Heinrich Stillings Wanderschaft

Heinrich Stillings Wanderschaft

Heinrich Stillings Wanderschaft (ursprünglich Henrich Stillings Wanderschaft) ist der dritte Teil der Autobiographie von Johann Heinrich Jung (genannt Jung-Stilling), erschienen 1778. Als Fortsetzung von Heinrich Stillings Jugend (1777) und Heinrich Stillings Jünglingsjahre (1778) reicht er vom Weggang aus seiner Heimat mit 21 Jahren bis zu seiner Doktorpromotion. Es folgten noch Heinrich Stillings häusliches Leben (1789), Heinrich Stillings Lehrjahre (1804).

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Stilling wandert aus Salen über Holzheim, Rasenheim und Schönenthal nach Schauberg, wo er als Schneidergeselle anfängt. Überall trifft er fromme Leute. In Schauberg hat er eine Eingebung und beschließt, nie mehr gegen Gottes Plan nach höherem zu streben. Doch lässt er sich von Pastor Stollbein, einem Vetter seines früheren Pastors, als Hauslehrer zu einem Kaufmann vermitteln. Er stellt fest, dass er gehobene Umgangsformen erst lernen muss. Weil er auch keine edlen Kleider hat, mißtraut man ihm. Er verfällt in tiefe Depression. Nach einem Gespräch mit Stollbein wandert er einfach davon und geht nach erneuter göttlicher Eingebung, die er allein im dunkeln Wald hat, nach Waldstätt, wo er Geselle bei Schneidermeister Isaak wird und, wieder in christlicher Gesellschaft, sich sehr wohl fühlt. Bei einem ihrer Besuche bei pietistischen Freunden in Rothenbeck nimmt ihn Herr Spanier als Hauslehrer in Dienst, wozu er ihn erst zu einem französischen Sprachmeister schickt.

Stilling bleibt sieben Jahre bei Spanier, unterrichtet und führt Geschäfte mit dessen Eisenwaren. Nach knapp dreieinhalb Jahren besucht er seinen Onkel, Vater und Mutter. Beim Lesen bekommt er plötzlich Lust, griechisch und hebräisch zu lernen, was Spanier auf die Idee bringt, Stilling müsse Medizin studieren. Ein alter Augenarzt gibt ihm vor seinem Tod ein Skript mit seinen Arzneien. Auch Meister Issak stirbt. Um seine augenkranken Patienten in Rasenheim zu sehen, besucht er jetzt regelmäßig Herrn Friedenberg, der ihn zum Taufpaten seines Kindes macht. Bei dieser Gelegenheit trifft Stilling Christine, dessen älteste, kränkliche Tochter, und verlobt sich heimlich. Friedenberg willigt ein, aber kann und soll ihm nicht das Studium finanzieren.

Stilling verlässt Spanier gegen dessen Wunsch und reist mit Wundarzt Troost über Frankfurt und Mannheim zur Universität Straßburg. In seiner Tischgesellschaft dort nimmt Goethe ihn einmal gegen den Spott eines andern wegen Stillings Religiosität in Schutz. Er wird sein Freund und führt ihn bei weiteren ein. Immer wieder leiht jemand Stilling im letzten Moment dringend nötiges Geld. Schließlich kommt welches von Friedenberg und einem Kaufmann, den Stilling unterwegs traf. Stilling hält ein eigenes Philosophiekollegium.

Nach einem Theaterbesuch (Romeo und Julia) erfährt er, dass es seiner Verlobten schlechter geht und reist mit dem Schiff über Mainz nach Köln, wobei er den Mordversuch zweier Räuber überlebt, dann in bunter Gesellschaft und zuletzt zu Fuß nach Rasenheim. Christine ist sehr krank, aber erholt sich, und sie heiraten. In Straßburg ist er jetzt viel mit Göthe, Lenz und Leose zusammen. Familie Friedenberg muss ihm viel Geld schicken. Nach seinem Examen zieht er mit Christine in eine Praxis in Schönenthal, die zwei Freunde bei seinem letzten Besuch für ihn ausgesucht haben.

Stil

Im Gegensatz zu den vorigen Bänden enthält die Wanderschaft keine allegorischen Geschichten. Dafür gibt es eine Anekdote von der Bekehrung eines rabiaten Ehemannes durch seine fromme Frau (“der Mann, der das getan hat, bist du!“, vgl. 2. Buch Samuel 12, Vers 7). In einem langen Gedicht dankt der Autor seinem Meister Isaak, in einem Zweizeiler Gott für seine Hilfe, im Abschlussgedicht weiht er Gott sein Leben. Von einem Reisegenossen erzählt er eine tragische Liebesgeschichte mit glücklichem Ausgang.

Wiederholt beschreibt er innere Entscheidungskämpfe und Erweckungserlebnisse, dann seinen göttlich eingegebenen Trieb zum Fortkommen und verblüffende intellektuelle Leistungen. Bibelzitate sind häufig. Zugenommen hat auch die Charakterisierung von Personen, wobei er die Charakterlehre von Johann Kaspar Lavater erwähnt.

Erwähnte Orte, Personen und Bücher

Orts- und Personennamen wurden wieder verschlüsselt: Holzheim ist Hückeswagen, Rasenheim ist Ronsdorf, Schönenthal ist Elberfeld, Schauberg ist Solingen, Waldstätt ist Radevormwald, Rothenbeck ist Neuenrade. Meister Isaak ist Johann Jakob Becker,[1] Herr Spanier ist Peter Johannes Flender.

Zur Tischgesellschaft gehörten neben Stilling und seinem Reisebegleiter Troost insgesamt Johann Wolfgang von Goethe, Waldberg (der Arzt Johannes Meyer), ein Herr Melzer, Leose (Franz Christian Lerse), dann ein guter Rabe mit Pfauenfedern und Herr Aktuarius Salzmann (Johann David Salzmann).[2] Jakob Michael Reinhold Lenz kommt später vor.[3]

Stilling erwähnt, bei Spanier u.a. folgende Bücher gelesen zu haben: Paradise Lost von John Milton, Night Thoughts on Life, Death and Immortality von Edward Young, Der Messias von Friedrich Gottlieb Klopstock, Wolffs teutsche Schriften ganz, desgleichen Gottscheds gesamte Philosophie, Leibnizens Theodizee, Baumeisters kleine Logik und Metaphysik.[4] Nach seinem Entschluss zum Medizinstudium erwähnt er noch die Naturlehre von Johann Gottlob Krüger.[5] Göthe macht ihn mit den Werken von Ossian, Shakespeare, Henry Fielding, Laurence Sterne bekannt.[6]

Literatur

  • Jung-Stilling, Johann Heinrich. Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1997. S. 195-301. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-000662-7)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jung-Stilling nennt seinen Namen später im Rückblick auf Stillings bisherige Lebensgeschichte nach Heinrich Stillings Lehrjahre. (Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Vollständiger Text nach den Erstdrucken (1777-1817). Mit einem Nachwort von Wolfgang Pfeiffer-Belli. S. 475. München, 1968. Winkler Verlag; ISBN 3-538-06037-1 )
  2. Jung-Stilling, Johann Heinrich. Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1997. S. 275. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-000662-7 )
  3. Jung-Stilling, Johann Heinrich. Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1997. S. 297. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-000662-7)
  4. Jung-Stilling, Johann Heinrich. Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1997. S. 242-243. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-000662-7)
  5. Jung-Stilling, Johann Heinrich. Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1997. S. 250. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-000662-7)
  6. Jung-Stilling, Johann Heinrich. Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1997. S. 282. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-000662-7)

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