Johan de Witt

Johan de Witt
Johan de Witt
Standbild von Johan de Witt bei De Plaats in Den Haag. Seine zwei Finger zeigen den Platz wo er und sein Bruder Cornelis 1672 ermordet wurden

Johan de Witt, auch Jan de Wit, (* 24. September 1625 in Dordrecht; † 20. August 1672 in Den Haag), war als Ratspensionär von Holland für nahezu 20 Jahre der dominierende niederländische Staatsmann und einer der ersten Bürger an der Spitze einer europäischen Großmacht.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Familie

Johan de Witt entstammte der Patrizierfamilie De Witt aus der holländischen Stadt Dordrecht. Seine Familie leitete schon seit längerer Zeit die Geschicke ihrer Heimatstadt, und auch schon De Witts Onkel Andries de Witt hatte das Amt eines Ratspensionär inne. Johan de Witts Vater Jacob de Witt war ein führender Politiker der sogenannten staatsgesinnten Partei, die den Einfluss der Oranier-Prinzen in der niederländischen Republik zurückdrängen wollte. De Witt studierte Jura an der Universität Leiden und reiste gemeinsam mit seinem älteren Bruder Cornelis de Witt im Jahr 1645 durch Europa.

Einstieg in die Politik

1650 bekleidete de Witt bereits eines der wichtigsten Ämter seiner Vaterstadt Dordrecht, das des Pensionärs. Als solcher wurde er auch Mitglied der Staaten von Holland, der Regierung dieser reichsten und mächtigsten der sieben Provinzen, aus denen sich die niederländische Republik zusammensetzte. Als der holländische Ratspensionär Adriaen Pauw 1653 starb, wählten ihn die Staaten von Holland unter der Fürsprache seines Onkels Cornelis de Graeff zu Pauws Nachfolger. Als Ratspensionär agierte er fortan als Regierungschef von Holland und indirekt gleichzeitig der gesamten Niederlande, da Holland die anderen Provinzen dominierte.

Politische Ziele

Als Führer der Staatsgesinnten verfolgte de Witt die Interessen der holländischen Großkaufleute. Seine wichtigsten Ziele ließ er 1662 von seinem Gesinnungsgenossen Pieter de la Court in dem Buch "Das Interesse Hollands", einem internationalen Bestseller, formulieren. Sie lauteten:

1. Friedliche Außenpolitik, da jeder Krieg die Wirtschaft belastete. De la Court ging so weit, vorzuschlagen, dass man den Löwen im holländischen Wappen durch eine Katze ersetzen solle. 2. Größtmögliche Autonomie Hollands und Distanzierung von den anderen sechs Provinzen, da diese das reiche Holland belasteten. De la Court schlug vor, einen riesigen Graben auszuheben, um die Trennung deutlich zu machen - dies war allerdings satirisch gemeint. 3. Dauerhafte Entmachtung der Oranier-Prinzen, da deren ehrgeizige dynastische Ambitionen den nüchternen Interessen der Kaufleute zuwiderliefen.

Innenpolitischer Rückhalt und öffentliches Auftreten

1655 heiratete de Witt Wendela Bicker aus dem mächtigsten Amsterdamer Patriziergeschlecht Bicker. Dadurch sicherte er sich für lange Zeit die Unterstützung Amsterdams, der weitaus größten und reichsten Stadt Hollands, und dessen führenden Politiker Cornelis de Graeff. De Witt brauchte De Graeffs politischen Rat und genoss seinen klaren Geist und seine humane Offenheit. Die Beziehungen zwischen diesen beiden ausgeprägten Charakteren kombinierte sich aus dem nahen Verwandtschaftsverhältnis und des gegenseitigen Respekts. De Graeff war De Witt politisch ebenbürtig wie es kein anderer war.[1][2] Nach und nach besetzte er viele wichtige Posten mit Freunden und Verwandten. Nach außen hin gab er sich jedoch stets als bescheidener Beamter, der ohne Leibwächter und mit nur einem Diener durch die Straßen von Den Haag ging. Nach Angaben des englischen Botschafter Sir William Temple war er äußerlich "nicht vom einfachsten Bürger" zu unterscheiden. Selbst betonte er stets, dass er in der Versammlung der Staaten von Holland "keine entscheidende Stimme, keine Autorität oder Macht" besitze. Doch der französische Botschafter meldete nach Paris, in den Niederlanden liege die Macht bei "Monsieur de Witt".

Seklusionsakte

Als de Witt 1653 Ratspensionär wurde, befand sich die niederländische Republik im Krieg mit England. Die überlegene englische Kriegsflotte blockierte die niederländischen Häfen, was eine schwere Wirtschaftskrise ausgelöst hatte. De Witts vordringliches Ziel war deshalb ein rascher Friedensschluss mit England. Der englische Lordprotektor Oliver Cromwell verlangte als Bedingung dafür, dass die Oranier-Prinzen für immer von der Macht in den Niederlanden ausgeschlossen werden sollten. Cromwells Motiv dabei war, dass die Oranier seine Gegner, die Königsfamilie der Stuarts, unterstützten. De Witt wusste, dass die anderen sechs niederländischen Provinzen einem solchen Diktat nicht zustimmen würden. Die holländische Führung um De Witt, De Graeff, dem Armeeoberkommandierenden Johann Wolfart van Brederode und dem Admiral Jacob van Wassenaer Obdam drängte die Generalstaaten dazu, sich als Gesamteinheit hinter den geheimen Seklusionsakt zu stellen. Dadurch zog sich de Witt den Hass aller Anhänger der Oranier zu, die sich vor allem im einfachen Volk fanden. In diesen stürmischen Zeiten der Ersten Statthalterlosen Periode war ihm auch sein vertrauter Ratsmann Coenraad van Beuningen eine große Stütze gewesen.

