Herkulesbahn

Herkulesbahn
Personentriebwagen an der Endstation am Brasselsberg, 1962

Die Herkulesbahn war als Meterspurbahn eine nebenbahnähnliche Kleinbahn, die zwischen 1902 und 1966 mittels Eisenbahntriebwagen dem Güter- und Personenverkehr im Kasseler Stadtgebiet und Hohen Habichtswald (Nordhessen, Deutschland) diente.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Die Personentriebwagen fuhren vom Kirchweg im Stadtteil Wehlheiden über die Kohlenstraße und die damals noch schmale, gepflasterte und steile Druseltalstraße hinauf bis in die Hochlagen des Habichtswalds. Darin fuhren sie insbesondere durch das waldreiche Tal der Drusel über den zum Stadtteil Wilhelmshöhe (heute: Bad Wilhelmshöhe) gehörenden Ortsbezirk Neuholland und von dort entlang der Hüttenbergstraße hinauf zum Herkules. Oberhalb dieser Straße ist der ehemalige Verlauf der Gleise noch anhand eines zumeist gerade verlaufenden Spazier- und Wanderwegs gut zu erkennen. Die Bergstation befand sich etwa 300 m westlich des Riesenschlosses am untersten der drei heutigen Parkplätze. Von dort konnten die Fahrgäste leicht zum Bergpark Wilhelmshöhe und zu den dortigen Wasserspielen gelangen.

Auf einem Seitenabstecher fuhren Personentriebwagen vom an der Druseltalstraße stehenden Luisenhaus entlang des Habichtswalds bzw. der Bergstraße (heute Konrad-Adenauer-Straße) bis zur Endstation unterhalb des Brasselsbergs im Stadtteil Brasselsberg. Ein solcher Trassenabschnitt führte von Neuholland vorbei am Ziegenkopf zum Hohen Gras und ein anderer verlief zwischen der Druseltalstraße (Haltestelle Dönche) und dem Palmenbad (Kassels erstes Hallenbad).

Innerhalb des Habichtswalds verkehrten auf weiteren Seitenabstechern auch Gütertriebwagen, die das Abbaumaterial aus den hiesigen Zechen (z. B. Zechen Herkules und Roter Stollen) in Richtung Kassel abtransportierten. Die größte Steigung betrug 1:12,5.

Geschichte

Allgemeines

Gebäude der Bergstation am Herkules um 1910

Im Habichtswald wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch an vielen Stellen Braunkohle abgebaut. Der Transport der Kohle, aber auch der Steine aus den vielen Steinbrüchen, war nur unter großen Mühen mit Pferdefuhrwerken möglich. Nachdem 1898 die Zeche Alte Drusel stark erweitert wurde, sollte eine Drahtseilbahn die Kohle zum Bahnhof Wilhelmshöhe bringen. Der Kasseler Industrielle Gustav Henkel regte unter eigener Regie den Bau einer elektrischen Bahn an, die von seinem eigenen Elektrizitätswerk gespeist wurde. Mit seinem Plan erhoffte er sich eine bessere Auslastung seines Kraftwerks, mehr Besucher für sein Palmenbad und eine günstigere Verkehrsanbindung für die in Wilhelmshöhe befindliche Villenkolonie Mulang, in der er auch selber wohnte.

Seit dem 7. November 1902 transportierte die Herkulesbahn mit eigens konstruierten Gütertriebwagen Braunkohle aus dem Druseltal zum Güterbahnhof Wilhelmshöhe in der Kohlenstraße und über einen kleinen Abstecher zum Kesselhaus des Henkelschen E-Werks und des Palmenbades. Ab 1905 wurde Basalt transportiert. Der Personentransport konnte am 27. April 1903 vom Palmenbad zum Herkules aufgenommen werden. Hierfür standen Anfangs drei Personentriebwagen zur Verfügung. Am Palmenbad bestand Anschluss zur städtischen Straßenbahn. Kurz nach der Eröffnung, im Dezember 1905, wurde die Herkulesbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In den Jahren 1912 bis 1915 beförderte die Bahn etwa 550.000 Personen, die höchste Beförderungsleistung an einem Tag war am 3. August 1913 mit 10.621 Fahrgästen. In der Zeit von 1920 bis 1924 verkehrten die Kohlenzüge 24 Stunden am Tag.

