Historienfilm

Historienfilm

Historienfilme sind Spielfilme, deren Inhalt auf historischen Figuren, Ereignissen oder Bewegungen basiert. Fiktive Filmerzählungen, deren Handlung in einen historischen Kontext eingebettet ist, werden ebenfalls als Historienfilme bezeichnet.[1]

Inhaltsverzeichnis

Genre-Frage

Historienfilme verbindet ein thematischer Bezug zur Vergangenheit. Die dargestellten Epochen, die Schauplätze, das Figurenpersonal und die Entwicklung der Handlung weisen jedoch erhebliche Unterschiede auf. So hat sich der Begriff „Historienfilm“ einerseits als Verständigungskategorie zwischen Filmproduzenten und Publikum etabliert, die bestimmte Erwartungshaltungen für die Rezeption eines Films bestimmt. Mit einem pragmatischen Genreverständnis werten aktuelle Publikationen den Historienfilm daher als eigenständige, übergeordnete Kategorie.[2] Andererseits führt ein enger gefasster Genrebegriff, der sich auf die „inhaltlich-strukturelle Form der filmischen Gruppenbildung“[3] konzentriert, zu einer internen Ausdifferenzierung. Aufgrund der prinzipiellen Unschärfe von Genrekategorien[4] sowie der Tendenz zum Genresynkretismus existiert bislang jedoch keine einheitliche Typologie. Unterteilungen erfolgen etwa nach Requisiten (z. B. „Mantel-und-Degen-Film“) oder Produktionsaufwand (Monumentalfilm), zudem werden teilweise etablierte Filmgenres der Kategorie Historienfilm zugewiesen (z.B. Kriegsfilm, Biopic).[5] Die Eigenständigkeit des Western als klassisches Hollywoodgenre ist in der Filmtheorie hingegen derart gefestigt, dass er gewöhnlich nicht als Subkategorie des Historienfilms gefasst wird. Fließend sind aber die Übergänge selbst zu Abenteuerfilmen, Fantasyfilmen oder Heimatfilmen. Die Darstellungsformen der Vergangenheit variieren in Historienfilmen somit erheblich, da „Bildmotive, Figuren und Narration entsprechend den jeweiligen Genrekonventionen organisiert werden.“[6]

Geschichte des Historienfilms

Schon seit der Frühzeit des Kinos greifen Filme historische Themen auf.[7]Mit seinen aufwendigen Rekonstruktionen von Architektur, Gelagen und Spektakel legitimierte der Historienfilm das Kino als neue Kunstform und verlieh ihr internationales kulturelles Prestige. Die Ursprünge dieser Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts liegen vor allem in Italien: Prunkvolle Kostümfilme wie Das befreite Jerusalem (1910), Der Fall von Troja (1911) und besonders Quo Vadis? (1913) erreichten auch auf dem amerikanischen Markt hohe Popularität. In Anlehnung an die italienischen Produktionen inszenierte D.W. Griffith sein mehraktiges Bibel-Drama Judith von Bethulien (1914), doch erst sein Historienepos The Birth of a Nation (Die Geburt einer Nation, 1914/15) „übertraf alle vorausgegangenen Spielfilme an Länge und Aufwand“.[8]

Im Bemühen um größtmögliche Authentizität orientierten sich die Historienfilme der 10er und 20er Jahre an der Repräsentation der Vergangenheit in Literatur, Theater und Gemälden. Mit der Entwicklung des Tonfilms bildete sich in den 30er und 40er der klassische Hollywood-Stil heraus. Der Fokus richtete sich fortan stärker auf Individuen, deren psychologische Motivation historischen Handlungen zu Grunde gelegt wird. Neben den Kostümfilm trat somit der biografische Film (Biopic), der die Faszination des Spektakels mit der Faszination heroischer, zumeist berühmter und mächtiger Figuren kombinierte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schwand die Verwendung von Folklore und Legenden im Spielfilm: Der Neorealismus setzte den Fokus stattdessen auf die Gegenwart, antiquarische oder monumentale Geschichtsfilme wurden abgelehnt. In Konkurrenz zum neuen Medium Fernsehen erfuhr der epische Historienfilm über die Antike zu Beginn der 50er Jahre jedoch eine Renaissance auf der Leinwand. Die Neuverfilmung von Quo Vadis? (1951), Ben Hur (1959) oder Spartacus (1960) zählen zu den bekanntesten Filmen dieser Hochphase des Historienfilms.

