Jelling-Stil

Jelling-Stil

Der Jelling-Stil (auch: Älterer Jelling-Stil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht vom Anfang des 10. Jahrhunderts bis etwa 975. Benannt ist er nach seinem Leitfund aus dem Königsgrab von Jelling in Dänemark. Er tritt an hölzernen, metallenen und steinernen Gebrauchsgegenständen, Schmuckstücken und Runenkreuzen aus dieser Zeit auf.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Zeittafel der Kunststile der Wikingerzeit

Durch den im Verlauf der Wikingerzeit intensivierten Kontakt der Skandinavier mit der angelsächsischen Welt gelangte auch das Wissen um die Motive von Buchmalern, Steinmetzen und Feinschmieden der Britischen Inseln vermehrt nach Skandinavien. Schmale, langgestreckte Tierfiguren, wie sie auf angelsächsischen Kunsterzeugnissen verwendet wurden, fanden nun Eingang in die wikingerzeitliche Kunst.[1] Die schmalen Tierfiguren lösten das in den bisherigen wikingerzeitlichen Kunststilen vorherrschende Greiftier als wichtigstes Motiv ab.

Charakterisierung

Knaufkrone und Knaufstange eines Schwertes (Nachbildung). Die ineinander verschlungenen Tiere der Knaufstange sind ein gutes Beispiel für den Jelling-Stil. Fundort Busdorf bei Haithabu, Schleswig-Holstein, Deutschland.
Becher aus dem mutmaßlichen Grab des dänischen Königs Gorm. Höhe 4,3 cm, abgelegt 958/959[2], Fundort Jelling, Jütland, Dänemark.

Die Kunststile der Wikingerzeit sind Ornamentstile und setzen sich aus drei Motivbereichen zusammen:

  • Figuren, also Menschen und Tierdarstellungen
  • Pflanzendarstellungen (Ranken, Blätter)
  • geometrische Figuren (Kreise, Dreiecke, Triskelen, Spiralen).

Der Jelling-Stil konzentriert sich dabei vor allem auf Tierfiguren, die besonders schmal und langgestreckt dargestellt werden. Die bandförmigen, gleich breiten Figuren winden sich meist S-förmig und sind immer im Profil dargestellt. Während die Windungen im östlichen skandinavischen Raum mehr zusammengerollt erscheinen, sind sie im westlichen Verbreitungsraum eher gestreckter.[3] Der Körper der Tiere ist mit einer Art Leitermuster oder perlartig verziert.[4] Gegenüber den gedrungenen Figurendarstellungen der vorhergehenden Stile (Oseberg-Stil, Borre-Stil) stellen diese Figuren eine Neuheit dar.[3] Ein weiteres Kennzeichen des Jelling-Sils sind die Schenkelspiralen: Die Ansätze der Tierbeine sind vom Schenkel ausgehend spiralförmig eingerollt. Charakteristisch sind ebenso Nackenschöpfe: Vom Nacken des Tieres gehen mehr oder weniger lange und gewundene Zöpfe ab. Außerdem wird der Kopf der Tiere mit offenem Maul und einer für den Jelling-Stil typischen Wulst an der Oberlippe dargestellt. Verschiedentlich wird diese Wulst auch als Nasenloch interpretiert.[5] Die dünneren rankenartigen Verzierungen wie Nackenschopf oder kleinere Nebenfiguren sind auf ihrer gesamten Länge mit einem Mittelband versehen.[6] Besonders beliebt war der Jelling-Stil in Großbritannien und auf der Insel Man, wo mehrere Runenkreuze in diesem Stil gestaltet sind.

Beispielfunde

  • Dänemark
    • Silberbecher aus dem Königsgrab in Jelling, Danmarks Nationalmuseum, Kopenhagen
    • Kummetbeschläge von Mammen, vergoldete Kupferlegierung mit niellierten Silberblecheinlagen, Jütland, Danmarks Nationalmuseum, Kopenhagen
    • Pferdejoch von Søllested, Lolland,
  • Norwegen
    • Ovalfibel aus Bronze von Morberg, Buskerud, Universitetets Oldsaksamling, Oslo
    • Rundfibel, Tråen, Buskerud,
  • Schweden
    • Silberne Fibel von Ödeshög, Östergötland,
    • Zungenförmige Brosche aus Bronze, Birka, Uppland,
    • Anhänger aus dem Vårby-Schatz, vergoldetes Silber, Vårby, Södermanland, Statens Historisk Museum, Stockholm
  • Sonstige Länder
    • Bronzener Anhänger aus dem Schatz von Gnezdowo, Smolensk, Russland, Gosudarstvennyj Ermitaž, St. Petersburg
    • Schwertortband, Kupferlegierung, Coppergate, York, Großbritannien, The Yorkshire Museum
    • Schwertortband aus Bronze, Astala, Satakunta, Finnland, Finlands Nationalmuseum

