Heinrich Wiepking-Jürgensmann

Heinrich Wiepking-Jürgensmann

Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann (* 23. März 1891 in Hannover; † 17. Juni 1973 in Osnabrück) war ein deutscher Landschaftsarchitekt und Hochschullehrer. Den Namenszusatz „Jürgensmann“, der auf seine Ehefrau Helene Jürgensmann zurückgeht, verwendete er nur bis 1945.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Heinrich Wiepking lernte von 1907 bis 1909 in der Stadtgärtnerei Hannover. Dass er – wie er stets behauptete – tatsächlich im Anschluss 1910 und 1911 in England und Frankreich studiert hatte, kann nicht nachgewiesen werden. Seine Biografin Ursula Kellner verweist ein ernsthaftes Studium ins Reich der Mythen, sie schreibt, dass „in späteren amtlichen Vorgängen die Gärtnergehilfenprüfung die einzige eingetragene Prüfung bleibt“.[1]

1912 brach er das im selben Jahr aufgenommene Studium der Architektur an der Technischen Hochschule Hannover ab und begann mit finanzieller Unterstützung seines Vaters ein Volontariat bei dem renommierten Gartenbauunternehmer Jacob Ochs in Hamburg. Von 1912 bis 1922 war er dort Mitarbeiter. Ab 1922 war er freier Architekt für Garten- und Städtebau in Berlin, dann in Köln. Wiepking setzte sich 1934 – nachdem Erwin Barth 1933 Selbstmord begangen hatte – gegen Gustav Allinger bei der Bewerbung um die Professur für Garten- und Landschaftsgestaltung an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin durch. „Seine Berufung geht vermutlich auf [Konrad] Meyer zurück, der 1934 als Referent im Preußischen Kultusministerium maßgeblich an den Berufungsverfahren beteiligt war“.[2] Er bestimmte hier die Ausbildung der deutschen Landschaftsplaner in der Zeit des Nationalsozialismus.

Schon im Juli 1945 bemühte er sich um Anstellung als Leiter eines in Niedersachsen neu einzurichtenden Studienganges. 1947 eröffnete er einen provisorischen Lehrbetrieb in Sarstedt, 1948 begann der offizielle Betrieb der Hochschule für Gartenbau und Landeskultur, die 1952 als Fakultät IV für Gartenbau und Landeskultur der Technischen Hochschule Hannover angegliedert wurde. Hier wirkte er bis 1958 Ordinarius für Landespflege, Garten- und Landschaftsgestaltung.

Wirken

Wiepking führte die Landschaftsgestaltung in die Ausbildung ein, die sein Vorgänger Erwin Barth noch ausgeklammert hatte. Am 31. Januar 1938 beantragte er die Umbenennung des Instituts in Institut für Landschafts- und Gartengestaltung. Aber erst nach Kriegsbeginn wurde das Institut zum 28. November 1939 umbenannt. Als Assistenten gewann Wiepking schon 1934 Gerhard Hinz.

Er war zusammen mit Konrad Meyer, der sein Nachfolger als Professor an der Technischen Hochschule Hannover wurde, ein Verfechter der Ideologie, dass sich die Gestaltung einer Landschaft sich Gesichtspunkten der Nützlichkeit zu richten hat und Erkenntnisse aus der ästhetischer Betrachtung mit in die Planung einzubeziehen sind. Er förderte eine dem entsprechende Landschaftsgestaltung, „eine gesunde, bäuerliche Kulturlandschaft, in welcher der Boden, das Wasser, der gesamte Fruchtstand, der Wald und die Wohnstätten der Menschen von bester Güte sind“. Sein starkes Interesse am völkergeschichtlichen „Germanentum“ floss immer wieder in seine Planungen ein.

Er forderte frühzeitig unter anderem Heckenpflanzung mit der Funktion als Wind- und Frostschutz, Vogelschutzpflanzungen zur Erhaltung der Artenvielfalt und Waldstreifen als Schutzpflanzungen, wobei er in der freien Landschaft grundsätzlich nur heimische Bäume und Sträucher verwendet wissen wollte, während in der Garten- und Parkgestaltung seiner Meinung nach auch Exoten verwendet werden durften.

Wiepking war 1936 als Mitglied der Architektengemeinschaft von Walter und Werner March mit Georg Steinmetz für die Landschaftsgestaltung des Olympischen Dorfes in Dallgow-Döberitz verantwortlich.

