Jean Reinhardt

Jean Reinhardt

Jean „Django“ Reinhardt (* 23. Januar 1910 in Liberchies, Belgien; † 16. Mai 1953 in Samois-sur-Seine bei Paris), Gitarrist, Komponist und Bandleader, gilt als der Vater und Begründer des europäischen Jazz.

Gedenktafel für Django Reinhardt in Samois-sur-Seine

Inhaltsverzeichnis

Leben

Als Sohn von Manouches (französischsprachigen Sinti) wuchs Django Reinhardt in einer Wohnwagensiedlung außerhalb von Paris auf, lernte früh Violine, Banjo und schließlich Gitarre zu spielen und begann seine Karriere als professioneller Musiker als 12-Jähriger mit dem Akkordeonisten Guérino.

1928 erlitt Django Reinhardt schwere Verletzungen beim Brand seines Wohnwagens. Sein rechtes Bein war gelähmt und seine linke Hand wurde stark verbrannt. Die Ärzte hatten vor, das Bein zu amputieren, doch Reinhardt erholte sich von den Verletzungen. In den folgenden anderthalb Jahren der Rehabilitation entwickelte Django Reinhardt eine völlig neue und höchst virtuose Spieltechnik, bei der er fürs Melodiespiel lediglich Zeige- und Mittelfinger einsetzte. Für Akkorde konnte er in beschränktem Maße auch den Ringfinger und kleinen Finger zu Hilfe nehmen und benutzte ausgiebig den Daumen.

Anfang der 1930er Jahre spielte Reinhardt im Orchester des Violinisten Michel Warlop und trat in Pariser Cafés auf, wo ihn 1934 Pierre Nourry und Charles Delaunay vom „Hot Club de France“ entdeckten. Diese hatten die Idee, ein nur von Saiteninstrumentalisten besetztes Ensemble zusammenzustellen und stellten Reinhardt dem Violinisten Stéphane Grappelli vor. Nach Proben im Hotel Claridge wurde das legendäre Quintette du Hot Club de France gegründet, in dem neben Reinhardt und Grappelli noch Djangos Bruder Joseph Reinhardt und Pierre „Baro“ Ferret bzw. Roger Chaput als Rhythmusgitarristen sowie Louis Vola als Bassist mitwirkten.

Dieses Quintett wurde ein Sensationserfolg und blieb - bis auf zwei Umbesetzungen - in seiner ursprünglichen Form bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 bestehen. Während Grappelli bis Kriegsende in London blieb, spielte Django Reinhardt in Paris in den folgenden Jahren mit wechselnden Besetzungen in einem geänderten, wesentlich konventionelleren Quintett-Format (Reinhardt: Sologitarre, eine Rhythmusgitarre, Klarinette anstelle der Geige, Bass und Schlagzeug). Im Frühjahr 1942 konnte er in Belgien einige Aufnahmen, u. a. mit den Orchestern Fud Candrix und Stan Brenders für das Label „Rhythme“ einspielen.

1943 versuchte Django Reinhardt sich in die Schweiz abzusetzen, wurde aber an der Schweizer Grenze zurückgewiesen. Nach Paris zurückgekehrt, bewahrten ihn seine Berühmtheit und die Beliebtheit seiner Musik bei der französischen Bevölkerung (und wohl auch bei einigen Besatzungsoffizieren) davor, wie viele seiner Verwandten als Zigeuner verfolgt und in Konzentrationslagern umgebracht zu werden. Bis zum Ende des Krieges blieb er unbehelligt in Paris, hielt sich aber bedeckt und mied die Öffentlichkeit in der Hauptstadt (wie der damals als Besatzungsoffizier dienende Schulz-Köhn berichtet[1]).

1946 spielte er auf einer kurzen Tournee in den Vereinigten Staaten mit Duke Ellington, allerdings wurde die Zusammenarbeit wegen Reinhardts Unzuverlässigkeit zum Desaster. Anschließend spielte er zumeist auf der elektrischen Gitarre im Bebop-Idiom. Erst gegen Ende der 1940er Jahre nahm Reinhardt noch einmal eine Reihe von Titeln zusammen mit Stéphane Grappelli auf (1947 und 1949 - mit einer italienischen Rhythmusgruppe - in Rom).

