Harmonische Analyse

Harmonische Analyse

Die abstrakte harmonische Analyse ist die Theorie der lokalkompakten Gruppen. Der Name rührt daher, dass es auf beliebigen lokalkompakten Gruppen ein zum Lebesgue-Maß auf den reellen Zahlen analoges Maß gibt, das sogenannte Haar-Maß. Bezüglich dieses Maßes lässt sich im Falle kommutativer Gruppen die Theorie der Fourier-Analysis übertragen. Das führt zu wichtigen Erkenntnissen über lokalkompakte abelsche Gruppen. Dieser Artikel legt den Schwerpunkt auf die Darstellung der Verallgemeinerungen der klassischen Situation in den reellen Zahlen.

Inhaltsverzeichnis

Beispiele lokalkompakter Gruppen

  • Die reellen Zahlen \mathbb R mit der Addition als Gruppenverknüpfung bilden mit dem Lebesgue-Maß als Haar-Maß den Prototyp der Theorie.
  • Der {\mathbb R}^n mit der Addition und dem n-dimensionalen Lebesgue-Maß ist eine einfache Verallgemeinerung des ersten Beispiels.
  • Jede Gruppe mit der diskreten Topologie ist lokalkompakt. Das Haar-Maß ist das Zählmaß.
  • Die Kreislinie {\mathbb T} = \{z\in{\mathbb C}; |z|=1\} ist mit der Multiplikation als Gruppenverknüpfung eine kompakte Gruppe. Das Haar'sche Maß ist das Bildmaß der Abbildung [0,1]\rightarrow {\mathbb T},\,x\mapsto e^{2\pi i x}, wobei auf [0,1] das Lebesgue-Maß gegeben ist. Diese Gruppe spielt im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle.
  • Die Gruppe \mathrm{Gl}(n,{\mathbb R}) der invertierbaren n\times n-Matrizen mit der Matrix-Multiplikation ist ein Beispiel für eine nicht-kommutative lokalkompakte Gruppe. Die Angabe des Haar-Maßes verlangt fortgeschrittene Integrationskenntnisse. Ist λ das Lebsgue-Maß auf dem {\mathbb R}^{n^2}, so ist durch \textstyle \mu(A) = \int_A\frac{1}{|\det(X)|^n}d\lambda(X) ein Haar-Maß gegeben. Im allgemeinen nicht-kommutativen Fall muss man zwischen Links- und Rechts-Haarmaß unterscheiden, in diesem Beispiel ist das noch nicht erforderlich.

Der weitere Artikel beschäftigt sich ausschließlich mit kommutativen Gruppen.

Dualgruppe

Ein stetiger Gruppenhomomorphismus \chi:G\rightarrow{\mathbb T} heißt ein Charakter von G. Die Menge aller Charaktere wird mit \widehat{G} bezeichnet. Mit der Multiplikation (\chi\cdot\psi)(a) := \chi(a)\psi(a) wird \widehat{G} zu einer Gruppe. Mit der Topologie der kompakten Konvergenz wird \widehat{G} sogar zu einer lokalkompakten abelschen Gruppe, die man daher auch als Dualgruppe von G bezeichnet. Wir betrachten einige Beispiele:

  • Jeder Charakter \chi:{\mathbb R}\rightarrow {\mathbb T} hat die Gestalt χz(x) = eixz für ein z\in {\mathbb R}. Identifiziert man χz mit z, so hat man also \widehat{\mathbb R} \cong {\mathbb R}, zumindest als Mengen. Man kann zeigen, dass diese Identifizierung auch im Sinne lokalkompakter Gruppen in Ordnung geht.
  • Jeder Charakter \chi:{\mathbb Z}\rightarrow {\mathbb T} ist von der Form χz(n) = zn für ein z\in{\mathbb T}. In diesem Sinne hat man also \widehat{\mathbb Z} \cong {\mathbb T}.
  • Die Charaktere \chi:{\mathbb T}\rightarrow {\mathbb T} sind χn(z) = zn für n\in{\mathbb Z}, was zur Dualität \widehat{\mathbb T} \cong {\mathbb Z} führt.

Das letzte Beispiel verhält sich ‚invers‘ zum vorangegangenen. Das ist kein Zufall, denn es gilt der folgende Dualitätssatz von Pontrjagin.

Dualitätsatz von Pontrjagin

Hauptartikel: Pontrjagin-Dualität

Ist G eine lokalkompakte abelsche Gruppe, so ist \widehat{\widehat{G}} \cong G.

Dieser Satz rechtfertigt den Begriff Dualgruppe, denn man kann aus der Dualgruppe die Ausgangsgruppe wieder zurückgewinnen.

