Heldenplatz (Drama)

Heldenplatz (Drama)
Daten des Dramas
Titel: Heldenplatz
Originalsprache: Deutsch
Autor: Thomas Bernhard
Erscheinungsjahr: 1988
Uraufführung: 4. November 1988
Ort der Uraufführung: Wiener Burgtheater
Ort und Zeit der Handlung: nach dem Selbstmord von Josef Schuster im März 1988
Personen
  • Robert Schuster; Bruder des verstorbenen Professors Josef Schuster
  • Anna; Tochter des Verstorbenen
  • Olga; Tochter des Verstorbenen
  • Lukas; Sohn des Verstorbenen
  • Hedwig; Frau des Verstorbenen
  • Professor Liebig; ein Kollege
  • Frau Liebig
  • Herr Landauer; ein Verehrer
  • Frau Zittel; Wirtschafterin des Verstorbenen
  • Herta; sein Hausmädchen

Heldenplatz ist ein Drama von Thomas Bernhard. Es entstand im Auftrag von Claus Peymann für das 100-jährige Eröffnungsjubiläum des Wiener Burgtheaters 1988 und löste einen der größten Theaterskandale in der Geschichte Österreichs aus. Die Uraufführung war am 4. November 1988, in dem Jahr, in dem auch des 50. Jahrestages des „Anschlusses“ Österreichs gedacht wurde (dem sog. „Bedenkjahr“).

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Das Theaterstück spielt nach dem Tod von Josef Schuster, einem Professor für Mathematik an der Universität Wien. Dieser beging (laut Zeitangabe im Drama) im März 1988 Selbstmord, indem er sich aus dem Fenster seiner Wiener Wohnung, die direkt am Heldenplatz liegt, stürzte.

In den Szenen des Theaterstücks beschäftigen sich die Hauptfiguren einerseits mit dem Charakter Josef Schusters und andererseits mit ihrer eigenen Lebenssituation. Im Mittelpunkt stehen dabei die monologartigen Reflexionen von Robert Schuster, dem Bruder des Verstorbenen.

Erste Szene

Die erste Szene spielt in der Wohnung des Professors in der Wiener Innenstadt mit Blick auf den Heldenplatz. Während Herta und Frau Zittel die Wäsche herrichten, entsteht ein Zwiegespräch zwischen den beiden. Frau Zittel ist die alteingesessene Haushälterin im Hause Schuster und Herta ein junges Hausmädchen. Sie unterhalten sich über den Professor und dessen Selbstmord. Der Professor hatte eine freundschaftliche Beziehung zu Frau Zittel, was insofern eine Besonderheit darstellt, da der Professor ein Misanthrop war. Zunächst wird die Geschichte des Professors erzählt. Dieser wurde von den Nazis zur Emigration getrieben und nahm in der Universität Oxford eine Lehrtätigkeit auf. Nach Kriegsende kehrte er auf Bitten des Wiener Oberbürgermeisters zurück. Der Professor plante, zur Universität Oxford zurück zu kehren. Dazu aber kam es nicht, da er sich vorher das Leben nahm. Die nach Oxford adressierten Umzugskisten werden zusammen mit der Ehefrau des Verstorbenen nach Neuhaus ziehen, da der Bruder des Verstorbenen dort wohnt. Sie soll zu ihm ziehen, da sie unter akustischen Halluzinationen leidet und seit 10 Jahren die Menschenmassen vom Heldenplatz jubeln hört, welche 1938 auf diesem Platz Hitlers Einzug feierten. In dem Gespräch werden die Charakterzüge Schusters sichtbar. Er war ein sich von der Welt unverstanden fühlender Geistesmensch, welcher überzeugt war, dass Österreich noch immer tief mit dem Nationalsozialismus verbunden sei und der katholische Stumpfsinn die Menschen regiere. Professor Schuster wird als schwierig und autoritär charakterisiert.

Zweite Szene

Im Volksgarten treffen nach der Beerdigung die nächsten Verwandten des Verstorbenen aufeinander. Anna und Olga, die Töchter des Professors, klären, warum der Professor nicht nach Oxford konnte und warum es ihm unmöglich war in dieser Welt zu existieren. Nun tritt Professor Robert Schuster, der Bruder von Josef Schuster und Onkel von Anna und Olga, auf. Er hat es schon längst aufgegeben, gegen die Welt aufzubegehren. Er meint, alles sei in diesen Tagen noch schlimmer als 1938. In Österreich müsse man entweder nationalsozialistisch oder katholisch sein, alles andere werde nicht geduldet. Professor Robert besucht regelmäßig Konzerte im Musikverein, aber das letzte gute Konzert hat er vor 20 Jahren gehört. Er versucht nicht einmal gegen Ungerechtigkeiten anzugehen. So soll eine Straße durch den Garten seines Hauses gebaut werden, doch Professor Robert findet es nicht der Mühe wert, einen Protestbrief aufzusetzen. Die Unterschiede zwischen Professor Robert und Professor Josef werden deutlich. Professor Robert will sein Leben genießen und setzt deshalb Scheuklappen auf, obwohl er sieht, was auf der Welt und in seiner Umgebung geschieht. Seine Nichte Anna versucht, gegen seine Attitüde anzugehen, Olga ähnelt ihm vom Gemütszustand her.