Verteidiger niederländischer Handelsinteressen

Nach dem Friedensschluss von Westminster 1654 blühte der niederländische Handel erneut auf. In den folgenden Jahren verfolgte de Witt konsequent die Handelsinteressen seines Landes. So entsandte er 1658/59 große Kriegsflotten in die Ostsee, um Dänemark gegen Schweden beizustehen und eine freie Durchfahrt für niederländische Handelsschiffe durch den Öresund zu sichern.

Zweiter Seekrieg mit England

Nach dem Tod Cromwells wurde 1660 die Monarchie in England wiederhergestellt und die Stuarts kamen erneut an die Macht. Dadurch verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den beiden See- und Handelsmächten erneut, und fünf Jahre später brach der zweite englisch-niederländische Krieg (1665-1667) aus. De Witt reformierte die niederländischen Seestreitkräfte, indem er nach englischem Vorbild den Bau größerer und schwerer bewaffneter Kriegsschiffe durchsetzte. Nach einer anfänglichen Niederlage in der Schlacht von Lowestoft übernahm er vorübergehend selbst das Kommando über die Flotte. Als Mittel gegen seine Seekrankheit entwickelte Christiaan Huygens, der Erfinder der Pendeluhr, eine spezielle Hängematte, die nicht schaukelte. Ende 1665 übernahm Michiel de Ruyter auf Betreiben De Witts den Oberbefehl über die Flotte.

Nach der großen Pest und dem großen Feuer von London war England 1667 bankrott und konnte keine neue Flotte mehr ausrüsten. Diese Situation nutzte De Witt, indem er die niederländische Flotte unter dem Kommando seines Bruders Cornelis den Medway, einen Nebenfluss der Themse, hinaufsegeln ließ. Bei Chatham zerstörten die Niederländer einen Großteil der dort vor Anker liegenden englischen Kriegsschiffe. Der Kanonendonner war in London zu hören, was zur Folge hatte, dass dort Panik ausbrach. Die Engländer unterzeichneten daraufhin den Frieden von Breda.Nachdem 1665 der Krieg mit England erneut ausgebrochen war, war de Witt erneut an den Friedensverhandlungen beteiligt. Aus diesen entstand 1667 der Frieden von Breda, der erneut den Frieden zwischen den beiden Staaten besiegelte.

1667 erließ De Witt gemeinsam mit Gaspar Fagel, Gillis Valckenier und Andries de Graeff den Eeuwig edict (Jahrhunderterlass), der die Abschaffung der Statthalterschaft und somit den endgültigen Sturz des Hauses von Oranien beinhaltete.

Konflikt mit dem Sonnenkönig

Mittlerweile drohte bereits wieder eine neue Gefahr: Der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. hatte eine Invasion der spanischen Niederlande - des heutigen Belgien - begonnen. Die Versammlung der Generalstaaten, in der Abgeordnete aller niederländischen Provinzialparlamente vertreten waren, wollte um jeden Preis verhindern, dass Frankreich die spanischen Niederlande besetzte und dadurch direkt an die Grenze der Republik vorrückte. De Witt schloss deshalb eine Allianz mit England und Schweden und drohte Ludwig XIV. für den Fall eines weiteren Vorrückens mit einem militärischen Eingreifen. Der Sonnenkönig zog sich daraufhin zurück. Er betrachtete es jedoch als unverzeihlichen Affront, dass sich der "Anwalt de Witt" zum "Schiedsrichter Europas" aufgeschwungen hatte. Im Geheimen bereitete er nun einen Krieg gegen die niederländische Republik vor und gewann dafür England, Köln und Münster als Verbündete.

Zerfall der Machtbasis

De Witt hatte den Höhepunkt seiner Macht zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten. In Amsterdam waren die ihm wohlgesinnten Bickers und De Graeffs von seinem Feind Gillis Valckenier verdrängt worden. Auch in anderen Städten wuchs die Opposition gegen das scheinbar endlose Regime de Witts. Zudem erwuchs ihm ein glaubwürdiger Gegenspieler in der Person des nunmehr volljährigen Prinzen Wilhelm III. von Oranien.

Das Katastrophenjahr

Im Rampjaar 1672 marschierte Ludwig XIV. mit einer Armee von 120.000 Mann in den Niederlanden ein. Da De Witt die Armee zugunsten der Flotte vernachlässigt hatte, stießen die Franzosen binnen weniger Tage bis ins geografische Herz der Niederlande, nach Utrecht, vor. Die Generalstaaten ließen daraufhin die Deiche zerstechen und die Schleusen öffnen und setzten Teile des Landes so unter Wasser. Holland verwandelte sich in eine Insel. Dadurch wurde der Vormarsch Frankreichs zwar gestoppt und die Republik gerettet, doch weite Landstriche waren verwüstet.

