Humanschwingung

Humanschwingung

Als Humanschwingungen werden mechanische Schwingungen (Vibrationen, Erschütterung, Stoß) bezeichnet, die von außen auf den Menschen einwirken, beispielsweise beim Arbeiten an Maschinen oder in Fahrzeugen. Je nach schwingungsbelasteter Körperstelle wird in Ganzkörperschwingungen (GKS, Einleitstelle: Gesäß, Füße) und Hand-Arm-Schwingungen (HAS, Einleitstelle: Hände) unterschieden. Die Höhe der Schwingungsbelastung ist von der Intensität (Amplitude), der Frequenz, der Art der Schwingung (harmonisch, stochastisch, stoßhaltig) und ihrer Schwingungsrichtung (vertikal, horizontal) abhängig. Weitere Belastungsfaktoren sind eine ungünstige Körperhaltung und hohe Ankopplungskräfte. Die Dauer der Schwingungsexposition ist ebenfalls von großer Bedeutung.

Schädigungen durch Vibrationen gelten als Berufskrankheiten. Vorgaben zum Arbeits- und Gesundheitsschutz für Deutschland sind in der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung sowie der Gesundheitsschutz-Bergverordnung geregelt. Hinweise zur Umsetzung der Verordnung (Gefährdungsbeurteilung sowie Maßnahmen zur Verminderung von mechanischen Schwingungen) sind in den Technischen Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV Vibrationen) zu finden.

Inhaltsverzeichnis

Ganzkörperschwingungen

Schwingungsbelastung auf einem Gabelstapler

Fahrzeugführer und Passagiere von Land-, Wasser- und Luftfahrzeugen sind mechanischen Ganzkörperschwingungen ausgesetzt (Frequenz 1 bis 80 Hz). Darüber hinaus können ebenso von stationären Maschinen wie zum Beispiel Stanzen, Schmiedehammer oder Pressen Schwingungen auf den Menschen einwirken. Zu den Ganzkörperschwingungen zählen auch niederfrequente Schwingungen (<1 Hz), denen beispielsweise Schiffspersonal ausgesetzt ist; sie können Reisekrankheit (Kinetose) verursachen.

Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa 1,5 Mio. Arbeitnehmer am Arbeitsplatz Ganzkörper-Schwingungen ausgesetzt sind, wobei die Fahrer von Militärfahrzeugen, Erdbaumaschinen, Baustellen-Lkws, landwirtschaftlichen Schleppern und Gabelstaplern am stärksten exponiert (awz = 1 bis 2,5 m/s²) sind. Besonders hohe Schwingbeschleunigungen (awz etwa 1,5 bis 3 m/s²) treten bei Gabelstaplern in Außenbereichen auf unebenen Oberflächen (Pflaster) oder bei der Überfahrt von Schienen auf. Des Weiteren sind Erdbaumaschinen z.B. Planierraupen (awz etwa 1 - 1,5 m/s² auf harten Oberflächen) oder Muldenkipper bei hohen Einsatzzeiten betroffen.

Nach der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung sowie der Gesundheitsschutz-Bergverordnung sind in Deutschland bezüglich der Gesundheitsgefährdung zwei Werte heranzuziehen. Der Auslösewert der bewerteten Schwingbeschleunigung liegt bezogen auf einen 8 Stunden Arbeitstag bei 0,5 m/s², der Expositionsgrenzwert bei 0,8 m/s². Der Expositionsgrenzwert der EU-Richtlinie zu Vibrationen ist auf 1,15 m/s² festgelegt worden und liegt damit über der in Deutschland geltenden Grenze.

Vibrationsminderung durch angepasste Schwingsitze - Fahrersitze

Luftgefederter Schwingsitz mit vollautomatischer Einstellung für den Fahrer eines Gabelstaplers

Durch konstruktive Änderungen an Fahrzeugen und Anlagen, vor allem aber durch den Einsatz angepasster Fahrersitze kann die Gesundheitsgefährdung erheblich vermindert werden. Insbesondere luftgefederte Schwingsitze (Passivdämpfung) erzielen in Abhängigkeit von der Frequenz und dem Fahrergewicht Minderungen bis zu 60 %. Neuere Entwicklungen gehen in Richtung der aktiven Dämpfung an Schwingsitzen um Gefährdungen zu minimieren. Mechanische Federungen von Schwingsitzen sind bei anzunehmenden Gesundheitsgefährdungen oberhalb der Auslösewerte nur bedingt geeignet und erreichen nicht die Minderungen von luftgefederten Sitzen.

