Ideologisch

Ideologisch

Der Ausdruck Ideologie (griechisch ιδεολογία – Lehre von der Idee bzw. Vorstellung) bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch ein System von Ideen, Vorstellungen, Werturteilen und Begriffen und kann synonym zu „Weltanschauung“ Verwendung finden. Meist schwingt eine negative Konnotation mit. „Ideologie“ bezeichnet in einem wertenden Gebrauch dann z. B. ein ungerechtfertigterweise festgefügtes und einseitiges Weltbild. In einzelnen Wissenschaften sind aber auch rein beschreibende Verwendungen üblich, z. B. teilweise in der Ideengeschichte, etwa im Sinne eines Bündels von Vorstellungen über die Beschaffenheit der Welt, von Ideen, Konzepten und Werturteilen. Es existieren darüber hinaus zahlreiche alternative Vorschläge von Analysen eines Ideologiebegriffs.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Der Begriff „Ideologie“ (gr. idea, Erscheinung, und logos, Lehre) entstand im Zuge der Aufklärung und wurde 1796 von dem französischen Philosophen Destutt de Tracy geprägt. Die Schule der Ideologen verstand sich als Gegenströmung zum Rationalismus von René Descartes. Die Ideologen versuchten, das Entstehen von Ideen als biologischen Prozess zu erklären, der ihrer Ansicht nach nicht ohne sinnliche Erfahrungen auskäme. Die französischen „Ideologen“ standen in der Tradition der Aufklärung und waren demokratisch orientiert.

Unter Napoleon, der den Begriff gezielt abwertend benutzte (was bis heute nachwirkt), verloren die Ideologen an Einfluss in der französischen Geisteswelt. Der (aus anderen Gründen) bekannteste Ideologe war der Physiker André Marie Ampère.

Der wertende Sprachgebrauch kann ebenfalls auf Traditionen der Aufklärung zurückgeführt werden. Denn Ideologien wurden dort als Vorurteile, mit denen die Vernunft behaftet ist, verstanden. Es wird somit angenommen, dass Ideologen an ihren Ansichten starr festhalten (Dogmatismus), stereotyp urteilen und einen unangemessenen Wahrheitsanspruch erheben.

Später haben u. a. Arthur Schopenhauer, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Vilfredo Pareto (dieser als „Derivation“), Ferdinand Tönnies, Karl Mannheim, Ernst Topitsch, Karl Popper, Hans Albert, Bertrand Russell, Louis Althusser, Theodor W. Adorno, Hannah Arendt, Jürgen Habermas und Kurt Lenk den Themenkomplex behandelt.

Charakter von Ideologien

Allgemeine Merkmale

Eine generische Arbeitsdefinition ist etwa die Folgende: Als Ideologie kann verstanden werden „ein mit Emotionen und Mythen angereichertes, handlungsbezogenes System von Meinungen und Werten, welche sich auf den Menschen, die Gesellschaft und Vorstellungen von Legitimität und Autorität beziehen. Diese werden durch routinemäßige Angewöhnung erworben und verstärkt. Die Mythen und Werte, welche eine Ideologie konstituieren, werden durch Symbole vermittelt, und zwar in vereinfachender, wirtschaftlicher und effizienter Weise. Ideologische Meinungen können mehr oder weniger übereinstimmend sein, mehr oder weniger ausformuliert und mehr oder weniger offen für neue Evidenzen und Informationen. Ideologien besitzen eine starke Fähigkeit, viele Menschen zu mobilisieren, zu manipulieren und zu kontrollieren. Man kann Ideologien daher „mobilisierte Meinungssysteme“ nennen.“[1]

Ideologien wirken orientierend und sollen die Wahrnehmung bestimmter sozialer Gruppen in eine gewünschte Richtung lenken. Zudem steuern sie Handlungsprogramme, z. B. in der Forschung oder Politik. Innere Widerspruchsfreiheit wird (teilweise) erst durch Ausblendung entgegenstehender Auffassungen, Sichtweisen und Erfahrungen erreicht. Sie beanspruchen zumeist einen Wahrheitsanspruch für ihre Grundannahmen, es werden also bestimmte Thesen, Dogmen oder Grundideen für axiomatisch gehalten. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Grundannahmen wird meist abgelehnt und auch widersprechende realistische Verhältnisse werden im Sinne der Ideologie umgedeutet.