Gegen Ende seines Lebens spielte er nur noch wenig mit anderen Musikern. Dies hatte seine Ursache nicht zuletzt in Reinhardts geradezu legendärer Unzuverlässigkeit, die sich mit der Zuverlässigkeit anderer Musiker nicht vereinbaren ließ. Er widmete sich in den letzten Jahren seines Lebens größtenteils der Familie, Freunden, der Malerei, dem Angeln und dem Billardspiel. Er verstarb 1953 an einem Schlaganfall.

Djangos gemeinsamer Sohn mit seiner (zweiten) Frau Naguine, Babik Reinhardt, pflegte als Gitarrist die Tradition seines Vaters. Auch Djangos Vetter, der Geiger und Komponist Schnuckenack Reinhardt, trug viel zur Pflege und Fortentwicklung der vom Quintett des Hot Club begründeten musikalischen Errungenschaften bei. Auch Djangos erster Sohn, Lousson Baumgartner (1929-1992), war Musiker, jedoch mit sehr eigenständigem Profil.

Musik

Das Neue und Besondere an der Musik Reinhardts war die Mischung aus drei verschiedenen Musikstilen: er schuf aus dem schon gängigen New-Orleans-Jazz der zwanziger Jahre, den französischen Walzern (valses musettes) und der traditionellen Spielweise der Roma (Romamusik) einen neuen Musikstil, den Zigeuner- oder Gypsy-Swing, der neben der jazzgemäßen Rhythmik durch Akkordeffekte und Stimmungen gekennzeichnet ist, wie sie in der „moderneren Klassik“ für Claude Debussy oder Joseph-Maurice Ravel typisch wären. Ab 1937, seit der Aufnahme von Chicago, war er ohne Zweifel der beste europäische Jazzmusiker. Sein harmonisches Verständnis, seine bemerkenswerte Technik und sein rhythmischer Sinn machten ihn schon zu Beginn seiner Karriere zu einem ausgezeichneten Begleiter. Er entwickelte sich aber auch zu einem einzigartigen Solisten mit einem besonderen Flair für die variierte Gestaltung eines Konzerts, ohne dessen stilistische Einheit zu gefährden.

Reinhardts Gitarrenspiel hat einen großen Wiedererkennungswert, dies liegt an einer Reihe von immer wiederkehrenden Spieltechniken, die besonders in seinen Soli deutlich hervortreten. Diese Techniken sind zum Teil der Behinderung seiner Greifhand geschuldet, hier gelingt es Reinhardt also, aus der Not eine Tugend zu machen.

  • Reinhardts Handicap brachte ihn dazu, das Griffbrett eher horizontal als vertikal zu nutzen.[2] Dieses Prinzip setzt er in der Technik des Sweepings um, bei der Töne auf benachbarten Saiten mit einer einzigen schnellen Bewegung angeschlagen werden. [3]. Sweeping ist in der Gitarrenmusik der letzten Jahre gerade wieder sehr modern geworden (im Jazz z.B. bei Frank Gambale).
  • Daneben hat Django Reinhardt Läufe aus Oktav-Doppelgriffen in den Jazz eingeführt.[4] Dabei werden Tonbewegungen mit dem ganzen linken Arm ausgeführt, insofern ist auch hier Reinhardts Behinderung kein Nachteil. Ein weiterer für oktavierte Läufe bekannter Jazzmusiker ist Wes Montgomery, da dieser aber die Saiten mit dem Daumen anschlägt, klingen sie bei ihm sehr viel sanfter als bei Plektrum-Spieler Reinhardt.
  • Ein weiteres Markenzeichen Reinhardts ist das Tremolo-Picking, das in einer schnellen Auf- und Abwärtsbewegung der Anschlagshand besteht. Reinhardt setzt diese Technik sowohl bei Akkorden als auch bei Single Notes ein [5]. Letzteres realisiert Reinhardt meist als schnellen chromatischen Lauf, indem er synchron zur Bewegung der rechten Hand mit der linken über das Griffbrett rutscht („Tremolo-Glissando“).[6] Auch dies ist wiederum eine Technik, bei der die Verkrüppelung seiner linken Hand keine Behinderung darstellt.

