John Harrison (Uhrmacher)

John Harrison (Uhrmacher)
John Harrison

John Harrison (* 24. März 1693, getauft 31. März 1693 in Foulby bei Wakefield, Yorkshire; † 24. März 1776 in London) war Tischler, Erfinder und autodidaktischer Uhrmacher.

Er löste das so genannte Längenproblem, für das England 1714 einen hohen Preis ausgelobt hatte, durch Entwicklung einer schiffstauglichen Uhr mit hoher Ganggenauigkeit. Zu diesem Zweck erfand er unter anderem die Grasshopper-Hemmung, darüber hinaus einen speziellen Aufzugsmechanismus und eine Technik zur Kompensation von Temperaturschwankungen. Seine Uhren ermöglichten erstmals präzise mechanische Zeitmessungen und damit die genaue Bestimmung des Längengrades auf See.

Inhaltsverzeichnis

Das Längenproblem

Während die geografische Breite relativ einfach mit für die Seefahrt hinreichender Genauigkeit bestimmbar ist, gestaltet sich die Bestimmung der Länge mit ähnlicher Genauigkeit weitaus schwieriger.

Englands Parlament hatte 1714 bis zu 20.000 Pfund Preisgeld für eine praktikable Lösung des Längenproblems ausgelobt.[1] Das Preisgeld staffelte sich nach Genauigkeit der eingereichten Methode. Erst ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung des Preisgeldes beschäftigte sich John Harrison mit diesem Thema, das ihn bis an sein Lebensende begleiten sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren seitens der Astronomie noch keine praktikablen Lösungen gefunden worden. Zur Beurteilung eingereichter Vorschläge und zur Verwaltung des Preisgeldes war die Längenkommission (Board of Longitude) eingerichtet worden.

Harrisons Vision

Querschnitt einer englischen Pendeluhr, Mitte 19. Jh.
Datei:Grasshopper-escapement colored.gif
Animation der Grasshopper-Hemmung

Während sich namhafte Astronomen in ganz Europa um astronomische Lösungen, insbesondere die Monddistanz-Methode, bemühten, setzte John Harrison auf genügend genaue Uhren. Der astronomische Lösungsansatz baute auf Tabellen von Sternbedeckungen, die zwar damals hinreichend genau berechenbar waren, jedoch die Sichtbarkeit des Mondes voraussetzten und kompliziert anzuwenden waren.

Harrison hatte 1713 seine erste Pendeluhr mit Holzräderwerk gebaut, später als erste bedeutende Erfindung die Temperaturabhängigkeit der Pendel kompensiert: Ein Gitter aus zwei Arten von Metallstäben mit unterschiedlicher Wärmeausdehnung (Stahl und Messing) verhinderte die Änderung der Pendel-Gesamtlänge bei Temperaturschwankungen (siehe Rostpendel bei Kompensation).

Reibungsarmen Lauf seiner Standuhren hatte er mit seiner Grasshopper-Hemmung erzielt, schmierungsfreie Holzzahnräder vermieden Abweichungen durch verharzendes Öl. Überprüfungen durch Messung von Sterndurchgängen bewiesen die Verringerung früherer Ungenauigkeiten auf weniger als ein Zehntel.

Danach wollte er ähnlich genaue Uhren für Schiffe konstruieren: 1728 stellte er sein Konzept vor, 1735 sein erstes Modell. Temperaturschwankungen kompensierte er durch Bimetall, Schiffsbewegungen, indem er (im ersten Entwurf) zwei identische Pendel durch eine Feder verband.

Das Chronometer wurde zu Beginn der Reise auf die Sonnenzeit des bekannten Längengrades, nämlich des Greenwich-Meridians, eingestellt. Aus dem Zeitunterschied zwischen der angezeigten Zeit und der (durch Peilung von Sonne oder Gestirnen) ermittelten Ortszeit ließ sich die geographische Länge hinreichend genau berechnen -- annähernd sekundengenaue Uhrzeit vorausgesetzt.