Bereits 1927 übernahm die Große Kasseler Straßenbahn die Aktienmehrheit der Herkulesbahn, die Zeit der Konkurrenz war vorüber. 1960 wurden beide Betriebe verschmolzen. Nachdem der Bergbau im Habichtswald nach dem Zweiten Weltkrieg drastisch zurückgegangen war, wurde der Güterverkehr unrentabel und im Juli 1961 eingestellt; bis dahin wurden täglich bis zu 500 Tonnen Ladung transportiert.

1962 wurde im Aufsichtsrat der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft (KVG) beschlossen, die Herkulesbahn auf Normalspur umzuspuren und sie mit dem normalspurigen Netz der Straßenbahn an der Endhaltestelle Druseltal zu verbinden. Im oberen Teil der Strecke zur Endhaltestelle Herkules wurden bereits entsprechende Schwellen eingebaut. 1963 wurden Überlegungen der Bundeswehr bekannt, den Standortübungsplatz von der Dönche nach Ehlen zu verlegen und die Druseltalstraße als für Panzer geeignete Straße auszubauen. Nach Berechnungen der KVG war dann der Busbetrieb günstiger als die Umspurung und es wurde dem Magistrat der Stadt Kassel empfohlen, den Betrieb der Herkulesbahn mit dem Beginn des Ausbaus der Druseltalstraße einzustellen.

Seit 2002 setzt sich der Förderverein „Neue Herkulesbahn Kassel e.V.“ für eine Verlängerung der bestehenden Straßenbahnlinie zum Druseltal bis zum Herkules ein. Die Schienenführung soll weitestgehend der der Herkulesbahn entsprechen. Man verspricht sich dadurch vor allem eine bessere und zugleich schonendere touristische Erschließung des Bergparks Wilhelmshöhe.

Streckennetz

Streckennetz der Herkulesbahn

Zu Beginn war das Netz der Herkulesbahn 6,5 Kilometer (4,6 km Güter; 4,42 km Personen) lang. Bereits 1906 wurde eine 1,4 km lange Verlängerung der Strecke bis zum Kirchweg an der Wilhelmshöher Allee geplant. Da aber die Stadt Kassel hierfür die Genehmigung erteilen musste und eine Konkurrenz für den stadteigenen Straßenbahnbetrieb befürchtete, verzögerte sich die Eröffnung bis zum 1909.

1911 konnte das Angebot für den Personenverkehr durch die Eröffnung der 1,5 km langen Strecke zur Gartenstadt Brasselsberg abermals erweitert werden. Es war geplant und schon von allen Instanzen genehmigt, die Strecke von der Kohlenstraße bis an die Karlsaue zu führen, doch zum Ausbruch des Ersten Weltkrieg wurden die Pläne nicht weiter ausgeführt. Durch den erhöhten Rohstoffbedarf im Krieg wurden weitere Zechen an das Netz der Herkulesbahn angeschlossen. Ein kleiner Abzweig zur Zeche Herkules wurde 1916 fertig gestellt.

1918 erfolgte die Eröffnung der von Neuholland abzweigenden Güterstrecke vorbei am Ziegenkopf mit der Zeche Roter Stollen zum Hohen Gras. Diese Streckenverlängerung war etwa 2,25 km lang, wurde hauptsächlich von Kriegsgefangenen gebaut und 1940 aufgegeben. Von 1925 bis 1940 wurden auch Personen zum Hohen Gras gefahren. Nach der Eröffnung dieser Teilstrecke erreichte das Netz 1920 seine größte Ausdehnung mit 11,24 km.