Die Banachalgebra L1(G)

Ist λ das Haar-Maß auf der lokalkompakten ableschen Gruppe G, so kann man bzgl. dieses Maßes den Raum L1(G) bilden. Es ist der Banachraum der komplexwertigen L1-Funktionen, wobei fast überall übereinstimmende Funktionen in üblicher Weise identifiziert werden. Wie im Falle der reellen Zahlen definiert die Faltung

f*g(x) := \int_G f(y)g(x-y)d\lambda(y), \,\, f,g\in L^1(G)

eine Multiplikation, die L1(G) zu einer kommutativen Banachalgebra macht. Dabei wurde die Verknüpfung auf G additiv geschrieben, xy = x + ( − y) ist in G zu berechnen! Durch die Formel

f^*(x) \,=\, \overline{f(-x)}

wird eine isometrische Involution auf der Banachalgebra definiert. Mit ähnlichen Formeln kann man auch im nicht-kommutativen Fall eine Banachalgebra L1(G) definieren; das ist im Artikel Gruppen-C*-Algebra ausgeführt.

Die Fourier-Transformation

Ist G eine lokalkompakte abelsche Gruppe mit Haar-Maß λ und ist f\in L^1(G), so heißt

 \widehat{f}:\widehat{G}\rightarrow {\mathbb C},\,\,\widehat{f}(\chi) = \int_G f(x) \overline{\chi(x)}\;d\lambda(x)

die Fourier-Transformierte von f. Im Falle G={\mathbb R} erhält man wegen \widehat{\mathbb R} \cong {\mathbb R} die klassische Fourier-Transformation. Viele Eigenschaften der klassischen Fourier-Transformation bleiben im abstrakten Fall erhalten. So ist z. B. \widehat{f} stets eine stetige Funktion auf \widehat{G}, die im Unendlichen verschwindet. Die Fourier-Transformation ist ein injektiver Homomorphismus L^1(G)\rightarrow C_0(\widehat{G}).

Die Sichtweise des Physikers auf die klassische Fourier-Transformation ist die, dass eine ‚beliebige‘ Funktion als Summe (=Integral) von harmonischen Schwingungen dargestellt werden kann, denn χz(x) = eixz löst die ungedämpfte Schwingungsgleichung. Diese Sichtweise bleibt auch im abstrakten Rahmen erhalten, die harmonischen Schwingungen müssen lediglich durch Charaktere ersetzt werden. Aus diesem Grunde spricht man von abstrakter harmonischer Analyse.

Fourier-Umkehrformel

Auch die Fourier-Umkehrformel bleibt in diesem abstrakten Rahmen erhalten. Ist G unsere lokalkompakte Gruppe mit Dualgruppe \widehat{G}, und ist \widehat{\lambda} Haar-Maß auf der Dualgruppe, so setze man für g\in L^1(\widehat{G})

 \check{g}:G\rightarrow {\mathbb C},\,\,\check{g}(x) = \int_{\widehat{G}} g(\chi)\chi(x)\;d\widehat{\lambda}(\chi) .

Ist dann f\in L^1(G) derart, dass die Fourier-Transformation \widehat{f} in L^1(\widehat{G}) ist, so erhält man mittels dieser Umkehrformel aus \widehat{f} wieder f zurück, zumindest bis auf einen konstanten Faktor. Dieser konstante Faktor rührt daher, dass das Haar-Maß nur bis auf einen konstanten Faktor eindeutig ist. Selbst im prototypischen Fall der reellen Zahlen tritt der bekannte Faktor auf, wenn man auf der Gruppe und der Dualgruppe das Lebesgue-Maß verwendet.

Fourierreihen

Eine Funktion F auf der Gruppe {\mathbb T} kann auf naheliegende Weise als eine -periodische Funktion f auf {\mathbb R} aufgefasst werden, man setze dazu f(x) = F(eix). Da \widehat{\mathbb T} \cong {\mathbb Z}, ist die Fourier-Transformation von F eine Funktion auf {\mathbb Z}:

 \widehat{F}(n) = \frac{1}{2\pi}\int_{\mathbb T}F(z)z^{-n}d\lambda(z) = \frac{1}{2\pi }\int_0^{2\pi}f(x)e^{-inx}dx

Wir sehen hier die Fourier-Koeffizienten von f. Die Fourier-Umkehrformel führt dann zur bekannten Fourierreihe. Die abstrakte harmonische Analyse liefert also den Rahmen für eine gemeinsame theoretische Betrachtung sowohl der klassischen Fourier-Transformation als auch der Fourierreihen-Entwicklung.

Gelfand-Darstellung

Sei G wieder eine lokalkompakte abelsche Gruppe mit Haar-Maß λ. Die Fourier-Transformation kann auch auf folgende Weise interpretiert werden. Jeder Charakter \chi\in \widehat{G} definiert durch die Formel

\phi_\chi(f) := \int_G f(x) \overline{\chi(x)}\;d\lambda(x)

ein stetiges, lineares, multiplikatives Funktional ϕχ auf L1(G). Die Fourier-Tansformation erweist sich damit als die Gelfand-Transformation der kommutativen Banachalgebra L1(G).

Siehe auch

Literatur


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