Obwohl Django selbst keine Noten lesen konnte, komponierte er - teils in Zusammenarbeit mit Grappelli - eine Reihe von Songs, die zu Jazzstandards wurden: etwa Nuages, Daphné, Manoir de mes rêves oder Minor Swing. Auch heute noch wird seine Musik von zahlreichen Sinti und Gadje (Nicht-Zigeunern) gehört, gespielt und geliebt. Das Stück Django des Modern Jazz Quartets bezieht sich auf Django Reinhardts Tod.

Equipment

Reinhardt verwendete zunächst die vom italienischen Gitarrenbauer Lutier Maccaferri konstruierten Akustikgitarren der französischen Firma Selmer. Diese Gitarren zeichnen sich dank eines zusätzlichen Resonanzkörpers im Inneren durch eine große Lautstärke aus. Nachdem Maccaferri Selmer verlassen hat, werden die Gitarren in einigen Details verändert: Der zusätzliche Resonanzkörper wird weggelassen und der Übergang zwischen Korpus und Hals wird von dem 12. auf den 14. Bund verschoben. Diese modifizierte Maccaferri-Konstruktion wird zu Reinhardts Hauptinstrument. In späteren Jahren greift er zwar gelegentlich auch zu E-Gitarren („Archtops“) von Gibson oder Epiphone, kommt aber immer wieder zu seiner Akustischen zurück.[7]

Django Reinhardt im Film

In dem Film Sweet and Lowdown (1999) von Woody Allen ist Django Reinhardt das Idol der Hauptfigur, des fiktiven Jazzgitarristen Emmett Ray. Reinhardt tritt in dem Film nur kurz in einer Szene auf, verkörpert vom Schauspieler Michael Sprague.

Der Zeichentrickfilm Das große Rennen von Belleville (2003) beginnt mit einer musikalischen Szene mit Bühnenauftritten von Fred Astaire, Josephine Baker und Django Reinhardt (alle drei in gezeichneter Form).

Sergio Corbucci hat den Titelhelden seines Italo-Westerns Django nach Reinhardt benannt.[8]

Im Film Swing Kids ist Django Reinhardt eines der grossen Vorbilder der Protagonisten. Nach der Verstümmelung seiner Hand durch die Nazis bringt sich der fiktive Jugendliche Arvid, angespornt durch sein Idol, das dreifingerige Spiel bei.

Literatur

  • Charles Delaunay: Django Reinhardt: Souvenirs. Paris 1954
  • Michael Dregni: Django. The Life and Music of a Gypsy Legend. Oxford University Press; Oxford, New York 2004 (engl.)
  • Michael Dregni: Django Reinhardt and the Illustrated History of Gypsy Jazz. Speck Press, Denver 2006 (engl.)
  • Patrick Williams: Django Reinhardt. Editions Parenthèses, Marseille 1998 (franz.)
  • Francois Billard: Django Reinhardt. Un géant sur son nuage. Lieu Commun, Paris 1993 (franz.)
  • Roger Spautz: Django Reinhardt. Mythos und Realität. RTL Edition, Luxemburg 1983
  • Dietrich Schulz-Köhn: Django Reinhardt. Ein Porträt. Pegasus Verlag, Wetzlar 1960
  • Alexander Schmitz, Peter Maier: Django Reinhardt. Sein Leben Seine Musik Seine Schallplatten. Oreos Verlag (Collection Jazz), Gauting-Buchendorf 1985

Weblinks

Quellen und Anmerkungen

  1. Dietrich Schulz-Köhn in Klaus Wolbers (Hrsg.) Thats Jazz, Darmstadt 1988, S. 335ff. Der Autor hielt auch während des Krieges Kontakt zum mit ihm befreundeten Gründer des Hot Club de France, Charles Delaunay.
  2. http://www.fgmrecords.com/gypsy%20jazz/django_reinhardt.html#playing
  3. (Klangbeispiel aus „Swing for Ninine“)
  4. http://www.fgmrecords.com/gypsy%20jazz/django_reinhardt.html#playing
  5. (Klangbeispiel „Mystery Pacific“)
  6. http://www.fgmrecords.com/gypsy%20jazz/django_reinhardt.html#playing
  7. Guitar Heroes II (Guitar Deluxe Nr. 2). PPVMedien, Bergkirchen 2007. S. 97.
  8. http://www.arte.tv/de/Der-Italowestern/1163870.html

Siehe auch


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