In Ideologien werden mit als gegeben vorausgesetzten Grundideen die Hauptideen und weitere Ideen begründet. Da die Wahrnehmung der Welt Grundideen voraussetzt, kann jegliche Aussage über die Realität ideologisch geprägt sein. Ideologiekritik ist demnach das Hinterfragen dieser Grundideen und der Grundkategorien, in denen wir denken.

Ideologien finden sich besonders häufig im Bereich Politik und Gesellschaft, wo sie auch Werturteile sowie erwünschte politische Veränderungen rechtfertigen bzw. begründen. Fanatiker und Fundamentalisten legen Ideologien kompromisslos aus.

Typisch für eine ideologische Argumentation ist, dass sie sich selber viel weniger ideologisch empfindet als konkurrierende Ideologien. Der eigene Ideologiecharakter wird gerne nicht wahrgenommen oder geleugnet.

Ideologisch geprägter Blickwinkel

Ideologen erklären die komplexe Wirklichkeit anhand einzelner oder weniger Phänomene, die sich im Rahmen der Axiome ihrer Ideologie erklären lassen. Dabei werden wichtige Details, die diesem Muster widersprechen oft unterbewertet oder vernachlässigt. Es entsteht so der „ideologische Blickwinkel“.

Stark ideologisierte Erklärungen tendieren dazu, sogenannte „Patentrezepte“ anzubieten, mit denen eine Vielzahl von Problemen durch Vereinfachungen beseitigt würden. Fanatische und totalitäre Ideologen neigen dazu, auch solche Fakten zu verschweigen oder zu unterdrücken, die sie selbst als wahr annehmen, wenn sie der ideologischen Erklärung entgegenstehen.

Einige Ideologien nehmen in Anspruch, wissenschaftlich fundierte Weltanschauungen zu sein.

Machtausübung über Ideologien

Von kritischer Seite werden Ideologien mit Einseitigkeit, Intoleranz, Manipulation und Herrschaft über andere Menschen verbunden. Diese Sichtweise geht davon aus, dass rigide Ideologien die Tendenz in sich tragen, anderen eine bestimmte Sichtweise aufzudrängen oder sogar das Zusammenleben von Menschen bestimmen wollen.

Die Freiräume der Mitmenschen werden bei rigiden Gesellschaftsideologien einem Idealbild untergeordnet und durch Dogmatisierung die Individualität der Gemeinschaftsmitglieder verletzt. Dabei wird oft auch ein abgeschlossenes Weltbild kritisiert, das Kritik an eben diesem mit der Behauptung schlechter Absichten oder mangelnder Information des Kritikers abwehrt. Das Weltbild selbst wird nicht mehr hinterfragt.

Ideologientypologie nach Kurt Lenk

Der Politikwissenschaftler Kurt Lenk schlug in seinem Aufsatz Zum Strukturwandel politischer Ideologien im 19. und 20 Jahrhundert, den er in seinem Buch Rechts, wo die Mitte ist veröffentlichte, eine Klassifizierung der Ideologien vor. Er unterschied zwischen Rechtfertigungsideologien, Komplementärideologien, Verschleierungsideologien und Ausdrucksideologien.

Unter Rechtfertigungsideologien verstand Lenk modellbildende Ideologien, die sich auf die gesamten gesellschaftlichen Beziehungen erstrecken. Das zu Grunde liegende Modell ist meist eine auf Rationalität und Wissenschaftlichkeit pochende Deutung der Realität. Ideologisch sei ein solches Modell, weil es bestrebt ist, seinerseits ein verbindliches Verständnis von Realität – nicht selten unter dem Anspruch der unangreifbaren Anwendung rationaler Argumente und Argumentationsstrukturen – als einzig „vernünftigerweise“ vertretbares zu etablieren.

