Hare/Niemeyer

Hare/Niemeyer

Das Hare-Niemeyer-Verfahren (im angelsächsischen Raum „Hamilton-Verfahren“; auch „Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen“) ist ein Sitzzuteilungsverfahren. Es wird beispielsweise bei Wahlen mit dem Verteilungsprinzip Proporz (siehe Verhältniswahl) verwendet, um Wählerstimmen in Abgeordnetenmandate umzurechnen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Verfahren wurde von dem US-amerikanischen Politiker Alexander Hamilton vor der ersten US-amerikanischen Volkszählung im Jahre 1790 propagiert, um die Sitze im US-Repräsentantenhaus proportional zur Bevölkerung auf die einzelnen Bundesstaaten zu verteilen. Es konnte sich dabei jedoch nicht gegen die Verwendung des d’Hondtschen Verfahrens durchsetzen. Nach der Volkszählung im Jahre 1840 ging man schließlich doch auf das Verfahren Hamiltons über und verwendete es letztmalig bei der Volkszählung im Jahre 1890.

Das Verfahren wurde seit der Wahl im Jahr 1987 bis zur Wahl 2005 für die Berechnung der Sitzverteilung im Deutschen Bundestag angewandt. Der in Deutschland verwendete Name leitet sich von dem Londoner Rechtsanwalt Thomas Hare und dem deutschen Mathematiker Horst F. Niemeyer ab.

Durch den Beschluss des Bundestages vom 24. Januar 2008 wird das Hare-Niemeyer-Verfahren ab der folgenden Bundestagswahl durch das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren ersetzt.

Berechnungsweise

\frac{\text{Gesamtsitzzahl} \cdot \text{Parteistimmenzahl}}  {\text{Gesamtstimmenzahl}}  = \text{Quote}

oder, anders formuliert:

\frac{\text{Parteistimmenzahl}}  {\text{Gesamtstimmenzahl}} = \frac{\text{Quote}}  {\text{Gesamtsitzzahl}}

Partei Stimmen Quot. Sitze
A 216 37,24 37
B 310 53,45 53
C 22 3,79 3 +1
D 32 5,52 5 +1
Summe 580 100,00 98 +2

Die zweite Form macht deutlich, dass der Stimmenanteil dem Sitzanteil entspricht, wobei die Sitzzahl natürlich gemäß dem größten Rest auf- oder abgerundet wird. Praktisch sieht das folgendermaßen aus:

Jeder Partei werden zunächst Sitze in Höhe ihrer abgerundeten Quote zugeteilt. Die noch verbleibenden Restsitze werden in der Reihenfolge der höchsten Nachkommareste der Quoten vergeben. Bei gleichhohen Nachkommaresten entscheidet das vom Wahlleiter zu ziehende Los. Berücksichtigt werden nur die Stimmen der Parteien, die nicht aufgrund der Verfehlung eines Mindestquorums keinen Sitzanspruch haben (Sperrklausel).

Ein Beispiel: Zu vergeben sind 100 Sitze, die auf vier Parteien (A, B, C und D) zu verteilen sind. Insgesamt wurden 580 Stimmen abgegeben, die sich wie in der Tabelle angegeben verteilen. Dadurch ergibt sich folgende Sitzverteilung: Im ersten Durchgang erhält Partei A 37, Partei B 53, Partei C 3 und Partei D 5 Sitze. Aufgrund der Nachkommareste werden die übrigen zwei Sitze an C und D vergeben.

Eigenschaften

Das Hare-Niemeyer-Verfahren verhält sich neutral in Bezug auf die Größe der Parteien, da der Stimmanteil (Prozentsatz der eigenen Stimmen von der Gesamtstimmenzahl) gleich dem Sitzanteil (Prozentsatz der eigenen Sitze von der Gesamtsitzzahl) ist. Damit gewährleistet es die Einhaltung des Grundsatzes der gleichen Wahl. Im Gegensatz dazu begünstigen andere Verfahren größere Parteien und benachteiligen kleinere (insbesondere D’Hondt-Verfahren, in der Schweiz Hagenbach-Bischoff-Verfahren) oder umgekehrt (insbesondere Adams-Verfahren).

Das Hare-Niemeyer-Verfahren zeichnet sich − wie alle Quotenverfahren – durch die Unverletzlichkeit der Quotenbedingung aus: Danach kann keine Partei mehr Sitze erhalten, als es ihrer auf die nächste ganze Zahl aufgerundeten Quote entspricht. Gleichzeitig kann keine Partei weniger Sitze erhalten, als es ihrer auf die nächste ganze Zahl abgerundeten Quote entspricht. Dieser Vorteil ist bei den Divisorverfahren nicht gegeben.


Der Nachteil des Verfahrens besteht in der aus der Quotenbedingung resultierenden Inkonsistenz, die zu Verteilungsparadoxien führen kann:

  • Das Alabama-Paradoxon und das unmittelbar aus ihm resultierende Sperrklauselparadoxon und Ausgleichsmandatsparadoxon
  • Das Wählerzuwachsparadoxon, welches allerdings keine Eigenheit des Hare-Niemeyer-Verfahrens ist, sondern bei allen Quotenverfahren auftreten kann.

Siehe auch

Weblinks


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