Jedermann-Konto

Jedermann-Konto

Das Jedermann-Konto wurde 1996 in Deutschland vom Zentralen Kreditausschuss (ZKA; heute Die Deutsche Kreditwirtschaft) als freiwillige Selbstverpflichtung der Banken definiert. Es handelt sich um ein Girokonto auf Guthabenbasis, bei dem keine Überziehung (umgangssprachlich: Guthabenkonto) zugelassen ist.

Zweck der Selbstverpflichtung war, ein damals vom Gesetzgeber geplantes allgemeines Recht für jedermann auf ein Girokonto dadurch zu verhindern, dass die Banken dafür eine Regelung in Selbstverwaltung einrichteten.

Inhaltsverzeichnis

Ein Girokonto für jedermann

Durch das „Jedermann-Konto“ soll auch denen ein Girokonto garantiert werden, denen sonst wegen Kontopfändung oder Schufa-Eintrag das bisherige Girokonto gekündigt wurde oder denen deshalb die Einrichtung eines neuen Girokontos verweigert wird. Die Zahl der überschuldeten Haushalte wurde für 2004 auf 3,1 Millionen geschätzt.

Unzumutbarkeit

Das Kreditinstitut ist nicht verpflichtet, ein Girokonto für den Antragsteller zu führen, wenn dies unzumutbar ist. In diesem Fall darf die Bank auch ein bestehendes Konto kündigen. Unzumutbar ist die Eröffnung oder Fortführung einer Kontoverbindung insbesondere, wenn

  • der Kunde die Leistungen des Kreditinstitutes missbraucht, insbesondere für gesetzwidrige Transaktionen, z. B. Betrug, Geldwäsche o. ä.
  • der Kunde Falschangaben macht, die für das Vertragsverhältnis wesentlich sind
  • der Kunde Mitarbeiter oder Kunden grob belästigt oder gefährdet
  • die bezweckte Nutzung des Kontos zur Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht gegeben ist, weil z. B. das Konto durch Handlungen vollstreckender Gläubiger blockiert ist oder ein Jahr lang umsatzlos geführt wird
  • nicht sichergestellt ist, dass das Institut die für die Kontoführung und -nutzung vereinbarten üblichen Entgelte erhält
  • der Kunde auch im Übrigen die Vereinbarungen nicht einhält.

Pfändungsschutzkonto

Das Jedermann-Konto ist (wie andere Konten auch) durch Gläubiger pfändbar. Zum Schutz von Pfändung kann es seit 1. Juli 2010 in ein Pfändungsschutzkonto umgestellt werden.

Praktische Umsetzung

Verweigerung des Jedermann-Kontos

Trotz der Selbstverpflichtung der Banken auf Einrichtung des Jedermann-Kontos wird in der Praxis diesen Kunden das Konto in manchen Fällen verweigert.

Schuldnerberatungsstellen haben immer wieder betont, dass die Banken den Überschuldeten vielfach die Kontoführung verweigern. Hingegen erklärte der ZKA, dass das „Girokonto für Jedermann“ erfolgreich funktioniere und von jedermann eingerichtet werden könne. Eine Umfrage der Schuldnerberatungsstellen aus dem Jahr 2005 ergab für Berlin-Brandenburg, dass hier 10 % aller Arbeitslosen ein Girokonto verweigert wurde. Im Gegensatz hierzu stehen die Zahlen der BA: Die Bundesagentur für Arbeit bietet Arbeitslosen und Kindergeldempfängern, die über kein Girokonto verfügen, eine „Zahlungsanweisung zur Verrechnung“ als Auszahlungsmöglichkeit an. Sofern die Leistungsempfänger kein Konto haben, obwohl die Unzumutbarkeitsregeln nicht gelten, ist diese Zahlart kostenlos. Im Januar 2006 mussten 1,36 % der Zahlungen auf diesem Weg erfolgen.[1] Allerdings sind hier weder Überweisungen auf Sparkonten noch Überweisungen auf fremde Konten enthalten. Diese Zahl kann daher nur begrenzt als Indikator für die Zahl der Bürger, denen das Recht auf ein Girokonto verweigert wird, dienen.

Gründe der Verweigerung

Hauptgrund ist, dass die Kontoführungsgebühren die Kosten des Girokontos im Rahmen der Kosten-Nutzen-Rechnungen nicht decken. Kostendeckend werden Girokonten nur durch die (weitgehend zinslosen) Guthaben, die die Kunden unterhalten, die Inanspruchnahme der (teuren) Dispositionskredite und der Möglichkeit des Verkaufs weiterer Bankprodukte (Cross-Selling). Alle diese Punkte greifen nicht bei überschuldeten Kunden.

Weiterhin verursachen überschuldete Kunden den Banken höhere Kosten als andere Kunden. Sie verursachen etwa deutlich mehr Lastschriftrückgaben und Kontopfändungen. Den Aufwand für die Bearbeitung von Rückgaben und Pfändungen dürfen die Banken den Kunden nach Urteil des Bundesgerichtshofs nicht weiterberechnen.