Dritte Szene

Die dritte Szene spielt im Speisezimmer mit Blick auf den Heldenplatz. Alle Gäste der Beerdigung, neben der Familie des Professors noch zwei jüdische Professorenehepaare, treffen zusammen. Im Vorgespräch wird noch auf Frau Schuster und ihren Sohn Lukas gewartet. Die Missstände in Wien werden angeprangert und verurteilt; Wien hat den Professor Josef auf dem Gewissen. Man unterhält sich über Frau Zittel und ihre Freundschaft zu Professor Josef. Zum ersten Mal tritt die Frau des Professors auf. Sie beginnt wieder von draußen das „Sieg Heil“-Geschrei der Massen zu hören, das vor fünfzig Jahren am Heldenplatz ertönte. Jeder isst Suppe, es gibt keinen großen Leichenschmaus. Das imaginäre „Sieg Heil“-Geschrei wird immer lauter, und schwillt schließlich ins Unerträgliche an. Das Stück endet damit, dass Frau Schuster mit dem Gesicht voraus auf die Tischplatte fällt. Alle schauen erschrocken.

Milieu und Umgebung

Das Stück spielt im Wien der (zum Zeitpunkt der Niederschrift) Gegenwart, 1988, genau 50 Jahre nach dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich. Der Wiederaufbau Wiens ist seit Jahrzehnten abgeschlossen und längst ist der Wohlstand zurückgekehrt. Die Menschen in dem Stück sind Teil der gehobeneren Gesellschaft Wiens und alle mit Opfern des Holocaust verwandt. Die einzigen Ausnahmen bilden hierbei Frau Zittel, die Haushälterin, und Herta, das Hausmädchen.

Wichtige Personen

Josef Schuster

Der Protagonist des Textes tritt nicht persönlich auf, er wird im Laufe der drei Szenen in Form der Replik erinnert und kommentiert: Eingangs erfährt man durch die Figuren „Frau Zittel“ und „Herta“ Details über die Charaktersituation des Professors, die später (in der zweiten Szene) durch seinen Bruder, „Professor Robert“ Schuster stärker memoriert wird. Entgegen dem Motto des Bruders Robert („Ich gebe nicht nach und ich gebe nicht auf“) nimmt sich Josef im März des Jahres 1988 das Leben. Er wird als Pedant in der Erwartungshaltung seiner Gegenüber beschrieben, als Asket dessen, was bedeutet nach dem Holocaust in Österreich zu leben. Josef Schuster zeichnet sich durch eine rigide Weltsicht und durch Urteilsfähigkeit aus, indem sein apodiktisches Weltbild geprägt ist durch eine Kategorisierung in „Gut“ und „Böse“.

Benjamin Henrichs schreibt in der "Zeit" über den Protagonisten in seiner Kritik der Uraufführung, er erinnere an „einen Juden, der bellt wie ein deutscher Schäferhund“.

Josef Schuster wird im Rückblick der noch lebenden Figuren als einer dargestellt, der die nationalsozialistische Ideologie mit exponiertem jüdischem Intellekt verbindet. Die Spannung aus der Verbindung dieser Ungleichheit (jüdischer Antisemitismus als Modell des paradoxen Selbsthasses) bildete schließlich einen der wirksamsten und folgenreichsten Kulturkonflikte der österreichischen Nachkriegszeit.

Frau Zittel

Sie ist eine treue Seele, welche auch nach dem Tod des Professors noch zu ihm hält. Sie versucht den Professor zu verstehen und erklärt seine Tat. Sie spielte eine größere Rolle als Hedwig in dem Leben von Josef Schuster. Auf das Hausmädchen Herta sieht sie herab.

Anna

Eine engagierte Kämpferin für die „Gerechtigkeit“, die versucht gegen die Schlechtigkeit der Welt vorzugehen. Außerdem sieht sie schwarz für Wien, jeder, mit dem sie redet, stellt sich nach kurzer Zeit als Nazi heraus.

Olga

Sie ist ein Gegenpol zu Anna, ihrer Schwester. Dass ein Passant sie wegen ihrer jüdischen Herkunft angespuckt hat, spielt sie herunter. Olga ist schweigsam und wird von ihrem Onkel Robert als verfroren beschrieben.