Lenk beschrieb demgegenüber Komplementärideologien als „für jene Gesellschaften lebensnotwendig, in denen der Mehrheit der Menschen ein relativ hohes Maß an Triebverzicht abverlangt werden muss, damit die Reproduktion der Gesellschaften gewährleistet ist.“ Komplementärideologien würden die benachteiligten Gesellschaftsmitglieder vertrösten. Zum einen beinhalte diese Ideologie eine die Realität verleugnende Verheißung auf einen objektiv unmöglichen besseren Zustand. Diese trostspendende Zukunftserwartung soll die eigenständige Interessensdurchsetzung der benachteiligten Gesellschaftsmitglieder lähmen und sie zur Gefolgschaft mit ihren Bedrückern verpflichten. Komplementärideologien arbeiten auch mit dem Bezug zur „Ehrlichkeit“, wonach der Zustand der Welt Schicksal sei und menschliches Tun daran nichts ändern könne.

Verschleierungs- oder Ablenkungsideologien seien nach Lenk die Erzeugung von Feindbildern, um einer Diskussion über die objektiven Gründe gesellschaftlicher Probleme aus dem Wege zu gehen. Eng angelehnt an diesen Aspekt verwendete er den Begriff Ausdrucksideologie. Und unter einer Ausdrucksideologie verstand er eine Ideologie, die bei den seelisch tieferen Schichten der Menschen ansetze. Es wird ein Freund-Feind-Bild inszeniert und Behauptungen aufgestellt, an die die Massen fanatisch glauben sollen.

Ideologie und Gesellschaft

Ideologie in der Wissenschaft

Die Abgrenzung von der Ideologie wurde im Zuge der Aufklärung zu einem Bestandteil der Wissenschaften, die sich im Gegensatz zu Ideologie und Glauben darum bemühen wertfrei, neutral und intersubjektiv vorzugehen, und die Gültigkeit ihrer Theorien und Hypothesen anhand empirischer Erfahrungstatsachen zu überprüfen (Wissenschaftstheorie, Empirisch-analytischer Ansatz).

Wissenschaftliche Denkmuster, Paradigmen bzw. Ideenschulen können auch einen ideologischen und abwehrenden Charakter entwickeln, und damit wissenschaftlichen Fortschritt hemmen. Thomas Kuhn analysierte in seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen wissenschaftliche Paradigmen auch unter dem Aspekt als konkurrierende Ideenschulen. Diese legen fest:

  • was beobachtet und überprüft wird
  • die Art der Fragestellungen in Bezug auf ein Thema
  • die Interpretationsrichtung von Ergebnissen der wissenschaftlichen Untersuchung

Von einzelnen Wissenschaftstheoretikern (u. a. Bruno Latour) wird die Entgegensetzung von Ideologie und objektiver Wissenschaft als Machtmechanismus und Verschleierungstechnik betrachtet. Diese Position wird von Kritikern allerdings wiederum als zur totalen Irrationalität führend heftig kritisiert (Sokal-Affäre).

Ideologie in der Politik

Der Vorwurf einer durch Ideologie bestimmten Argumentation findet sich häufig im politischen Diskurs. Damit wird unterstellt, dass ein Standpunkt deswegen nicht stichhaltig sei, weil er auf eine religiöse oder politische Ideologie basiere. Der eigene Standpunkt wird demgegenüber implizit oder explizit so dargestellt, dass er auf einer nüchterne Analyse der Wahrheit oder auf einer nicht in Frage zu stellende Ethik beruhen würde. Dies könnte indes die jeweilige Gegenseite in vielen Fällen mit dem gleichen Recht für sich in Anspruch nehmen. Unausgesprochene Ideologeme (einzelne Elemente einer Ideologie) beherrschen oft die politische Debatte, ohne dass dies in der Diskussion immer bewusst wird.

