Jorge Francisco Isidoro Luis Borges Acevedo
Jorge Luis Borges 1969

Jorge Luis Borges [ˈxorxe ˈlwis ˈβorxes] (* 24. August 1899 in Buenos Aires; † 14. Juni 1986 in Genf, Schweiz; mit vollem Namen Jorge Francisco Isidoro Luis Borges Acevedo) war einer der bedeutendsten argentinischen Schriftsteller. Er verfasste eine Vielzahl phantastischer Erzählungen, Gedichte und Essays.

Literarisch beeinflusst wurde Borges vor allem von Franz Kafka und Macedonio Fernández. Seine philosophischen Anschauungen, die dem erkenntnistheoretischen Idealismus verpflichtet sind und sich in seinen Erzählungen und Essays wiederfinden, bezog Borges vornehmlich von George Berkeley, David Hume und Arthur Schopenhauer. Mit dem argentinischen Schriftsteller Adolfo Bioy Casares verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Borges war Mitbegründer der „lateinamerikanischen Phantastik“ und einer der zentralen Autoren der von Victoria Ocampo und ihrer Schwester Silvina 1931 gegründeten Zeitschrift Sur, die sich dem kulturellen Austausch zwischen Lateinamerika und Europa widmete.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jorge Luis Borges stammte aus einer wohlhabenden argentinischen Familie und wuchs in Buenos Aires auf. Sein Vater, Jorge Guillermo Borges (1873–1938), war Rechtsanwalt, Dozent für Philosophie und Psychologie sowie Verfasser eines Romans (Der Caudillo, Palma de Mallorca 1921), diverser Essays und Erzählungen, eines Dramas, einer Übersetzung von Edward Fitzgeralds Omar Khayyam und mehrerer Gedichte. Im Elternhaus wurde Englisch und Spanisch gesprochen (die Mutter des Vaters stammte aus Staffordshire), weshalb Jorge Luis Borges bereits als Kind auch englische Bücher aus der mehrere tausend Bände umfassenden Bibliothek seines Vaters las. Seine Mutter, Leonor Acevedo de Borges (geb. Acevedo Haedo, 1876–1975), repräsentierte die spanische Seite in der Familie. Von Beginn an förderte sie die künstlerischen Interessen ihrer Kinder. So wurde Jorges Schwester Norah Borges eine bedeutende Malerin. Ab 1914 verbrachte Borges sieben Jahre in der Schweiz, wo er unter anderem am Genfer Collège Calvin Deutsch, Latein und Französisch studierte sowie in Spanien, wo er mit einigen zeitgenössischen Dichtern in Kontakt kam. Mit etwa fünfzig Jahren war er vollständig erblindet, was ihn jedoch nicht daran hinderte, mit Hilfe von Freunden noch mehrere Jahrzehnte hindurch schriftstellerisch tätig zu sein. Seit 1955 war Borges Direktor der argentinischen Nationalbibliothek. Kurz vor seinem Tode heiratete Borges seine langjährige Sekretärin und Reisebegleiterin, die Autorin Maria Kodama. Er starb am 14. Juni 1986 in Genf im Alter von 86 Jahren; sein Grab befindet sich auf dem Cimetière des Rois.

Borges verfügte über eine umfassende Bildung in Literatur und Philosophie. Unter anderem war er mit den Sagas Skandinaviens, der Dichtung und Philosophie der Antike, dem deutschen Mittelalter, dem alten Fernen Osten und der Kabbala vertraut. Eine besondere Vorliebe hatte er für metaphysische Literatur, die er als „einen Zweig der phantastischen Literatur“ ansah. Diese Vertrautheit mit der literarischen Tradition vieler Kulturen spiegelt sich in der Vielfalt seines eigenen literarischen Werks wider.

Werke

Jorge Luis Borges ist einem größeren Publikum durch seine phantastischen Erzählungen bekannt geworden. Er verfasste außerdem zahlreiche Gedichte, Essays, gab Bücherkataloge und Zitatsammlungen heraus und war als Übersetzer tätig. Darüber hinaus hat er unter den Pseudonymen B. Suarez Lynch und H. Bustos Domecq Werke veröffentlicht, die in Zusammenarbeit mit Adolfo Bioy Casares entstanden.

