Hara (Gottheit)

Hara (Gottheit)
Statue von Shiva in Bangalore, 22. Dezember 2005

Shiva (Sanskrit, शिव Śiva [ɕɪvʌ]; wörtl.: „Der Gütige“,) ist eine der wichtigsten Formen des Göttlichen im Hinduismus. Im Shivaismus gilt er den Gläubigen als die wichtigste Manifestation des Höchsten.

Als Bestandteil der „hinduistischen Trinität“ (Trimurti) mit den drei Aspekten des Göttlichen als Brahma, der als Schöpfer gilt, und Vishnu, dem Bewahrer, verkörpert Shiva das Prinzip der Zerstörung. Außerhalb der Trinität verkörpert er aber alles, Schöpfung und Neubeginn ebenso wie Erhaltung und Zerstörung. Shiva ist unter vielen verschiedenen Namen bekannt; im Shiva-Purana sind 1008 Namen angeführt, die sich jeweils auf ein Attribut von Shiva beziehen. Häufige Beinamen sind Mahadeva („Großer Gott“), Nataraja („König des Tanzes“), Bhairava, („der Schreckliche“), Mahesha („höchster Herr“), Nilakantha („der mit dem blauen Hals“, bezieht sich u. a. auf den Mythos vom Milchozean), Pashupati („Herr aller Wesen“), Rudra („der Wilde", „der Schreckliche“), Shankara („der segensreich Wirkende“) und Vishwanatha („Herr des Universums“).

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung und Legende

Die Hinduistische Ikonographie stellt Shiva meist mit weißer oder aschegrauer Haut dar – oft mit blauem Hals als Nilakanta, dann ist er der Retter, der das Gift des Urmeeres getrunken und dadurch das Universum errettet hat. Auf seiner Stirn befindet sich das dritte Auge und drei waagerechte Aschestriche. Oft schlingt sich eine Schlange um seinen Hals, aus dem langen und offenem Haar ragt eine Mondsichel. Gelegentlich sieht man Wasser aus seinem Haar fließen, welches die Göttin Ganga (Gangesfluss) darstellt, die nach der Mythologie vom Himmel sprang, von seinem Haar aufgefangen wurde und dadurch sanft auf die Erde rann. Die meisten Darstellungen zeigen Shiva mit seinem Dreizack Trishul und der Sanduhrtrommel Damaru in der rechten Hand.

Zusammen mit Shiva werden oft sein Reittier, Vahana, der Stier Nandi, seine Frau Parvati, seine Söhne Kartikeya bzw. Murugan (nord-/südindisch) oder Ganesha abgebildet. Die Dreiheit Shiva/Parvati/Ganesha gilt als göttliche Familie.

Nach der Legende hat Shivas Gattin Parvati während seiner Abwesenheit einen Sohn modelliert und zum Leben erweckt, damit sie eine eigene Wache habe. Sie bat ihren Sohn, an der Tür zu wachen, während sie badete. Ganesha, wie er später genannt wurde, verwehrte auch Shiva den Eintritt und dieser schlug ihm den Kopf ab. Aus Reue für die Tat erweckte er ihn wieder zum Leben, indem er einen Elefanten tötete, und ihm dessen Haupt anstelle aufsetzte. (Die Geschichte gibt es in sehr vielen Variationen.)

Shiva war jedoch nicht immer mit Parvati verheiratet. Es heißt, in erster Ehe sei er mit Sati verheiratet gewesen. Aufgrund seines ungewöhnlichen Lebensstil als Asket kam es jedoch zu einem Konflikt zwischen Satis Vater Daksha und Shiva, sodass das Ehepaar nicht zu einem großen Opferfest eingeladen wurde. Sati war in ihrem Stolz als Ehefrau so gekränkt, dass sie sich bei lebendigem Leib verbrannte, um die Ehre ihres Mannes wiederherzustellen. Nachdem sie dies getan hatte, verschlang sie die Erde und Sati wurde unter dem Namen Parvati wieder geboren. Nach dem Tod seiner Frau hatte sich Shiva in eine ewige Meditation versenkt, aus der ihn nichts heraus holen konnte. Um ihren Gemahl zurückzugewinnen, stand Parvati Millionen Jahre auf einem Bein und Pflanzen wuchsen an ihr empor, sodass sie selbst zum Baum wurde. Shiva war so von dieser Frau gerührt, die er nicht wieder erkannt hatte, dass er aus seiner Ekstase aufwachte und diese Frau heiratete.

