Jacques der Fatalist und sein Herr

Jacques der Fatalist und sein Herr
Frontispiz

Jacques der Fatalist und sein Herr (Jacques le fataliste et son maître) ist ein Roman des französischen Autors Denis Diderot. Entstanden und niedergeschrieben zwischen 1765 und 1784, dem Todesjahr des Autors, wurde er erst nach dem Tod Diderots veröffentlicht.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

„Wie hatten sie einander gefunden? Durch einen Zufall, wie alle Welt. Wie war ihr Name? Was liegt Ihnen dran? Woher kamen sie? Aus dem nächsten Ort. Wohin ging ihre Reise? Weiß man je, wohin man geht? Was sagten sie? Der Herr sagte nichts, und Jacques sagte, sein Hauptmann habe immer gesagt, alles, was uns hinieden an Gutem und Bösem zustoße, stehe da oben geschrieben.“

[1]

Der Diener Jacques und sein adeliger Herr, der im Roman nicht mit Namen genannt wird, reisen neun Tage lang durch Frankreich. Zur Unterhaltung tauschen sie Anekdoten aus, diskutieren über philosophische Fragen, über die Willensfreiheit und über Vorherbestimmung, und Jacques erzählt seine Liebesgeschichte. Dabei wird er immer wieder durch unglückliche Ereignisse unterbrochen, die Anlass zu neuen Geschichten bieten, die von Zufallsbekannten erzählt werden, die ihrerseits von unvorhergesehenen Ereignissen unterbrochen werden. Zusätzlich räsoniert der Erzähler über die Möglichkeiten, die er hätte, um die Handlung des Romans zu verändern, reiht Stichpunkte auf, wie er Ereignisse in eine andere Richtung lenken könnte, und er verwickelt schließlich den fiktiven Leser in Diskussionen über den Roman, dessen Protagonisten etc.

Gegen Ende des Romans erfährt der Leser beiläufig, dass die Bezahlung einer Amme, die ein dem Herrn untergeschobenes Kind versorgt hatte, Anlass dieser Reise war, dass Jacques seine verlorene Liebe wiederfindet und dass sich, getreu dem bisherigen Verlauf des Romans, neue Verwirrungen abzeichnen.

Komposition des Romans

Schon ganz am Anfang des Romans wird der Ton mit dem Satz „Weiß man je wohin man geht?“ angeschlagen. Das betrifft die Reise der beiden Protagonisten, kann sich auch auf das menschliche Leben im allgemeinen beziehen – kann man frei entscheiden oder steht alles „dort oben“ geschrieben? – und auf den Gang der Erzählung selbst. Diderots Roman wird nicht linear erzählt, sondern ist ein verwirrendes Gespinst von Erzählfäden, die zur Seite gelegt, abgebrochen werden, deren lose Enden sich unverhofft zusammengeknüpft finden, und die erstaunlicherweise immer wieder von allen scheinbaren Abweichungen zum „roten Faden“, der Geschichte von Jacques' Liebschaft, zurückkehren. Der Anstoß zu dieser Rahmenhandlung kommt aus dem 22. Kapitel in Buch 8 des Romans Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman von Laurence Sterne, aus dem Diderot ganze Passagen wörtlich übernimmt.

Vier Hauptstränge verschlingen und entflechten sich dabei: Die pikareske Reise, Jacques' Liebesgeschichte mit Denise, die Abschweifungen durch Geschichten, die zufällig auftretende Personen einander oder Jacques und dem Herrn erzählen, und schließlich allerlei Reflexionen des Erzählers über seine Romanfiguren, über Freiheit und Fatalismus, über die Wahrheit in der Poesie, über das Talent des Dichters, über den Geist der Ritterlichkeit und über die Möglichkeit überhaupt, eine Geschichte zu erzählen. Der Faden der Geschichte wird dabei rund 180 mal unterbrochen, wieder aufgenommen und durch mehr oder weniger abgeschlossene Stücke, über 20 an der Zahl, erweitert. Jacques' Liebesgeschichte wird nicht zu Ende gebracht, der Text des Romans bricht nach einer Inhaftierung Jacques' unvermittelt ab, und Diderot begründet das abrupte Ende damit, dass es eben so in der „Rolle da oben“ geschrieben stehe.

