Hartmut Rosa

Hartmut Rosa
Hartmut Rosa 2008

Hartmut Rosa (* 15. August 1965 in Lörrach) ist ein deutscher Soziologe und Politikwissenschaftler, der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Er legte 1985 am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut die Abiturprüfung ab und begann - nach Ableistung seines Zivildienstes - 1986 zu studieren. Bis 1993 studierte er Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau (MA-Abschluss mit Auszeichnung) und an der London School of Economics and Political Science in London. 1997 wurde er mit der Dissertation Identität und kulturelle Praxis. Politische Philosophie nach Charles Taylor an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Prädikat summa cum laude zum Dr. rer. soc. promoviert.

Seit 1988 verbrachte Rosa mehrere akademische Auslandsaufenthalte in den USA, unter anderem 1995 an der Harvard University als Forschungsassistent im Department of Government/ Center for European Studies. Außerdem erhielt er ein Feodor-Lynen Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung 2001–2002 für die Arbeit als Gastprofessor an der New School University in New York. Seit 2002 nimmt er alle zwei Jahre eine Gastprofessur mit Forschungstätigkeit in Soziologie der New School University wahr. Des Weiteren war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft III der Universität Mannheim (1996–1997) und als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1997–1999) tätig. 2004 habilitierte er sich dort mit der Studien Soziale Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne für Soziologie und Politikwissenschaft. Im Sommersemester 2004 vertrat er einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft/Politische Theorie an der Universität Duisburg-Essen und im Wintersemester 2004/2005 sowie im Sommersemester 2005 hatte er die Lehrstuhlvertretung für Politische Wissenschaft an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg inne.

Seit 2005 ist Rosa Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.[1]

Forschungsschwerpunkte

Rosa hat nach eigener Aussage vier Forschungsschwerpunkte.[2]

  1. Zeitsoziologische und moderntheoretische Untersuchungen, die Basis seiner Habilitationsschrift „Soziale Beschleunigung. Die Veränderung der Temporalstrukturen“. Die „technische beziehungsweise ökonomisch induzierte Beschleunigung“ zeigt sich in der rasanten Entwicklung der Technik im 19./20. Jahrhundert und der sozialen Beschleunigung der Menschen. Die Geschichte der Moderne sei gleichzeitig die Geschichte von Beschleunigung. Aufgrund des Zeitgewinns durch technischen Fortschritt entstehe eine Zeitnot und kein Zeitgewinn. Laut Rosa führt die Vielzahl der Möglichkeiten dazu, dass ein Mensch die ihm gegebenen Möglichkeiten nicht mehr im Laufe seines Lebens ausschöpfen kann. Die „Steigerungsrate übersteigt die Beschleunigungsrate“, was dazu führt, dass das gerade Erlebte bereits nicht mehr up to date ist und die Individuen keine Chancen haben „lebensgesättigt“ zu sterben, wie es auch schon Goethes Faust erging. Rosa kreiert das „Slippery-Slope-Phänomen“, welches ausdrücken soll, dass der Mensch sich nie ausruhen kann/darf und sich nie zufriedengeben darf, da er sonst einen Verlust oder einen Nachteil erleiden könnte. Rosa sieht keine Steuerungsmöglichkeiten des Lebens für den Menschen mehr, da sich das Tempo der Beschleunigung verselbständigt habe.
  2. Die „Kommunitarismus-Debatte“. (vgl. Kommunitarismus) Zu diesem Themenbereich gehört auch seine Dissertation über den kanadischen Philosophen Charles Taylor.
  3. Bildung von Mobilisierungsressourcen. Die Frage, woraus sich in der allgemeinen Entwicklung moderner Gesellschaften, vor allem die der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Mobilisierungsressourcen bürgerlichen Engagements bilden können, und welche politische Gesinnung wahrscheinlicher in einem ehrenamtlichen oder zivilgesellschaftlichen Engagement resultiert, stellt den dritten Forschungsschwerpunkt. Laut Rosa erzeugt die Identifizierung mit dem Staat, „mein Land“, eine moralische Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass dieser Staat richtig handelt. Um dies gewährleisten zu können, müsse man sich selbst dafür einsetzen.
  4. Die Metatheorie in der Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften aus einer ideengeschichtlichen Perspektive. Dabei betont er die Verdienste der sogenannten Cambridge School, deren Angehörige in seinen Augen das „Bewusstsein für methodische Fragen und theoretische Voraussetzungen im Umgang mit der Ideengeschichte geschärft und dabei eine fruchtbare methodologische Diskussion“ eröffnet hätten. Rosa fordert eine Hinterfragung politischer Theorien bezüglich ihres Inhalts und ihres Wirkens. Das bedeute die Untersuchung von Traditions- und Diskussionszusammenhängen, sowie normativer oder ideologischer Implikationen, in denen er das zentrale Anliegen einer kritischen Begriffsgeschichte sieht. Dieser Forschungsschwerpunkt fügt seine vorangegangenen Themenbereiche zusammen. Rosa sucht, neue Verbindungen zwischen der aktuellen Gesellschaftstheorie mit zeitdiagnostischen Analysen und einer normativen, kritischen Sozialphilosophie, deren Basis er in der Verknüpfung von „politik-, identitäts- und modernetheoretischen Überlegungen“ sieht.