Ende der 60er Jahre setzte ein politisches Umdenken darüber ein, wie Geschichte im Film repräsentiert werden soll. Europäische Regisseure wie François Truffaut, Jean-Luc Godard oder Pier Paolo Pasolini brachen mit den Hollywood-Konventionen von Kontinuität und scheinbarer Realität, an deren Stelle fragmentarische und reflexive Erzählungen traten. Auch in Deutschland entwickelten sich in den 70er und 80er Jahren neue Formen der Geschichtsdarstellung durch eine neue Generation von Filmemachern wie Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Hans-Jürgen Syberberg, die eine filmische Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit anstrebten.[9]

Mit Filmen wie Malcolm X (1992), Forrest Gump (1994) oder Titanic (1997) bahnte sich seit den 90er Jahren in den USA die Rückkehr des Blockbuster-Historienfilms an. Der kommerzielle Erfolg von Ridley Scotts Gladiator (2000) eröffnete zudem erneut das Feld für weiter zurückliegende Epochen. Seither haben Historienfilme Konjunktur, die „mit gewaltigem Budget […] einen enormen Schauwert aufbauen“[10], wie beispielsweise Alexander (2004), Königreich der Himmel (2005), Elizabeth – Das goldene Königreich (2007) oder Die Päpstin (2009).

Erzählstrategien des Historienfilms

Filmische Darstellung von Vergangenheit beinhaltet immer auch Fiktion. Requisiten, Figuren und Handlungen müssen „erfunden“ werden, um komplexe Ereignisse in eine plausible Dramenstruktur zu bringen. Nach Robert A. Rosenstone bedienen sich konventionelle Historienfilme bestimmter Erzählmuster, um Vergangenheit sinnstiftend zu vermitteln:

  • Geschichte wird als “Story“ erzählt, in der Regel geknüpft an eine moralische Botschaft und Fortschrittsglauben.
  • Geschichte wird als Geschichte von Individuen erzählt.
  • Film präsentiert Geschichte als Erzählung einer geschlossenen, vollständigen und einfachen Vergangenheit. Historische Prozesse werden häufig linear, (mono-)kausal und einheitlich erklärt.
  • Film emotionalisiert, personalisiert und dramatisiert Geschichte.
  • Film erzeugt einen spezifischen „Look“ der Vergangenheit, indem er Landschaften, Gebäude, Kleidung etc. rekonstruiert – und erzeugt auch ein Gefühl für die Vergangenheit, indem er Werkzeuge, Waffen etc. in Aktion zeigt.
  • Film zeigt Geschichte als Prozess, indem er alle Aspekte der Vergangenheit (ökonomische, soziale, politische Fragen; Rasse, Klasse und Geschlecht) verbindet in den gezeigten Leben der Figuren, Gruppen und Nationen.[11]

Historienfilme als Teil der Geschichtskultur

Historienfilme sind niemals Abbilder einer vergangenen Zeit. Wenngleich manche Filmemacher große Mühen darauf verwenden, historische Figuren und Ereignisse möglichst authentisch darzustellen, so bleibt die Perspektive auf zurückliegende Epochen gezwungenermaßen an die Gegenwart gebunden. Die erzählte Geschichte wird zudem von zahlreichen Faktoren beeinflusst:

„ […] feature films are created within a matrix of competing pressures – including the desire to be faithful to historical fact, as well as narrative considerations, economic pressures, genre conventions, political and regulatory pressures and so on – that may increase their vulnerability to historical inaccuracies when compared to scholarly written histories.”[12]

Historienfilme sind somit in erster Linie Dokumente ihrer Entstehungszeit, die Rückschlüsse auf bestimmte Intentionen und Wertvorstellungen erlauben, die über die Darstellung von Geschichte transportiert werden. So wurde der wegen seines Rassismus umstrittene Historienfilm The Birth of a Nation (1914/15) von D.W. Griffith als ideologische Erzählung zur Stärkung der nationalen Identität und kollektiver Moralität gedeutet. Ebenso sind die italienischen Historienfilme der frühen 20er Jahre nur im Kontext des aufkommenden Faschismus angemessen zu interpretieren.[13] Auch aktuelle Kinoproduktionen sind geprägt von kulturellen Normen und verbreiteten Vorstellungen über die Vergangenheit. Populäre Historienfilme sind daher Bestandteil der gegenwärtigen Geschichtskultur, indem sie einerseits den Umgang mit Geschichte in der Gesellschaft visualisieren, andererseits aber selbst das Geschichtsbewusstsein der Zuschauer verändern und beeinflussen.