Herr und Diener

„Ein Jacques, Herr, ist ein Mensch wie jeder andere“

[2]

Zur Zeit Diderots ist das Herr und Diener-Paar ein festes Motiv der Komödie, zu erinnern sind hier nur an Molières Don Juan und Sganarell oder an Beaumarchais' Almaviva und Figaro. Diderot selbst bezieht sich im Roman explizit auf Don Quixote und Sancho Pansa. In der Gesellschaft wird der Diener als niederes Wesen betrachtet, der den Launen des Herrn ausgeliefert ist. Mit seinen Kollegen aus der Komödie teilt Jacques die soziale Herkunft, die existentielle Abhängigkeit vom Herrn, aber auch Witz und Lebenstüchtigkeit. Anders aber als seine Kollegen reklamiert Jacques für sich einen Status von Gleichberechtigung im Bewusstsein einer gegenseitigen Abhängigkeit von Herr und Diener. „Jacques ist für Euch geschaffen und er für Euch“ (S. 152). Begründet wird die unterschiedliche Rollenverteilung durch die Determiniertheit des Menschen durch Geburt in eine bestimmte gesellschaftliche Schicht und Situation, eben „weil es da oben geschrieben steht“. Der wahre Lenker des Gespanns ist allerdings der Diener, und der Herr hat sich damit abzufinden. „Es wurde bestimmt, dass Ihr den Titel führen und ich die Sache haben sollte. Ihr sollt Euch meinen Herrn nennen, während ich der Eure bin.“

In Diderots Herr und Diener-Paar scheinen sich schon die sozialen Veränderungen im Frankreich am Vorabend der Revolution abzuzeichnen. Diderot schlägt hier ein neues Verhältnis zwischen Herr und Diener vor, das auf gegenseitigem Respekt beruht, das herzlicher und humaner ist als es nach dem alten Rollenverständnis sein konnte. Der Erzähler nimmt eine Debatte der beiden zum Anlass, um grundsätzlich über das Prinzip von Herrschaft und Abhängigkeiten der Menschen zu reflektieren. „Jeder Herr hat seinen Hund“ verkündet Jacques, und da jeder Mensch den Wunsch hat zu herrschen und zu befehlen, „sind die Schwachen die Hunde der Starken“.

Der freie Wille und Jacques' Fatalismus

Der Roman spiegelt eins der meist diskutierten philosophischen Themen der europäischen Aufklärung wider: Die Frage nach dem freien Willen des Menschen und nach einem ausschließlich durch Naturgesetze bestimmten menschlichen Handeln. Diderot beleuchtet in seinem Roman dieses Paradox menschlicher Existenz in ironisch-spielerischer Weise.

Jacques' Herr vertritt die Position eines Verfechters der Willensfreiheit, in der Praxis ist er jedoch ein Getriebener. Unbeholfen, schwerfällig, ohne eigene Antriebskraft sind „die eigentlichen Quellen seines Lebens“, wie der Erzähler sagt, „zu schnupfen, nach der Zeit zu sehen und Jacques auszufragen.“ Er ist ein „Automat“ und „…läßt sich leben, das ist sein gewöhnliches Geschäft“ (S. 25.).

Jacques hingegen ist, wie schon sein attributiver Beiname sagt, Fatalist. Heute würde man Jacques' Einstellung mit Determinismus bezeichnen, ein philosophischer Begriff, der erst nach Diderots Tod in das Fachvokabular der philosophischen Zunft Eingang gefunden hat.[3]

Jacques ist der Überzeugung, dass alle Ereignisse eine konkrete Ursache haben und nach festen Gesetzen ablaufen. Es gibt keine göttliche Vorsehung, keinerlei „blindes Verhängnis“, sondern lediglich wertneutrale Ursachen, keinerlei Ursachen auf ein Ziel hin. Der Hauptmann, von dem Jacques seine Thesen bezieht, ist Anhänger Spinozas, der sich in seiner Lehre u.a. von der aristotelischen Zweckursachen verabschiedet hat. Zufälle und Wunder gibt es nicht. Bestätigt wird Jacques' These vom Verlauf des Romans, in dem ständig neue, zufällig erscheinende Richtungen eingeschlagen werden, die sich dann als notwendige Folgen unbekannter Ursachen erweisen.