Borges gilt als Vorläufer der Postmoderne und ist einer der meistzitierten Autoren im Poststrukturalismus. Eines der Lieblingsstilmittel Borges' ist die Täuschung, das Spielen mit dem Leser, die Vermischung von Realität und Surrealität. Ein Beispiel hierfür ist die Erzählung Tlön, Uqbar, Orbis Tertius, in der verschiedene Realitätsebenen miteinander vermengt werden, wobei einerseits real existierende Personen genannt und zitiert werden, andererseits aber auch nichtwirkliche Elemente wie Realitäten behandelt werden. Dieses Stilmittel bringt Borges-Kommentatoren oft in Verlegenheit, denn es ist häufig nicht nachzuweisen, ob beispielsweise ein erwähnter Schriftsteller von Borges erfunden ist oder ob er real existiert hat, aber nur Borges selbst bekannt war.

Die Erzählung Die Bibliothek von Babel inspirierte Umberto Eco zum Bauplan der Klosterbibliothek im Roman Der Name der Rose. Der blinde Bibliothekar und Gegenspieler Williams von Baskerville, Jorge von Burgos, ist eine Reminiszenz an Jorge Luis Borges (Klaus Ickert, Ursula Schick: Das Geheimnis der Rose entschlüsselt. München 1986, S.54f.). Ebenso ist der Plot von Tlön, Uqbar, Orbis Tertius in Ecos Das Foucaultsche Pendel übernommen, wo eine fiktive Welt plötzlich in die Realität eingreift.

Borges’ literarische Essays geben einen umfassenden und originellen Einblick in die Weltliteratur. Die Lyrik ist stark an antike Vorbilder angelehnt. Borges wählte für seine Werke immer eine kurze Form: wenige seiner Texte sind länger als zehn oder fünfzehn Seiten. Seine Prosa ist immer dicht, gewählt, treffend, stilistisch vornehm und ohne jedes überflüssige Wort. Er vertrat die Theorie, dass auch Unterhaltungsliteratur literarisch wertvoll sein kann. Er schätzte die Kriminalromane von Arthur C. Doyle ebenso wie William Shakespeares Dramen.

Das Gesamtwerk Borges ist, herausgegeben von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, neu ins Deutsche übersetzt worden und im Hanser Verlag (bzw. Taschenbuchausgabe bei S. Fischer Verlag) erschienen. Eine Künstleredition der persönlichen Lieblingswerke von Jorge Luis Borges: Die Bibliothek von Babel erscheint bei der Büchergilde Gutenberg.

Werkübersicht

Bekannte Erzählungen

  • Historia universal de la infamia (dt. Universalgeschichte der Niedertracht) (1935)
  • La biblioteca de Babel (dt. Die Bibliothek von Babel) (1941), in: Ficciones (Fiktionen)
  • Examen de la obra de Herbert Quain (dt. Untersuchung des Werks von Herbert Quain) (1941), in: Ficciones (Fiktionen)
  • Tlön, Uqbar, Orbis Tertius (dt. Tlön, Uqbar, Orbis Tertius) (1944), in: Ficciones (Fiktionen)
  • Las ruinas circulares (dt. Die Kreisförmigen Ruinen) (1944), in: Ficciones (Fiktionen)
  • El jardín de senderos que se bifurcan (dt. Der Garten der Pfade, die sich verzweigen) (1944), in: Ficciones (Fiktionen)
  • El Aleph (dt. Das Aleph) (1949)

Wichtige Werke

  • 1944 - Ficciones (dt. Fiktionen), Erzählungen
  • 1949/1952 - El Aleph (dt. Das Aleph), Erzählungen
  • 1960 - El hacedor (dt. Borges und ich), Gedichte und Prosa
  • 1970 - El informe de Brodie (dt. David Brodies Bericht, 1972), Erzählungen
  • 1975 - El libro de arena (dt. Das Sandbuch, 1977), Erzählungen

Einige Ko-Autorenschaften

  • 1941 - Antología de la literatura fantástica (dt. Anthologie der phantastischen Literatur) mit Adolfo Bioy Casares
  • 1967 - Introducción a la literatura norteamericana (dt. Einführung in die Literatur der USA)
  • 1977 - ¿Qué es el Budismo? (dt. Was ist Buddhismus?) mit Alicia Jurado

