Herz der Finsternis

Herz der Finsternis

Herz der Finsternis (engl. Originaltitel Heart of Darkness) ist ein Roman aus dem Jahre 1899, mit dem Joseph Conrad zu anhaltendem Weltruhm gelangte. Der ungewöhnlich symbolreiche Text wird immer wieder aufs Neue interpretiert und ist auch in letzter Zeit im Rahmen der Kulturwissenschaften wieder hochaktuell.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Der Flussdampferkapitän Marlow reist im Auftrag einer belgischen Handelskompanie tief in den Kongo. Auf seiner Reise erlebt er unverständliche Wirrnisse, Sinnlosigkeit und eine unvorstellbare Ausbeutung der Schwarzen. Die Reise den Fluss entlang entwickelt sich immer mehr zur Reise in sein eigenes unbewusstes Inneres. Marlow trifft auf den berühmt-berüchtigten und angeblich besonders erfolgreichen Elfenbein-Agenten Kurtz. Kurtz hat auf seinem Handelsposten, von der Handelsgesellschaft als „Leuchtfeuer auf der Straße zum Besseren“ beabsichtigt, ein Zentrum des Bösen und eine machtvolle Position etabliert. Vermeintlich unter dem schädlichen Einfluss der Wildnis hat er sich den in ihm selber existierenden Verrohungstendenzen hingegeben und geht darin unter. Marlow verfälscht seine letzten Worte („Das Grauen! Das Grauen!“), um sie Kurtz' Braut als letzten Gruß zu überbringen.

Form und Interpretation

Einen Teil der Spannung erhält die Erzählung aus dem Gegensatz zwischen dem biederen Erzähler Marlow, der besonders stolz auf seinen „gesunden Menschenverstand“ ist, und dem Bösen und dem Wahnsinn, dem er im Dschungel des Kongos begegnet. Im Verlauf der Erzählung drängt die Infragestellung der Art und Verortung des Bösen, also der „Finsternis“, immer stärker in den Vordergrund.

Die Figur des Elfenbeinhändlers Mr. Kurtz, von der Marlow – der Erzähler – gefesselt ist, ist die einzige namentlich gekennzeichnete Figur in der Erzählung. Mr. Kurtz wird äußerst düster und zwielichtig gezeichnet. Für Udo Wolter, der Conrad und seine Werke vor dem Hintergrund der „Fluchtlinie des Exils“ betrachtet, ist diese Figur ein Symbol der „Zivilisation und ihrer barbarischen Negation durch die Gräuel des Kolonialismus.“[1]

Marlows Fahrt führt ebenso wie andere Reisen in Conrads Romanen und Novellen „immer auch in die Abgründe und Untiefen des modernen Subjekts“, so Wolter, der dieses Reisemotiv als Fluchtlinie deutet: „Diese Fluchtlinie verweist zugleich darauf, dass jede Zuflucht in die Eindeutigkeit eines übersteigerten, abstrakten Selbstideals vergeblich ist“.[1] Die Conrad-Biographin Renate Wiggershaus bezeichnet die Reise der Erzählerfigur als „eine psychische ins innere Ausland, wie Freud das Unbewusste nannte“. [2]

Thematisierung des Kolonialismus

Joseph Conrads Novelle Heart of Darkness, in der Hochzeit des Imperialismus entstanden, beleuchtet Praxis und Wirkung der Kolonialpolitik auf Betroffene und Ausführende kolonialer Macht kritisch, bleibt aber selbst nicht frei von Vorurteilen. Die komplexe Thematik ist in Heart of Darkness erfahrbar. Handelnde Charaktere und Personen als Spiegel europäischer Kolonialpraxis am Ausgang des 19. Jahrhunderts geben der imperialen Idee ein Gesicht und sind weit über das Ende extremistischer Expansionsideologien zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Betrachtung neokolonialer Tendenzen immanent geblieben.

Ausgangspunkt der Handlung ist die Fahrt der Nellie, einer Yawl, d. h. eines Segelschiffs auf der Themse, das einer Handelsgesellschaft gehört und nach Belgisch Kongo aufbricht, woher Elfenbein importiert wird. An der Themse entsteht das englische Imperium. Ökonomischen Antrieben gehorchend, begründet die frühe englische Seefahrt die Entstehung des Kolonialismus. Nachfolgend erschließt sich für Marlow, dass die Idee des Kolonialismus durch die Verbreitung der Zivilisation begründet sei und überhaupt die kulturelle Entwicklung erst durch die erzwungene Übernahme eines unterentwickelten Landstriches durch fortschrittliche Mächte möglich werde. Die diskursive Wahrnehmung positiver Aspekte in der Welt der römischen Eroberung Britanniens dient ihm als Rechtfertigung des Erwerbes des Britischen Imperiums in Übersee.

