Hephthaliten

Hephthaliten

Die Hephthaliten waren ein Stammesverband mit unklarem, womöglich überwiegend indogermanischem Ursprung,[1] der um 425 n. Chr. ein Reich in Mittelasien begründete, das bis ca. 560 bestand. Als Alternativbezeichnungen sind auch aus dem ChinesischenYe-ta“, aus dem Mittelpersischen „Heftal“ und aus dem ArabischenHaital“ bekannt. In griechischen Quellen ist meist von Ephthalitai die Rede.

Eine gebräuchliche Alternativbezeichnung des Volkes lautet weiße Hunnen, obwohl sie mit den um 375 nach Westen vorstoßenden europäischen „Hunnen“ nach Ansicht der modernen Forschung nicht verwandt waren. Die Römer (bzw. Oströmer/Byzantiner) nannten sie dennoch „Hunnen“, so etwa der spätantike Geschichtsschreiber Prokopios von Caesarea, wobei diese Bezeichnung aber wahrscheinlich nicht zur ethnischen Definition diente.[2] Die Inder verwendeten ebenfalls den Begriff (Sveta) Hunas, wobei hier jedoch nicht ganz sicher ist, ob damit die Hephthaliten oder andere, ihnen nicht näher verwandte Nachfolger gemeint sind. Die moderne Forschung trennt jedenfalls klar zwischen den europäischen und den sogenannten „iranischen Hunnen“, wozu auch die Hephthaliten gezählt werden.[3]

Inhaltsverzeichnis

Name

Der Volksname Hephthaliten stammt vom pers. „Hayatheliten“ bzw. „Heftal“ ab. Möglicherweise kennzeichnet der Name aber eher eine Dynastie, deren „Staatsvolk“ sich aus mittelasiatischen wie auch indoeuropäischen Stammesgruppen (Chioniten, Varhunni, Tocharer, Sogdier u.a.) rekrutierte und nomadische wie sesshafte Elemente beinhaltete. In China war das Reich der Hephtaliten als „Yan-da“ bekannt, in Korea in der archaischsten Form als „Yaoptal“, was dem griechischen Begriff „Ephtalitai“ nahe kommt.

Münze des späten Hephthaliten-Königs Napki Malka

Herkunft

Die ethnische und sprachliche Herkunft der Hephthaliten ist noch nicht ausreichend erforscht. Die gängige Lehrmeinung geht davon aus, dass die Hephthaliten zumindest in ihren bestimmenden Teilen recht eng verwandt waren mit den Tocharern und/oder Iranern. Aber auch ein kleiner Anteil turkomongolischer und hunnischer Einflüsse, etwa aus dem Altai-Gebiet und Zentralasien, kann ihnen zugerechnet werden.

Der spätantike griechische Historiker Prokopios von Caesarea erwähnt die Hephtaliten um 550 n. Chr. als einen Teilstamm der Hunnen. Er bemerkt aber ebenfalls, dass sie sich stark von den restlichen Hunnen unterschieden. So hatten sie ihm zufolge wie die Perser und Baktrer ein „orientalisches“ (= kaukasisches) Aussehen. Sie pflegten wohl auch deutlich andere Traditionen und Lebensweisen als andere Hunnenstämme. Sie lebten demnach in einem reichen Gebiet, in dem die nomadischen Hunnen nicht lebten, und waren selbst keine Nomaden. Sie hatten einen König und pflegten gute Kontakte zu ihren Nachbarstaaten. Auch verfügten sie über eine gut regulierte Rechtsordnung und waren sehr gut organisiert, ähnlich den Persern und Römern. Er beschreibt auch, dass sie ihre Toten in Tumuli begraben, was einer indogermanischen Herkunft, sogar früharischen Tradition entsprechen könnte.[4]

Es gibt Hinweise bei chinesischen Chronisten (Sung-Yün; das Liang-schu), dass die Hephthaliten als Vasallen der proto-mongolischen Shou-shan ursprünglich aus der heutigen Dsungarei, nördlich der chinesischen Mauer, stammten. Sie werden von den chinesischen Chroniken (im Zuge des häufigen Gesandtschaftwechsels mit den Nördlichen Wei) zu den indogermanischen Yüe-tschi gestellt. Persische Quellen unterscheiden relativ deutlich zwischen „Türken“, „Chioniten“, „Hunnen“ und „Hephthaliten“. Ursprünglich nannte man die Hephtaliten Hoa und Hoa-tun. Womöglich übernahmen alle Stämme später den Namen des führenden Stammes, Ye-tha-i-li-to.

