Hiltrud Kier

Hiltrud Kier
Hiltrud Kier 2010

Hiltrud Kier, geb. Arnetzl, (* 30. Juni 1937 in Graz) ist eine österreichische Kunsthistorikerin, Hochschullehrerin, ehemalige Kölner Stadtkonservatorin (Denkmalpflegerin) und ehemalige Generaldirektorin der Museen der Stadt Köln. Sie machte die Denkmalpflege weit über die Grenzen der Stadt Köln populär und setzte sich engagiert für die Bauten der 1950er Jahre ein. Ihr wohl größter Verdienst ist der Erhalt und der Wiederaufbau der großen romanischen Kirchen in Köln zum Jahr der Romanischen Kirchen 1985.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach ihrem Abitur 1955 in Graz folgte ein Studium der Kunstgeschichte mit den Nebenfächern Musikwissenschaft und Klassische Archäologie in Wien 1956 bis 1958 und Köln 1958 bis 1968, das sie 1968 mit der Promotion zum Dr. phil. und der Dissertation Schmuckfußböden in Renaissance und Barock abschloss. Anschließend erhielt sie bis 1977 Werkverträge, Forschungsaufträge unter anderem zur Kölner Neustadt und Stipendien (u. a. ein Werkvertrag mit der Stadt Köln zur Erstellung des Verzeichnisses erhaltenswerter Bausubstanz).

Kier war vom 1. August 1978 bis 30. November 1990 Stadtkonservatorin (mit einem Stab von 17 festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern). Das Stadtkonservatorenamt besteht in Köln bereits seit dem Jahre 1912. Anschließend war sie vom 1. Dezember 1990 bis 1997 Generaldirektorin der Museen der Stadt Köln in Nachfolge von Hugo Borger, Leiterin des Wissenschaftlichen Forschungsreferates der Kölner Museen und zugleich Leiterin der Kölner Bodendenkmalpflege, die aus der Verantwortung des Römisch-Germanischen Museums entlassen wurde.

Kier hat sich publicityträchtig vor allem für die romanischen Kirchen der Stadt Köln und deren städtebauliches Umfeld engagiert. Von ihr wurde aber auch eine nachhaltige Rehabilitierung der historischen Spuren des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Kölner Neustadt, betrieben.

1981 rief sie zusammen mit dem ehemaligen Diözesanbaumeister Wilhelm Schlombs zum „Jahr der Romanischen Kirchen“ auf und gründete den dazugehörigen Förderverein Romanische Kirchen Köln mit, organisierte Rundgänge, veröffentlichte Publikationen und hielt ein umfangreiches Vortrags- und Führungsprogramm ab.

Als Denkmalpflegerin hat sie die Kölner Denkmalliste nach Verabschiedung des Landesdenkmalschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen von der Gründerzeit bis zur Nachkriegszeit fortgeschrieben. Die Diskussion über den Denkmalwert von Bauten der Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert) und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie der 1950er Jahre kann durchaus als Pioniertat der deutschen Denkmalpflege bezeichnet werden. Kier rückte dabei den architektonischen und städtebaulichen Rang der bis dato völlig vernachlässigten und abbröckelnden Kölner Neustadt in das öffentliche Bewusstsein.

Mit ihrem Neustadt-Buch eröffnete sie eine kontroverse Diskussion um eine grundsätzliche Neubewertung historistischer Architektur des 19. Jahrhunderts und deren Schutz vor ihrer Zerstörung. So engagierte sie sich für den Schutz von Drei- und Vierfensterhäusern samt ihres Interieurs, für die Erhaltung alter Kölner Villen und Hofgüter und für die Umnutzung funktionslos gewordener Industriebauten aus den 1950er Jahren. Zu den wohl schönsten Werken der 1950er Jahre zählt das Parkhaus des Kaufhofs in der Innenstadt.

Im Jahre 1973 begann sie mit einem Forschungsstipendium der Fritz-Thyssen Stiftung die denkmalpflegerische Bestandsaufnahme der Kölner Neustadt. Ein Abriss vieler oft leerstehender Gebäude konnte verhindert werden.

