Heroides

Heroides

Die Heroides gelten als das dritte Werk des römischen Dichters Publius Ovidius Naso nach den Amores und der verlorenen Tragödie Medea. Es handelt sich um Elegien, die vorgeben, Briefe berühmter „Heldinnen“ zu sein (so die Übersetzung des lateinischen Titels). Die Heroides bestehen aus 15 Einzelbriefen und drei später entstandenen Briefpaaren (Her. 16-21).

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Gestalten der Heroinen entstammen zumeist dem griechischen Mythos. Der Dichter hat aber nicht nur dessen bekannteste Protagonisten zu Wort kommen lassen, sondern auch Nebenfiguren: Figuren wie Canace, Cydippe, Oenone oder Hypsipyle dürften auch vielen antiken Lesern nicht geläufig gewesen sein. Hierbei folgte der Autor dem hellenistischen Stilideal des poeta doctus, des „gelehrten Dichters“, der seine Leser durch seine Belesenheit beeindruckt und sie an ihr anspielungsreich teilhaben lässt.

Die Briefe wenden sich an die Liebhaber oder Ehemänner, deren Treulosigkeit zumeist beklagt wird. Oftmals geben sie vor, ein letzter, verzweifelter Versuch zu sein, den Geliebten doch noch umzustimmen. So schreibt Medea an Jason, Ariadne an Theseus und Dido an Aeneas. In anderen Elegien erhoffen die Heroinen die baldige Rückkehr ihrer Männer und beklagen ihre Abwesenheit und die Trennung. Beispiele hierfür finden sich in den Briefen von Penelope oder Laodamia. Eine Sonderstellung nimmt der 15. Brief (Sappho an Phaon) ein, der als einziger eine historische Persönlichkeit sprechen lässt. Ob die griechische Dichterin allerdings tatsächlich in Sehnsucht zu dem schönen Jüngling Phaon entbrannt war, ist, da der Begriff der lesbischen Liebe auf ihren Wohnsitz Lesbos zurückgeht, eher zweifelhaft und dürfte der Fantasie des Dichters entsprungen sein.

In den Heroides wird ein breites Spektrum von Liebe und Leidenschaft behandelt. Von der treuen Liebe Penelopes zu ihrem Gatten, über die verzehrende Glut der unerwiderten Liebe Didos bis zur inzestuösen Liebe Phaedras, die ihren Stiefsohn Hippolytos liebt und ihn ungewollt eben dadurch ins Verderben stürzt, oder das beklagenswerte Schicksal Canaces, die ein Kind vom eigenen Bruder hat. In den drei Briefpaaren (Heroides 16-21) kommen schließlich auch die Männer zur Sprache: Paris und Helena, Hero und Leander und Acontius und Cydippe.

Brief Wer an Wen? Verse
I Penelope an Odysseus 116
II Phyllis an Demophon 148
III Briseis an Achilles 154
IV Phaedra an Hippolytus 176
V Oenone an Paris 158
VI Hypsipyle an Iason 164
VII Dido an Aeneas 196
VIII Hermione an Orestes 122
IX Deianira an Hercules 168
X Ariadne an Theseus 152
XI Canace an Macareus 128
XII Medea an Iason 212
XIII Laodameia an Protesilaos 166
XIV Hypermestra an Lynceus 132
XV Sappho an Phaon 220
XVI Paris an Helena 378
XVII Helena an Paris 268
XVIII Leander an Hero 218
XIX Hero an Leander 210
XX Acontius an Cydippe 242
XXI Cydippe an Acontius 248

Kritik

Den Heroides wurde immer wieder Monotonie vorgeworfen, da sich die Briefe immer wieder um ganz ähnliche Themen drehen. Sie waren jedoch nicht dazu gedacht in einem Zug durchgelesen zu werden. Vielmehr suchte man sich je nach Stimmung oder Temperament einen anderen Brief zum Lesen aus. Da jede Heldin einen eigenen Ton hat und man laut las, konnte man nach Belieben in verschiedene Rollen wie der der Medea oder der Penelope schlüpfen. So konnte der Dichter wohl zu Recht behaupten, eine völlig neue Gattung geschaffen zu haben, die mit dem heute weit verbreiteten inneren Monolog zu vergleichen ist. Als völlig neuartig erweist sich der Umstand, dass weibliche (Rand-) Figuren der Sagengeschichte das Wort ergreifen und damit altbekannte Ereignisse in einem neuen, ungewohnten Licht erscheinen lassen. So erhalten verlassene, vom Schicksal übergangene Frauen in den Heroides erstmals eine Stimme.