Einige chinesische Chronisten überliefern, dass die Hephtaliten

  • Verwandte der Visha-Volkes waren (also Koreaner oder Mongolen),
  • Nachfahren der Kang-Kü (Sogder) sind,
  • ein Teilstamm der Kao-Ches (ein Verband, der sich aus der turko-mongolischen und tocharischen Bevölkerung Sibiriens bildete),
  • ein Stamm mit unbekanntem Ursprung sind.

Laut Richard Nelson Frye waren einige Hephtaliten womöglich prominente Stämme der Chioniten. So schreibt er:

„Genau wie die späteren nomadischen Invasoren und Imperien, gegründet auf der Basis einer Konföderation von verschiedenen Völkern/Stämmen, kann man versuchsweise vorschlagen, dass sich unter den führenden Gruppen dieser Invasoren auch türkische Stämme oder zumindest türkischsprechende Stämme befanden, die aus dem Osten und dem Norden herkamen, obwohl der Großteil der Stämme womöglich der Konföderation der Chioniten angehörten und später den Hephtaliten, die eine iranische Sprache besaßen und das war auch das letzte Mal in der Geschichte Zentralasiens, dass iranisch-sprechende Nomaden eine Rolle spielten. Nach ihnen gehörten alle Nomaden der türkischen Sprachgemeinschaft an bzw. würden nur türkisch sprechen.[5]

Geschichte

Aufstieg

Die Hephthaliten traten im 5. Jahrhundert als eine neue Invasionswelle im nordöstlichen iranischen Grenzraum auf. Sie wurden vom Sassanidenkönig Bahram V. (421-438 n.Chr) vernichtend geschlagen (wenngleich eine genaue Identifizierung der geschlagenen Invasoren problematisch ist) und ihr Führer gefangen genommen. Sie sammelten sich jedoch bald wieder und übernahmen bis ca. 470 die Herrschaft über eine ältere Gruppe, die Kidariten, die zuvor die Chioniten verdrängt hatten. Andere Gruppen sollen den Kidariten gefolgt sein, so nach dem Numismatiker Göbl später die Alchon; sie werden deshalb auch in der Forschung unter dem Sammelbegriff der „iranischen Hunnen“ zusammengefasst. Allerdings ist diese (rein numismatische) Kategorisierung Göbls durchaus umstritten, da er die schriftlichen Quellen außen vor ließ und etwa die Chioniten bei ihm nicht vorkommen.[6]

Die Hephthaliten jedenfalls führten mehrmals Krieg gegen das Sassanidenreich, wobei der sassanidische König Peroz I. 484 von ihnen getötet wurde, was in den schriftlichen Quellen einen starken Widerhall fand. Zentrum ihres Reiches soll die Stadt Gorgo gewesen sein. Einige Zeit später folgte die Einmischung in die sassanidischen Thronstreitigkeiten (498/99), wobei der Sassanidenkönig Kavadh I. mit ihrer Hilfe wieder auf den Thron gelangte. Zu dieser Zeit wurde das Sassanidenreich sogar tributpflichtig und die Hephthaliten stellten eine permanente Bedrohung für die Nordostgrenze Persiens dar. Diese Gefahr dauerte bis in die Regierungszeit Chosraus I. (reg. 531–579) an, als die Hephthaliten vernichtend geschlagen wurden (siehe unten). Dieser ewige Krieg zwischen Persien und den Hephthaliten bildet die bedeutende Hintergrundgeschichte des persischen KönigsbuchsSchāhnāme“, das Lebenswerk des Dichters Ferdousi.