Zum Beweis seiner Thesen führt Jacques seinen Herrn regelrecht vor, indem er in einem gefährlichen Streich demonstriert, dass keine der folgenden Reaktion aus einer freien Entscheidung des Herrn erfolgten, vielmehr durch Jacques provoziert und gesteuert waren: „Seid ihr nicht meine Marionette gewesen, und wäret ihr nicht mein Hanswurst geblieben, wenn ich es mir vorgenommen hätte?“ (S. 254–255) Dass dem Herrn nicht geschadet wurde, „stand“, so Jacques, „da oben und in meiner Vorsorge geschrieben“.

Jacques' Fatalismus ist also keineswegs frei von Widersprüchen. Anders als man bei einem schicksalsergebenen Fatalisten erwarten dürfte, ist Jacques ein tatkräftiger und bedachtsamer Mensch, wenn er auch seinen Spruch, dass alles dort oben geschrieben stehe, permanent auf den Lippen führt (rund 60 Mal).

Exkurs über Jacques' Moral

„Jede Tugend und jedes Laster kommt und geht mit der Mode“

[4]

Jacques fatalistische Einstellung hat ihre Auswirkungen auf seine ethisch-moralische Einstellung. Er handelt souverän, ohne Regeln der Gesellschaft und der Kirche [5] über Recht, Sitte und Moral in Erwägung zu ziehen. Immer wieder hat sich in seinem Leben herausgestellt, dass Handlungen aus bester Absicht nichts als Schaden angerichtet, während Schurkereien, aus niedrigen Motiven begangene Taten, sich als segensreich herausgestellt haben. „Das Gute zieht das Schlechte nach sich, das Schlechte zieht das Gute nach sich“ (S. 76). Eine Unterscheidung zwischen einer physischen Welt und einer moralischen Welt scheint ihm ohne Sinn. Nach seiner Meinung gibt es weder Tugend noch Laster, da das Leben nichts ist als eine Verkettung von uns unbekannten Ursachen und Wirkungen, die das Leben eines Menschen von Geburt an bestimmen. Folglich kann er auch nicht für seine Taten verantwortlich gemacht werden. Jacques selbst handelt jedoch bedachtsam, unter Berücksichtigung der Umstände und der jeweils gebotenen Vorsicht. Wie er sagt, liebt er die Lüge nicht, „es sei denn sie ist nützlich und durch die Umstände geboten“ (S. 57). Er verrichte seine Gebete, „für alle Fälle“ (S. 151). Schwüre hält er für so verbindlich und fest, „wie ein Felsen, der in Staub zerfiel“. Er ist klug, obwohl er die Klugheit verachtet, er gerät in Zorn über Ungerechtigkeit, ist dankbar für Wohltaten, freut sich und trauert wie jeder andere Mensch auch, nimmt also keinesfalls sein Schicksal stoisch ergeben hin. Und ansonsten ist er, wie der Erzähler sagt, „ein wackerer Geselle, freimütig, ehrbar, mutig, anhänglich, treu...“ (S. 163).

Diderot gibt keine Antworten auf die dialektische Spannung zwischen Freiheit und Determinismus, die Frage bleibt offen. Die Antinomie bleibt bestehen, wird vielmehr in einer ironische Sicht des menschlichen Lebensin einen Roman integriert, der seinen Leser nicht belehren will, ihn nicht zum Materialismus bekehren möchte, sondern ihn unterhalten und amüsieren soll.

Das Spiel mit dem Leser

„Aber um Himmels willen, sagen Sie mir doch endlich, Herr Verfasser, wo sie hinwollten...“

[6]

Diderots Erzähler spielt sich in geradezu aufdringlicher Weise in den Vordergrund. Er räsoniert mit dem Leser, wirft ihm „unerträgliche Neugierde“ vor, lockt seine Phantasie auf Wege, die sich rasch als Irrwege herausstellen, schlägt ihm unterschiedliche Varianten einer Geschichte vor, überläßt seinem Leser die Wahl, um dann vorzuführen, dass seine Wahl nichts als Langeweile provoziere und diskutiert, ob sich die Protagonisten wohl ihrem Stand entsprechend oder eher in der Diktion des Autors ausdrücken, beharrt gleichzeitig darauf, dass er hier keinen Roman erzähle, sondern dass alles auf der „Wahrheit“ verläßlicher Quellen, auf vertrauenswürdigen Augenzeugenberichten etc. beruhe. Der Leser hingegen hält dem Erzähler seine ständigen Abschweifungen vor, unterstellt ihm die Flucht in Allegorien - „die letzte Rettung unfruchtbarer Köpfe“ -, wenn ihm nichts mehr einfalle.