Literatur

  • Reinhard Barth: Taschenlexikon Wikinger. Piper, München Zürich 2002, ISBN 3-492-23420-8 (Kurzdarstellung)
  • Ewert Cagner: Die Wikinger. 3. Auflage. Burkhard-Verlag Ernst Heyer, Essen 1992, ISBN 3-87117-000-3 (mit mehreren detaillierten Beispielzeichnungen und vielen großformatigen Farbfotos)
  • Torsten Capelle: Kultur- und Kunstgeschichte der Wikinger. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-02509-1
  • Hildegard Elsner: Wikinger Museum Haithabu: Schaufenster einer frühen Stadt. 2. Auflage. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1994 (Übersicht über einzelne Stile mit Beispielzeichnungen)
  • James Graham-Campbell: Das Leben der Wikinger. Universitas Verlag in F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München 1993, ISBN 3-8004-1297-7 (populärwissenschaftlich, ausführliche Darstellung und Fotos)
  • Michael Müller-Wille und Lars Olof Larsson: Tiere - Menschen - Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-86309-8 (zur zeitlichen Einordnung hölzerner Funde und Dauer einzelner Kunststile)
  • Arnold Muhl und Rainer-Maria Weiss: Wikinger, Waräger und Normannen: die Skandinavier und Europa 800 bis 1200. Staatliche Museen, Preussischer Kulturbesitz, Berlin 1992, ISBN 3-88609-304-2 (Ausstellungskatalog mit Text-Beiträgen und Bildern im umfangreichen Katalogteil)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Capelle: Kunstgeschichte. Seite 113.
  2. David M. Wilson: The earliest animal styles of the Viking Age. In: Michael Müller-Wille und Lars Olof Larsson: Tiere - Menschen - Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, Seite 151.
  3. a b Capelle: Kunstgeschichte, Seite 114.
  4. Graham-Campbell: Wikinger. Seite 142.
  5. Meehan: Celtic Design. Seite 57.
  6. Meehan: Celtic Design. Seite 58.
  7. a b nach Smith: Viking Design, Seite 18.

Weblinks

Voriger Kunststil
Borre-Stil
Jelling-Stil
Anfang 10. Jh. – ca. 975
Nachfolgender Kunststil
Mammen-Stil

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Mammen-Stil — Der Mammen Stil (auch: Jüngerer Jelling Stil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht von der Mitte des 10. bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts. Benannt ist er nach dem Axtfund aus einem Kammergrab… …   Deutsch Wikipedia

  • Borre-Stil — Der Borrestil (oder Greiftierstil) ist eine vom 9. bis 10. Jahrhundert entstandene Stilphase der frühmittelalterlichen Kunst. Benannt ist sie nach der Ortschaft Borre in der norwegischen Kommune Horten. Kennzeichnend für den Stil sind Tier und… …   Deutsch Wikipedia

  • Runensteine von Jelling — Die Runensteine von Jelling sind zwei der wenigen Steine, die dänischen Königen gewidmet sind und ihre Taten thematisieren. Sie entstanden Mitte bis Ende des 10. Jahrhunderts. Zusammen mit dem Grabhügel und der Kirche von Jelling (Bild der… …   Deutsch Wikipedia

  • Ringerike-Stil — Der Ringerike Stil (auch: Runenstein Stil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht vom Anfang bis zur zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Benannt ist er nach der norwegischen Landschaft Ringerike… …   Deutsch Wikipedia

  • Oseberg-Stil — Der Oseberg Stil (auch: Broa Stil oder Früher Wikingerstil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht vom Ende des 8. bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts. Benannt ist er nach seinen Leitfunden aus dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Urnes-Stil — Schnitzkunst im Urnes Stil Der Urnes Stil ist die späteste Stilrichtung der Wikingerzeit. Erste Arbeiten im Urnes Stil finden sich in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, als die Wikingerkunst noch stark vom vorausgehenden Ringerike Stil… …   Deutsch Wikipedia

  • Mammenstil — Der Mammen Stil (auch: Jüngerer Jelling Stil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht von der Mitte des 10. bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts. Benannt ist er nach dem Axtfund aus einem Kammergrab… …   Deutsch Wikipedia

  • Jellingstil — Der Jelling Stil (auch: Älterer Jelling Stil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht vom Anfang des 10. Jahrhunderts bis etwa 975. Benannt ist er nach seinem Leitfund aus dem Königsgrab von Jelling… …   Deutsch Wikipedia

  • Danelaw — Als Danelag (englisch Danelaw, lage oder lagh, Mittelenglisch Denelage, Altenglisch Dena lagu bzw. Dänisch Danelagen, „dänisches Recht“) wird ein Gebiet in England bezeichnet, das zwischen 865 und 878 vom Großen Heer, einer Wikingerarmee, erobert …   Deutsch Wikipedia

  • Ringerikestil — Der Ringerike Stil (auch: Runenstein Stil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht vom Anfang bis zur zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Benannt ist er nach der norwegischen Landschaft Ringerike… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”