Die „Hunas“ in Indien

Nach der Vernichtung der Kidariten verlagerte sich im frühen 6. Jahrhundert der Interessenschwerpunkt einiger Hephthalitengruppen nach Indien. Dabei ist jedoch unklar, inwiefern die Hephthaliten in Transoxanien mit den Hephthaliten in Baktrien (ihre eigentliche Hauptstadt lag in Bamian), die die Invasion Nordindiens unternahmen, in Verbindung standen, zumal die indischen Quellen nicht streng zwischen den Hephthaliten und den Kidariten unterschieden (beide wurden schlicht als Hunas bezeichnet).

Jedenfalls griffen diese Hunas bereits im 5. Jahrhundert das Gupta-Reich in Nordindien an, wurden aber zunächst von Kumaragupta I. zurückgeschlagen. Unter Toramana siegten die Hephthaliten jedoch 510 bei Eran (Madhya Pradesh): Der Gupta-Thronanwärter Bhanugupta (reg. ca. 503-530) wurde geschlagen, sein General Goparaja fiel in der Schlacht. Die indischen, chinesischen und einige westliche Quellen (wie Kosmas Indikopleustes) bieten dazu eine übereinstimmende Schilderung von Grausamkeit und Unterdrückung. Bhanugupta zog sich nach Bengalen zurück.

Nach Toramanas überraschendem Tod in Benares folgte ihm um 515 sein Sohn Mihirakula, der hier ein Reich zwischen Persien, Khotan in Zentralasien und vermutlich einem Teil der Gangesebene mit der Hauptstadt Sakala (Sialkot) regierte. Erst 528 erlitt Mihirakula eine Niederlage gegen den indischen Teilfürsten Yashodharman von Malwa und geriet zudem kurzzeitig in Gefangenschaft der Gupta. Nach diesen Rückschlägen musste er sich nach Kaschmir zurückziehen, wo er sich mit Elefantenjagden und Buddhistenverfolgungen befasste und wenige Jahre später starb. Der letzte indische Hephthalitenherrscher scheint vor 600 verstorben zu sein.

Für die indische Geschichte bedeutete die Hephthalitenherrschaft nur ein brutales, aber kurzes Zwischenspiel. Durch die Vernichtung des Gupta-Reiches, das in diesem Zusammenhang zerfiel, entstand auf dem indischen Subkontinent jedoch ein Machtvakuum. Zahlreiche buddhistische Gemeinden gingen unter, weitere Gruppen aus Mittelasien stießen nach Süden vor und das „klassische Zeitalter“ Indiens ging zu Ende.

Der Untergang der Hephthaliten

Das Hephthalitenreich in Transoxanien wurde zwischen 557 und 561 von einem Bündnis zwischen Göktürken (unter Istämi Shad/Khagan († 576)) und Sassaniden (unter Chosrau I.) vernichtet. Die entscheidende Schlacht bei Buchara (560 oder 563; für die frühere Datierung spricht, dass sich persische Gesandte bei Kaiser Justinian I. bereits 561 rühmten, man habe das Hephthalithenreich vernichtet) soll acht Tage gedauert haben. Reste der Hephthaliten hielten sich noch mehrere Jahrzehnte im nordindischen Grenzgebiet (vgl. Harsha) und gingen wohl allmählich im ostiranischen wie auch indischen Volkstum auf. Hier muss allerdings erwähnt werden, dass die türkischstämmigen Hephtaliten, anders als ihre iranischen Brüder, nach wie vor patriarchalisch geprägte Nomaden waren und dem König des Reiches als Söldner dienten. Dadurch erhielten sie eine gewisse Unabhängigkeit. Als Söldner und Vasallen des Königs wurden sie primär gegen das Sassanidenreich eingesetzt. Bei der entscheidenden Schlacht wurden diese Stämme vernichtend geschlagen. Viele Überlebende und ihre Stämme flüchteten über den Hindukusch ins heutige Pakistan, wo sie von Vihara Mira im 7. Jahrhundert erwähnt und einer größeren Nomadengruppe zugerechnet werden, in der sie wohl aufgenommen wurden. Mit der Zerschlagung der Hephtaliten war somit eine aggressive Gefahr gebannt. Für die Perser brachte die Zerschlagung des Hephthalitenreichs jedoch nicht die erhoffte Entlastung an der Nordostgrenze, da an ihre Stelle bald die Türken traten.