Robert Schuster

Der Bruder des Verstorbenen versucht ein ruhiges Leben zu führen. So rennt er mit Scheuklappen durch die Welt. Er ist ein absoluter Negativist, kritisiert alles und jeden und nimmt sich nicht einmal selbst aus seiner Kritik aus. „Ich bin ja gegen fast alles!“. Zudem ist er schwer herzkrank, somit sehr gebrechlich und er geht auf Krücken.

Hedwig

Die Ehefrau des Verstorbenen tritt erst am Ende des Stückes auf, nachdem durch alle Szenen von ihr die Rede war, da sie das „Geschrei der Masse vom Heldenplatz“ halluziniert und so für das Trauma der Juden in Österreich steht. Sie wird als Kapitalistin (Essigfabrik, Fezfabrik) der Familie und durchaus nicht als Geistesmensch beschrieben. Ihr Zusammenbrechen am Tisch (wahrscheinlich ihr Tod) beschließt das Drama.

Aufbau

Das Stück besteht aus drei Szenen in chronologisch fortlaufender Form. Die erste und die dritte Szene spielen in Professor Schusters Wohnung. Es gibt nur selten Schauplatzwechsel und man weiß nur das, was die Personen preisgeben. Die zweite Szene spielt im Volksgarten. Das ganze Stück läuft auf einen Höhepunkt hinaus, was durch die immer lauter werdenden Rufe unterstützt wird. Es ist nach dem Schema eines halboffenen Dramas geschrieben. Wichtiges Element sind die häufigen Gedankensprünge der Protagonisten, die die Verunsicherung nach dem Selbstmord des geachteten Professors verdeutlichen, und weiters lässt Bernhard die Interpunktion vollkommen aus.

Öffentliche Kontroverse (Skandal)

Gegen die Aufführung dieses Werks erhoben vor allem konservative Kreise ihre Stimme, weil es angeblich das Ansehen Österreichs beschmutze. Die erhebliche öffentliche Kontroverse um das Stück entstand vor allem dadurch, dass am 7. Oktober, also ca. vier Wochen vor der Uraufführung, in der Neuen Kronen Zeitung und der Wochenpresse unautorisierte Auszüge aus dem Stück abgedruckt wurden. Aus den gedruckten Passagen war nicht ersichtlich, dass es sich um Dialoge der Protagonisten handelte, sodass viele Leser die geäußerten Standpunkte als Bernhards eigene Meinung verstanden. Eine Reihe von Personen, darunter der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, der ehemalige Bundeskanzler Bruno Kreisky und der Vizekanzler Alois Mock sowie zahlreiche Kommentatoren und Leserbriefschreiber, verlangten daraufhin die Absetzung des Stücks. Bundeskanzler Franz Vranitzky, Wiens Kulturstadträtin Ursula Pasterk und Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek sowie eine Minderheit der journalistischen Kommentatoren traten für eine Aufführung ein. Auch die IG österreichischer Autoren erklärte sich mit Bernhard und Peymann solidarisch.

In Heldenplatz spricht Frau Liebig, eine der Protagonisten, hämisch von einem Kanzler, der gemeint habe, wer Visionen habe, benötige einen Arzt. Dieser Ausspruch wurde mit dem damals amtierenden Kanzler Franz Vranitzky in Zusammenhang gebracht. Allerdings wurde derselbe Ausspruch in der Bundesrepublik Deutschland auf den Ex-Kanzler Helmut Schmidt zurückgeführt und auch später gerne zitiert. Während der ersten Aufführungen im Burgtheater kam es wiederholt zu Störungen, so wurden etwa Transparente gegen das Stück an den Rängen angebracht. Bei der Uraufführung ereigneten sich auch Protestaktionen vor dem Burgtheater, wobei u. a. durch den Aktivisten Martin Humer eine Ladung Jauche vor dem Gebäude verteilt wurde. Die Uraufführung selbst wurde vom Publikum mit lautstarken Beifalls- und Missfallensäußerungen begleitet. Weitere Aufführungen fanden unter Polizeischutz statt.

Formale Angaben zur Uraufführung

Heldenplatz wurde am 4. November 1988 im Wiener Burgtheater uraufgeführt.

Die Rollen und ihre Darsteller waren:

Inszenierung: Claus Peymann

Bühnenbild und Kostüme: Karl-Ernst Herrmann

Dramaturgie: Hermann Beil und Jutta Ferbers

Literatur

  • Thomas Bernhard: Heldenplatz. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1988, ISBN 3-518-01997-X.
  • Burgtheater Wien (Hrsg.): Thomas Bernhard Heldenplatz. Programmbuch Nr. 36 des Wiener Burgtheaters. Wien 1988.
  • Burgtheater Wien (Hrsg.): Heldenplatz – Eine Dokumentation. Wien 1989.
  • Martin Kraus: Zwei Skandalstücke im Kontext von Antisemitismus: Thomas Bernhards Heldenplatz und Rainer Werner Fassbinders Der Müll, die Stadt und der Tod. Waterloo, 2009.

Weblinks


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