Jean Seberg

Jean Seberg

Jean Dorothy Seberg (eigentlich Jean Carlsen;[1] * 13. November 1938 in Marshalltown, Iowa; † 30. August 1979 in Paris[2][3][4]) war eine US-amerikanische Schauspielerin, die mit Filmen wie Bonjour Tristesse und Außer Atem zu einer Kultfigur der Nouvelle Vague wurde. Sie pendelte zwischen Hollywood und Europa und spielte Hauptrollen in Filmen unterschiedlichster Genres. Zwar entwickelten sich nur wenige Produktionen zu einem kommerziellen Erfolg, doch einige wurden Filmklassiker – nicht zuletzt dank ihrer besonderen Ausstrahlung.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Jean Seberg studierte an der University of Iowa, als der aus Österreich stammende Regisseur Otto Preminger sie 1957 wegen ihres ausdrucksstarken Gesichts und ihrer natürlichen Ausstrahlung aus 18.000 Bewerberinnen für die Rolle der Jeanne d’Arc in der Filmadaption von George Bernard Shaws Die heilige Johanna auswählte. Bereits der Auswahlprozess war von einem immensen Medienrummel begleitet, der Film erhielt allerdings eher mittelmäßige Kritiken. Dennoch engagierte sie Preminger, der mit ihr auf Anhieb einen Siebenjahresvertrag abschlossen hatte,[5] ein Jahr später erneut, diesmal für die Rolle der Cécile in der mit Deborah Kerr und David Niven prominent besetzten Verfilmung von Françoise Sagans Bestseller Bonjour tristesse. Von Publikum und Kritik seinerzeit als Skandal empfunden, begründete der Film Sebergs Ruhm und gilt heute als Vorläufer der französischen Nouvelle Vague.

Durch den autoritären Regiestil Premingers verletzt[6] und den kommerziellen Druck in Hollywood künstlerisch stark eingeschränkt, wandte sich Seberg, die mittlerweile mit einem Franzosen verheiratet war, enttäuscht von Amerika ab. 1959 war sie in der britischen Filmkomödie Die Maus, die brüllte neben Peter Sellers zu sehen. In dem Jahr drehte sie dann mit Jean-Luc Godard den Nouvelle Vague-Klassiker Außer Atem (À bout de souffle). An der Seite von Jean-Paul Belmondo spielte sie die amerikanische Studentin Patricia Franchini, die dem Kleinkriminellen Michel Poiccard schließlich zum Verhängnis wird. Als burschikose New York Herald Tribune-Verkäuferin auf den Pariser Champs-Élysées wurde sie zur Stil-Ikone, zu einem der Gesichter des Neuen französischen Films. Der Film brachte ihr 1962 zudem eine Nominierung als Beste ausländische Darstellerin bei den British Film Academy Awards ein, die Auszeichnung ging jedoch an Sophia Loren für ihre Rolle in Vittorio De Sicas Kriegsmelodram Und dennoch leben sie. 1964 überzeugte Seberg in der Titelrolle von Robert Rossens Filmdrama Lilith an der Seite von Warren Beatty, der als Kriegsheimkehrer dem Zauber der jungen, geheimnisvollen Psychiatrie-Patientin erliegt. Für ihre darstellerische Leistung in Lilith wurde Seberg 1965 in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin in einem Drama bei den Golden Globe Awards nominiert.

In den folgenden Jahren arbeitete sie mit Claude Chabrol in Die Demarkationslinie und Die Straße nach Korinth. Weitere, eher unbedeutende Filme in Amerika und Europa folgten. Zweimal stand sie auch in einer Hauptrolle unter der Regie ihres zweiten Ehemannes, dem französischen Diplomaten und Schriftsteller Romain Gary, vor der Kamera, der zusammen mit ihr die Drehbücher zu Vögel sterben in Peru und Kill! filmisch umsetzen konnte. Nach Engagements in dem Musical-Film Westwärts zieht der Wind (Paint your Wagon) neben Lee Marvin und Clint Eastwood sowie dem an den Kinokassen äußerst erfolgreichen Katastrophenfilm Airport, zu dessen Staraufgebot auch Burt Lancaster, Dean Martin und Jacqueline Bisset gehörten, versuchte sie sich als Autorin und Regisseurin. Ihrem Kurzfilm Ballad for Billy the Kid (1974), bei dem sie Regie führte, das Drehbuch schrieb, als Produzentin und auch als Darstellerin agierte, war jedoch kein Erfolg beschieden. 1976 spielte sie ihre letzte Rolle an der Seite von Bruno Ganz und Anne Bennent in Hans W. Geissendörfers Verfilmung des Schauspiels Die Wildente von Henrik Ibsen. Bereits gedrehte Szenen für Raoul Coutards Operation Leopard (La légion saute sur Kolwezi, 1980) fanden nach Sebergs Tod in dem Film keine Verwendung.