Totalitäre politische Ideologien mit umfassendem Wahrheitsanspruch weisen oftmals Elemente von Mythenbildung, Geschichtsklitterung, Wahrheitsverleugnung und Diskriminierung konkurrierender Vorstellungen auf. Nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ist die Skepsis gegenüber umfassenden und mit Heilsversprechungen durchsetzten Theoriengebäuden gewachsen, insbesondere wenn sie mit Handlungsaufforderungen oder mit der Unterdrückung abweichender Ideen verbunden sind. Gegenüber der Religion gibt es diese Skepsis aber meist nicht.

Ideologischer Extremismus führt in der Regel, wenn er sich in seinem Streben nach Hegemonie durchsetzt, zu Totalitarismus, oder, wenn er keine Chance auf Durchsetzung hat, zu sektiererischen Abschottungen z. B. nach dem Muster von K-Gruppen.

Siehe auch: Hauptartikel Politische Ideologie

Ideologie in der Religion

Als analytische Kategorie findet neben dem Begriff der politischen Ideologie ebenso der Begriff der religiösen Ideologie Anwendung in der Wissenschaft. Eine religiöse Ideologie ist eine Ideologie mit transzendentem Bezug, die das Konzept einer Gesamtexistenz von Person und Gesellschaft beinhaltet und Integrations- sowie Bindungskräfte in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen entwickeln kann.[2] Die Entstehung einer religiösen Ideologie kann insbesondere darin begründet sein, dass in Verbindung mit einer oppositionellen politischen Haltung „Konfession“ eine bedeutsame Rolle zu spielen beginnt.[2] Als populäre Beispiele für religiöse Ideologien werden in der Literatur Bezüge zu den Weltreligionen hergestellt und insbesondere der Protestantismus,[3] Katholizismus,[4], Zionismus[5] und Islamismus[6] als religiöse Ideologien gekennzeichnet; unabhängig davon, ob die ursprünglichen Motive politisch gewesen sind. Gemeint ist mit einer derartigen Kennzeichnung jeweils nicht eine Religion als Gesamtphänomen, sondern eine bestimmte religiöse und politische Lehre, die eine religiöse Bewegung zur Folge haben kann. In allgemeiner Hinsicht wird der Begriff religiöse Ideologie auch in Zusammenhang mit der Orthodoxie[7] und dem Fundamentalismus gebracht.[8]

Der Politikwissenschaftler Mathias Hildebrandt, der den Begriff politische Ideologie als Fundamentalismus zu fassen versuchte, stellte den traditionalistischen Aspekt von spezifischen religiösen Strömungen innerhalb von Religionen als ein gemeinsames Merkmal heraus. Er schrieb: „Es wird der Anspruch erhoben, zu den ursprünglichen Quellen der eigenen Tradition zurückzukehren und sie von den Verfälschungen ihrer historischen Entwicklung zu befreien, die zumeist als ein Degenerationsprozess begriffen wird.“[9] Einher ginge diese Auffassung mit einer „Essenzialisierung der eigenen Tradition, die den Anspruch erhebt, das wahre Wesen der eigenen Religion freigelegt zu haben“. Das Paradoxe bei den religiösen Ideologien sei allerdings, dass im Gegensatz zum Anspruch, zur wahren Lehre zurückzukehren, „in den meisten Fällen eine moderne religiöse Ideologie“ entstehe.[9]

Neben dem Begriff der religiösen Ideologie hat sich in der Religionspolitologie gleichsam der Begriff politische Religion durchgesetzt. Der Akzent liegt bei diesem Begriff weder stark auf dem Politischen noch auf dem Religiösen von bestimmten Ideologien. Einerseits wird mit diesem Begriff die enge Verbindung zwischen religiösen und politischen Denkweisen hervorgehoben, andererseits die Verbindung zwischen Ideologien, die sowohl politische als auch religiöse Elemente beinhalten, und politisch-religiösen Bewegungen.

Ideologiekritik

Allgemeines

Ideologiekritik geht von einer verblendeten Wahrnehmung der (gesellschaftlichen) Realität aus. Indem Ideologiekritik diese unterstellte Verblendung aufzudecken versucht, möchte sie den Zugang zu den wirklichen Verhältnissen freilegen. In der Philosophie findet der ideologiekritische Diskurs im Rahmen der Hermeneutik statt.