In Köln-Buchforst, einem namengebenden, ehemaligen Waldgebiet zwischen Köln-Mülheim und Köln-Kalk, wurde 1926 ein 180.000 m² großes Gelände von der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Wohnungsbau GAG gekauft und als Planstadt unter dem Namen Kalkerfeld aufgebaut. Die beiden Teilprojekte „Blauer Hof“ und „Weiße Stadt“ wurden 1932 bzw. 1933 von den Architekten Wilhelm Riphahn und Caspar Maria Grod errichtet und 1988 auf Betreiben von Hiltrud Kier als Gruppendenkmal in die Kölner Denkmalliste eingetragen.

1981 führte sie als Stadtkonservatorin ein Patenschaftssystem für Kölns bedeutendsten Friedhof, den Melaten-Friedhof, ein, das inzwischen von vielen Städten übernommen wurde. Paten sorgen nun für die Restaurierung und den Erhalt vieler historischer Grabmale. Der Pate sucht sich ein denkmalgeschütztes Grabmal aus, dessen Nutzungsrechte abgelaufen sind. Als Gegenleistung bekommt der Pate ein Anwartsrecht auf die Grabstelle. Erst wenn der Pate dort beerdigt wird oder beerdigen lässt fallen Nutzungsgebühren an. Bei manchen Grabsteinen werden die Namen der zuvor dort Beerdigten auf die Rückseite des Grabsteins eingraviert. Durch dieses einfache System wurden bereits viele historische Grabmale erhalten.

Darüber hinaus setzte Kier die Teilrekonstruktion des südlichen Abschnitts der mittelalterlichen Stadtmauer durch, die nicht unumstrittene Chorausmalung der Basilika St. Aposteln und die Deckenzier von St. Pantaleon.

Intensiv setzte sie sich wissenschaftlich auseinander mit der Innenausstattung und damit verbundener Innenraumwirkung der Kölner Kirchen, insbesondere der romanischen Kirchen. Die Wiederaufstellung der Kölner Sockelheiligen am Rathausturm war ihre Idee sowie die Aktualisierung der dort aufgestellten Personen.

Hiltrud Kier restaurierte das ehemalige Kölner Gestapogefängnis (EL-DE-Haus) und richtete dort 1981 eine Gedenkstätte ein, unterstützt von einem lautstarken Echo der Öffentlichkeit.

Der einstige Kölner Oberstadtdirektor Kurt Rossa sprach 1979 über Hiltrud Kier „vom einzigen Mann“ in der Kölner Verwaltung.

Einer breiten Öffentlichkeit wurde die temperamentvolle Hiltrud Kier bekannt durch eine Fülle populärwissenschaftlicher Publikationen, anschaulicher Vortragsveranstaltungen und lebendiger, zum Teil mehrstündiger Führungen. Dies führte oft zu einer lebhaften Diskussion über die Stellung der Denkmalpflege in unserer Gesellschaft, und dies weit über Kölns Stadtgrenzen hinaus.

Für Hiltrud Kier war und ist es auch wichtig, dass Denkmalpflege verbal motiviert werden kann und sie warnte vor berührungsängstlicher Zurückhaltung der Denkmalpflege.

Seit ihrem Ausscheiden aus Kölner Diensten 1997 konzentriert sie sich auf ihre Lehr- und Forschungstätigkeit als Professorin am Kunsthistorischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Hiltrud Kier ist verheiratet mit Herfrid Kier (promovierter Musikwissenschaftler und ehemals Leiter der Klassikabteilung der EMI-Electrola), Mutter von vier Kindern, evangelisch und lebt heute in Zülpich.