Siehe auch

Belege

  1. Davis, Natalie Zemon: Slaves on Screen. Film and Historical Vision, Cambridge (MA) 2000, S. 5.
  2. Z.B. Burgoyne, Robert: The Hollywood Historical Film, Malden (MA) / Oxford / Carlton 2008; Guynn, William: Writing History in Film, London / New York 2006.
  3. Hickethier, Knut: Genretheorie und Genreanalyse, in: Felix, Jürgen (Hrsg.): Moderne Film Theorie, Mainz 32007, S. 62–96, hier S. 65.
  4. Hickethier, Knut: Genretheorie und Genreanalyse (wie Anm. 3 ), S. 65.
  5. Burgoyne, Robert: The Hollywood Historical Film (wie Anm. 2).
  6. Hoffmann, Hilde: Geschichte und Film – Film und Geschichte, in: Horn, Sabine / Sauer, Michael (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 135–143, hier S. 136.
  7. The Execution of Mary Stuart, (1895) von Thomas Edison gilt als der erste Historienfilm der Filmgeschichte
  8. Pearson, Roberta: Das Kino des Übergangs, in: Nowell-Smith, Geoffrey (Hrsg.): Geschichte des internationalen Films, Stuttgart / Weimar 1998, S. 25–42, hier S. 40.
  9. Landy, Marcia: Introduction, in: dies (Hrsg.): The Historical Film. History and Memory in Media, New Brunswick 2000, S. 1–22, hier S. 7–10.
  10. Hoffmann, Hilde: Geschichte und Film – Film und Geschichte (wie Anm. 6), S. 136
  11. Rosenstone, Robert A.: Looking at the Past in a Postliterate Age, in: Landy, Marcia (Hrsg.): The Historical Film. History and Memory in Media, New Brunswick (NJ) 2000, S. 50–66, hier: S. 55–57.
  12. Chopra-Gant, Mike: Cinema and History. The Telling of Stories, London 2008, S. 8f.
  13. Pearson, Roberta: Das Kino des Übergangs (wie Anm. 7), S. 40f.

Literatur

Allgemein

  • Chopra-Gant, Mike: Cinema and History. The Telling of Stories, London 2008.
  • Guynn, William: Writing History in Film, London / New York 2006.
  • Hoffmann, Hilde: "Geschichte und Film – Film und Geschichte" in: Horn, Sabine / Sauer, Michael (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 135–143.
  • Korte, Barbara / Paletschek, Sylvia (Hrsg.): History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genre s. Bielefeld 2009.
  • Landy, Marcia (Hrsg.): The Historical Film. History and Memory in Media, New Brunswick 2000.
  • Rosenstone, Robert A.: History on Film / Film on History, London / New York / Boston u.a. 2006.
  • Rosenstone, Robert A.: Visions of the Past. The Challenge of Film to Our Idea of History, Cambridge (MA) / London 1995.

Antike

  • Lindner, Martin (Hrsg.): Drehbuch Geschichte. Die antike Welt im Film, Münster 2005
  • Meier, Mischa / Slanička, Simona (Hrsg.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion, Köln 2007
  • Solomon, Jon: The Ancient World in the Cinema (Taschenbuch), New Haven: Yale UP, Erweiterte Neuauflage 2001, ISBN 0300083378

Hollywood

  • Burgoyne, Robert: The Hollywood Historical Film, Malden / Oxford / Carlton 2008.

Mittelalter

  • Queer Movie Medievalisms (Queer Interventions), hrg. von Kathleen Coyne Kelly und Tison Pugh, Farnham [u.a.]: Ashgate, 2009
  • Haydock, Nickolas: Movie Medievalism. The Imaginary Middle Ages, Jefferson, NC [u.a.]: McFarland, 2008
  • Kiening, Christian (Hrsg.): Mittelalter im Film. Berlin u.a. 2006 (= Trends in Medieval Philology. 6).
  • Menninger, Annerose : Historienfilme als Geschichtsvermittlung. Stuttgart (Kohlhammer) 2010

Weblinks

  • Film und Geschichte, herausgegeben vom Kulturarchiv an der FH Hannover in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover (Lernwerkstatt Geschichte), der Gesellschaft für Filmstudien e. V. und dem Niedersächsischen Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung (NiLS).
  • Antik-Kino.de Filmdatenbank mit Filmen, die in der klassischen Antike spielen.

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