Der (fiktive) Leser und der Erzähler bilden zusammen ein ebenso unzertrennliches Paar, wie Jacques und sein Herr.

Ein Antiroman, ein Metaroman?

„Erzählen Sie die Geschichte doch selbst zu Ende“

In der Literaturwissenschaft wird Diderots Jacques gerne mit dem Etikett Antiroman oder - nach neuerer Begrifflichkeit - Metaroman versehen.[7]

Diderots Erzählung steckt in der Tat voller Polemiken und ironischer Spitzen gegen den Roman als solchen. Der Erzähler behauptet unverdrossen, dass er keineswegs einen Roman schreibe, um einen Roman zu schreiben, müsse man lügen, und er liebe die Lüge nicht. Seine Absicht sei es, „wahr“ zu sein, die üblichen Mittel der Romanschreiber lehne er ab. Der fiktive Erzähler räsoniert mit seinem Leser, um den Schein aufrechtzuerhalten, dieser habe Teil an der Genese des Romans. Dass es sich hier um einen Roman handelt, wird gleichzeitig abgestritten: „Ganz offensichtlich mache ich keinen Roman, da ich Mittel außeracht lasse, denen sich ein Romanschreiber unweigerlich bedienen würde“( S. 15).

Überkommene Erzählkonventionen des Romans fehlen allerdings: Es gibt keine Einteilung in Kapitel, es wird nicht geradlining von Anfang bis Ende erzählt, die Position des allwissenden Erzählers gibt es nicht, demnach auch nicht die üblichen von höherer Warte aus entworfenen Charakterbilder der Protagonisten, für die der Erzähler nur Spott übrig hat. Es wechseln ständig die Erzähler, die Erzählperspektiven und damit auch die Erzählweisen, die vom Trivialen, Satirischen, Anekdotischen bis ins Gehoben- Elaborierte wechseln können. Eine von der aristotelischen Poetik abgeleitete Deckungsgleichheit von Erzählzeit und erzählter Zeit zu berücksichtigen, ist nicht Absicht unseres Erzählers. Das sich dabei ergebende Erzähltempo könnte man mit dem musikalischen Begriff eines presto con brio charakterisieren. Der Leser wird im Roman zum Narren gehalten, indem die üblichen Erwartungen an einen Roman enttäuscht werden. Movens der Geschichten ist ausschließlich der Zufall, nur der Zufall kann '„aus der unendlichen Zahl der Möglichkeiten solche beliebig auswählen und sie zum völlig unerwarteten Ereignis zu verknüpfen“[8] Der Zufall ist die Ursache aller Bizzarerien des Romans und des Lebens.

Ein Theoretiker des Nouveau Roman, Michel Butor, hat in dem Roman einen frühen Vorläufer gesehen. Ein Antiroman ist Diderots Jacques in dem Sinne, als er die überkommenen Regeln epischen Erzählens für sich außer Kraft setzt und wie es Hinterhäuser formuliert, dass der Roman „historisch gesehen...ein Werk [ist], das, Erstarrtes zerschlagend, den Schlussstrich unter abgelebte Ordnungen zieht; das zwar noch keine "neuen Werte" schafftt (es sei denn die des kritischen Verstandes)“.[9]

Das überraschend Moderne aber ist, dass Diderot die Problematik des Erzählens zum Gegenstand seines Romans gemacht hat, was den Roman den heutigen an Joyce oder Proust geschulten Leser eben als außerordentlich modern empfinden lässt.

Editionen

Deutschsprachige Ausgaben

Große Teile des Romans wurden zwischen November 1778 und Juni 1780 in Grimms exklusiver Zeitschrift La Correspondance littéraire publiziert, eine Zeitschrift, deren Abonnenten vorzugsweise an den europäischen Höfen saßen, die nicht gedruckt, sondern handgeschrieben war, mit Diplomatenpost verschickt wurde und so der Zensur entging.[10]

Die erste französische Ausgabe erschien erst 1797 bei Buisson in Paris unter dem Titel Jacques le fataliste et son maître. Bis 1800 erschienen etwa neun weitere Ausgaben, darunter auch eine preiswerte Taschenausgabe.

