Helmut Ewald Schreiber

Helmut Ewald Schreiber

Kalanag, bürgerlich Helmut Ewald Schreiber (* 23. Januar 1903 in Backnang; † 24. Dezember 1963 in Gaildorf), war Filmproduzent und ein berühmter deutscher Zauberkünstler in der frühen Bundesrepublik.

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre

Schon in Jugendjahren widmete sich Schreiber intensiv der Zauberkunst und trat bereits mit 16 Jahren in den Magischen Zirkel von Deutschland e.V. ein. Während seines Studiums der Philosophie in München organisierte er einen der ersten deutschen Zaubererkongresse. Ab 1925 arbeitete er, vorgeblich promoviert, in der Filmindustrie in Berlin und wurde 1927 Chefredakteur der Zeitschrift MAGIE des Magischen Zirkels.

Drittes Reich

Als Autor, Kameramann, Aufnahme- und Produktionsleiter zeichnete Schreiber insgesamt für 150 Filme verantwortlich. Aufgrund seiner guten Kontakte zu Propagandaminister Joseph Goebbels machte er Karriere als Direktor der Tobis-Filmgesellschaft. Schreiber, der seit 1933 der NSDAP angehörte, verhinderte die Auflösung des Magischen Zirkels, der jedoch ab Juni 1936 im Rahmen der sogenannten Gleichschaltung zwangsweise an die Reichskulturkammer (Reichstheaterkammer, Fachgruppe Artistik) angegliedert wurde. Schreiber ließ sich von den Nationalsozialisten als Präsident des Magischen Zirkels einsetzen, reduzierte die ursprünglich 1373 Mitglieder auf 400 und unterband die Verwendung von jüdischen Kompositionen als Hintergrundmusik. Ohne Zugehörigkeit zum von Schreiber kontrollierten Zirkel hatten Zauberkünstler in Deutschland Auftrittsverbot, das zwangsläufig jüdische Zauberkünstler betraf. Demgegenüber verwandten sich nach dem Krieg jüdische Künstler für Kalanag und verwiesen darauf, dass er noch lange jüdisches Personal in Diensten der Bavaria hielt.

Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs dehnte Schreiber seinen Einfluss auch insoweit aus. Schreiber wurde Direktor der Bavaria Film in München, zauberte vor öffentlichen Reden seines Führers und war 1939 gerngesehener Gast auf dessen Berghof am Obersalzberg. Schreiber pflegte Freundschaft mit Hitlers persönlichem Adjutant SS-Gruppenführer Julius Schaub, der Zauberveranstaltungen protegierte. Für Zauberkünstler ungewöhnlich missbilligte Schreiber die öffentliche Aufklärung über betrügerische Tricks von Spiritisten und drohte Verrätern sogar offen mit der Gestapo. Diese Haltung mag mit Schreibers Freundschaft zum Berliner Polizeichef und Okkultisten Wolf-Heinrich Graf von Helldorf zusammenhängen, der seinerzeit den trickreichen Hochstapler Erik Jan Hanussen für einen echten Magier gehalten hatte. Schreiber propagierte den heute verbreiteten Zauberspruch "Simsalabim" als seine Kreation, die Historiker allerdings dem dänisch-amerikanischen Zauberkünstler Dante zuschreiben.

Kriegsende

Gegen Kriegsende vermittelte Schreiber zwischen den Alliierten und gesuchten SS-Leuten, die gegen freies Geleit Zugang zum legendären Nazigold anboten, das heute größtenteils offiziell als verschollen gilt. Als später die Militärpolizei Schreiber auf dem Bavaria-Gelände festnehmen wollte, erschien dieser in Gegenwart hoher amerikanischer Militärs, die ihn schützten. Als Präsident des Magischen Zirkels wurde er abgesetzt und erhielt von den Alliierten Berufsverbot. Nach einem umstrittenen Entnazifizierungsverfahren flüchtete Schreiber in die Britische Besatzungszone nach Hamburg, wo er bei einem Zauberfreund lebte, der als "König des Schwarzmarkts" bekannt war und später wegen Diamantenschmuggels mit einem Schweizer Zauberkünstler verurteilt wurde.

Wirtschaftswunderzeit

Da Schreiber in seiner bisherigen Branche Berufsverbot hatte, machte er sein Hobby 1947 zum Beruf. Mit Unterstützung ehemaliger Tobis-Leute unterhielt er britische Besatzungssoldaten mit seiner Kalanag-Revue, bestehend aus aufwändigen Großillusionen und leicht gekleideten Showgirls.