Jean Seberg war dreimal verheiratet. 1958 ehelichte sie den französischen Anwalt François Moreuil, der das Drehbuch zu dem Film Brennende Haut (La Récréation) mitverfasste und mit Fabien Collin auch Regie führte. Die Scheidung folgte 1960 kurz nach Ende der Dreharbeiten. In der Ehe mit dem 24 Jahre älteren Romain Gary, die von 1962 bis 1970 dauerte, wurde 1963 ein Sohn geboren. Ihr Engagement für die Black-Panther-Bewegung ließ sie ins Visier von FBI-Chef J. Edgar Hoover geraten und führte zur Überwachung durch das FBI und zu einer Schmutzkampagne, die ihrer Karriere schaden sollte. Als sie 1970 ihr zweites Kind erwartete, wurde das Gerücht gestreut, Seberg hätte eine Liaison mit einem Black-Panther-Aktivisten und wäre von ihm schwanger geworden. Die Medienkampagne blieb nicht ohne Folgen: Im August 1970 verlor sie das Baby im siebten Schwangerschaftsmonat. Die Tochter (Nina) starb zwei Tage nach der Geburt. Die Aufnahmen des vielfach von der Presse fotografierten Leichnams zeigten ein weißes Kind,[7] was die Gerüchte über den angeblichen Vater entkräftete. In den darauffolgenden Jahren soll Seberg jeweils am Tag dieses Verlusts versucht haben, sich das Leben zu nehmen. 1972 heiratete sie den Filmemacher Dennis Berry, der 1975 in der Hauptrolle mit ihr den Film Die große Ekstase (Le grand délire) realisierte. Psychisch angeschlagen wechselten sich in ihren letzten Lebensjahren Drogen- und Alkoholexzesse mit zahlreichen Krankenhausaufenthalten ab. Aufgrund ihrer Sensibilität und zunehmenden Labilität war sie den harten, mitunter unmenschlichen Mechanismen des Filmbusiness und der Sensationspresse nicht gewachsen und zerbrach offenbar daran. Eine vierte, am 31. Mai 1979 geschlossene Ehe mit dem Algerier Ahmed Hasni, der aus der Beziehung zu ihr Gewinn schlagen wollte, blieb rechtlich ohne Belang, da Seberg noch nicht von Dennis Berry geschieden war.

Jean Seberg wurde am 29. August 1979 in Paris zum letzten Mal lebend gesehen. An diesem Tag besuchte sie die Premiere von "Die Liebe einer Frau" (Clair de femme)[8] des Autors Romain Gary, ihres zweiten Ehemannes. Seberg fühlte sich verletzt, denn sie war in dem Glauben, Gary habe ohne sie zu fragen darin ihre Beziehung verarbeitet und sie selbst würde von Romy Schneider verkörpert. Zehn Tage später fand die Polizei ihre Leiche. Sie lag unbekleidet eingewickelt in eine Decke zwischen Vorder- und Rücksitz ihres Autos, neben ihr Schlaftabletten und ein Abschiedsbrief, so dass Suizid als wahrscheinlichste Todesursache angenommen werden konnte. Als Sterbedatum wird überwiegend der 30. August 1979 angegeben. Die genauen Umstände ihres Todes blieben ungeklärt. Verschwörungstheorien behaupten, sie sei vom amerikanischen Geheimdienst ermordet worden.

Jean Seberg ist auf dem Pariser Cimetière Montparnasse beigesetzt.