Im Gebiet des heutigen Afghanistan, im Kabultal ostwärts bis nach Peschawar, bestanden Reste der Hephthalitenherrschaft jedoch fort. Wahrscheinlich waren sie Verbündete der indischen Hephtaliten, die von Peschawar, Kaschmir bis Nordwest-Indien ein eigenes Reich gegründet hatten und Kabulistan unterstützten, denn im Kabultal widersetzten sich die Kuschano-Hephthaliten noch einige Zeit den muslimischen Arabern, die um die Mitte des 7. Jahrhunderts das Sassanidenreich zerschlagen hatten (siehe Islamische Expansion). Eine endgültige Niederlage erlebten sie als die lokale Dynastie der persischen Saffariden Kabul eroberte und die Bevölkerung islamisierte. Die Königsfamilie flüchtete nach Kaschmir, wo sie Unterschlupf beim Raja der lokalen Hephtalitendynastie fand.

Volk und Lebensweise

Laut Prokopios von Caesarea (6. Jahrhundert) unterschieden sich die Hephthaliten in Lebensweise, Aussehen und Sitten zwar, wie erwähnt, deutlich von den „europäischen Hunnen“, trotzdem sah er in ihnen „Hunnen“. So begruben sie z. B. ihre Toten, was ihre Vorgänger nicht taten. Sie sollen auch eine hellere Haut als die übrigen Hunnen gehabt haben und lebten offenbar nicht nomadisch – zumindest ein Teil der Bevölkerung lebte in festen Siedlungen. Zudem war ihr Reich offenbar eine Monarchie. Chinesischen Reiseberichten aus dem 6. Jahrhundert zufolge gab es äußerlich (bezogen auf das physische Erscheinungsbild) keine Unterschiede zwischen Hephthaliten und ihren indogermanischen Nachbarn.

In der neueren Forschung wird deshalb oft angenommen, dass sich die Hephthaliten lediglich mit dem prestigeträchtigen Namen der Hunnen schmückten, ohne jedoch in einer konkreten Beziehung zu anderen hunnischen Gruppen zu stehen. Der „Hunnenname“ darf nicht als eine ausschließlich ethnische Bezeichnung verstanden werden, denn die neuere Forschung kann zeigen, dass Namen „wandern“ konnten, ohne dass die so bezeichneten Gruppen verwandt waren.[7]

In religiöser Hinsicht wird im chinesischen Liang-shu die Verehrung von Himmel und Feuer (wohl Zoroastrismus) erwähnt. Nach Aussage der Pilgermönche Sung-Yün und Hui Sheng (um 520) waren die Hephthaliten keine Buddhisten, doch legen archäologische Hinweise die Existenz von Anhängern auch dieser Religion nahe. Sowohl Prokopios als auch die chinesische Chronik Zhou Shu (Linghu Defen, 636 n. Chr.) behaupten, dass die Hephthaliten Polyandrie getrieben hätten. Diese Behauptung wird in den erst kürzlich entdeckten Schriftrollen von Baktrien, welche vom Iranisten und Baktrien-Experten Nicholas Sims-Williams untersucht wurden, bestätigt und könnte womöglich ein Beleg für ihre (überwiegend) indogermanische Herkunft sein, denn Polyandrie war in iranischen Gebieten weit verbreitet.

Nach der Encyclopaedia of Islam entsprangen die Hephthaliten womöglich aus einem „stark ostiranischen Element“,[8] denkbar ist aber auch, dass sie sich lediglich der dominanten Zivilisation der Region – eben der spätantiken persischen – anglichen, ähnlich, wie sich die europäischen Hunnen an Rom orientierten und vielfach Latein und Griechisch sprachen.

Sprache und Schrift

Aus der Sprache der Hephthaliten sind nur einige wenige Begriffe, hauptsächlich Adelstitel und Herrschernamen, überliefert, die zum jetzigen Zeitpunkt ihre Rekonstruktion unmöglich machen.