Eine positive Bilanzierung ergibt sich aus der Sicht Marlows für die Kolonien durch den Profit aus zivilisatorischen Maßnahmen, dem Teilhaben an Entwicklung und dem Überwinden der Dunkelheit durch deren geschichtliche Marginalisation. Die Entbehrungen zur Zähmung der Wildnis fordern dabei unsägliche Mühen bei den Kolonialisten. Deren treibender Grund, in die Wildnis vorzustoßen, liegt für Marlow aber auch in einer emotionalen Faszination am Abartigen, Rohen und Primitiven, das hier der Zeit zu trotzen weiß.

Nach Marlow ist die Idee der Kolonisation aber nicht die der Unterwerfung wie bei den Römern, sondern wird von einer höheren Idee geleitet. Reine Eroberung dagegen habe allein Ausbeutung zum Ziel.

Dass die darwinistische Komponente rassischer Überlegenheit als tatsächliche Begründung gerade im ausgehenden 19 Jahrhundert offensichtlich ist, wird in einem Report, den Marlow auf dem Kongo lesen wird und der von Kurtz geschrieben ist, der seine Aufgabe der Leitung der Außenstation der Handelskompanie durch krankhafte Ambition auch in den Augen seiner Vorgesetzten überschritten hat, in deutlichen Worten dargelegt.

Die ideologische Facette eines Mordes an einem Herren durch „Wilde“ und die an den Bewohnern eines ganzen Dorfes als Reaktion erfolgende Rache ist vielsagend in Bezug auf moralische Normen, die für Herrscher und Beherrschte nicht in gleicher Weise gelten. Allein die rassistische Bezeichnung der einheimischen Schwarzen als Nigger und Negro zeigt Tendenzen der Zeit Conrads auf. Auch wird in der Beschreibung von Schwarzen durch Attribute der Unterentwicklung deutlich eine Herabstufung sichtbar. Das zeigt sich besonders, als Marlow die Landung in Kurtz' Lager und die Begegnung mit seiner einheimischen Frau beschreibt.

Das Zentrum von Heart of Darkness ist die Figur des Kurtz, der den perfiden Kolonialisten ohne Skrupel verkörpert und die Außenstation der Kompanie leitet. Er beutet die Einheimischen dabei in ungeahnter Grausamkeit aus. Seine Ansicht, wie mit den Einheimischen zu verfahren ist, wird Marlow in dem erwähnten Report über die Unterdrückung primitiver Gebräuche vermittelt.

Dass Kurtz die Auslöschung wörtlich meint, zeigt sich Marlow, als er die Station von Kurtz erreicht und das Objektiv seines Fernglases die Objekte der brutalen Folter von Kurtz an den Einheimischen auf seine Netzhaut wirft. Marlow ist von der krankhaften Obsession von Kurtz angewidert, sich aber seiner eigenen Rolle im Spiel unsicher, da die Gefahr, der Obsession selbst anheimzufallen, auf ihm lastet.

Verfilmungen

Orson Welles hatte bereits 1940 eine Verfilmung des Stoffs erwogen, den Plan aber dann verworfen. Die erste Verfilmung des Stoffs erfolgte 1958 unter dem Originaltitel innerhalb der US-amerikanischen Reihe Playhouse 90, die die ambitionierte Literaturverfilmung für das Fernsehen präsentierte. Regie führte der erst 26-jährige Ron Winston, es spielten u. a. Roddy McDowall als Marlow, Eartha Kitt als Queenie und Oskar Homolka als Doktor. Kurtz wurde von Horror-Altstar Boris Karloff verkörpert.

Der Film Aguirre, der Zorn Gottes von Werner Herzog mit Klaus Kinski aus dem Jahr 1972 ist zu großen Teilen von Conrads Buch inspiriert.

Die bekannteste Umsetzung des Stoffes ist die von Francis Ford Coppola aus dem Jahr 1979, der die Geschichte in den Vietnamkrieg transportierte und mit großem Staraufgebot (Marlon Brando, Martin Sheen, Robert Duvall, Dennis Hopper, Laurence Fishburne und Harrison Ford) als Antikriegsfilm in die Kinos brachte: Apocalypse Now.