Auszeichnungen und Ehrungen

Schriften (Auswahl)

  • Der mittelalterliche Schmuckfußboden. (= Die Kunstdenkmäler des Rheinlands, Beiheft 14.) Düsseldorf 1970.
  • Bürgerbauten der Gründerzeit in der Kölner Neustadt. Köln 1973.
  • Die Kölner Neustadt. (= Arbeitshefte des Landeskonservators Rheinland, Nr. 8.) Bonn 1974.
  • Schmuckfußböden in Renaissance und Barock. 1976.
  • (als Herausgeberin): Die Kunst, unsere Städte zu erhalten. 1976.
  • Die Kölner Neustadt.(= Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland, Band 23.) Düsseldorf 1978.
  • Denkmälerverzeichnis Köln-Altstadt und Deutz. (= Arbeitshefte des Landeskonservators Rheinland, Nr. 12.1.) Köln 1979.
  • (als Herausgeberin): Reclam-Führer Köln. 1980.
  • Zusammen mit Ulrich Krings: Der Kranz der romanischen Kirchen in Köln, Köln 1980, 2. Auflage 1982
  • Köln entdecken. Die großen romanischen Kirchen, 1983; 5., komplett überarbeitete Auflage 1993
  • (herausgegeben gemeinsam mit Ulrich Krings): Die romanischen Kirchen. Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg. (= Stadtspuren. Denkmäler in Köln, Band 1.) Köln 1984.
  • (geminsam mit Wolfram Hagspiel und Ulrich Krings): Köln. Architektur der 50er Jahre. 1986.
  • (gemeinsam mit Werner Schäfke): Die Kölner Ringe. Geschichte und Glanz einer Straße. 1987. / 2. Auflage 1994.
  • (herausgegeben gemeinsam mit C. Körber-Leupold und Sven Schütte): Archäologie in Köln. Das archäologische Jahr 1991. (= Archäologie in Köln, Band 1.) Greven Verlag, Köln 1992, ISSN 0943-3635.
  • Architektur der 50er Jahre. Bauten des Gerling-Konzerns in Köln. 1994.
  • Gotik in Köln. 1997.
  • (als Herausgeberin): Architektur der 30er/40er Jahre in Köln. Köln 1999.
  • Kirchen in Köln. 2000.
  • Kleine Kunstgeschichte Kölns. 2001.
  • (gemeinsam mit Ute Chibidziura): Romanische Kirchen in Köln und ihr historisches Umfeld. J. P. Bachem, Köln 2004. (Fotografien von Georg Esch)
Rezension von Wolfgang Rosen in: Geschichte in Köln, Band 53 (Dezember 2006), S. 183-186.
  • (herausgegeben gemeinsam mit Marianne Gechter): Frauenklöster im Rheinland und in Westfalen. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2004, ISBN 3-7954-1676-0.
  • (gemeinsam mit Hermann-Josef Reither): St. Georg, Köln. (= Schnell Kunstführer, Nr. 2573.) Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2005, ISBN 3-7954-6551-6.
  • St. Maria vom Frieden, Köln. (= Schnell Kunstführer, Nr. 2601.) Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2005, ISBN 3-7954-6567-2.
  • Reclams Städteführer Köln. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-018564-3.

Literatur

  • Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2007. Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. 21. Ausgabe, K. G. Saur Verlag, München 2007, ISBN 978-3-598-23616-7 / ISBN 3-598-23616-6, Band II: I-Sche, S. 1751.
  • Hiltrud Kier: Wenn es kritisch wird, zünde ich eine Kerze an. In: Gerd Courts: Kölner Tischgespräche 1976-1989. (mit Fotoporträts von Alfred Koch) Wienand Verlag, Köln 1989, ISBN 3-87909-235-4, S. 152-159.
  • Marie Hüllenkremer: Nicht bequem, sondern gut. Kier, der einzige Mann in der Verwaltung. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 95 (Samstag/Sonntag, 23./24. April 1988), Seite 37 (Rubrik Kultur).
  • Werner Strodthoff: „Ich möchte neunzig Jahre alt werden“. Dynamische Amtsführung der Konservatorin. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 95 (Samstag/Sonntag, 23./24. April 1988), Seite 37 (Rubrik Kultur).
  • Werner Strodthoff: Hiltrud Kier verläßt Kölns Denkmalamt. Bald selbst am Rathausturm? Sie machte die Denkmalpflege populär. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 281 (Samstag/Sonntag 1./2. Dezember 1990), (Rubrik Kultur).

Weblinks


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