Irredentismus

Irredentismus

Irredentismus ist die Bezeichnung einer Ideologie, die auf die Zusammenführung möglichst aller Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem einheitlichen Staat hinzielt, in der Regel durch Annexion von Gebieten anderer Staaten. Im Besonderen ist damit oft der italienische Irredentismus gemeint. Das beanspruchte Gebiet im Ausland wird (die) „Irredenta“ genannt. Die Ideologie zählt zu den Pan-Bewegungen.

Das Wort Irredentismus kommt vom italienischen Begriff terre irredente („unerlöste Gebiete“), womit aber vor allem jene Völker gemeint sind, die Anschluss an ihr Mutterland (oft im Sinne von „muttersprachliches Land“) suchen. Bestrebungen dieser Art führten letztlich 1918 zur Auflösung des Habsburger Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn und der Entstehung neuer Staaten wie der Tschechoslowakei, Deutschösterreich usw., sowie die Neubildung bereits dagewesener Staaten (Ungarn), die aber nicht konfliktfrei waren, da sie auch fremdsprachige Bevölkerungsgruppen einschlossen, die wiederum nicht von einem fremden Volk regiert werden wollten, sondern ihre Wohngebiete den jeweiligen Sprach- und Kulturräumen anschließen wollten.

Inhaltsverzeichnis

Italienischer Irredentismus

Irredenta-Ansprüche Italiens nach dem Ersten Weltkrieg

Unter Irredentismus wird die panitalienische Bewegung im Zuge der 1861 vollzogenen Einigung Italiens nach dem Risorgimento verstanden, die darauf abzielte, alle Gebiete, die ganz oder teilweise mit einer italienischsprachigen Bevölkerung bewohnt waren, in den neuen italienischen Staat einzugliedern (insbes. das Trentino, Dalmatien und Istrien). Im Trentino wohnte eine kleine deutsche Bevölkerungsminderheit. Istrien und Dalmatien wurden vor allem auf dem Land mehrheitlich von Kroaten besiedelt und befanden sich noch unter der Herrschaft der Österreichisch-Ungarischen Monarchie.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die meisten dieser Gebiete Italien zugesprochen, da Italien 1915 auf der Seite der Entente in den Krieg eingetreten war. Weitergehende Forderungen nach einer italienischen Nordgrenze entlang des Alpenhauptkamms bzw. der Wasserscheide von Mittelmeer und Donau/Schwarzem Meer, die das Schweizer Tessin und Teile Graubündens eingeschlossen hätte, wurden dagegen nicht erfüllt. Der italienische Teil Istriens (u. a. Rijeka/Fiume) musste nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an Kroatien und Slowenien bzw. Jugoslawien abgetreten werden, Triest, Görz, das Trentino und das überwiegend von einer deutschsprachigen (und ladinischen) Bevölkerung bewohnte Südtirol gehören aber bis heute zu Italien.

Irredentismus gegenüber der Schweiz

Der Irredentismus beeinflusste während der 1920er Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die schweizerisch-italienischen Beziehungen maßgeblich. 1909 scheiterte der Versuch, einen Ableger der Società Dante Alighieri in Lugano zu gründen. Während des Ersten Weltkrieges kam es im Tessin zu einer Parteinahme der Bevölkerung für Italien. Diese steht im Gegensatz zu der Parteinahme der Deutschschweizer für Deutschland und Österreich. Die Mehrheit der Tessiner Bevölkerung fühlte sich (und fühlt sich bis heute) politisch der Schweiz zugehörig, kulturell aber der Italianità verpflichtet (Svizzera italiana). Dazu kam die Befürchtung vieler Tessiner, dass ihre italienischsprachige Kultur von der Deutschschweizer Mehrheit durch deren zahlenmäßige und wirtschaftliche Vormachtstellung bedroht würde (Rivendicazioni ticinesi).

Die ab 1912 herausgegebene Kulturzeitschrift L’Adula betonte die Italianità des Tessins. Der italienische Journalist Giuseppe Prezzolini (1912) und der italienische Schriftsteller Gabriele D’Annunzio (1919) publizierten Schriften für den Anschluss des Tessins an Italien. Der Kanton Graubünden war ebenfalls vom italienischen Irredentismus bedroht. Die südlichen Alpentäler und die rätoromanischen Gebiete sollten ebenfalls an Italien fallen. Am 21. Juni 1921 bemerkte Benito Mussolini in einer Rede, dass die Einheit Italiens erst vollendet sei, wenn das Tessin italienisch sei. Der Schweizer Botschafter in Rom, Georges Wagnière, protestierte daraufhin beim italienischen Außenministerium, woraufhin der italienische Ministerpräsident Giovanni Giolitti die Äußerungen Mussolinis revidierte. Ab 1922 wurde auf die Schweiz mit irredentistischen Forderungen Druck ausgeübt, damit diese gegen antifaschistische italienische Exilanten vorging. Ab 1939 wurden in lombardischen Zeitungen Artikel und Broschüren verbreitet, in denen die Italianità der Gebiete südlich der Alpen betont und eine neue Grenzziehung durch die Alpen gefordert wurde. Solche Forderungen verstärkten jedoch nach 1920 das Bewusstsein der vorwiegend italienisch- und romanischsprachigen Bevölkerung, der Schweiz anzugehören.

Weitere irredentistische Bestrebungen

Siehe auch unter:

Literatur

  • Edgar Bonjour: Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd. 3: 1930–1939. 4. Auflage, Basel 1970.
  • Kurt Huber: Der italienischer Irredentismus gegen die Schweiz (1870–1925). Diss., Zürich. Seengen 1953.

Weblinks


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