Erfolgreiche Tests

Eine Testfahrt mit dem ersten von Harrison entwickelten Modell, heute H1 genannt, nach Lissabon und zurück zeigte weitaus höhere Genauigkeit als für die Erlangung des Preises vorgeschrieben, jedoch hatte die Reisedauer nicht den Bedingungen der Ausschreibung entsprochen.

Vor allem aber stand Harrison als wissenschaftlicher Laie einem gelehrten Gremium gegenüber. Das verzögerte die Approbation seiner Idee um Jahrzehnte. Besonders Sir Nevil Maskelyne (1732–1811), Königlicher Astronom ab 1765, setzte bis zuletzt auf die Monddistanzen und änderte die Auslegung der Ausschreibung zu Harrisons Ungunsten.[2]

Harrison erhielt aus dem Fundus der Längenkommission gerade genug Geld für ein verbessertes Modell H2 (1737), später für die kugelgelagerte H3. Keine dieser beiden Uhren wurde getestet, da England im Krieg mit Spanien war und man keinesfalls ein solches Gerät in Feindeshand geraten lassen wollte.

Das bahnbrechende Modell 4

John Harrisons H5

Eine Taschenuhr, die er 1753 bei John Jefferys in London für sich selbst anfertigen ließ und die überraschend genau ging, bewog Harrison zu einem vollkommen neuen Konzept: Er brach die Weiterentwicklung der H3 ab und stellte 1759 ein viertes Modell vor, mit 13 cm Durchmesser und 1,45 kg Gewicht: weitaus kleiner und leichter als jedes seiner früheren Stücke. Wesentlich für die Genauigkeit der H4 war ein neu entwickelter Antriebsmechanismus (remontoir). Das Prinzip wird noch heute in mechanischen Chronometern angewandt.

Kampf um das Preisgeld

Die H4 zeigte auf 81-tägiger Fahrt nach Jamaika und zurück nur eine Gangabweichung von 5 Sekunden. Ihre Genauigkeit wurde von Kritikern aber als „zufällig“ beargwöhnt. Harrison wurde genötigt, die Uhr vor den Augen der Kommission zu zerlegen, zu erklären und Konstruktionszeichnungen zu übergeben. Damit sollte ein anderer Uhrmacher ein weiteres Exemplar desselben Modells herstellen (ursprünglich waren sogar zwei gefordert). Harrison hatte 1765 10.000 £ erhalten, nachdem er sich an das Parlament gewandt hatte. Er durfte für den Nachbau einen Fachmann vorschlagen und entschied sich für den Londoner Uhrmacher Larcum Kendall, der ihm auch schon vorher bei der Anfertigung seiner Instrumente behilflich gewesen war.

Harrison selbst, bereits in hohem Alter, musste sein nächstes Modell ohne seine Originalpläne bauen, schuf aber in Zusammenarbeit mit seinem Sohn William ein wiederum verbessertes Exemplar, die H5. Nach einer Audienz bei Georg III. testete der König das Gerät persönlich. Er äußerte höchste Zufriedenheit und setzte sich für Harrison bei der Kommission ein; trotzdem blieb dem Modell die Anerkennung des Board of Longitude verwehrt. Erst nachdem der König angedroht hatte, persönlich vor dem Parlament zu erscheinen, wurden Harrison 1773, drei Jahre vor seinem Tod, weitere 8750 £ zugebilligt.

Längenproblem gelöst

John Harrisons Grabstein

Erst als James Cook am 30. Juli 1775 von seiner zweiten Weltreise heimkehrte und die Qualität der K1, Kendalls exakter Kopie der H4, bestätigte, galt auch den meisten Astronomen das Längenproblem als gelöst.

Das Original der H4 war wegen der Tests und mehrfachen Zerlegens für diese Reise nicht in Frage gekommen. Drei andere Uhren waren den Belastungen der Reise nicht gewachsen gewesen. Im Logbuch nennt der zunächst skeptische Cook Kendalls Werk (also Harrisons Erfindung) seinen nie versagenden Führer. Damit erlebte Harrison acht Monate vor seinem Tod die Erfüllung seiner Vision.

