Indogermanistik

Indogermanistik

Die Indogermanische Sprachwissenschaft bzw. Indogermanistik (im nichtdeutschen Sprachraum überwiegend, im deutschen selten auch Indoeuropäische Sprachwissenschaft oder Indoeuropäistik genannt), erforscht mit historisch-vergleichenden Methoden Ursprung und Entwicklung der indogermanischen Sprachen (indoeuropäischen Sprachen). Sie ist damit heute eine Teildisziplin der aus ihr erwachsenen (Historisch-)Vergleichenden Sprachwissenschaft, die auf viele andere Sprachen der Welt angewendet wird. Gleichwohl werden die Begriffe (Historisch-)Vergleichende Sprachwissenschaft heute auch noch oft synonym mit Indogermanistik verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsüberblick

Bereits 1647 stellte der niederländische Linguist und Gelehrte Marcus Zuerius van Boxhorn erstmals eine grundlegende Verwandtschaft zwischen einer Reihe von europäischen und asiatischen Sprachen fest; ursprünglich bezog er in diese Verwandtschaft die germanischen sowie die illyrisch-griechischen und italischen Sprachen einerseits und das Persische andererseits ein, später fügte er noch die slawischen, keltischen und baltischen Sprachen hinzu. Die gemeinsame Ursprache, von der all diese Sprachen abstammen sollten, bezeichnete van Boxhorn als Skythisch. Jedoch konnte sich van Boxhorn mit dieser Erkenntnis im 17. Jahrhundert noch nicht durchsetzen.

Die indogermanische Sprachwissenschaft entstand Anfang des 19. Jahrhunderts nach Entdeckung der indogermanischen Sprachverwandtschaft durch den Engländer William Jones, den Deutschen Franz Bopp, der den Begriff Indogermanistik jedoch kategorisch ablehnte, und den Dänen Rasmus Christian Rask. Eine Schlüsselrolle spielte dabei das Bekanntwerden und die beginnende Erforschung des Sanskrits in Europa (u.a. durch William Jones, Friedrich von Schlegel und Wilhelm von Humboldt).

Als Begründer der Indogermanistik (und allgemeiner der vergleichenden Sprachwissenschaft) gilt Franz Bopp. Zwar hatten vor ihm schon William Jones und andere bemerkt, dass die Verwandtschaft zwischen Sanskrit, Griechisch, Lateinisch und einigen weiteren Sprachen kaum zufällig sein kann. Bopp war jedoch der erste, der in systematischer Weise diese Verwandtschaftsbeziehungen darstellte. Dabei beschränkte er sich nicht auf die Verwandtschaft von Wörtern, sondern befasste sich vor allem mit Verben und deren Endungen. 1816 erschien Bopps bahnbrechende Arbeit Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Daher gilt 1816 als Geburtsjahr der Indogermanistik.

Rekonstruktionen und Lautgesetze

Mitte des 19. Jahrhunderts unternahm der Deutsche August Schleicher den Versuch zur Rekonstruktion einer hypothetischen indogermanischen Ursprache und bildete einen der ersten Stammbäume zur Darstellung der angenommenen genetischen Verwandtschaft der Sprachen untereinander. Auf Schleicher geht die Konvention zurück, rekonstruierte Formen mit Sternchen zu versehen.

Mithilfe der Wellentheorie versuchte der Sprachwissenschaftler Johannes Schmidt die Sprachausbreitung besser zu erklären. Als weithin tragfähig hat sich Schleichers Vorstellung des "Stammbaums" erwiesen, das sich nicht zuletzt aus vielen lexikostatistischen Näherungen ergibt.

Die anfänglichen Rekonstruktionen des "Urindogermanischen" waren noch sehr vom Vorbild des (als besonders "rein" und daher ursprünglich geltenden) Sanskrits und zugleich von großem Optimismus hinsichtlich der Historizität des Rekonstruktes geprägt, was sich besonders an der berühmten Fabel zeigt, die Schleicher im von ihm rekonstruierten "Urindogermanischen" verfasst hat (u.a. einheitlicher a-Vokalismus wie im Indoarischen gegenüber dem dreifachen Vokalismus [e,a,o] der europäischen Sprachen).

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat die neue Generation der so genannten Junggrammatiker auf, die versuchten, die Rekonstruktionsbemühungen auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, und dazu das Postulat der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze aufstellten. Dieses besagt, dass Lautveränderungen streng regelmäßig auftreten und nur von der lautlichen Umgebung abhängen. Ausnahmen sind nur durch Analogie zu erklären, also durch Umbildung von Wortformen nach dem Verhältnismuster anderer Wortformen. Die junggrammatische Schule leistete eine beachtliche Detailarbeit und legte damit wichtige Grundlagen für die weitere Forschung. Mit dem Grundriss der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen von Karl Brugmann wurde ein Kompendium des damaligen indogermanistischen Wissensstandes geschaffen, das in diesem Umfang nicht wieder erreicht wurde.

Laryngaltheorie und Glottaltheorie

Schon 1879 allerdings unternahm Ferdinand de Saussure in einer kleinen Schrift den Versuch einer Reinterpretation des urindogermanischen Lautsystems aufgrund strukturalistischer Überlegungen. Dies wurde zunächst nicht weiter verfolgt, spielte aber im 20. Jahrhundert in Form der so genannten Laryngaltheorie eine bedeutende Rolle. Diese Theorie, deren Name auf Hermann Møller zurückgeht, war viele Jahrzehnte lang heiß umstritten, gilt aber heute als anerkannt. Sie setzt für das Urindogermanische (heute meist drei, mit *h₁, *h₂ und *h₃ bezeichnete) "Laryngale" voraus, die nur noch in anatolischen Sprachen und nur noch teilweise erhalten sind. Es waren vermutlich im Rachenraum oder Kehlkopfbereich artikulierte Konsonanten an, die heute u.a. an verschiedenen "Färbungen" benachbarter Vokale erkennbar sind.

Stark umstritten ist dagegen die so genannte Glottaltheorie, deren Hauptvertreter Tamaz Gamkrelidze, Wjatscheslaw Iwanow und Paul Hopper sind. Diese Theorie beinhaltet die Neuinterpretation der urindogermanischen Verschlusslautreihen unter Ansetzung einer glottalisierten Reihe.

Literatur

Forschung und Lehre

Im deutschsprachigen Raum hat das Fach eine reiche Tradition und ist zur Zeit an folgenden Universitäten vertreten:

Darüber hinaus existieren indoeuropäische Lehreinrichtungen an 32 ausländischen Hochschulen (v.a. in Spanien, Italien, Japan und den USA).

Weblinks


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