Inklusives Wir

Inklusives Wir

Inklusives Wir und exklusives Wir bilden in vielen Sprachen der Welt eine grammatische Unterteilung der Mehrzahl der 1. Person. Hierbei wird unterschieden, ob die angesprochene Person (Adressat) eingeschlossen oder ausgeschlossen ist. Das inklusive Wir ist ein Pronomen, das den Sprecher, den Angesprochenen und möglicherweise dritte Personen bezeichnet. Im Gegensatz dazu schließt das exklusive Wir den Angesprochenen aus, Dritte Personen jedoch ein. In allen europäischen Sprachen gibt es nur ein Pronomen für eine Gruppe, die den Sprecher beinhaltet. Dabei wird also nicht unterschieden, ob der Angesprochene eingeschlossen ist.

Inhaltsverzeichnis

Funktion

Im Deutschen kann man sagen: 'Wir beide gehen ins Kino.' Dabei ist eindeutig, dass nur der Sprecher (1) und der Adressat (2) gemeint sind und mögliche Dritte Personen (3) ausgeschlossen sind. Viele Sprachen haben ein duales wir (grammatisch als 1+2 abgekürzt), das die Funktion von 'Wir beide' ausdrückt. Außerdem gibt es in vielen Sprachen auch eine Mehrzahl dieses 'inklusiven Wirs' (1+2+3+..). Diese Form bezeichnet dann eine Gruppe, welche in jedem Fall den Sprecher (1) und den Adressaten (2) beinhalten, aber noch beliebig viele Dritte Personen.

Daraus ergibt sich folgendes Schema:

Singular Dual Plural
1.Person (exkl.) 1 1+3 1+3+3+3+...
1+2 (inkl.) 1+2 1+2+3+3+...
2.Person 2 2+2 2+2+2+2+...
3.Person 3 3+3 3+3+3+3+...

Die Zelle von 1+2 und Singular kann logisch nicht gefüllt werden, da sich ein inklusives Pronomen immer mindestens auf zwei Personen bezieht (nämlich: 'Ich und du').

Ein Beispiel aus Walmajarri, das im Nordwesten Australiens gesprochen wird:[1]

Singular Dual Plural
1.Person (exkl.) ngayu (ich) ngayarra (ich + er) nganimpa (ich + er + er...)
1+2 (inkl.) ngaliyarra (ich + du) ngalimpa (ich + du + er + er...)
2.Person nyuntu (du) nyurrayarra (du + du) nyurrawarnti (du + du + du...)
3.Person nyantu (er/sie) nyantuyarra (er/sie + er/sie) nyantuwarnti (er/sie + er/sie + er/sie...)

Verbreitung

Die Unterscheidung zwischen inklusivem und exklusivem Wir ist nach einer Studie von Balthasar Bickel und Johanna Nichols (2005) in 40 Prozent der Sprachen der Welt nachgewiesen. Obwohl diese semantische Unterscheidung in Sprachen auf allen Kontinenten vertreten ist, bemerken Bickel & Nichols, dass sie sich am deutlichsten in der Gegend des pazifischen Rings finden lässt. Als pazifischen Ring bezeichnen sie Südostasien, Ozeanien, und die Pazifikküste von Nord- und Südamerika. Am häufigsten sind inklusive Pronomen jedoch in den australischen und den südamerikanischen Sprachen zu finden. Bickel und Nichols führen diese Verteilung auf prähistorische Völkerwanderungen zurück.

Beispiel

Im Malaiischen ist das Pronomen kita inklusiv und kami exklusiv. Man könnte sagen: „Wir (kami) gehen einkaufen, dann essen wir (kita).“ Damit wäre klar, dass der Gast nicht zum Einkaufen mitkommt, aber zum Essen eingeladen ist. Eine Mehrdeutigkeit, ob der Gast eingeschlossen ist oder nicht, wie in europäischen Sprachen, ist nicht möglich.

verschiedene Typen

Man unterscheidet absolute von relativen Numerussystemen. Das oben erwähnte Schema arbeitet mit absoluten Numeruskategorien, d.h. alle Formen in der Spalte 'Dual' sprechen immer von 2 Menschen. Es gibt außerdem noch Sprachen, die neben dem Dual eine Trialform haben (z. B. Wunambal, das an der Küste von Nord-West-Australien gesprochen wird). Alle Formen in der Trial-Spalte sprechen dann in jedem Fall von drei Menschen. Es gibt jedoch auch Pronomensysteme, die ihre Numeruskategorien relativ ermittelt. Hier wird die Anzahl der angesprochenen Menschen relativ zur Minimalen Gruppe der jeweiligen Personenkategorie ermittelt (1.,1+2.,2. oder 3. Person).