Shiva als Nataraja, tanzend auf dem Apasmara (Chola, 11. Jhd.)

Einige Puranas bezeichnen Shiva als höchste Manifestation des Einen, weswegen er auch Mahadeva, „der große Gott“ genannt wird. Shiva gilt auch als Gott der Asketen, der auf seinem Berg Kailash in tiefste Meditation versunken verharrt. Er ist der Gott der Gegensätze: Bildet er einerseits mit Parvati und Ganesha die Heilige Familie, erscheint er andererseits als großer Asket. Verkörpert er einerseits die Zerstörung, sehen Gläubige in ihm gleichzeitig den allgegenwärtigen Gnädigen, der das schlechte Karma seiner Verehrer tilgt.

Häufig wird Shiva als Nataraja, „König des Tanzes“ im „kosmischen Tanz“ dargestellt, tanzend auf dem 'Dämon der Unwissenheit', Apasmara. Im Tanz zerstört Shiva die Unwissenheit und das Universum und schafft es wieder neu. Hier drücken meist vier oder acht, gelegentlich auch mehr Arme seine kosmischen Tätigkeiten aus. Eine Hand deutet die Schutz gewährende Mudra (Handstellung) an, die andere die Gnade gewährende, während seine anderen beiden Hände die kleine Trommel und ein Feuer tragen. Da es keine einheitliche hinduistische Ikonographie gibt, kann auch die Interpretation dieser Darstellung sehr unterschiedlich sein. Das Feuer ist jedoch meist ein Hinweis auf Vernichtung. Ananda Coomaraswamy fasst die Symbolik des Nataraja in einem Essay zusammen: „The essential significance of Shivas Dance is threefold: First, it is the image of his rhythmic play as the source of all movement within the cosmos, which is represested by the arch: Secondly, the purpose of his dance is to release the countless souls of men from the snare of illusion: Thirdly the place of the Dance, Chidambaram, the Centre of the Universe, is within the heart.“[1]

Linga-Puja in einem Tempel

In einer volkstümlichen, sehr populären Form wird Shiva in Gestalt eines Linga (Zeichen, Symbol) verehrt, eines konisch geformten Steins, oft als Phallus interpretiert. Unterschiedlichen Volksüberlieferungen zufolge gibt es in Indien etwa sieben bis zwölf wichtige Naturheiligtümer, Jyotirlingas, in denen jeweils ein von der Natur geformter Lingam steht, wie etwa in einer Höhle in Armanath im Himalaya, wo sich in bestimmten Zyklen eine Eissäule bildet und wieder schwindet. Diese Plätze sind wichtige Wallfahrtszentren.

Die Verehrung Shivas in Form des Linga ist möglicherweise auf den Einfluss anikonischer Steinkulte zurückzuführen. Die Schöpferkraft wird hier durch den Linga (oft als stilisierter Phallus interpretiert) und der Yoni (oft als stilisierte Vagina interpretiert) dargestellt. An Festtagen übergießen Gläubige in einer feierlichen Zeremonie den Linga zunächst mit einer Mischung aus Milch und Honig (symbolisch für Amrita, Trank der Unsterblichkeit) und dekorieren ihn anschließend mit Blumen. Der Höhepunkt der Zeremonie versinnbildlicht die „Unio mystica“, die Vereinigung zwischen dem Göttlichen und dem Weltlichen, zwischen Atman und Brahman, oder im tantrischen Shivaismus die Vereinigung von Linga und Yoni. Die meisten Hindus jedoch verehren ein Linga nicht im Bewusstsein, einen Phallus vor sich zu haben. Das Wort Linga bedeutet „Zeichen“, ein Zeichen, in dem alle Formen sich auflösen. Shivaitische Schriften betonen immer wieder die Formlosigkeit des Göttlichen. Daher wird Shiva von seinen Gläubigen selten in personhafter, sondern hauptsächlich in symbolischer Form, dem Linga oder dem Dreizack, verehrt.