Sturz

Die Schuld dafür wurde allgemein De Witt zugeschoben. Am 21. Juni 1672 wurde ein Mordanschlag auf ihn verübt, den er knapp überlebte. Er war jedoch für längere Zeit ans Bett gefesselt, was die Anhänger Wilhelms III. dafür nutzten, einen Machtwechsel zu erzwingen. Unter öffentlichem Druck - die Bevölkerung stand ganz überwiegend hinter Prinz Wilhelm - ernannten die Staaten von Holland den 21-Jährigen zum Statthalter, eine Funktion, die seit 1650 nicht mehr besetzt worden war. De Witt trat daraufhin als Ratspensionär zurück.

Ermordung

Kurz darauf wurde sein Bruder Cornelis festgenommen, weil ihm der zwielichtige Barbier Willem Tichelaer vorwarf, ein Attentat auf Wilhelm vorzubereiten. Obwohl es keine Beweise gegen Cornelis gab und er auch unter Folter alles bestritt, verurteilte ihn ein Gericht zu lebenslanger Verbannung, offenbar aus Angst vor dem Volkszorn. Als Johan seinen Bruder am 20. August 1672 im Gefängnis von Den Haag direkt gegenüber den Regierungsgebäuden abholen wollte, versammelte sich dort eine wütende Menge. Zunächst wurden die Brüder noch von Soldaten beschützt, doch nach einigen Stunden wurden diese von den Behörden abgezogen, da Den Haag angeblich von aufgebrachten Bauern bedroht wurde (was nur ein Gerücht war). Johan und Cornelis de Witt wurden von Mitgliedern der Haager Schützenkompanie nach draußen gezerrt und gelyncht. Ihre Leichen wurden nackt ans Schafott gehängt und furchtbar verstümmelt, viele Körperteile verkauft. Bis heute sollen sich ein Finger und eine Zunge im Historischen Museum von Den Haag befinden. Nach seinem Tod übernahm De Witts Cousin Pieter de Graeff die Vormundschaft über die fünf Halbwaisen, worunter Johan II. de Witt.

De Witts Bild in der Geschichtsschreibung

Bis ins 20. Jahrhundert hing die Bewertung Johan de Witts stark davon ab, ob der jeweilige Geschichtsschreiber ein Anhänger des Oranierhauses war oder nicht. Heute steht außer Frage, dass de Witt ein auffallend rational handelnder und zudem hochintelligenter Mensch war, der nebenbei auch noch die Versicherungsmathematik begründete. Anders als seine Gegner behaupteten, war er absolut unbestechlich, was für die damalige Zeit außergewöhnlich war. Seine Finanzpolitik zielte auf Konsolidierung, seine Wirtschaftspolitik auf Förderung von Handel und Gewerbe. Die Niederlande waren unter seiner Regierung ein Zufluchtsort für Verfolgte, selbst der pantheistische Philosoph Baruch de Spinoza konnte dort - anonym - seine Schriften veröffentlichen, was nach de Witts Tod nicht mehr möglich sein sollte. In all dem vertrat de Witt jedoch lediglich die Interessen der Großbürgertums, von dessen Unterstützung er abhängig war. Ob seine Politik auch Zustimmung bei der Masse der Bevölkerung fand, interessierte ihn nicht. Dieses elitäre "Regenten-Denken" wurde ihm am Ende zum Verhängnis.

Galerie

Einzelnachweise

  1. Rowen, Herbert H. (1986) John de Witt - Statesman of the „True Freedom
  2. Israel, Jonathan I. (1995) The dutch Republic - It’s Rise, Greatness, and Fall - 1477-1806

Literatur

  • Rowen, Herbert H., John de Witt - Statesman of the „True Freedom“. Cambridge University Press 1986. ISBN 0-521-52708-2
  • Israel, Jonathan I., The Dutch Republic - Its Rise, Greatness, and Fall - 1477-1806. Clarendon Press, Oxford 1995. ISBN 978-0-19-820734-4
  • Panhuysen, Luc De Ware Vrijheid, De levens van Johan en Cornelis de Witt. Atlas 2005
  • Postma, Mirte, Johan de Witt en Coenraad van Beunuingen - Correspondentie tijdens de Noordse oorlog (1655-1660). Scriptio Verlag 2007
  • Driessen, Christoph, Geschichte der Niederlande – Von der Seemacht zum Trendland. Pustet, Regensburg 2009, ISBN 3791721739

Weblinks

 Commons: Johan de Witt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


Vorgänger Amt Nachfolger
Johan de Merode Herr von Zuid- und Noord-Linschoten, Snelrewaard, Hekendorp und IJsselveere
1661–1672
Johan II. de Witt
Vorgänger Amt Nachfolger
Adriaan Pauw Ratspensionär von Holland
1653–1672
Gaspar Fagel

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