Entwicklung der Schiffschronometer

Gelernte Uhrmacher entwickelten wenig später billigere Uhren, die das gleiche leisteten. Hatte K1 (die Kopie der H4) 500 £ gekostet, rund 30 % vom Wert eines damaligen kleineren Schiffes, so gelang es den Uhrmachern John Arnold und Thomas Earnshaw, die Produktion soweit zu vereinfachen, dass Chronometer gegen 1790 auf etwa 70 £ kamen. Erst um das Jahr 1840 war jedes Schiff der Royal Navy mit einem Chronometer ausgerüstet.

Harrisons großes Verdienst besteht darin, bewiesen zu haben, dass Uhren mit einer Gangunsicherheit von wenigen Sekunden pro Tag technisch machbar sind, was bis dahin (etwa auch von Isaac Newton) bestritten worden war.

Die Bezeichnungen H1 bis H5 stammen aus der Zeit um 1923. Sie wurden von Lieutenant-Commander Rupert Gould geprägt, der im Zuge von Recherchen zu seinem Buch The Marine Chronometer, its History and Development die unbeachteten Instrumente H1 bis H4 in einem Lagerraum wiederentdeckte und instand setzte. Sie sind seither in funktionsfähigem Zustand und als Teil der Sammlungen des Königlichen Observatoriums im National Maritime Museum, Greenwich. Ausgestellt sind sie im Royal Observatory, das seit 1738 (weltweit: 1884) den Nullmeridian markiert. H5 ist im Besitz der Londoner Uhrmacherzunft und im Rahmen der Sammlungen Georg III. im Science Museum untergebracht.

Einzelnachweise

  1. Wichtigkeit und wirtschaftliche Tragweite des Problems lassen sich daran abschätzen, dass ein einfacher Arbeiter damals rund 10 Pfund im Jahr verdiente und ein seegängiges Schiff mittlerer Größe etwa 2.000 Pfund kostete. Das Preisgeld entspräche heute einem größeren zweistelligen Millionenbetrag.
  2. Nevil Maskelyne wird von Dava Sobel gewiss zu negativ dargestellt: Maskelynes Skepsis gegenüber Harrisons technischem Lösungsweg war insofern berechtigt, als zwischen Harrisons ersten Vorschlägen und dem Vorliegen seines wegweisenden Modells „4“ immerhin 31 Jahre lagen und weitere 80 vergingen, bevor die Navy mit den teuren Instrumenten ausgerüstet war, während Kommandanten kleiner Schiffe noch einmal fünf Jahrzehnte lang „anders“ zurechtkommen mussten. Maskelynes Widerstand muss auch im Hinblick auf die Großzügigkeit gewertet werden, mit der er seine Errungenschaft ab spätestens 1769 für jedermann zugänglich machte.

Literatur

  • Sobel, Dava: Längengrad – Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste. Bvt Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2005, ISBN 978-3833302718 und Berlin Verlag, Berlin 2000, ISBN 978-3827003645 (illustrierte Ausgabe) (Engl. Orig.: „Longitude“, 1995)
  • Gould, Rupert T.: John Harrison and his Timekeepers. In: Mariner's Mirror, Vol. 21 (1935), 115 – 139.
  • Gould, Rupert T.: The Marine Chronometer, its History and Development. London 1923
  • Dash, Joan: Die Jagd nach dem Längengrad. Cbj Verlag, München 2004. ISBN 978-3570127179
  • Philippe Despoix: Die Welt vermessen. Dispositive der Entdeckungsreise im Zeitalter der Aufklärung, aus dem Französischen von Guido Goerlitz, Wallstein Verlag, Göttingen 2009 ISBN 978-3-8353-0485-7

Spielfilm

  • Der Längengrad – Longitude (2er DVD Set) von Charles Sturridge, mit Jonathan Coy, Christopher Hodsol und Jeremy Irons

Filmdokumentationen

Siehe auch

Weblinks

 Commons: John Harrison – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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