Sprache

Über die Sprache der Hephtaliten ist nicht viel bekannt. Es existieren zwei Haupthypothesen: eine „indogermanische Hypothese“ und eine „altaische Hypothese“. Anzumerken ist, dass diese beiden Thesen sich nicht zwangsweise gegenseitig ausschließen, sondern die besagten Sprachen auch in einer heterogenen, halbnomadischen Stammeskonföderation nebeneinander koexistiert haben könnten, was nicht untypisch für zentralasiatische Völker jener Zeit war. Ebenfalls anzumerken ist, dass die Sprache der herrschenden Klasse (nur für diese gibt es schwache Quellen) nicht zwangsläufig mit der Volkssprache identisch sein muss.

Der chinesische Chronist Pei-shih überliefert, dass die Hephtaliten sprachlich gesehen keine Shou-shan und keine Hunnen waren. Der chinesischen Mönch Xuanzang ist diesbezüglich noch präziser und beschreibt, dass die Hephthaliten weder „Türkisch“ noch eine „verwandte Sprache“ (evtl. Mongolisch?) sprachen – diese Aussage betrifft aber mit großer Wahrscheinlichkeit nur sesshafte Hephtaliten. Zumindest liegt die Vermutung nahe, ihre Sprache habe sich klar von den altaischen Sprachen unterscheiden lassen.

Wahrscheinlicher ist daher die Hypothese, die Hephthaliten – oder zumindest ein bedeutender Anteil von ihnen – hätten eine indogermanische Sprache gesprochen, entweder aus der tocharischen oder aus der ostiranischen Sprachgruppe. Auch die gefundenen Dokumente in Baktrien scheinen eine solche These zu bestätigen, widerlegen jedoch die alte Theorie, die Hephthaliten hätten das ostiranische Baktrisch gesprochen. Nicholas Sims-Williams zufolge, der die baktrischen Schriftrollen untersucht hat, war das Baktrische zwar traditionell die Verwaltungssprache des Hephthalitenreiches, aber nicht die der Hephthaliten selbst. Zumindest ist die dominierende Rolle altiranischer Kultur und Lebensweise durch ausgegrabene Funde und Texte gesichert.

Interessanterweise gibt es aber auch schwache Belege für den Gebrauch türkischer Mundarten (oder ihnen verwandter Sprachen). Gesichert ist zumindest die Verwendung einiger Adelstitel (z.B. „Khagan“), welche aber auch erst nach dem Influx türkischer Nomaden ins hephthalitische Gebiet ihren Weg in die baktrischen Dokumente gefunden haben könnten. Zudem sind Adelstitel nicht zwangsweise ein Beleg für eine gesprochene Sprache. Sollte sich die „türkische Hypothese“ dennoch bestätigen, könnte das noch heute gesprochene Chaladschisch, welches sich schon sehr früh von den anderen Turksprachen gelöst hatte, ein direkter Nachkomme dieser Sprache sein. Eine mögliche Verwandtschaft zu den ehemals womöglich turksprachigen, sogenannten Childschi (zentralasiatische Invasoren, die einst in Chorasan eindrangen und später sogar eine Dynastie in Indien gründeten) wurde schon von al-Biruni analysiert. Auch eine Verwandtschaft zu den heutigen Ghilzai Paschtunen (in manchen Dialekten auch Childschi ausgesprochen; historisch womöglich verwandt mit den obengenannten Childschi) wird diskutiert. Ob tatsächlich eine Verwandtschaft zwischen diesen Stämmen und Sprachen besteht, ist nicht gesichert und auch kaum nachprüfbar.