Echtheitsfrage

Die Autorschaft Ovids steht mittlerweile für keins der 21 Gedichte mehr sicher fest. Der seit Jahrhunderten umstrittene Sapphobrief (Her. 15) gilt vielen Forschern als zweifellos unecht,[1] desgleichen die Briefpaare (Her. 16-21),[2] die sich in manchen Einzelheiten auffällig von den Einzelbriefen unterscheiden. Aber auch gegen die Echtheit der meisten Einzelbriefe sind schon Argumente vorgebracht worden.[3] Dass sich in allen Gedichten zahlreiche Formulierungen finden, die nicht dem ovidischen Sprachgebrauch entsprechen, war vielfach schon länger bekannt; allerdings wurden diese Fälle lange als Überlieferungsfehler angesehen, was den Heroides den Ruf eingebracht hat, das am schlechtesten überlieferte Werk Ovids zu sein (obwohl die Heroides im Wesentlichen dieselbe Überlieferungsgeschichte haben wie die bezüglich Text und Echtheit unproblematischen Amores). Die jüngsten Untersuchungen haben an einer Reihe von Stellen wahrscheinlich gemacht, dass bei engen Verwandtschaften zwischen Passagen in den Heroides und solchen in sicher authentischen Werken Ovids (einschließlich der spätesten Gedichte) die Heroidesstellen von letzteren abgeleitet sind und nicht etwa umgekehrt. Die fünfzehn Einzelbriefe dürften dabei von einem einzigen Verfasser stammen und spätestens wenige Jahre nach Ovids Tod entstanden sein; schon Seneca scheint sie zu kennen und für echten Ovid zu halten.[4] Die Briefpaare gehen eher auf einen zweiten Ovid-Nachahmer zurück,[5] wurden aber ebenfalls wohl nicht später als in der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts geschrieben.[6]

Die Echtheitsdebatte ist jedoch gerade erst neu eröffnet worden und von einem allgemeinen Konsens noch weit entfernt; in vielen Veröffentlichungen werden die Gedichte noch ohne Diskussion als echt vorausgesetzt (teilweise auch die schon lange umstrittenen Gedichte Her. 15 und 16-21).

Literatur

Textausgaben und Übersetzungen

  • P. Ovidii Nasonis Epistulae Heroidum, hg. v. Heinrich Dörrie, De Gruyter Verlag, Berlin/New York 1971
  • Ovid: Heroides and Amores (lat./engl.), 2. Auflage hg. v. George P. Goold, Harvard University Press, Cambridge (Mass.) 1977
  • Publius Ovidius Naso: Liebesbriefe, hg. und übers. v. B. W. Häuptli, Artemis und Winkler Verlag, München und Zürich 1995
  • Ovid: Heroides - Briefe der Heroinen, Lateinisch/Deutsch, Reclam Verlag, Stuttgart 2000
  • Ovid, Die erotischen Dichtungen. Übertragen von Viktor von Marnitz. Mit einer Einführung von Wilfried Stroh, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 3. Aufl. 2001

Sekundärliteratur

Einzelnachweise

  1. Zum Beispiel Richard J. Tarrant, The Authenticity of the Letter of Sappho to Phaon, Harvard Studies in Classical Philology 85, 1981, S. 133-153 oder Peter E. Knox, Ovid, Select Epistles, ed. with commentary, Cambridge University Press, Cambridge 1995.
  2. Siehe Marcus Beck, Die Epistulae Heroidum XVIII und XIX des Corpus Ovidianum. Echtheitskritische Untersuchungen, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1996.
  3. Siehe Wilfried Lingenberg: Das erste Buch der Heroidenbriefe. Echtheitskritische Untersuchungen, Paderborn 2003, und die dort S. 17 Anm. 1 genannten Aufsätze.
  4. Siehe Lingenberg Das erste Buch S. 153/154.
  5. Siehe Lingenberg Das erste Buch S. 253-274.
  6. Siehe Marcus Beck, Die Epistulae Heroidum XVIII und XIX des Corpus Ovidianum. Echtheitskritische Untersuchungen, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1996, S. 318.

Weblinks


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