Hausorthographie

Hausorthographie

Eine Hausorthographie oder Hausorthografie ist eine Rechtschreibung, die in genau dieser Form nur innerhalb einer bestimmten Institution („Haus“) verwendet wird und von der amtlichen oder allgemein üblichen (falls solche existieren) systematisch abweicht, wobei die Abweichung sich auf die Einschränkung von zulässigen Varianten beschränken kann.

Eine Institution kann beispielsweise ein Verlag oder eine Nachrichtenagentur sein. Sofern es in einem Sprachraum keine einheitliche Rechtschreibung gibt, haben diese Institutionen ein Interesse daran, zumindest in ihren eigenen Publikationen eine einheitliche Schreibweise zu verwenden. Während noch im 19. Jahrhundert, besonders vor dem Erscheinen des ersten Duden im Jahr 1880, Hausorthographien mangels eines einheitlichen Standards allgemein üblich waren, wurden sie anschließend und besonders nach der Vereinheitlichung der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum auf der Zweiten Orthographischen Konferenz von 1901 seltener oder, wo noch vorhanden, weniger umfangreich, da die vom Duden beschriebene Rechtschreibung allgemein akzeptiert und verwendet wurde und relativ wenige Varianten bot.

Inhaltsverzeichnis

Situation nach 1996

Mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 hatte sich die Situation geändert. Für Tausende von Wörtern bot das Regelwerk keine eindeutige Schreibweise. Handwerkliche Mängel und daraus folgende zahlreiche Nachbesserungen des Regelwerks haben ein anhaltendes Nebeneinander alter und neuer Schreibweisen bewirkt und ins allgemeine Bewusstsein gerückt, dass die neuen amtlichen Rechtschreibregeln nur für Schule und Behördenverkehr bindend sind.

Unter diesen Bedingungen hat eine beachtliche Zahl von Verlagen seine Hausorthographien auf Fragen der allgemeinen Rechtschreibung ausgedehnt. So gab zum Beispiel das „Bertelsmann Lexikon Institut“ im Dezember 2006 einen „orthografischen Wegweiser für eine einheitliche und stringente Rechtschreibung“ heraus, unter dem Titel „Ein Wort – eine Schreibung“ (Untertitel: „Die Wahrig-Hausorthografie von A bis Z“). Besonders ausführlich begründete damals Die Zeit ihre abweichende Übernahme der Reform.[1] Auch einige große Zeitungen und Magazine wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Bild-Zeitung und Der Spiegel behielten die alte Rechtschreibung als Hausorthographie vorläufig bei.

Situation nach 2006

Mit der Reform der Reform Mitte 2006 brach die Front der Gegner der neuen Regeln nach und nach zusammen. Nachrichtenagenturen[2] und die großen Zeitschriften schwenkten auf die Reformregeln ein[3].

Anlässe zu Hausorthographien bilden jetzt wieder die Situationen, bei denen keine Regelungen getroffen sind (zum Beispiel bei ausländischen Ortschaften: Lüttich oder Liège? oder Eigennamen: HafenCity oder Hafencity? und Ähnliches) sowie die rund 2400 Wörter (immerhin knapp 2 % des Wortschatzes), in denen die Rechtschreibregelung alternative Schreibweisen zugelassen hat (zum Beispiel: Delfin oder Delphin?). An dieser Stelle sind die beiden großen Wörterbücher verschiedene Wege gegangen. Während der Duden in diesen Fällen zumeist die neuere Schreibung empfiehlt, hält der Wahrig es umgekehrt. Je nach Grundhaltung entscheidet man sich für das eine oder das andere Werk als Referenz – oder legt eine eigene Regelung in einer Hausorthographie fest.

In der Schweiz hat diese Situation zu einem Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung geführt, der die Bundesverwaltung bindet[4], sowie zu Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz für Presse und Literatur in der Schweiz[5], die von der schweizerischen Nachrichtenagentur SDA übernommen wurden und von der schweizerischen Chefredaktorenkonferenz und dem Verband Schweizer Medien unterstützt werden.

Hartnäckige Sprachpuristen hat die Rechtschreibreform indes nicht erreicht. So veröffentlicht die Neue Zürcher Zeitung ihre Hausorthographie zur Nachahmung in einem „Vademecum[6], in dem sich auch Schreibungen wie „placieren“, „Plastic“ und „caritativ“ finden[7].

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Dieter Eduard Zimmer: „ZEITSchreibung - Neue Rechtschreibung in der ZEIT. Zusammengestellt und erläutert, kritisiert und vorsichtig repariert“ (archivierte Version des Dossiers von 1999)
  2. Hausorthographie der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (außer der schweizerischen SDA) ab dem 1. August 2007
  3. F.A.Z. paßt Rechtschreibung an“ (... und muss sie selbst noch etwas üben). FAZ vom 2. Dezember 2006.
  4. Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung der Schweizerischen Bundeskanzlei.
  5. Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz für Presse und Literatur in der Schweiz
  6. Die Rechtschreibreform in der NZZ. Zur Hausorthographie der Neuen Zürcher Zeitung. In: NZZ Online, 6. Dezember 2006.
  7. Nur noch Sprachpuristen leisten Widerstand - NZZOnline vom 21. Juli 2009, Leserkommentar.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform von 1996 — Die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 ist eine Reform mit dem erklärten primären Ziel der Vereinfachung der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum. Sie war sowohl wegen der angestrebten Änderungen der Rechtschreibung als auch wegen …   Deutsch Wikipedia

  • Rechtschreibreform 1996 — Die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 ist eine Reform mit dem erklärten primären Ziel der Vereinfachung der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum. Sie war sowohl wegen der angestrebten Änderungen der Rechtschreibung als auch wegen …   Deutsch Wikipedia

  • Rechtschreibreform von 1996 — Die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 ist eine Reform mit dem erklärten primären Ziel der Vereinfachung der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum. Sie war sowohl wegen der angestrebten Änderungen der Rechtschreibung als auch wegen …   Deutsch Wikipedia

  • Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 — Die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 ist eine Reform mit dem erklärten primären Ziel der Vereinfachung der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum. Sie war sowohl wegen der angestrebten Änderungen der Rechtschreibung als auch wegen …   Deutsch Wikipedia

  • Hausrechtschreibung — Eine Hausorthographie ist eine Rechtschreibung, die in genau dieser Form nur innerhalb einer bestimmten Institution („Haus“) verwendet wird und von der amtlichen oder allgemein üblichen (falls solche existieren) systematisch abweicht, wobei die… …   Deutsch Wikipedia

  • DIE ZEIT — Beschreibung Wochenzeitung Verlag Zeitverlag Gerd Bucerius Erstausgabe …   Deutsch Wikipedia

  • ZEIT — Die Zeit Beschreibung Wochenzeitung Verlag Zeitverlag Gerd Bucerius Erstausgabe …   Deutsch Wikipedia

  • ZEIT ONLINE — Die Zeit Beschreibung Wochenzeitung Verlag Zeitverlag Gerd Bucerius Erstausgabe …   Deutsch Wikipedia

  • ZEIT online — Die Zeit Beschreibung Wochenzeitung Verlag Zeitverlag Gerd Bucerius Erstausgabe …   Deutsch Wikipedia

  • ZUENDER — Die Zeit Beschreibung Wochenzeitung Verlag Zeitverlag Gerd Bucerius Erstausgabe …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”