Unter Heinrich Himmler wurde Wiepking 1941 Sonderbeauftragter des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKF). An dem im RKF erarbeiteten Generalplan Ost war er für die Landschaftsgestaltung und Landschaftspflege der eroberten Ostgebiete zuständig. Er entwickelte u. a. Konzepte einer „Wehrlandschaft“. Dabei sollte die Landschaft nach Himmlers Vorstellungen zunächst hinsichtlich militärischer Gesichtspunkte daraufhin „abgetastet“ werden, dass sie bei sachgemäßer Pflege des Bestandes „Ewigkeitswert“ besitzt. Es sollten vor allem aus strategischen Gründen unter anderem Schutzpflanzungen angelegt werden, die ein „unüberwindbares Hindernis auch für Panzer“ bilden. Flüsse sollten eine Fremd- und eine Freundseite bekommen, also Ufer, die als offene und eine Deckung bietende Seite wirken. In die geplanten Landschaften sollten dann die die von Himmler propagierten und straff durchorganisierten „Wehrdörfer“ eingebettet werden, in denen „vollwertige Volksgenossen“ wohnen sollten.

Kellner bescheinigt Wiepking eine „irrationale im Mythos verankerte Weltsicht, bei der das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt festgelegt war und keine Fragen nach Bedingtheiten unter wechselnden gesellschaftlichen Einflüssen aufkommen ließ. In diesem Sinn war Wissenschaft, so wie Wiepking sie betrieb, eher eine Systematisierung von Mythen.“[3] Durch die Übertragung seines völkischen Weltbilds, welches das Nationalbewusstsein und den aufflammenden Rassismus der Jahrhundertwende widerspiegelte, auf die Umwelt bzw. Landschaft stellte er eine Naturalisierung eines Volksgedankens her. Seine Begründung dafür lautete:

„Immer ist die Landschaft eine Gestalt, ein Ausdruck und eine Kennzeichnung des in ihr lebenden Volkes. Sie kann das edle Antlitz seines Geistes und seiner Seele ebenso wie auch die Fratze des Ungeistes, menschlicher und seelischer Verkommenheit sein. (...) So unterscheiden sich auch die Landschaften der Deutschen in allen ihren Wesensarten denen der Polen und Russen, - wie die Völker selbst (...) Die Morde und Grausamkeiten der ostischen Völker sind messerscharf eingefurcht in die Fratzen ihrer Herkommenslandschaften.“[4]

Sein Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus hat Wiepking-Jürgensmann kaum geschadet. Er bekam wieder einen Lehrstuhl, war Mitglied von Akademien und bekam zahlreiche Ehrungen als Naturschützer. Die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft stiftete 1955 einen Heinrich-Wiepking-Preis für hervorragende Diplomarbeiten. Deren Präsident Lennart Bernadotte hat ihn noch 1971 als „Vorkämpfer der grünen Menschenrechte“ gewürdigt. Wiepking, der noch „1943 [...] die Diplomarbeit von Max Fischer zur Grünplanung von Auschwitz [betreut]“[5] hatte, erstellte 1952 „ein Gutachten zur Landschaftsgestaltung der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen“ [6]. 1959 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Bedeutung

Nach der Beurteilung verschiedener Autoren, die sich mit der Rolle von Landschaftsarchitekten im Dritten Reich beschäftigt haben, war Wiepking in die nationalsozialistische Politik in den „neuen Siedlungsgebieten“ in Polen und Russland verstrickt. Gröning und Wolschke-Bulmahn beschreiben ihn als einen „Wegbereiter nationalsozialistischen Gedankenguts in der Garten- und Landschaftsarchitektur. Neben Alwin Seifert war er der führende NS-Gartenarchitekt. [...] Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte er maßgeblich die nationalsozialistische Politik der Vertreibung und Vernichtung der Polen und Russen.“[7] Milchert hat 1984 am Beispiel Wiepkings und dessen Mentors Konrad Meyer gezeigt, „[d]aß führende Landschaftsplaner der damaligen Zeit keine kleinen Mitläufer, sondern Propagandisten des NS-Staates waren.“[8]

Kellner stellt dessen Bedeutung für den gesamten Fachbereich heraus: „Als einziger Lehrstuhlinhaber vor dem Krieg und Professor an einer der wenigen Ausbildungsstätten nach dem Krieg hat Wiepking mehrere Generationen von Hochschulabsolventen durch die Weitergabe seines Weltbildes und den damit verbundenen fachlichen Leit-Bildern geprägt. Sein Verständnis von Landespflege auf der Grundlage seines völkischen Weltbildes wurde – da seine Schüler die von ihm gelehrten Werte verinnerlichten – multipliziert in die Institutionen getragen, im Planerischen umgesetzt und konnte sich somit [...] erhalten.“[9] Zwar bereinigte er nach dem Krieg seine Sprache von eindeutig rassistischem Vokabular, aber in seinen Aussagen bleiben „deren Ursprünge im völkischen Gedankengut weiterhin deutlich“[10].