Zu den bekanntesten Nummern gehörten neben vielen anderen die auf Jean Eugène Robert-Houdin zurückgehende und von David Devant großgemachte Magische Bar, bei der die ganze Vorstellung über aus einem einzigen Krug auf Zuruf jedes gewünschte Getränk ausgeschänkt wurde, sowie, dass er nach besonderen Kunststücken mit dem (redensartlich gewordenen) Spruch „Und das machen wir alles mit Wasser aus Indien“ aus einer nie versiegenden Karaffe einen Schwung Wasser auf die Bühne goss. Als Höhepunkt jeder Vorstellung ließ er von der hellerleuchteten Bühne nach einer Idee von Howard Thurston ein Auto verschwinden. Ein wichtiges Element seiner Shows war immer seine Frau und Partnerin Gloria de Vos (Anneliese Voß). Als seine Assistentin mit dem für die damalige Zeit erlaubten Maß an Sexappeal sowie als Tänzerin verlieh sie jeder Vorstellung ihren besonderen Glanz. Für Exotik sorgte ein in einer Kiste erscheinender Gepard.

Offiziell wurde nie bekannt, wie Schreiber die aufwändige Show im Nachkriegsdeutschland aus dem Nichts finanziert hatte. Alleine die Kosten für das verschwindende Auto beliefen sich auf die damals astronomische Summe von 10.000,- DM. Zauberkünstler wie Janos Bartl oder Fredo Marvelli, denen Schreiber während des Dritten Reichs übel mitgespielt hatte, riefen in Flugblättern zum Boykott seiner Shows auf.

Welttourneen

In den 50er Jahren unternahm Kalanag mit seinem knapp 50-köpfigen Ensemble Tourneen durch Großbritannien, Schweden, Dänemark, Spanien, Südafrika, Brasilien, die USA, die Türkei und die Schweiz. Kalanag war damals weltweit der einzige Großillusionist, der noch mit einer derart aufwändigen Show tourte. Der Zauberhistoriker Richard Hatch weist darauf hin, dass die bereisten Länder auffällig zu den Banknoten passen, die 1945 mit dem Nazigold verschwunden waren. Angeblich soll die CIA deswegen Kalanags Aktivitäten zeitlebens beobachtet haben. Vor und nach Kalanag hat niemals ein anderer deutscher Zauberkünstler das wirtschaftliche Risiko derart kostenintensiver Welttourneen auf sich genommen. Ende der 50er Jahre ließ das Interesse an Varieté-Shows nach und brachte auch Schreiber in finanzielle Schwierigkeiten.

Deutschland-Fernsehen GmbH

Schreiber hoffte auf eine Rückkehr ins Filmgeschäft als Produzent von Unterhaltungsfilmen für die von Adenauer geplante Deutschland-Fernsehen GmbH, die eine konservative Alternative zu den Rundfunkanstalten der ARD hätte bieten sollen. Er wurde Chef der Unterhaltungsabteilung der kommerziellen Freien Fernsehen GmbH. Das Projekt scheiterte jedoch am 1. Rundfunk-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Obwohl Kalanag einen hohen Bekanntheitsgrad und entsprechenden Status erzielt hatte, vermochte er mit einer abgespeckten Version seiner Revue nicht in gleichem Maße an seine Erfolge anknüpfen. Dennoch hinterließ Schreiber nach seinem Tod am Weihnachtsabend 1963 seiner inzwischen geschiedenen Frau Gloria ein Vermögen in Höhe von 500.000,- DM. Diese suchte zeitlebens einen größeren Geldschatz aus dem Nazigold, von dem auch sie annahm, Schreiber habe ihn irgendwo versteckt.

Literatur

  • Kalanag: Simsalabim wirbelt um die Welt. Ein magisches Buch voll Wunder, Schnurren und Sensationen. (1949)
  • Kalanag: Ein Magier erzählt sein Leben (1962)
  • Botting, Douglas/Sayer, Ian: Nazigold - The Story of the World´s Greatest Robbery - and its Aftermath (1984)
  • Hatch, Richard: Kalanag and the Vanishing Banknotes in "MAGIC" (1989) S. 48 (engl.)
  • ders.: Das letzte Wort in "magische welt" (2003), S.98
  • Witt, Wittus/Heller, Bernd: Mein Präsident in "magische welt" (2003), S.98

Weblinks


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