Eine besondere Rolle spielte die Ideologiekritik in der Aufklärung. Zentrales Ziel der Aufklärung war die Befreiung des Bewusstseins der Menschen von Aberglauben, Irrtümern und Vorurteilen, die den mittelalterlichen Machthaber zur Legitimation ihrer Herrschaft dienten. Die Aufklärung verlangte die politische Durchsetzung von Vernunft, Wissenschaft, Demokratie und Menschenrechten.

Die Ideologiekritik wird stets von einer nicht übersehbaren Menge unterschiedlichster sozialer Faktoren beeinflusst, derer sie angesichts der endlich-geschichtlichen Bestimmtheit des menschlichen Daseins nie vollkommen bewusst sein kann, weshalb sie nie in einen zwangsfreien Diskurs agiert.

Andererseits ist zu beachten, dass die Ideologieforschung es nicht bei bloßer Ideologiekritik belassen kann. Sie muss im Gegenzug auch mittels ihrer Analysen einen Beitrag zur ideologiekritischen Bestimmung von Begriffen wie Wissenschaft, Ethik und Religion leisten, um einem Relativismus um des Relativismus’ willen vorzubeugen.

Erkenntnistheorie

Die Wurzeln der modernen Ideologiekritik liegen im Empirismus der Neuzeit. Als früher Kritiker gilt Francis Bacon (1561–1626), der in seiner Idolenlehre die Reinigung des Denkens von Idolen (Trugbildern) als Voraussetzung von Wissenschaft sieht. Quellen dieser Trugbilder können Tradition, Sprache, Herkunft und Sozialisation sein. Die französischen Materialisten, u. a. Paul Heinrich Dietrich von Holbach und Claude Adrien Helvétius, kritisierten insbesondere die Religion und bezeichneten deren – im Interesse der Machterhaltung verbreiteten – Behauptungen als Priestertrug.

Politische Philosophie

Marxistische Philosophie

Nach dem sozialistischen Utopisten Saint Simon griffen Mitte des 19. Jahrhunderts Marx und Engels den seit Napoleon stigmatisierten Begriff wieder auf. Ideologie wird hier nicht als bewusste Verführung, sondern als ein sich aus den konkreten Lebensverhältnissen der einzelnen Individuen ableitendes Bewusstsein konzipiert:

„Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewußtseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache der Politik, der Gesetze, der Moral, der Religion, Metaphysik usw. eines Volkes sich darstellt, gilt dasselbe. Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen pp., aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu seinen weitesten Formationen hinauf. Das Bewußtsein kann nie etwas Andres sein als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß. Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhältnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen.“

Marx/Engels: Die deutsche Ideologie.[10]

Aus dem Klassencharakter der gesellschaftlichen Verhältnisse ergäbe sich nach Marx die Tendenz, dass die Gedanken der herrschenden Klasse auch die herrschenden gesellschaftlichen Gedanken sind,

„[…] d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft. Die Individuen, welche die herrschende Klasse ausmachen, haben unter Anderm auch Bewußtsein und denken daher; insofern sie also als Klasse herrschen und den ganzen Umfang einer Geschichtsepoche bestimmen, versteht es sich von selbst, daß sie dies in ihrer ganzen Ausdehnung tun, also unter Andern auch als Denkende, als Produzenten von Gedanken herrschen, die Produktion und Distribution der Gedanken ihrer Zeit regeln; daß also ihre Gedanken die herrschenden Gedanken der Epoche sind.“

Marx/Engels: Die deutsche Ideologie.[11]

In seinem Hauptwerk, dem Kapital, bestimmt Marx den Waren- und Geldfetisch als bestimmende Verkehrungsmomente in der kapitalistischen Produktion.