Die erste deutsche – sehr freie – Teilübersetzung der Pommeraye-Episode des Romans von Friedrich Schiller wurde schon 1785 unter dem Titel Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache ([11] ) in der ersten und einzigen Nummer seiner Zeitschrift Rheinische Thalia veröffentlicht. Eine anonyme Rückübersetzung ins Französische dieses Schiller-Textes wurde 1793 in Paris gedruckt. 1792 kam unter dem Titel Jakob und sein Herr. Aus Diderots ungeducktem Nachlass eine zweibändige Übersetzung von Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius im Verlag von Johann Friedrich Unger in Berlin heraus und erschien nur ein Jahr später in niederländischer Übersetzung. Beide Ausgaben gingen der französischen Erstausgabe voraus. Mylius' Übersetzung ist bis heute Grundlage für alle späteren deutschen Übertragungen. Allerdings ist die Ausgabe nicht vollständig, da einzelne Passagen der Zensur zum Opfer gefallen sind. 1797 erschien die erste englische Übersetzung.

Die erste vollständige deutsche Ausgabe ist die 1921 bei Georg Müller in München unter dem Titel Jakob und sein Herr erschienene zweibändige Übersetzung von Hanns Floerke.

Rezeption

Der Roman hat bis heute immer wieder Philosophen, Künstler und Literaten zur gedanklichen und künstlerischen Auseinandersetzung angeregt.

Literatur und Philosophie

Goethe hat das Buch auf Empfehlung von Schiller mit großem Vergnügen gelesen, Karl Marx hat es seinem Freund Engels empfohlen und weist ihn auf die Dialektik zwischen Herrn und Knecht hin, der Romantiker E.T.A. Hoffmann hat das Buch geschätzt, ebenso die beiden Iren James Joyce und Samuel Beckett. Hegel entwickelt in seiner Phänomenologie des Geistes die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft nach dem Vorbild von Diderots Roman.

Zeitgenössischer Reflex auf den Roman ist Volker Brauns Hinze und Kunze-Roman von 1985. Die Konstellation Herr und Diener auf ziellosen Reisen unterwegs versetzt er in die sozialistische Wirklichkeit der DDR, wobei der Chauffeur des Parteisekretärs während der Dienstfahrten durchaus nicht wie Jacques zu freiherzigem Geplauder angeregt wird.[12]

Die jüngste Hommage an Diderot und seinen Roman stammt von dem elsässischen Autor Éric-Emmanuel Schmitt. Er hat sein Stück La tectonique des sentiments (2008), das die Pommeraye-Geschichte des Romans variiert, Diderot gewidmet.

Bildende Kunst

Illustriert wurde die französische Ausgabe von 1922 von Joseph Hémard. Bei der Maximilian-Gesellschaft in Hamburg erschien eine bibliophile Ausgabe von Die Rache einer Frau (die Pommeraye-Episode) mit Linolschnitten von Svato Zapletal. Frank Stella malte in seiner Diderot-Serie das Bild mit dem Titel Jacques le Fataliste (1974).

Darstellende Kunst

Besonders fruchtbar war Diderot als Anreger für Werke darstellender Kunst, zumal er selbst den Dialog als Stilmittel bevorzugte.

1870 schrieb der französische Theaterdichter Victorien Sardou das Stück Fernand, das die Pommeraye-Episode behandelt. Carl Sternheim bearbeitete ebenfalls die Pommeraye-Episode zu einem Stück mit dem Titel Die Marquise von Arcis, das sich eng an Diderots Text hält und das 1918 von Kurt Wolff in Leipzig gedruckt wurde. Milan Kundera schrieb 1971 eine Theaterfassung in tschechischer Sprache als “hommage an Diderot“. Der Text, der auch ins Englische und von Kundera selbst ins Französische übersetzt worden ist, erschien 2004 in Deutsch unter dem Titel Jacques und sein Herr.

1975 schrieb der französische Komponist Georges Aperghis eine Kammeroper in drei Akten unter dem Titel Jacques le Fataliste.

