Imre Nagy

Imre Nagy
Denkmal in Szeged

Imre Nagy [ˈimrɛ ˈnɒɟ] (* 7. Juni 1896 in Kaposvár, Ungarn; † 16. Juni 1958 in Budapest) war ein ungarischer Politiker und Agrarökonom. Innerhalb der kommunistischen Partei fungierte er teilweise als Dissident, war aber zweimal Regierungschef. Seit dem ungarischen Volksaufstand 1956 und seiner Hinrichtung 1958 gilt er als Nationalheld.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nagy wurde in einer Bauernfamilie geboren. Er wurde zum Maschinenschlosser und Dreher ausgebildet. Zu Beginn des ersten Weltkrieges in die österreichisch-ungarische Armee eingezogen, wurde er 1915 von der Zarenarmee gefangengenommen. In Gefangenschaft wurde er Mitglied der SDAPR und diente in der Roten Armee. Er partizipierte auch an der Oktoberrevolution.

Nagy kehrte nach Ungarn zurück und war 1919 für kurze Zeit Mitglied der kommunistischen Regierung der Ungarischen Sowjetrepublik von Béla Kun. Unter der Horthy-Regierung emigrierte er 1929 in die Sowjetunion, wo er sich mit landwirtschaftlicher Forschung befasste und aktives Mitglied der ungarischen Sektion der Komintern war. 1944 kam er mit der Roten Armee nach Ungarn zurück.

Sozialistische Volksrepublik Ungarn

Imre Nagy, der 1945 als Landwirtschaftsminister der Kommunistischen Partei MDP (Magyar Dolgozók PártjaPartei der Ungarischen Werktätigen‘) die ungarische Bodenreform durchführte, löste am 13. Juni 1953 im Rahmen der Entstalinisierung Mátyás Rákosi als Ministerpräsident ab, der jedoch KP-Parteichef blieb. Nagy setzte eine durchgreifende Reformpolitik in Gang und wurde für viele Ungarn zum Hoffnungsträger einer besseren Zukunft. Als er die Idee des „nationalen und menschlichen Sozialismus“ propagierte, begann erneut ein innerparteilicher Machtkampf, in dem sich die stalinistische Gruppe seines Vorgängers Rákosi durchsetzte. Imre Nagy wurde am 14. April 1955 von der Parteiführung der MDP seiner Ämter enthoben, vier Tage später vom Parlament als Ministerpräsident abgesetzt[1] und einige Monate später aus der Partei ausgeschlossen.

In der nun folgenden restaurativen Phase wurden manche Reformen wieder rückgängig gemacht, bis im Februar 1956 die „Geheimrede“ des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow gegen den Stalinismus intern bekannt wurde. In einigen Ländern des Ostblocks wurde nun eine Überprüfung der Parteilinie gefordert und in Polen begann der Posener Aufstand. In Budapest ging lediglich der Parteivorsitz von Matyás Rákosi auf seinen Stellvertreter Ernő Gerő über, was die Unzufriedenheit insbesondere der Studenten und Intellektuellen keineswegs minderte.

Ungarnaufstand

Gedenktafel am Wohnhaus von Imre Nagy in der Orsó utca in Budapest
Imre-Nagy-Denkmal am Märtyrerplatz

Als die Studentenproteste vom 23. Oktober 1956 – die offiziell als Unterstützung für die Arbeiter Polens begonnen hatten – zum Ungarischen Volksaufstand anwuchsen, setzte das kommunistische Zentralkomitee erneut Imre Nagy als Ministerpräsidenten ein. Am 28. Oktober erkannte Nagy offiziell die Revolution an. Er bildete eine Mehrparteien-Regierung und forderte die parlamentarische Demokratie und die Neutralität Ungarns. Ungarische Armee und Freiheitskämpfer wurden zur Nationalgarde vereinigt und unter die Führung von Béla Király gestellt.