Das Thema der Novelle wurde in einer Episode von Miami Vice aufgegriffen: "Pakt mit dem Teufel" (Staffel 1 Episode 2. Englischer Originaltitel: "Heart of Darkness"). Im Zentrum steht ein Under-Cover-Agent des FBI, der offenbar die Seite gewechselt hat und dessen Methoden unorthodox-gewalttätig geworden sind. Einige Dialogstellen kann man als Anleihen an Apocalypse Now sehen, etwa, wenn der FBI-Agent zur Rede gestellt wird und sich für seine Methoden rechtfertigt. Das tut er unter anderem mit den Worten: "I have seen things." (31. Filmminute).

Die Erzählung wurde 1993 unter dem Originaltitel „Heart of Darkness“ (deutscher Titel „Herz in der Finsternis“) von Nicolas Roeg mit Tim Roth, John Malkovich und Iman Abdulmajid in den Hauptrollen als Fernsehfilm verfilmt.

Joseph Conrad über sein Werk

„Der Mensch ist ein bösartiges Tier. Seine Bösartigkeit muss organisiert werden. Das Verbrechen ist eine notwendige Bedingung der organisierten Existenz. Die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach kriminell, sonst würde sie nicht existieren. Der Egoismus rettet alles – absolut alles –, was wir hassen, was wir lieben. Und alles bleibt so, wie es ist. Ebendies ist der Grund, warum ich die extremen Anarchisten achte.“ „Ich erhoffe die allgemeine Ausrottung“ – sehr gut. Das ist gerecht, und, mehr noch, es ist klar. Wir gehen mit Worten Kompromisse ein. Es hilft uns auch nicht weiter. Es ist wie ein Wald, in dem niemand den Weg kennt. Man ist verloren, während man noch ruft: „Ich bin gerettet!“

Joseph Conrad: Brief an Robert Cunninghame Graham, 2. Februar 1899[3]

Kritiken

„Von allem, was er geschrieben hatte, bewunderte ich am meisten die furchtbare Erzählung Herz der Finsternis, die seine Lebensanschauung vollkommen ausdrückt: der leidlich moralische Kulturmensch auf dem gefahrvollen Weg über eine Kruste kaum erkalteter Lava, die jeden Augenblick durchbrechen und den Unvorsichtigen in heiß lodernde Abgründe sinken lassen kann.“

Bertrand Russell[4]

Ausgaben

  • Herz der Finsternis. Haffmans Verlag, Zürich 1992 (übersetzt von Urs Widmer) (mit dem Kongo-Tagebuch und dem Up-river Book, sowie einem Nachwort im Anhang).[5]
  • Herz der Finsternis. Subach, Königswinter 2011 (übersetzt von Ernst Wolfgang Freißler) (Kindle eBook).

Hörbücher

Literatur

  • Chinua Achebe (1977): An Image of Africa: Racism in Conrad’s "Heart of Darkness". In: Massachusetts Review 18/1977.
  • Carole Stone & Fawzia Afzal-Khan (2000): Gender, Race and Narrative Structure: A Reappraisal of Joseph Conrad’s "Heart of Darkness".
  • Hans Christoph Buch (2002): Der widerlichste Beutezug der Geschichte – Eine literarische Spurensuche zu Joseph Conrads Erzählung "Herz der Finsternis". In: Literaturen, 6/2002
  • Jan H. Hauptmann (2008): Aspekte der postkolonialen Conrad-Rezeption. München: AVM. ISBN 978-3-89975-861-0
  • Udo Wolter 2004: Exil der „materiellen Interessen“. In: jour fixe initiative berlin (Hg.): Fluchtlinien des Exils, ISBN 3-89771-431-0
  • Winfried Speitkamp (2011): Flussfahrt ins Grauen. "Heart of Darkness" von Joseph Conrad (1902)., in: Dirk van Laak (Hg.): Literatur, die Geschichte schrieb. Göttingen, S.118-133. ISBN 978-3525300152.

Weblinks

Fußnoten

  1. a b Vgl. Udo Wolter 2004: Exil der „materiellen Interessen“. In: jour fixe initiative berlin (Hg.): Fluchtlinien des Exils.
  2. Vgl. Wiggershaus, Renate (2000): Joseph Conrad. München.
  3. Joseph Conrad:Herz der Finsternis, Diogenes Verlag, 2005. Nachwort, S. 197.
  4. Joseph Conrad: Herz der Finsternis, Diogenes Verlag, 2005. Klappentext
  5. Schmerz der Finsternis von Frank Schirrmacher in: FAZ vom 24. Dezember 1992

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