Publikationen

Monographien
  • Identität und kulturelle Praxis. Politische Philosophie nach Charles Taylor, Frankfurt am Main/New York: Campus 1998, zugleich Diss., HU Berlin 1997.
  • Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, zugleich Habil.-Schrift, Univ. Jena 2004. ISBN 3-518-29360-5
  • Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011 ISBN 978-3-518-29577-9
Beiträge in Sammelwerken
  • Integration, Konflikt und Entfremdung - Die Perspektive des Kommunitarismus, in: Konflikt in modernen Gesellschaften, hg. von Hans-Joachim Giegel, Frankfurt am Main 1998, S. 202-244.
  • Die prozedurale Gesellschaft und die Idee starker politischer Wertungen. Zur moralischen Landkarte der Gerechtigkeit, in: Konzeptionen der Gerechtigkeit, hg. von Herfried Münkler u. Marcus Llanque, Baden-Baden 1999, S. 395–423.
  • Politisches Handeln und die Entstehung des Neuen in der Politik, in: Konzepte politischen Handelns. Kreativität – Innovation – Praxen, hg. von Harald Bluhm und Jürgen Gebhardt, Baden-Baden: Nomos 2001, S. 23–42.
  • Zwischen Selbstthematisierungszwang und Artikulationsnot? Situative Identität als Fluchtpunkt von Individualisierung und Beschleunigung, in: Transitorische Identität. Der Prozesscharakter des modernen Selbst, hg. von Jürgen Straub und Joachim Renn, Frankfurt am Main/New York: Campus 2002, S. 267–302.
  • (Hg. mit K.-U. Meyn) Bürgerbewusstsein und Demokratie in Mittel- und Osteuropa. Zum Zustand der politischen Kultur in den postsozialistischen Staaten (Collegium Europaeum Jenense, Bd. 33), Jena: Glaux-Verlag 2005.
Aufsätze
  • Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie: Der Beitrag der ‘Cambridge School’ zur Metatheorie, in: PVS, 35. Jg. (1994), S. 197–223.
  • Hypergüter der Moderne. Die konfliktreiche moralische Landkarte der Gegenwart (Literatur-Essay zu Charles Taylor, Quellen des Selbst, Frankfurt 1994), in: Politische Vierteljahresschrift, 36. Jg. (1995), S. 505–522.
  • Kapitalismus und Lebensführung. Perspektiven einer ethischen Kritik der liberalen Marktwirtschaft, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jg. 47 (1999), Heft 5, S. 735–758.
  • Rasender Stillstand? Individuum und Gesellschaft im Zeitalter der Beschleunigung, in: Jahrbuch Politische Theologie, Bd. 3: Befristete Zeit, hg. von Jürgen Manemann, Münster u.a. 1999, S. 151–176.
  • Bewegung und Beharrung. Überlegungen zu einer sozialen Theorie der Beschleunigung, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Jg. 27 (1999), S. 386–414.
  • Temporalstrukturen in der Spätmoderne: Vom Wunsch nach Beschleunigung und der Sehnsucht nach Langsamkeit. Ein Literaturüberblick in gesellschaftstheoretischer Absicht, in: Handlung, Kultur, Interpretation, Jg. 10 (2001), S. 335–381.
  • Wider die Unsichtbarmachung einer Schicksalsmacht. Plädoyer für die Erneuerung der Kapitalismuskritik, in: Berliner Debatte/Initial, Jg. 15 (2004), Heft 1, S. 81–90.
Interviews

"In diesem System hat jeder Angst, dass er abrutscht", die tageszeitung, 22. September 2009

Einzelnachweise

  1. Profil an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Abruf am 21. Juli 2010
  2. Forschungsschwerpunkte von Hartmut Rosa im Studienportal BA Soziologie

Weblinks

Zur Person
 Commons: Hartmut Rosa – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Zu den Werken

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