Chronologische Werkübersicht

  • 1923 Buenos Aires mit Inbrunst (Lyrik)
  • 1925 Mond gegenüber (Lyrik)
  • 1929 Notizheft St. Martin (Lyrik)
  • 1930 Evarstio Carriego (Essays)
  • 1932/1935 Diskussionen (Essays)
  • 1935/1961 Der Schwarze Spiegel (Prosa)
  • 1936 Geschichte der Ewigkeit (Prosa)
  • 1936/1939 Von Büchern und Autoren (Essays)
  • 1941 Der Garten der Pfade die sich verzweigen (Prosa)
  • 1941/1952 Inquisitionen (Essays)
  • 1942 Sechs Aufgaben für Don Isidoro Parodi (Prosa, zusammen mit Adolfo Bioy Casares)
  • 1943/1945 Ein Modell für den Tod (Prosa, zusammen mit Adolfo Bioy Casares)
  • 1944 Kunststücke (Prosa)
  • 1945 Zwei denkwürdige Phantasien (Prosa, zusammen mit Adolfo Bioy Casares)
  • 1949/1952 Das Aleph (Prosa)
  • 1957/1968 Einhorn, Sphinx und Salamander – Handbuch der phantastischen Zoologie (Anthologie, Hrsg. zusammen mit Margarita Guerrero)
  • 1960 Borges und Ich (Prosa und Lyrik)
    • Museum (Lyrik und Prosa)
    • Das Buch von Himmel und Hölle (Anthologie, Hrsg. zusammen mit Adolfo Bioy Casares)
  • 1964 Der Andere, der Selbe (Lyrik)
  • 1965 Für die sechs Saiten (Lyrik)
  • 1967/1968 Das Handwerk des Dichters (Havard-Vorträge)
  • 1967 Chroniken von Bustos Domecq (Prosa, zusammen mit Adolfo Bioy Casares)
  • 1969 Lob des Schattens (Lyrik)
  • 1970 David Brodies Bericht (Prosa)
  • 1972 Das Gold der Tiger (Lyrik)
  • 1975 Das Sandbuch (Prosa)
    • Die tiefe Rose (Lyrik)
    • Vorworte (Essays)
    • Die Bibliothek von Babel (Anthologiereihe mit 30 Bänden mit phantatischer Literatur, Vorworte von Borges)
  • 1976 Die eiserne Münze (Lyrik)
    • Das Buch der Träume (Anthologie, Hrsg. zusammen mit Roy Bartholomew)
  • 1977 Neue Geschichten von Bustos Domecq (Prosa, zusammen mit Adolfo Bioy Casares)
  • 1979 Borges mündlich (Essays)
  • 1980 Sechs Nächte (Lyrik)
  • 1980/1983 Shakespeares Gedächtnis (Prosa)
  • 1981 Die Ziffer (Lyrik)
  • 1982 Neun danteske Essays (Essays)
  • 1985 Die Verschworenen (Lyrik)
  • 1988 Persönliche Bibliothek (Essays)

Übersetzungen ins Spanische

Filmografie

Drehbuch

  • 1969: Invasion

Literarische Vorlage


Auszeichnungen

Literatur

  • Ernst E. Behle: Jorge Luis Borges, eine Einführung in sein Leben und Werk. Bern 1972. ISBN 3-261-00700-1
  • Alexander H. D. Bothe: Ästhetische Transzendenz und spekulative Metaphysik des Jorge Luis Borges. Versuch über einen philologischen und philosophischen Dialog mit der Theologie. Saarbrücken 2007. ISBN 978-3-8364-3161-3
  • Victor A. Ferretti: Boreale Geltung. Zu Nördlichkeit, Raum und Imaginärem im Werk von Jorge Luis Borges. Frankfurt a. M. u. a. 2007 (= Diss.phil, CAU zu Kiel 2006). ISBN 978-3-631-56638-1
  • Adelheid Hanke-Schaefer: Jorge Luis Borges zur Einführung. Junius, Hamburg 1999. ISBN 3-88506-987-3
  • Borges Lesen, Mit Beiträgen von Borges, Fritz Rudolf Fries, Octavio Paz, Marguertie Yourcenar und Gisbert Haefs. S. Fischer, Frankfurt am Main 1991. ISBN 3-596-11009-2
  • Gabriela Massuh: Borges, eine Ästhetik des Schweigens. Erlangen 1979. ISBN 3-7896-0125-X
  • James Woodall: Jorge Luis Borges. Der Mann im Spiegel seiner Bücher. Ullstein, Berlin 1999. ISBN 3-548-26559-6
  • Christian Nicaise: La violence de Jorge Luis Borges ou L'épreuve du photomontage. éd. L'Instant perpétuel, Rouen 1995. ISBN 2-905598-38-7
  • Jean-Clet Martin: Borges. Une biographie de l'éternité. éd. de L'éclat, Paris 2006. ISBN 2-84162-131-6

Weblinks


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