Bereits 1921 wurde ein Film nach der Pommeraye-Episode von Fritz Wendhausen gedreht unter dem Titel Die Intrigen der Madame la Pommeraye. Auch der Film Les Dames du Bois de Boulogne (1945) von Robert Bresson nach einem Drehbuch von Jean Cocteau beruht auf dieser Episode. Eine weitere Filmadaption des Buches ist Jacques le fataliste von 1993 des französischen Regisseurs Antoine Duchet, in dem der Plot in das Frankreich der Gegenwart übertragen wird. 2005 wurde auf der Biennale in Venedig der portugiesisch-französische Film O fatalista des Regisseurs Joao Botelho gezeigt, der sich eng an die Romanvorlagen hält, aber die Geschichte von Herr und Knecht, von Chauffeur Tiago und seinem Patron, in das Portugal von heute versetzt.

Zwei Fernsehfassungen wurden im französischen Fernsehen gezeigt: Der Film von 1984 Jacques le fataliste et son maître, Regie Claude Santelli und 1991 Les amours de Jacques le fataliste, Regie Jacques Ordines.

Hans Magnus Enzensberger, der auch eine bibliophile Ausgabe der Mylius-Übersetzung in seiner Reihe Die Andere Bibliothek herausgebracht hat, bearbeitete den Text unter dem Titel Diderots Schatten. Unterhaltungen, Szenen, Essays zu einem so genannten Radio-Roman, der 1994 bei Suhrkamp in Frankfurt verlegt worden ist.

Einzelnachweise

  1. Alle Textzitate aus der Ullstein Werkausgabe in 4 Bänden. 3. Band. Berlin 1987
  2. S. 152
  3. Erstmals unter dem Titel Über Determinismus und moralische Freiheit, Offenbach a.M. 1789, des Philosophen und Kant-Anhängers Christian Wilhelm Snell.
  4. S. 63.
  5. Diderot stand mit seinem Gesamtwerk auf dem katholischen Index
  6. S. 41.
  7. Köhler. S. 249.
  8. Köhler 1992. S. 265.
  9. Hinterhäuser: Diderot als Erzähler. In: Diderot das erzählerische Gesamtwerk. Bd. 4. 1987. S. 237-238.
  10. Wolf Lepenies Der weiße Tyrann. In: Süddeutsche Zeitung, 17. Februar 2003.
  11.  :Volltext auf Wikisource
  12. Isabella von Treskow: Französische Aufklärung und sozialistische Wirklichkeit. Dennis Diderots "Jacques le fataliste" als Modell für Volker Brauns Hinze-Kunze-Roman. 1996.

Textausgaben

  • Jacques le fataliste et son maître, in: Contes et romans, hrsg. von Michel Delon. Paris: Gallimard, Bibliothèque de la Pléiade, 2004. ISBN 2-07-011595-X
  • Jakob und sein Herr. Übersetzt von Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. Durchgesehen, ergänzt und mit einem Nachwort versehen von Horst Günther. Frankfurt am Main: Eichborn, Die andere Bibliothek, 1999. ISBN 3-8218-4178-8

Bearbeitungen

  • Jakob und sein Herr: Hörspiel. Nach dem Roman von Denis Diderot, Adaption Hans Magnus Enzensberger, Regie Manfred Marchfelder. Sprecher: Otto Sander, Lothar Blumhagen, Christian Brückner. Eine Produktion des Saarländischen Rundfunks, Aufnahme von 1979. Rottenburg: Diderot Verlag, 2006 (2 CDs). ISBN 978-3-936088-34-2

Literatur

  • Hans Hinterhäuser: Diderot als Erzähler. Nachwort zu Denis Diderot, Das erzählerische Gesamtwerk. Bd 4. Frankfurt a. M. 1987. S. 203-246. ISBN 3-548-37145-0
  • Erich Köhler: Est-ce que l'on sait où l'on va? Zur strukturellen Einheit von "Jacques le fataliste et son maître. In: Denis Diderot. Hrsg. von Jochen Schlobach. Darmstadt 1992. S. 245-273.
  • S. Albertan-Coppola: Diderot in: Dictionnaire des lettres françaises. Éd. rev. Paris 1995. S. 403-412.
  • S. Albertan-Coppola: Jacques le fataliste et son maître in: Dictionnaire des œuvres littéraires de la langue française. Éd. de Jean-Pierre de Beaumarchais, Daniel Couty. Bd 2. Paris 1994. S. 992-994. ISBN 2-04-018552-6

Weblinks

Textausgaben

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