Die Grabstätte von Imre Nagy

Auch Armee und Polizei stellten sich nun auf die Seite der Revolution. Die in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen waren machtlos, und Imre Nagy verhandelte mit Moskau, um Ungarn eine Art Sonderstatus zu gewähren. Auch Nagys Gegenspieler János Kádár verhandelte mit den sowjetischen Machthabern und erklärte die Regierung Nagy für illegal; sowjetische Truppen wurden westwärts verlegt.

Als Imre Nagy am 1. November 1956 die Neutralität proklamierte und die Mitgliedschaft seines Landes im Warschauer Pakt aufkündigte, rückten drei Tage später sowjetische Panzerverbände in Ungarn ein und schlugen die Revolution blutig nieder. Bei den Kämpfen, die in Budapest bis zum 15. November dauerten, kamen etwa 20.000 Ungarn ums Leben. Die erhoffte Hilfe aus dem Westen, die Radio Free Europe angekündigt hatte, blieb aus.

Nagy ließ in Westungarn den Widerstand organisieren und einige Fluchtwege nach Österreich offenhalten, auf denen bis zum 21. November 1956 etwa 210.000 Ungarn flüchten konnten. Er selbst flüchtete in die jugoslawische Botschaft, die dann drei Wochen lang von sowjetischen Panzern umstellt wurde. Als ihm der neue Regierungschef János Kádár Straffreiheit zusicherte, verließ Imre Nagy am 22. November 1956 die Botschaft, wurde jedoch mit seinen Begleitern vom KGB verhaftet und nach Rumänien in Isolationshaft deportiert.

Anderthalb Jahre später wurde ihm ein streng geheimer Prozess gemacht, der aber auf Magnetband aufgezeichnet wurde. Nagy wurde am 16. Juni 1958 wegen Landesverrates und versuchten Sturzes der „volksdemokratischen Staatsordnung“ verurteilt. Noch am selben Tag wurde er im Gefängnis von Budapest durch Erhängen hingerichtet.

Zu Beginn des Prozesses legte Nagy gegen die Geheimhaltung Protest ein und erklärte dem Richter, dass er sich als Sündenbock fühle.

Auch nach der Urteilsverkündung lehnte er weiterhin jedes Schuldbekenntnis ab und sagte:

„Mein einziger Trost ist es, dass mich das ungarische Volk und die internationale Arbeiterklasse von jenen schweren Anschuldigungen freisprechen werden.“

Imre Nagy[2]

Der letzte auf dem Magnetband aufgezeichnete Satz Nagys lautet:

„Ich bitte nicht um Gnade.“

Imre Nagy[2]

Posthum

Nagy und andere Hingerichtete wurden mit dem Gesicht nach unten, die Hände mit Stacheldraht hinter dem Rücken gefesselt, ohne Särge oder ähnliches durcheinander geworfen, mit Säure übergossen in einem Massengrab in Budapest verscharrt.[3]

Nach der politischen Wende 1989 wurde Imre Nagy in Ungarn offiziell rehabilitiert und am 16. Juni 1989, kurz vor dem Tod seines Gegenspielers János Kádár, feierlich beigesetzt. Das Grab befindet sich auf dem neuen Budapester Stadtfriedhof Új köztemető (Parzelle 301).[4] Schon lange vorher war die Umbettung seines Leichnams gefordert worden, unter anderem 1988 vom Budapester Studentenführer und späteren Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

 Commons: Imre Nagy – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Rüdiger Kipke (Hrsg.): Ungarn 1956: Zur Geschichte einer gescheiterten Volkserhebung. VS, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-15290-4, S. 23 (online), abgefragt am 19. Juni 2011.
  2. a b Kathrin Lauer: „Ich bitte nicht um Gnade.“ In: Süddeutsche Zeitung. 16. Juni 2008, S. 11, abgerufen am 19. Juni 2011.
  3. www.ungarn1956.de : [1]
  4. knerger.de: Das Grab von Imre Nagy

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