Die wenigen überlieferten Wörter und Namen werden in der Forschung zum Teil sehr unterschiedlich interpretiert und eingeordnet. Während, zum Beispiel, A.D.H. Bivar den Namen „Mihirakula“ vom sanskritisiert türkischen Wort mihr-qul („Sklave Mithras“) ableitet,[9] sind B.A. Litvinsky zufolge die Namen der Hephtalitenherrscher nachweislich iranisch. Xavier Tremblay greift die letztgenannte These auf[10] und leitet die Etymologie des Herrschernamens „Khingila“ vom sogdischen Wort xnγr bzw. dem sakischen Wort xiŋgār („Schwert“) ab. Den Namen „Toramāna“ leitet er vom iranischen tarua-manah und „Mihirakula“ vom iranischen miθra-kula ab. Letzterer würde „Mithras anbetend“ oder „Anhänger Mithras“ bedeuten. Auch der ungarische Linguist Janos Harmatta bekräftigt diese These. Damit unterstützen sie die schon 1959 vom japanischen Sprachforscher Kazuo Enoki aufgestellte Theorie, bei den Hephthaliten hätte es sich um eine indogermanische (ostiranische) Gruppierung gehandelt.[11]

Schrift

Gemäß den Pilgermönchen Sung-Yün und Hui Sheng haben die Hephtaliten keine Schrift gehabt, laut dem Liang-shu keine Buchstaben. Die Münzinschriften in griechischer Kursivschrift sind daher eher als Verwaltungs- oder Propagandamaßnahme einzuordnen, etwas, was es auch schon bei den Kuschan gab.

Literatur

  • Franz Altheim: Die Hephthaliten in Iran. Gruyter, Berlin 1960, (Geschichte der Hunnen 2), (In weiten Teilen veraltet).
  • Robert L. Canfield (Hrsg.): Turko-Persia in historical perspective. Cambridge University Press, Cambridge 1991. ISBN 0-521-39094-X, (School of American Research advanced seminar series. A School of American Research book).
  • David Christian: A History of Russia, Inner Asia and Mongolia. Blackwell, Oxford 1998 - lfd., ISBN 978-0-631-20814-3, (The Blackwell history of the world), (Bis 2009 nur Band 1: "Inner Eurasia from prehistory to the Mongol Empire" erschienen).
  • Kazuo Enoki: On the Nationality of the Ephthalites. In: Memoirs of the Research Department of the Tokyo Bunko, 1959, 18, ISSN 0082-562X, S. 1-59 Text hier.
  • Kazuo Enoki: The Liang shih-kung-t'u on the origin and migration of the Hua or Ephthalites. In: Journal of the Oriental Society of Australia 7, 1970, H. 1-2, ISSN 0030-5340, S. 37-45.
  • Robert Göbl: Dokumente zur Geschichte der iranischen Hunnen in Baktrien und Indien. 4 Bände. Harrassowitz, Wiesbaden 1967.
  • F. Grenet: Regional interaction in Central Asia and Northwest India in the Kidarite and Hephthalite periods. In: Nicholas Sims-Williams (Hrsg.), Indo-Iranian Languages and Peoples. Oxford University Press, Oxford 2002, ISBN 0-19-726285-6, (Proceedings of the British Academy 116), ISSN 0068-1202, S. 203-224.
  • Ahmad Ali Kohzad: Afghanistan's History. Kabul 1946.
  • B. A. Litvinsky: The Hephthalite Empire. In: B. A. Litvinsky (Hrsg.): The crossroads of civilizations. A.D. 250 to 750. Unesco, Paris 1996, ISBN 92-3-103211-9, (History of Civilizations of Central Asia 3), (Siehe auch andere diesbezügliche Beiträge im selben Band).
  • Xavier Tremblay: Pour une histore de la Sérinde. Le manichéisme parmi les peoples et religions d’Asie Centrale d’aprés les sources primaires. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 2001, ISBN 3-7001-3034-1 (Sitzungsberichte, Philosophisch-Historische Klasse 690, ISSN 1012-487X), (Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik 28).
  • A. D. H. Bivar: HEPHTHALITES. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica, Band 12(2), Abs. 2036, Stand: 15. Dezember 2003, eingesehen am 9. Juni 2011 (englisch, inkl. Literaturangaben)
  • Martin Schottky: Huns. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica, Stand: 15. Dezember 2004, eingesehen am 9. Juni 2011 (englisch, inkl. Literaturangaben) [allgemeiner Artikel zu den Hunnen mit Berücksichtigung der „iranischen Hunnen“]
  • Ephthalites. In: Encyclopædia Britannica. 11. Auflage. Bd 9. London 1910–1911, S. 680. [veralteter Forschungsstand]