Ein schematisches Beispiel für ein relatives Numerussystem:

Minimal Unit-Augmented Augmented
1.Person (exkl.) 1 1+3 1+3+3+3+...
1+2 (inkl.) 1+2 1+2+3 1+2+3+3+...
2.Person 2 2+2 2+2+2+2+...
3.Person 3 3+3 3+3+3+3+...

Im Gegensatz zum absoluten System (das Schema unter Funktion) kann im relativen System die erste Zelle für die inklusive Person (1+2) gefüllt werden, nämlich mit der minimalen Gruppe der inklusiven Person, also 'Ich und Du'. Die Bezeichnungen Singular, Dual und Plural werden mit Minimal ('kleinste Gruppe'), Unit-Augmented ('um 1 erweitert') und Augmented ('um 1+X erweitert') ersetzt. Das erscheint erstmal unlogisch und unklar. Die folgenden beiden Tabellen zeigen jedoch, wie man eine Sprache mit relativem System falsch analysiert (Tabelle 1) und wie man sie richtig analysiert (Tabelle2). Die Sprache hier ist Ngandi. Sie wird im südwestlichen Arnhem-Land im Norden Australiens gesprochen.

Tabelle 1: Ngandi in einem absoluten Numerussystem:

Singular Dual Trial Plural
1.Person (exkl.) ngaya nyowo-rni nye-rr
1+2 (inkl.) nyaka ngorrko-rni ngorrko-rr
2.Person nugan nuka-rni nuka-rr
3.Person niwan bowo-rni ba-wan

Es ist hier eindeutig zu erkennen, dass die Analyse in die Irre führt. Einerseits ist die Numeruskategorie Trial nur für die inklusive Person relevant und nicht für die 1., 2. und 3. Person. Andererseits signalisieren die Endungen, wohin die Formen eigentlich gehören. Die Endung -rni verweist deshalb eindeutig auf die Numeruskategorie Dual, obwohl in der inklusiven Person mit dieser Endung drei Menschen gemeint sind. Das bedeutet, dass -rni sagt: "erhöhe um 1". Also in der 1.,2. und 3. Person in 2 Menschen gemeint. In der inklusiven Person führt diese 'Erhöhung um 1' zu 3 Menschen. Deswegen ist ein relatives Numerussystem sinnvoll.

Tabelle 2: Ngandi in einem relativen Numerussystem:

Minimal Unit-Augmented Augmented
1.Person (exkl.) ngaya nyowo-rni nye-rr
1+2 (inkl.) nyaka ngorrko-rni ngorrko-rr
2.Person nugan nuka-rni nuka-rr
3.Person niwan bowo-rni ba-wan

Es wird aus der zweiten Analyse ersichtlich, dass die inklusive Personenkategorie in einem relativen Numerussystem, genauso behandelt wird, wie die 1., 2. und 3. Person. Also wird die kleinste Gruppe der inklusiven Person (Ich und du) wie ein Singular in den anderen Personen behandelt.

Die Beispiele von Ngandi stammen aus (Heath Jeffrey. (1978). Ngandi grammar, texts and dictionary. Canberra: Australian Institute of Aboriginal Studies.)

Referenzen

  • Bickel, Balthasar & Johanna Nichols. (2005). Inclusive-exclusive as person vs. number categories worldwide. In: Filimonova, Elena (eds). (2005).
  • Filimonova, Elena (eds). (2005). Clusivity. Typological and case studies of the inclusive-exclusive distinction. Amsterdam: John Benjamins Publishing Company. ISBN 90-272-2974-0.

Einzelnachweise

  1. Hudson, Joyce. (1978). The core of Walmatjari grammar. Australian Institute of Aboriginal Studies. New Jersey, U.S.A.: Humanities Press Inc.

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