Heartland-Theorie

Heartland-Theorie

Der britische Geograph Halford Mackinder publizierte 1904 in dem Buch „Democratic Ideals and Reality“ den Aufsatz „The geographical pivot of history“. In diesem Aufsatz formulierte er die sogenannte Heartland-Theorie als Warnung an seine Landsleute. Er setzte sich mit der Bedeutung von Geographie, Technik, Wirtschaft, Industrie sowie Rohstoff- und Bevölkerungsressourcen für eine vergleichende Bewertung von Landmacht und Seemacht auseinander. Nach dem 1. Weltkrieg hat er seine Theorie unter dem Eindruck des Krieges aktualisiert.

Inhaltsverzeichnis

Die Theorie

Die Einteilung der „Weltinsel“ in Mackinders Heartland-Theorie

Wie in anderen orthodoxen geopolitischen Theorien legte Mackinder seiner Theorie ein materialistisch geprägtes Menschenbild zugrunde, in dem Menschen im Rahmen ihres Bedürfnisses nach Sicherheit und Wohlstand miteinander im Wettbewerb um Territorium und Ressourcen stehen. In diesem Zusammenhang sah er sich und das britische Weltreich am Ende eines kolumbianischen Zeitalters (Columbian era), das von der Wiederentdeckung des amerikanischen Kontinents für Europa durch Christoph Columbus an von der relativen Dominanz der Seemacht über die Landmacht geprägt gewesen sei.[1]

Im Gegensatz zu der von Alfred Thayer Mahan formulierten Theorie der alleinigen historischen Dominanz der Seemacht betont Mackinder, dass im Verlauf der Geschichte sowohl Land- als auch Seemacht als entscheidende Faktoren gewirkt haben. Einer expandierenden Landmacht sei es häufig gelungen, eine Seemacht zu bezwingen, indem sie deren Stützpunkte von der Landseite her erobert habe. Großbritanniens effektive Kontrolle über die Weltmeere verschaffte ihm bis in das 20. Jahrhundert hinein universale Hegemonie. Danach verlor es, Mackinder zufolge, durch Dampfmaschine und Motor und das in deren Gefolge aufkommende Straßen- und Eisenbahnverkehrsnetz seine Welthandelsdominanz. Die Macht Großbritanniens wurde gegenüber den kontinentalen Staaten gemindert.

Entwickelt nun das „Herzland“ des Kontinents - Westsibirien und das europäische Russland - entsprechende Verkehrswege und in ihrem Gefolge einen hohen industriellen und wirtschaftlichen Durchdringungsgrad, so wird es eine entsprechend größere Macht ausüben können. Ein mächtiger Kontinentalstaat, dem alle Errungenschaften moderner Technik zur Verfügung stünden, könnte durch eine Herrschaft über dieses „Herzland“ die Herrschaft über die gesamte „Weltinsel“ erlangen. Mackinder formulierte dies als einen in der Literatur vielzitierten Merksatz:[2]

Who rules Eastern Europe commands the Heartland
Who rules the Heartland commands the World Island
Who rules the World Island commands the World

Mackinder, Democratic Ideals and Reality, S. 106

Unter der „Weltinsel“ verstand Mackinder Eurasien unter Hinzunahme des afrikanischen Kontinents. Die Rohstoff- und Bevölkerungsressourcen dieses Gesamtgebietes würde die Beherrschung der kontinentalen „Randländer“ und sukzessive auch des amerikanischen und australischen Kontinents sowie Japans ermöglichen.

Rezeption und Weiterentwicklungen

Mackinders Heartland-Theorie unterliegt sowohl innerhalb als auch außerhalb der geopolitischen Forschung kontroverser Diskussion. Vertreter der Geopolitik orthodoxer Ausrichtung stehen der Theorie wohlwollend gegenüber, bescheinigen Mackinder jedoch eine grobe Vereinfachung historischer Entwicklungen. So merkt der US-amerikanische Politikwissenschaftler C. Dale Walton an, dass Mackinder den Machtzuwachs der Vereinigten Staaten und deren Garantie der europäischen Sicherheit hätte absehen können, auch wenn Landmächte einer Kontrolle des Herzlandes im 20. Jahrhundert besonders nahe gewesen seien. Ebenso habe es durchaus in Mackinders Vorstellungsbereich liegen können, dass die Seemächte auf die technische Dynamik der Landmächte mit einem eigenen Innovationsschub reagieren würden, wie dies anhand von nuklearen und thermonuklearen Waffem, Langstreckenbombern sowie land- und seegestützten Langstreckenraketen in der Mitte des 20. Jahrhunderts eingetreten sei.[3]

Den Thesen des US-amerikanischen Geographen Nicholas Spkyman, die er kurz vor dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg formulierte, lag Mackinders Paradigma von der Weltinsel zugrunde. Spykman gelangte zur Ansicht, dass die USA eine anhaltende Kontrolle der Weltinsel vom nordasiatischen Herzland aus verhindern müssten, wollten sie als Seemacht ihre Sicherheit und Unabhängigkeit garantieren. Diese Thesen bildeten den Grundstein für Dean Achesons geographische Formulierung der Containment-Doktrin und beeinflusste auch Henry Kissinger und Zbigniew Brzezinski.

Mackinders Fazit

Mackinder behauptete nun, dass die atlantischen Mächte durch den Ersten Weltkrieg nur knapp dieser Gefahr entronnen sind. Hätte Deutschland seine gesamte Kraft auf die Beherrschung des Osten, des „Herzland“, konzentriert, hätte es von da aus die „Weltinsel“ unter seine Kontrolle bringen und die Seemächte von der Landseite her ihrer Stützpunkte berauben können. Er sprach die Prophezeiung aus, dass diese Gefahr nicht für alle Zeiten gebannt sei.

Siehe auch

Literatur

  • Mackinder, Halford: Britain and the british seas. 1902
  • Mackinder, Halford: The geographical pivot of history. 1904
  • Mackinder, Halford: Democratic ideals and reality, New York 1919
  • Mahan, Alfred Thayer: Der Einfluß der Seemacht auf die Geschichte, Herford 1967

Quellen

  1. vgl. Walton, C. Dale: Geopolitics and the Powers of the Twenty-First Century: Multipolarity and the revolution in strategic perspective, Routledge: Abingdon 2008, S. 27.
  2. Mackinder, Halford J.: Democratic Ideals and Reality, Washington, DC: National Defense University Press 1962, Neuauflage 1996, mit einer Einführung vonStephen V. Mladineo, S. 106.
  3. vgl. Walton, C. Dale: Geopolitics and the Powers of the Twenty-First Century: Multipolarity and the revolution in strategic perspective, Routledge: Abingdon 2008, S. 1f.

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