Weblinks

 Commons: Hephthaliten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Mirella Ferrera: People of the World. Vercelli 2003; Upendra Thakur: The Hunas (Huns) in India, Varanasi 1967; Denzil Ibbetson: Punjab Castes, Lahore 1916.
  2. Vgl. etwa Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007, S. 26ff.
  3. Martin Schottky: Huns. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica, Stand: 15. Dezember 2004, eingesehen am 9. Juni 2011 (englisch, inkl. Literaturangaben)
  4. Prokop. Hist. I,3,2-7; Robert Göbl: Dokumente zur Geschichte der iranischen Hunnen in Baktrien und Indien. 4 Bde., Wiesbaden 1967
  5. Richard Nelson Frye, Pre-Islamic and early Islamic cultures in Central Asia, in Turko-Persia in historical perspective, hrsg. Robert L. Canfield, Cambridge University Press, 1991. S. 49
  6. Vgl. dazu Stickler, Die Hunnen, S. 29ff.
  7. Vgl. Timo Stickler: Die Hunnen. München 2007, S. 21ff.
  8. E.G. Ambros, P.A. Andrews, et al.: Turks. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Digitale CD-Version: „[Hephthalites], whose origins, for long discussed, probably sprang from a strong Eastern Iranian element.“
  9. A. D. H. Bivar: HEPHTHALITES. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica, Band 12(2), Abs. 2036, Stand: 15. Dezember 2003, eingesehen am 9. Juni 2011 (englisch, inkl. Literaturangaben)
  10. Xavier Tremblay Pour une histore de la Sérinde. Le manichéisme parmi les peoples et religions d’Asie Centrale d’aprés les sources primaire, Wien, 2001, Appendix D: «Notes Sur L'Origine Des Hephtalites” , pp. 183-88 «Malgré tous les auteurs qui, depuis KLAPROTH jusqu’ ALTHEIM in SuC, p113 sq et HAUSSIG, Die Geschichte Zentralasiens und der Seidenstrasse in vorislamischer Zeit, Darmstadt, 1983 (cf. n.7), ont vu dans les Hephthalites des Turcs, l’explication de leurs noms par le turc ne s’impose jamais, est parfois impossible et n’est appuyée par aucun fait historique (aucune trace de la religion turque ancienne), celle par l’iranien est toujours possible, parfois évidente, surtout dans les noms longs comme Mihirakula, Toramana ou γοβοζοκο qui sont bien plus probants qu’ αλ- en Αλχαννο. Or l’iranien des noms des Hephtalites n’est pas du bactrien et n’est donc pas imputable à leur installation en Bactriane […] Une telle accumulation de probabilités suffit à conclure que, jusqu’à preuve du contraire, les Hepthalites étaient des Iraniens orientaux, mais non des Sogdiens.» (LINK)
  11. Enoki, Kazuo: "On the Nationality of the Ephthalites" Memoirs of the Research Department of the Tokyo Bunko, 1959, No. 18, S. 56: "... Let me recapitulate the foregoing. The grounds upon which the Ephthalites are assigned an Iranian tribe are : (1) that their original home was on the east frontier of Tokharestan ; and (2) that their culture contained some Iranian elements. Naturally, the Ephthalites were sometimes regarded as another branch of the Kao-ch’e tribe by their contemporaries, and their manners and customs are represented as identical with those of the T’u-chueh, and it is a fact that they had several cultural elements in common with those of the nomadic Turkish tribes. Nevertheless, such similarity of manners and customs is an inevitable phenomenon arising from similarity of their environments. The Ephthalites could not be assigned as a Turkish tribe on account of this. The Ephthalites were considered by some scholars as an iranized tribe, but I would like to go further and acknowledge them as an Iranian tribe. Though my grounds, as stated above, are rather scarce, it is expected that the historical and linguistic materials concerning the Ephthalites are to be increased in the future and most of the newly-discovered materials seem the more to confirm my Iranian-tribe theory. ..." (LINK)

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