Improvisationstheater

Improvisationstheater

Improvisationstheater (oft auch kurz Improtheater) ist eine Form des Theaters, bei dem improvisiert wird, d. h. es wird eine oder es werden mehrere zuvor nicht einstudierte Szenen gespielt. Meist lassen sich die Schauspieler ein Thema oder einen Vorschlag aus dem Publikum geben. Diese Vorschläge sind dann Auslöser und Leitfaden für die daraufhin spontan entstehenden Szenen. Häufig werden die Spieler durch einen - meist ebenfalls improvisierenden - Musiker begleitet.

Eine Geschichte entsteht aus der Spontaneität und gegenseitigen Inspiration der Impro-Spieler. Der verneinende Intellekt weicht der Phantasie. „Damals gilt, was heute gilt: Bin ich inspiriert, geht alles gut, doch versuche ich es richtig zu machen, gibt es ein Desaster.“ (Keith Johnstone 1993, S. 36).

Die historischen Grundlagen des modernen Improvisationstheaters sind die Commedia dell'Arte und die Stegreifkomödie.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die ersten Ursprünge des improvisierten Theaters lassen sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen (Mimus). Allerdings trat die Improvisation im Laufe der Geschichte mit der Entwicklung einer Theatertradition immer mehr in den Hintergrund. Sie wurde zwischenzeitlich zwar wieder entdeckt – ähnlich wie die Improvisation in der Musik -, erkämpfte sich aber nur langsam die Anerkennung als eigenständige Kunstform, deren Berechtigung nicht nur in der Probenarbeit des regulären Theaterbetriebs und in der Schauspielausbildung liegt, sondern die auch als alleinige Grundlage für Aufführungen dienen kann.

In der Neuzeit lassen sich Belege für improvisiertes Theater in Italien und Frankreich vor allem im Bereich der Commedia dell'Arte finden. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es weitere Experimente, z.B. das Stegreiftheater, das Jacob Levy Moreno mit psychotherapeutischen Zielsetzungen zunächst in Wien und später in den USA zum psychodramatischen Rollenspiel weiterentwickelte.

In den 40er Jahren erschuf die Amerikanerin Viola Spolin eine große Zahl Improvisationstechniken und Improspiele. Von ihrem Sohn Paul Sills wurde Improtheater in Amerika weiterentwickelt. Dessen im Jahre 1955 in Chicago gegründete studentische Schauspielgruppe "The Compass" war wahrscheinlich die früheste Improvisationstheatergruppe im heutigen Sinne. Sie führte - inspiriert durch Bertolt Brechts Theatertheorien und Theater-Spielen von Viola Spolin – nach so genannten Scenarios gesellschaftskritische, satirische Improvisationen auf. Darüber hinaus wurden nach Vorgaben des Publikums kurze Szenen improvisiert.

In den 70er Jahren Keith Johnstone schuf in England das Konzept Theatersport, die bis heute populärste Form des Improtheaters und exportierte es nach Kanada, wo er das heute noch existente "Loose Moose"-Theater gründete.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verbreitete sich Improvisationstheater global. Unzählige Formen und Formate haben sich inzwischen ausdifferenziert und von immer mehr Quellen inspiriert und beeinflusst.

Formen

  • Kurzformen: Die jeweilige Szene dauert nur wenige Minuten. Hier gibt es Hunderte von Spielen ("Games") verschiedenster Kategorien, zum Beispiel Gromolo-Spiele, Synchronisationsspiele und viele andere mehr. Häufig werden kurze Szenen im Rahmen einer "Impro-Show" zusammengefasst. Die Impro-Show hat oft ein Motto oder einen formalen Rahmen. Die kurzen Szenen werden in der Regel auch beim Theatersport benutzt.
  • Theatersport: Beim Theatersport treten zwei Mannschaften in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an und versuchen, durch besonders gute Szenen die Gunst des Publikums zu erlangen. Der Begriff "Theatersport" wurde von Keith Johnstone rechtlich geschützt und darf nur mit dessen Genehmigung für Auftritte verwendet werden. Deswegen sind auch Begriffe wie Impro-Match geläufig.
  • Langformen: Die Szene dauert mindestens 15-20 Minuten. Eine typische Langform ist der Harold: Impressionen über ein Thema, oft auch mit autobiographischen Elementen der Schauspieler, die collagenartig gesammelt und miteinander verwoben werden.
  • Krimi: Ein Krimi, bei dem ein Mord geschieht. Die auftretenden Charaktere werden dabei von den Zuschauern bestimmt. Nach dem Mord darf das Publikum entscheiden, wer der Mörder war.
  • Improvisation mit Regisseur: Ein längeres Theaterstück, bei dem ein Regisseur eingreifen kann.
  • Impro-Soap: Eine improvisierte, auf mehrere Folgen angelegte Seifenoper
  • Biographietheater: Ein geladener Gast erzählt aus seinem Leben. Diese Geschichte wird gleichzeitig improvisiert. Dies geschieht beim Improtheater eher unterhaltsam, beim Playback Theater eher psychologisierend.
  • improvisierte musikalische Formen, wie Oper, Musical, Grand Prix
  • Action Theater: Körperbetonte Form des Improtheaters. Gründerin ist die Performerin Ruth Zaporah.

Improvisationstheater im Fernsehen

Im Britischen und US-amerikanischen Fernsehen ist Whose Line Is It Anyway? eine bekannte Comedyshow, die auf dem Prinzip des Improvisationstheaters beruht (und auch viele aus den Impro-Kurzformen bekannten Spiele verwendet). Im Deutschen Fernsehen diente sie als Vorbild für die Improvisationscomedy Frei Schnauze und Frei Schnauze XXL (RTL). Eine weitere deutschsprachige Sendung aus dem Genre Improvisationscomedy ist Schillerstraße (Sat.1).

Siehe auch

Literatur

  • Augusto Boal: Theater der Unterdrückten – Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler. Suhrkamp, Frankfurt 1979 und 1989. ISBN 3518113615
  • Augusto Boal: Der Regenbogen der Wünsche. Kallmeyer, Seelze 1999. ISBN 3780058111
  • Augusto Boal: Legislative Theater. Routledge, London 1999. ISBN 0415182417
  • Keith Johnstone: Improvisation und Theater. Alexander Verlag, Berlin 1993. ISBN 3923854676
  • Keith Johnstone: Theaterspiele. Spontaneität, Improvisation und Theatersport. Alexander Verlag, Berlin 2002. ISBN 3895810010
  • Stephen Nachmanovitch: Das Tao der Kreativität. Schöpferische Improvisation in Leben und Kunst. O.W.Barth, Frankfurt M 2008. ISBN 3502611890
  • Doug Nunn: Show ab! Impuls-Theater-Verl., Planegg 1999. ISBN 3-7660-910-26
  • Viola Spolin: Improvisationstechniken - für Pädagogik, Therapie und Theater. Junfermann, Paderborn 1983. ISBN 3-87387-209-9
  • Radim Vlcek: Workshop Improvisationstheater. Auer, Donauwörth 2000. ISBN 3-4030-34232
  • Ruth Zaporah: Action Theater - the improvisation of presence. North Atlantic Books, Berkeley Cal 1995. ISBN 1-55643-186-4

Weblinks


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