Der wichtigste Feiertag zu Ehren Shivas ist Shivaratri, die „Nacht Shivas“ (auch Mahashivaratri genannt), bei dem die Verehrung des Linga im Mittelpunkt steht.

Anthropologische und historische Wurzeln

Die Hypothese von führenden Wissenschaftlern der Indus-Kultur wie Asko Parpola und Iravatham Mahadevan, dass Shiva ein Gott jener Hochkultur, respektive ein Gott der Draviden war, fand durch einen Harappa-Fund, dem Pashupati-Siegel, große Unterstützung.[2][3] Darauf sieht man eine Figur mit drei oder vier Gesichtern in jede Himmelsrichtung gerichtet neben Tieren im Lotossitz sitzen. Er scheint eine Art Kopfschmuck zu tragen. Daher kamen einige zu dem Schluss, es handle sich um Shiva in seinem Pashupati-Aspekt. Des Weiteren fand man an den Fundorten der Indus-Kultur Lingams, die eine sehr alte Verehrung, wie sie auch heute stattfindet, bezeugt. Die Theorie, dass Shiva ein nichtvedischer Gott ist, wird unter anderem auch mit einer Geschichte aus den Puranas erklärt, in der Shiva ein Vedabahya („außerhalb der Veden“) genannt wird. Tatsächlich erscheint der Name „Shiva“ auch nicht in den Veden. Für Gläubige in hinduistischen Traditionen ist Shiva oft mit Rudra identisch. So wurde dieser in der Svetasvatara Upanishad erstmals Shiva genannt.[4] Wissenschaftlich dagegen ist die Frage der Identität des vedischen Rudra mit Shiva umstritten. Historisch durch Inschriften und Münzfunde gesichert ist die Verehrung Shivas erst seit den Kushanas. Verbreitet ist der Shiva-Kult in Nordindien erst bei den Guptas (ca. 300 - 550 n.Chr.), in Südindien erst ab dem 7. Jahrhundert.[5] Vor allem in Südostasien Mitte des 1. Jahrtausends war die Gottheit Harihara verbreitet, die die Aspekte Shivas und Vishnus vereinigt.

Rezeption in Europa

Shiva und seine Gemahlin Parvati (Statue aus Marmor)

In der westlichen Interpretation wurde Shiva oft nur die Rolle als Weltzerstörer zugeschrieben, und er wurde einseitig als Gott der Asketen und Sadhus interpretiert. Seine Rolle besteht jedoch sowohl im Erhalt als auch in der Zerstörung der Welt. Wenn Shivas Tanz aufhört, so sagen überzeugte Shivaiten, dann geht die Welt unter, aber Shivas Tanz wird nie aufhören, also wird die Welt nie untergehen. Daher ist Shiva, insbesondere in seiner Form als Nataraja, der Inbegriff und die Repräsentation des zyklischen Zeitverständnisses gläubiger Hindus.

In der Neotantra-Szene wird Shiva synonym zu Mann gebraucht. Shiva wurde zunächst zum „Lieblingsgott“ der Hippies, die in den späten 60er Jahren nach Indien reisten. Viele fühlten sich vielleicht auch davon angezogen, dass eines der Kräuter, die Shiva zugeordnet werden, Ganja ist (Hanf, Marihuana).

Einzelnachweise

  1. Ananda Coomaraswamy, The Dance of Shiva, http://www.integral-yoga.de./Natya-Yoga/coomaraswamy.html
  2. http://www.harappa.com/script/parpola16.html
  3. http://www.harappa.com/script/maha15.html
  4. Michaels, Axel (2004):Hinduism: Past and Present. Princeton, New Jersey: Princeton University Press., Seite 217.
  5. Axel Michaels, Der Hinduismus, München, 2006: S. 240.

Quellen

  • Swami Harshananda: Hindu Gods and Goddesses. Sri Ramakrishna Math, Madras 1981.
  • R.C. Zaehner: Der Hinduismus. Seine Geschichte und seine Lehre. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1979.

Literatur

  • Axel Michaels: Der Hinduismus. C.H. Beck, München 2006.
  • Wolf-Dieter Storl: Shiva. Der wilde, gütige Gott. Koha, Burgrein 2002, ISBN 3929512904.


Weblinks

Siehe auch


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