Im 20. Jahrhundert wurden von westlichen Marxisten ideologische Momente der Verdinglichung diskutiert. So zum Beispiel Ernst Bloch (Geist der Utopie, 1918) oder Georg Lukács (Geschichte und Klassenbewußtsein, 1923), für dessen Verdinglichungsanalyse die Idee einer ideologischen Verblendung zentral war. Demnach sei Ideologie „notwendig falsches Bewusstsein“. Die Bilder von der Wirklichkeit, die das Subjekt sich bildet, sind beeinflusst von subjektiven Faktoren oder von diesen Faktoren bestimmt. Daher sind sie nicht objektiv, sondern verfälschen die Wirklichkeit.

Nach Louis Althusser vermitteln Ideologien dem Individuum Bewusstsein und üben über das Individuum Macht aus, z. B. in Verbindung mit sogenannten ideologischen Staatsapparaten. Zudem ermöglichen Ideologien Individuen, sich in der Gesellschaft als Subjekte wiederzuerkennen. Ideologie sei nach Althusser nicht nur Manipulation, sondern konstituiere Subjekte – sie verstünden sich trotz bzw. wegen ihrer Unterwerfungen als frei. Ein wichtiger Gedanke von Althusser ist, das Ideologien unbewusst sind (Für Marx, S.183ff)

Frankfurter Schule

Auch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die Begründer der Frankfurter Schule, übernahmen und erweiterten das Konzept der marxschen Ideologiekritik (Dialektik der Aufklärung, 1945). Theodor W. Adorno unterscheidet zwischen der Gesamtideologie eines Individuums und seiner Ideologie in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens wie Politik, Wirtschaft oder Religion. Ideologien verschiedener Epochen seien Ergebnis historischer Prozesse. Die Anhänger geschlossener Ideologien wären zumeist eine kleine Minderheit, da im Normalfall unterschiedliche ideologische Systeme absorbiert und zu einem Denkmuster verwoben werden. Aufgrund ihrer Auffassung von „totaler“ Ideologie, wird die Kritik hier als Negation des sogenannten Verblendungszusammenhangs verstanden, und beschränkt sich nicht nur auf die vom Warentausch zwangsabstrahierte Verdinglichung (Marx, Georg Lukács). Jene ökonomische Rationalität ist nämlich, im totalisierenden Ansatz der Dialektik der Aufklärung, einer historisch wirksamen, instrumentellen Vernunft untergeordnet.

Kritischer Rationalismus

In seinem Werk „Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde“ kritisiert Karl R. Popper den totalitären Charakter bestimmter Ideologien, insbesondere des Nationalsozialismus und des Sozialismus.