„Schalterhygiene“

Als bei der Kür zum „Unwort des Jahres“ 1994 der Begriff „Peanuts“ ausgewählt wurde, rügte die Jury in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Schalterhygiene“. [2]

Diese sollte die Praxis vieler Banken beschreiben, bestimmten Personengruppen die Eröffnung eines Kontos zu verweigern oder zumindest massiv zu erschweren. Davon betroffen seien vor allem sozial Schwache und andere Mitglieder von Randgruppen. Kritiker wenden sich zunächst gegen den Begriff selbst, den sie als zynisch und die Menschenwürde verletzend einstufen. Durch den Wortteil „Hygiene“ werde suggeriert, dass sozial Schwächere als schmutzig oder sogar als Überträger von Krankheiten anzusehen seien. Ihnen werde außerdem pauschal ein unangemessenes Benehmen oder ein abstoßendes Äußeres unterstellt.

Eine offizielle Verwendung des Begriffs „Schalterhygiene“ durch Banken ist nicht bekannt.

Folgen

Bürger, die über kein Girokonto verfügen, werden von einem wichtigen Bereich des wirtschaftlichen Verkehrs ausgeschlossen. Dies löst oft eine Negativspirale aus. Bereits Verschuldete geraten verstärkt in Probleme, wenn für Lohn-, Gehalts-, Mietzahlungen etc. kein Girokonto besteht. Auch sind die Bankgebühren für Bareinzahlungen bei Überweisungen auf fremde Konten für Personen mit Einkommen auf Höhe des Existenzminimums eine hohe Belastung.

Rechtspflicht

Die Sparkassen sind in vielen Bundesländern durch Sparkassengesetze und -verordnungen rechtlich verpflichtet ("Kontrahierungszwang"), jedermann ein Konto auf Guthabenbasis zu eröffnen. In Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie in allen ostdeutschen Bundesländern (außer Berlin) bestehen durch die Sparkassengesetze und -verordnungen ein Anspruch auf ein Girokonto auf Guthabenbasis.

Für Bayern: Sparkassenverordnung (SPKO) vom 21. April 2007, Fundstelle: GVBl 2007, S. 332:

"§ 5, Kontrahierungszwang

(2) Die Sparkasse führt für natürliche Personen aus ihrem Geschäftsbezirk auf Antrag Girokonten auf Guthabenbasis.

(3) […] Girokonten müssen nicht geführt werden, wenn das der Sparkasse im Einzelfall aus wichtigem Grund nicht zuzumuten ist."


Für Hessen seit 2008: Hessisches Sparkassengesetz vom 10. November 1954 in der Fassung vom 24. Februar 1991[3]

"§ 2, Aufgaben

(4) Die Sparkassen sollen nach Maßgabe der Mustersatzung jeder Einwohnerin und jedem Einwohner im Gebiet ihres Trägers auf Verlangen ein Girokonto auf Guthabenbasis einrichten."


Für Berlin: Die Landesbank Berlin hat gegenüber dem Senat eine Selbsterklärung abgegeben, was nach einer Gerichtsentscheidung im Jahre 2003 das Recht auf ein Konto für Jedermann bedeutet.


Einzelne Gerichte haben in Streitfällen eine rechtliche Verpflichtung der Banken zur Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis bejaht. Nach einem Urteil des Landgerichts Bremen vom 16. Juni 2005[4] soll sich aus der freiwilligen Selbstverpflichtung des ZKA eine Pflicht der angeschlossenen Banken ergeben, allen Kunden auf Wunsch ein so genanntes „Girokonto für Jedermann“ einzurichten. Dieses Urteil wurde durch das Oberlandesgericht Bremen allerdings aufgehoben. Hinsichtlich des Vorhabens der Führung eines Girokontos auf Guthabenbasis hat der Senat der Freien Hansestadt Bremen im Bundesrat (unter Drucksache 653/08, vom 19. September 2008) den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kreditwesengesetzes eingebracht, in dem das genannte Vorhaben umgesetzt werden soll. Der Antrag ist seitdem gegen die Stimmen aus Bremen, Berlin und Rheinland-Pfalz mehrmals vertagt wurden.

Das Landgericht Berlin, Urteil vom 8. Mai 2008, Az. 21 S 1/08, hat im Jahr 2008 entschieden, dass ein Anspruch auf Abschluss eines Girokontos auch gegenüber einer Privatbank besteht. Zwar besteht kein Anspruch aus der Selbstverpflichtung des ZKA, jedoch sei von einem Kontrahierungszwang auszugehen[5].

Anlässlich des Weltverbrauchertages 2011 am 15. März 2011 kündigte Binnenmarktkommissar Michel Barnier u.a. die Schaffung eines europäischen Grundrechts auf ein Basisgirokonto und striktere Regeln für den Verbraucherschutz bei Hypothekendarlehen an.[6]

Der Ombudsmann des jeweiligen Bankenverbandes kann angerufen werden. Er prüft, sofern die Beschwerde zulässig ist, ob die ZKA-Empfehlung eingehalten wurde. Die Bank ist an den Schiedsspruch nicht gebunden.

Weblinks

Quellen

  1. Drucksache 16/2265 des Deutschen Bundestages (16. Wahlperiode)
  2. Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
  3. Zitiert nach http://www.rv.hessenrecht.hessen.de
  4. Volltext des Urteils des Landgerichts Bremen vom 16. Juni 2005 (Aktenzeichen 2 O 408/05)
  5. [1]
  6. Eropäische Union
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