Mehrere Faktoren führten 1927 zur Einstellung des Personenbetriebs auf der Strecke zum Palmenbad. Zum einen wurden bereits 1918 dieses Bad und das Elektrizitätswerk stillgelegt, zum anderen expandierte die Große Kasseler Straßenbahn und ein neuer Anknüpfungspunkt der Netze im Druseltal war vorhanden. Die Strecke wurde auf Normalspur umgebaut und diente seither als Verbindung vom Depot der Herkulesbahn zur Hauptwerkstatt im Betriebshof Wilhelmshöhe der Großen Kasseler Straßenbahn.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Zechen Herkules und Roter Stollen stillgelegt und 1940 auch die entsprechenden Streckenabschnitte. In den frühen 1950er-Jahren gab es Pläne, die Strecke vom Brasselsberg bis in die Nachbargemeinde Elgershausen zu verlängern sowie das gesamte Netz auf Normalspur umzuspuren und mit dem Netz der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft zu verschmelzen. Beide Pläne scheiterten.

Nachdem bereits am 1. Dezember 1965 die Verbindung vom Luisenhaus zum Brasselsberg auf Omnibusbetrieb umgestellt wurde, fuhr am 11. April 1966 kurz nach 23 Uhr letztmals ein Triebwagen vom Herkules talabwärts. Seit dem 12. April 1966 wurde auch der Herkules mit dem Kirchweg durch Busse verbunden.

Übersicht der Stilllegungen

Triebwagen für Personen- (links) und Güterverkehr (vorne) in der Druseltalstraße, um 1910
Stilllegung Streckenabschnitt
31. Dezember 1925 Kassel (Palmenbad)–Kassel (Dönche)
31. Dezember 1940 Zeche Herkules–Hohes Gras
31. Dezember 1940 Neu Holland–Zeche Herkules
30. November 1965 Kirchweg–Brasselsberg
11. April 1966 Luisenhaus–Herkules

Wagenpark

Gütertriebwagen

Die auf der Strecke eingesetzten Gütertriebwagen gingen auf Entwürfe von Gustav Henkel zurück. Auf ihrer Plattform trugen sie kurze Quergleise, auf denen Loren aufgesetzt werden konnten. Dieses Prinzip macht das Verladen in den Zechen und Steinbrüchen besonders flexibel. Der Führerstand war erhöht in der Mitte aufgebaut, was neben einem eigentümlichen Aussehen dem Fahrer eine bessere Sicht einbrachte. Anfangs standen drei vierachsige Gütermaschinen zur Verfügung. Der Bestand wurde bis 1923 auf sieben Wagen ähnlicher Bauart aufgestockt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden mehrere entsprechende Beiwagen angeschafft.

Ab 1923 wurden in die Gütertriebwagen Widerstandsbremsen mit Stromrückgewinnung eingebaut, wodurch sich der Stromverbrauch dieser Fahrzeuge um etwa ein Viertel reduzierte. Eingebaut wurden Anlagen von AEG (System Welsch). Diese Technik wurde in Straßenbahnen erst Jahrzehnte später verwendet und die Herkulesbahn war für diese Technik bahnbrechend.

Personentriebwagen

In den ersten Jahren der Personenbeförderung zielte die Herkulesbahn eher auf Ausflügler ab. Anfangs standen nur drei zweiachsige Triebwagen zur Verfügung. Zwei davon waren obendrein als offene Sommertriebwagen ausgeführt. Der Wagenpark wurde schrittweise um Neufahrzeuge erweitert. Später wurden nur noch gebrauchte Trieb- und Beiwagen angeschafft, zuletzt (1960) junge Nachkriegsfahrzeuge von den Stadtwerken Solingen.

Literatur

  • Gustav Adam Stör: Die Herkulesbahn in Kassel. Kassel 1982, ISBN 3-7982-0435-7
  • Gustav Adam Stör: 50 Jahre Herkulesbahn. Kassel 1953
  • Wolfgang Kimpel: Die Herkulesbahn in Kassel. Kassel 1997
  • Gerd Wolff: Deutsche Klein- und Privatbahnen, Band 8: Hessen. Freiburg im Breisgau 2004, ISBN 3-88255-667-6

Weblinks

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