Heinrich Leonhard von Tschirschky und Bögendorff

Heinrich Leonhard von Tschirschky und Bögendorff
Staatssekretär von Tschirschky

Heinrich Leonhard von Tschirschky und Bögendorff (* 15. Juli 1858 in Dresden-Hosterwitz; † 15. November 1916 in Wien) war ein deutscher Diplomat und Staatssekretär im Auswärtigen Amt des Deutschen Kaiserreichs.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Heinrich war der Sohn von Otto von Tschirschky und Bögendorff, Generaldirektor der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen. Er trat 1881 in den Justizdienst Sachsens ein, 1883 in den diplomatischen Dienst des Reiches. 1885/86 war Tschirschky im Auswärtigen Amt als Sekretär des Staatssekretärs Herbert von Bismarck tätig. Danach war er Legationssekretär bei der Botschaft in Wien, den Gesandtschaften in Athen und Bern und wurde 1893 Legationsrat bei der Botschaft in Konstantinopel, 1895 in Sankt Petersburg. 1900 wurde er Ministerresident in Luxemburg, 1902 preußischer Gesandter in Mecklenburg und den Hansestädten. Daneben begleitete er seit 1900 Kaiser Wilhelm II. auf Reisen als Vertreter des Auswärtigen Amtes.[1]

Staatssekretär des Auswärtigen Amtes

Am 17. Januar 1906 wurde er als Nachfolger des verstorbenen Oswald von Richthofen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Dieses Amt hatte er bis zum 7. Oktober 1907 inne. Sein Nachfolger als Staatssekretär wurde Wilhelm von Schoen.

Kurz vor Beginn seiner Amtszeit fand am 16. Januar 1906 die Algeciras-Konferenz statt, bei der über die Lösung der Ersten Marokkokrise entschieden wurde. Als entgegen den ursprünglichen Abmachungen Ende 1906 französisch-spanische Flottenaktionen vor Marokko stattfanden, erklärte er am 7. Dezember 1906 im Reichstag in Berlin, dass die Reichsregierung keinen Anlass zum Eingreifen wegen der Flottenaktionen sehe. Am gleichen Tag hatte auch die Französische Nationalversammlung die Algeciras-Akte verabschiedet.[2]

In dieser Funktion unterzeichnete er darüber hinaus am 11. Januar 1907 mit seinem dänischen Amtskollegen Johan Henrik von Hegermann-Lindencrone den so genannten Optantenvertrag.[3] Er beseitigte die seit dem deutsch-dänischen Krieg von 1864 bestehenden Spannungen im nordschleswigschen Grenzgebiet. Einer kleinen Gruppe von Dänen in Nordschleswig wurde mit dem Abkommen die Option eingeräumt, zwischen der deutschen und der dänischen Staatsbürgerschaft zu wählen.

Botschafter in Wien

Anschließend wurde er Botschafter in Wien. In dieser Funktion diskutierte er am 13. Dezember 1913 mit Vertretern des Dreibundes (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Italien) über einen Krieg gegen Frankreich und Russland[4]. Dabei vertraten er und der österreich-ungarische Generalstabschef, Franz Conrad von Hötzendorf, die Ansicht, dass sich die Situation des Dreibundes in Europa verschlechtern würde. Auf der anderen Seite stünde die Triple Entente, in der sich Großbritannien, Frankreich und Russland zusammengeschlossen haben.

Tschirschky drängte in der Julikrise den österreich-ungarischen Außenminister Leopold Berchtold am 8. Juli zu einer Aktion gegen Serbien. Kaiser Wilhelm hätte ihn angewiesen,

„hier mit allem Nachdruck zu erklären, dass man in Berlin eine Aktion gegen Serbien erwarte und dass es in Deutschland nicht verstanden würde, wenn wir die gegebene Gelegenheit vorüber gehen ließen, ohne einen Schlag zu führen.“

Ein weiteres „Transigieren“ mit Serbien, verstand Berchtold daraus, hätte man in Deutschland als Schwächebekenntnis ausgelegt.[5]

Am 1. März 1915 unterbreitete Tschirschky Berchtolds Nachfolger Burián den Vorschlag, das Trentino und kleine Grenzgebiete am Isonzo an Italien abzutreten. Italien solle sich dafür zur wohlwollenden Neutralität verpflichten und der Monarchie freie Hand am Balkan und eventuell gegenüber Russland lassen. Die Übergabe der Gebiete würde selbstverständlich erst nach Kriegsende erfolgen, wenn Österreich die kleinen Verluste durch anderweitige, größere Erwerbungen ausgeglichen haben wird. Als deutsche Leistung wurde vorerst das polnische Sosnowitz angeboten. Burián nahm den Vorschlag positiv auf, verlangte aber Geheimhaltung.[6]

In einer ausführlichen Stellungnahme an Gottlieb von Jagow vom 29. Oktober 1915, die auch Reichskanzler Bethmann Hollweg vorgelegt wurde, sprach sich der Botschafter gegen die trialistische „austropolnische Lösung“ der polnischen Frage aus. Bei einer solchen Lösung werde der Grund zum Zerfall der Monarchie gelegt. Man sollte bei den Besprechungen mit Burián auf die große Gefahr hinweisen, die ein zu großer Einfluss der Polen, vor allem im österreichischen Reichsrat, durch die Schwächung des österreichischen „Deutschtums“, für Österreich und die Monarchie nach sich ziehen würde.[7] Diese Einwände beeindruckten Bethmann Hollweg, denn er trat nicht mehr für den Trialismus ein.[8] Tschirschky warnte davor, Polen definitiv Österreich zu überlassen, ehe man die erforderlichen Garantien erhalten habe. Dem stimmte Jagow zu, man dürfe Polen nicht aus der Hand geben, bevor wir nicht von der österreichisch-ungarischen Regierung die Garantien auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet erhalten haben, um die Monarchie auch in der Zukunft an unserer Seite zu halten.[9]

Das Amt des Botschafters in Österreich-Ungarn übte er bis zu seinem Tod im Ersten Weltkrieg aus.

Einzelnachweise

  1. Eintrag bei Meyers
  2. Wissen.de: Was geschah am 7. Dezember 1906
  3. www.hschumacher.de
  4. www.oppisworld.de
  5. Imanuel Geiss (Hrsg.): Julikrise und Kriegsausbruch. Eine Dokumentensammlung. Hannover 1963, Band 1: S. 128 (Nr.50); und Ludwig Bittner, Hans Uebersberger (Hrsg.): Österreich-Ungarns Außenpolitik von der bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren. Wien/Leipzig 1930, Band 8: S. 370f. (Nr.10145).
  6. Alberto Monticone: Deutschland und die Neutralität Italiens 1914–1915. Verlag Steiner, Stuttgart 1982, ISBN 3-515-03603-2, S. 103f.
  7. André Scherer, Jacques Grunewald: L’Allemagne et les problèmes de la paix pendant la première guerre mondiale. Documents extraits des archives de l'Office allemand des Affaires étrangères. (deutsche Originaldokumente). Band 1, Paris 1962. ISBN 2-85944-010-0, S. 192ff. (Nr. 150).
  8. Heinz Lemke: Allianz und Rivalität. Die Mittelmächte und Polen im ersten Weltkrieg. Verlag Böhlau, Wien/Köln/Graz 1977, S. 249.
  9. Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Düsseldorf 1964, 2000, ISBN 3-7700-0902-9, S. 256.

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