Die Minderung der Schwingbeschleunigung auf einem passiv dämpfenden Schwingsitz ist stark von der Anregung abhängig, die der Sitz durch ein Fahrzeug oder die Maschine erfährt. Liegen die Schwingungsanregungen in hohen Frequenzbereichen (>20 Hz) ist eine hohe Minderung zu erwarten, liegen sie tiefer (<5 Hz) ist die Schwingungsdämpfung vom Abstand zur Eigenfrequenz des Schwingsitzes abhängig, die mindestens das Dreifache der Sitzeigenfrequenz betragen sollte. Typische Eigenfrequenzen für passive luftgefederte Schwingsitze liegen zwischen 1 und 2 Hz. Der Auswahl und Anpassung für Maschinen und Fahrzeuge muss demnach eine Erfassung der typischen Schwingungsanregungen im Einsatzfall des Gerätes an der Montagestelle des Sitzes vorausgehen. Beispielsweise unterscheiden sich die Schwingungsanregungen auf einer Asphaltstraße von der im Gelände oder dem Fahrbahnuntergrund bei der Gewinnung von Rohstoffen im Tagebau oder im Untertage Bergbau.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Abhängigkeit der Schwingungsminderung vom Fahrergewicht. Die meisten Sitze besitzen eine Einstellmöglichkeit für das Gewicht. Optimale Ergebnisse in der Praxis werden allerdings nur an luftgefederten Schwingsitzen mit einer vollautomatischen elektronischen Gewichtseinstellung erreicht. Diese ermittelt die Einstellung automatisch mit Zündung oder Aktivierung des Sitzes. Erst dadurch können im praktischen Betrieb Minderungen der Schwingbeschleunigung in der genannten Größenordnung über längere Zeiten sichergestellt werden.

Belastungsabhängig weisen Schwingsitze eine über ihre Standzeit abnehmende Minderungswirkung häufig bedingt durch erhöhte innere Reibung auf, so dass nutzungsabhängig ein Austausch der Sitze an Maschinen und Geräten erforderlich werden kann.

Hand-Arm-Schwingungen

Schwingungsbelastung beim Arbeiten mit dem Winkelschleifer

Durch den verstärkten Einsatz von handgeführten oder handgehaltenen Arbeitsgeräten (zum Beispiel Bohrhammer, Motorsäge, Schleifgerät, Meißelhammer) wird eine immer größer werdende Anzahl von Arbeitern mit Hand-Arm-Schwingungen (HAS) belastet.

Man schätzt, dass etwa 18 % der Arbeitnehmer in Deutschland Hand-Arm-Schwingungen (Frequenz: 8 bis 1.000 Hz) ausgesetzt sind.

Nach der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung sowie der Gesundheitsschutz-Bergverordnung liegt in Deutschland der Auslösewert für Hand-Arm-Schwingungen bei 2,5 m/s², der Expositionsgrenzwert bei 5 m/s². Beide Angaben beziehen sich auf einen 8 Stunden Arbeitstag.

Folgen

Sowohl Hand-Arm- als auch Ganzkörper-Schwingungsbelastungen führen beim Menschen nicht nur zu akuten physiologischen Beanspruchungen (erhöhte Muskelreaktion, Leistungsminderung) und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, sondern können bei langjähriger Exposition auch chronische Beschwerden, das heißt Gesundheitsschäden hervorrufen. Eine langjährige Belastung mit vertikalen Schwingungen im Sitzen kann beim Menschen zu degenerative Veränderungen in Bereich der der Wirbelsäule führen. In Deutschland ist die Erkrankung durch Ganzkörper-Schwingungen in der Berufskrankheitenverordnung BeKV als Berufskrankheit BK 2110 „Bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen ...” aufgenommen worden. Schwingungsbelastungen des Hand-Arm-Systems können bei niedrigen Frequenzen (unter 50 Hz) degenerative Veränderungen der Knochen und Gelenke (Berufskrankheit BK 2103) verursachen. Schwingungen mit Frequenzen über 20 Hz führen zu Durchblutungsstörungen und Nervenfunktionsstörungen (Berufskrankheit BK 2104: Vibrationsbedingtes Vasospastisches Syndrom; auch als Weißfingerkrankheit bezeichnet) Um die Vibrationsrisiken zu erfassen und abschätzen zu können, wurden technische Prüfverfahren und arbeitsmedizinische Beurteilungsverfahren aufgestellt, die in verschiedenen nationalen (zum Beispiel VDI-Richtlinie 2057-1) und internationalen Normen und Richtlinien (zum Beispiel ISO 5349-1, EN 28662, ISO 2631-1) niedergeschrieben wurden.

Siehe auch

Literatur

Stephan Riedel: Wirkungen mechanischer Schwingungen auf den Menschen - Analyse des Normungsdefizits und experimentelle Arbeiten zur Ergänzung des Kenntnisstandes; Aachen: Shaker Verlag 2000 (Darmstadt, Techn. Univ., Diss., 1999); ISBN 978-3-8265-5925-9

Weblinks


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