Literatur

  • Ursula Kellner: Findbuch zum Bestand Nachlass Wiepking, Dep. 72. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1980. (= Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung, Inventare und kleinere Schriften des Staatsarchivs in Osnabrück.)
  • Jürgen Milchert: Landschaftsplanung und Nationalsozialismus. In: Garten + Landschaft, Jahrgang 1984, Heft 8, S. 5-7.
  • Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn: Die Liebe zur Landschaft. Teil 3: Der Drang nach Osten. Zur Entwicklung der Landespflege im Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkrieges in den 'eingegliederten Ostgebieten'. ( =Arbeiten zur sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung, Band 9.) Minerva, München 1987, ISBN 3-597-10535-1.
  • Imma Schmidt: Verleugnet und verdrängt. In: Garten + Landschaft, Jahrgang 1994, Heft 11, S. 20.
  • Bärbel Pannoscha: Wiepking-Jürgensmann. „Pionier der Landschaftsplanung“. Eine kritische Betrachtung seiner wissenschaftlichen Arbeiten von 1934-1945. Diplomarbeit, Technische Universität Berlin, Fachgebiet Theorie und Geschichte der Landschaftsentwicklung, 1995.
  • Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn: Grüne Biographien. Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Patzer, Berlin / Hannover 1997, ISBN 3-87617-089-3, S. 415-418.
  • Ursula Kellner: Heinrich Friedrich Wiepking (1891–1973). Leben, Lehre und Werk. Selbstverlag, o.O. 1998. (zugleich Dissertation, Universität Hannover 1997.)
  • Niels Gutschow: Ordnungswahn. Architekten planen im ‚eingedeutschten Osten‘ 1939–1945. (= Bauwelt-Fundamente, Band 115.) Bertelsmann, Gütersloh / Berlin 2001, ISBN 3-7643-6390-8, S. 35ff.
  • Clemens Alexander Wimmer: Die Bibliothek des Berliner Instituts für Landschafts- und Freiraumplanung und seiner Vorgänger seit 1929. In: Fritz Heinrich (Hrsg.): Zwölf Aufsätze für Vroni Heinrich zu Gartenkunst und Landschaftsplanung. Universitätsverlag der TU Berlin, Berlin 2009, ISBN 978-3-7983-2142-7, S. 29-46. (= Landschaftsentwicklung und Umweltforschung, Band S 21).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ursula Kellner: Heinrich Friedrich Wiepking (1891–1973). Leben, Lehre und Werk. Selbstverlag, o.O. 1998. (zugleich Dissertation, Universität Hannover 1997), S. 31.
  2. Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn: Die Liebe zur Landschaft. Teil 3: Der Drang nach Osten. Zur Entwicklung der Landespflege im Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkrieges in den 'eingegliederten Ostgebieten'. ( =Arbeiten zur sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung, Band 9.) Minerva, München 1987, ISBN 3-597-10535-1, S. 43.
  3. Ursula Kellner: Heinrich Friedrich Wiepking (1891–1973). Leben, Lehre und Werk. Selbstverlag, o.O. 1998. (zugleich Dissertation, Universität Hannover 1997), S. 311.
  4. Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann: Die Landschaftsfibel. Berlin 1942. (zitiert nach: R. Piechocki u. a.: Die Vilmer Thesen zu „Heimat“ und Naturschutz. In: Reinhard Piechocki, Norbert Wiersbinski (Bearb.): Heimat und Naturschutz. Die Vilmer Thesen und ihre Kritiker. Bundesamt für Naturschutz, Bonn-Bad Godesberg 2007, S. 9-18.
  5. Niels Gutschow: Ordnungswahn. Architekten planen im ‚eingedeutschten Osten‘ 1939–1945. (= Bauwelt-Fundamente, Band 115.) Bertelsmann, Gütersloh / Berlin 2001, ISBN 3-7643-6390-8, S. 37.
  6. Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn: Grüne Biographien. Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Patzer, Berlin / Hannover 1997, ISBN 3-87617-089-3, S. 415.
  7. Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn: Grüne Biographien. Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Patzer, Berlin / Hannover 1997, ISBN 3-87617-089-3, S. 418.
  8. Jürgen Milchert: Landschaftsplanung und Nationalsozialismus. In: Garten + Landschaft, Jahrgang 1984, Heft 8, S. 6.
  9. Ursula Kellner: Heinrich Friedrich Wiepking (1891–1973). Leben, Lehre und Werk. Selbstverlag, o.O. 1998. (zugleich Dissertation, Universität Hannover 1997), S. 311.
  10. Ursula Kellner: Heinrich Friedrich Wiepking (1891–1973). Leben, Lehre und Werk. Selbstverlag, o.O. 1998. (zugleich Dissertation, Universität Hannover 1997), S. 121.

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