Nach Sebergs Tod

Der 1995 erschienene Dokumentarfilm Jean Seberg: American Actress[5] der Brüder Donatello und Fosco Dubini porträtiert Leben und Werk Jean Sebergs und setzt sich kritisch mit den Umständen ihres Todes auseinander. Er zeigt die Ärztin Marion Bouilhet, die aussagte, dass Seberg kurz vor ihrem Verschwinden noch völlig nüchtern klang, dann aber mit einem Alkoholgehalt von fast 8 Promille aufgefunden wurde. Allein schon weil der Alkoholgehalt damit deutlich über der Grenze lag, ab der ein Mensch ins Koma fällt, aber noch eine hohe Dosis Schlaftabletten dazu kam, bezweifelt Bouilhet, dass Seberg all das selbst zu sich genommen haben konnte. Eine Freundin gibt an, Seberg sei ohne ein Stück Kleidung im Auto gefunden worden, obwohl sie selbst in ihrer Wohnung so gut wie nie nackt gewesen sei - sie hätte bestimmt nicht ohne Kleidung die Wohnung verlassen. Außerdem gibt es darin die Aussage, alle umstehenden Autos wären mit von Bäumen gefallenen Dingen bedeckt gewesen - nur Sebergs Auto war frei davon und könne deshalb nur nach ihrem Tod (der zu diesem Zeitpunkt zehn Tage zurücklag) an diesen Ort gebracht worden sein. Im gleichen Jahr entstand auch Mark Rappaports Filmessay From the Journals of Jean Seberg. In seiner „fiktiven Autobiographie“ lässt Rappaport eine älter gewordene Jean Seberg, dargestellt von Mary Beth Hurt, auf unsentimentale Weise auf ihr Leben und ihre Filmkarriere zurückblicken und spiegelt zugleich Sebergs Werdegang mit dem zweier ebenfalls politisch engagierter Schauspielerinnen ihrer Generation, Jane Fonda und Vanessa Redgrave.[9] From the Journals of Jean Seberg wurde 1995 mit dem Los Angeles Film Critics Association Award in der Sparte Bester Experimental/Independent Film ausgezeichnet. Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes spiegelt seine kurze, aber nachhaltige Affäre mit ihr in seinem Roman Diana o la cazadora solitaria (1996; dt. „Diana“ oder „Die einsame Jägerin“, 1998). Als „Little Jean Seberg“ fand die Schauspielerin auch in dem Titelsong des 2004 veröffentlichten Albums Absent Friends der nordirischen Band The Divine Comedy Erwähnung.

Filmografie (Auswahl)

  • 1957: Die heilige Johanna (Saint Joan)
  • 1958: Bonjour Tristesse (Bonjour tristesse)
  • 1959: Die Maus, die brüllte (The Mouse That Roared)
  • 1959: Außer Atem (À bout de souffle)
  • 1960: Die Saat bricht auf (Let No Man Write My Epitaph)
  • 1961: Die Erwachsenen (Les grandes personnes)
  • 1961: Brennende Haut (La Récréation)
  • 1961: Liebhaber für fünf Tage (L’amant de cinq jours)
  • 1962: Congo vivo
  • 1963: Plaisirs d'amour (In the French Style)
  • 1964: Der Boß hat sich was ausgedacht (Échappement libre)
  • 1964: Lilith
  • 1964: Die Frauen sind an allem schuld (Les plus belles escroqueries du monde)
  • 1965: Diamantenbillard (Un milliard dans un billard)
  • 1965: Der Schuss (Moment to Moment)
  • 1966: Simson ist nicht zu schlagen (A Fine Madness)
  • 1966: Die Demarkationslinie (La ligne de demarcation)
  • 1967: Haie bitten zu Tisch (Estouffade à la Caraïbe)
  • 1968: Die Straße von Korinth (La route de Corinthe)
  • 1968: Vögel sterben in Peru (Les oiseaux vont mourir au Pérou)
  • 1969: Nacht ohne Zeugen (Pendulum)
  • 1969: Westwärts zieht der Wind (Paint Your Wagon)
  • 1970: Airport
  • 1970: Macho Callahan
  • 1971: Kill!
  • 1972: Eine merkwürdige Liebe (Questa specie d’amore)
  • 1972: Camorra
  • 1972: Das Attentat (L’Attentat)
  • 1973: Maske des Grauens (La corrupción de Chris Miller)
  • 1974: Andersons Rache (Cat and Mouse)
  • 1975: Die große Ekstase (Le grand délire)
  • 1976: Die Wildente

Auszeichnungen

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Roger Willemsen: Gute Tage – Begegnungen mit Menschen und Orten., Seite 141, ISBN 3-596-16520-2
  2. vgl. Jean Seberg. In: Internationales Biographisches Archiv 16/2009 vom 14. April 2009, ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 31/2009 (aufgerufen am 29. August 2009 via Munzinger Online)
  3. vgl. Profil in der Internet Movie Database (aufgerufen am 29. August 2009)
  4. vgl. Profil bei Find A Grave (aufgerufen am 29. August 2009)
  5. a b Filmbeschreibung der Produktionsfirma: Jean Seberg: American Actress (HTML). Tre Valli Filmproduktion GmbH. Abgerufen am 26. August 2011.
  6. vgl. Filmkritiker Roger Ebert über Jean Seberg und From The Journals Of Jean Seberg vom 12. Januar 1996 (abgerufen am 12. April 2010)
  7. Weggeworfen wie ein gebrauchtes Kleenex (HTML). Peter Hossli (10. August 1995). Abgerufen am 26. August 2011.
  8. Romain Gary - Die Liebe einer Frau (HTML). Daniela Besser, AVIVA-Berlin.de. Abgerufen am 26. August 2011.
  9. vgl. Jean Nathan: Seberg. Through a Cracked Lens, The New York Times vom 25. Februar 1996 (abgerufen am 12. April 2010)

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