Siehe auch

Literatur

  • Theodor W. Adorno: Beitrag zur Ideologienlehre. 1954, In: Soziologische Schriften I, Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1995, ISBN 3-518-27906-8
  • Louis Althusser: Ideologie und ideologische Staatsapparate. 1977, ISBN 3-87975-109-9
  • Giuseppe Catalfamo: Ideologie und Erziehung. H.g. v. Winfried Böhm. Verlag Dr. Johannes Königshausen + Dr. Thomas Neumann, Würzburg 1984, ISBN 3-88479-182-6
  • Christian Duncker: Kritische Reflexionen des Ideologiebegriffes, [1], London 2006, ISBN 1-903343-88-7
  • Christian Duncker (Hg.): Ideologiekritik Aktuell – Ideologies Today. Bd. 1. London 2008,[2]. ISBN 978-1-84790-015-9
  • Terry Eagleton: Ideologie. Eine Einführung. Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01783-4
  • Ulrich Enderwitz: Was ist Ideologie? Zur Ökonomie bürgerlichen Denkens. Münster 2005, ISBN 978-1-84790-015-9
  • Lothar Gassmann: Kleines Ideologien-Handbuch, Schacht-Audorf 2007, ISBN 978-3-9811244-0-8
  • James Paul Gee: Social Linguistics and Literacies: Ideology in Discourses. 1996 ISBN 0-7507-0928-6
  • Jürgen Habermas: Wissenschaft und Technik als Ideologie. 18. Auflage. 2003, ISBN 3-518-10287-7
  • Stuart Hall: Ideologie, Identität, Repräsentation. Hamburg 2004, ISBN 3-88619-326-8
  • Gerhard Hauck: Einführung in die Ideologiekritik. ISBN 3-88619-209-1
  • Max Horkheimer: Ideologie und Handeln. In: Kritische Theorie der Gesellschaft, Band IV
  • Hans Kelsen: Aufsätze zur Ideologiekritik. (mit einer Einl. hrsg. von Ernst Topitsch), Neuwied 1964.
  • Jorge A. Larrain: The Concept of Ideology (Modern Revivals in Philosophy). 1992, ISBN 0-7512-0049-2
  • Kurt Lenk (Hg.): Ideologie – Ideologiekritik und Wissenschaftssoziologie. ISBN 3-593-33428-3
  • Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. ISBN 3-423-34084-3
  • Karl Mannheim: Ideologie und Utopie. 8. Auflage. 1995, ISBN 3-465-02822-8
  • Karl Marx, Friedrich Engels: in Marx-Engels-Jahrbuch 2003. Die Deutsche Ideologie. ISBN 3-05-003837-3
  • Dietrich von der Oelsnitz: Orangenbäumchen am Plattensee. Erkenntniskritische Überlegungen zum Ideologieproblem in der (Management-)Forschung, in: DBW, 65. Jg. (2005), S. 333–349.
  • Karl Popper: Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde. ISBN 3-16-145951-2 (Band1) ISBN 3-8252-1725-6 (Band 2)
  • Ernst Topitsch: Vom Ursprung und Ende der Metaphysik. Wien 1958; Gottwerdung und Revolution, München 1973: Erkenntnis und Illusion, Hamburg 1979; Heil und Zeit. Ein Kapitel zur Weltanschauungsanalyse, Tübingen 1990.
  • Slavoj Žižek, The Sublime Object of Ideology. Verso Books, London/New York 1989, ISBN 0-86091-256-6
  • Zum Ideologieproblem in der Geschichte. Herbert Hömig zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Erik Gieseking u. a., Lauf a. d. Pegnitz 2006, ISBN 3-931070-46-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. M. Rejai, l.c., Artikelschluss – hier relativ frei ins Deutsche übersetzt
  2. a b Winfried Eberhard: Monarchie und Widerstand. Zur ständischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. in Böhmen. München / Oldenburg 1985, S. 215 f., ISBN 3-486-51881-X.
  3. James Samuel Coleman: Grundlagen der Sozialtheorie. Bd. 2.: Körperschaften und die moderne Gesellschaft. München / Oldenbourg 1992, S. 214, ISBN 3-486-55909-5.
  4. Philippe Büttgen, Christian Jouhaud: Zeitsprünge. Forschungen zur frühen Neuzeit. Bd. 12: Lire Michel de Certeau – Michel de Certeau. Frankfurt a.M. 2008, S. 241, ISBN 3-465-04047-3; Joachim Bahlcke, Rudolf Grulich (Hrsg.): Katholische Kirche und Kultur in Böhmen. Ausgewählte Abhandlungen. Münster / Berlin u. a. 2005, S. 110 f., ISBN 3-8258-6687-4.
  5. Mathias Hildebrandt: Krieg der Religionen? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Ausg. 6 (2007). Online verfügbar: APuZ Archiv
  6. Wahied Wahdat-Hagh: „Die islamische Republik Iran“. Die Herrschaft des politischen Islam als eine Spielart des Totalitarismus. Münster 2003, S. 426, ISBN 3-8258-6781-1. (Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 2003.)
  7. Philippe Büttgen, Christian Jouhaud: Zeitsprünge. Forschungen zur frühen Neuzeit. Bd. 12: Lire Michel de Certeau – Michel de Certeau. Frankfurt a.M. 2008, S. 19 und 241.
  8. Stefan von Hoyningen-Huene: Religiosität bei rechtsextrem orientierten Jugendlichen. Münster / Hamburg 2003, S. 49, ISBN 3-8258-6327-1. (Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 2002.)
  9. a b Mathias Hildebrandt: Krieg der Religionen? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Ausg. 6 (2007).
  10. MEW Bd. 3, S. 26
  11. MEW Bd. 3, S. 46

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