Hanns Martin Schleyer

Hanns Martin Schleyer
Hanns Martin Schleyer (1973)

Hanns Martin Schleyer (* 1. Mai 1915 in Offenburg; † 18. Oktober 1977 in Hem bei Lille[1]) war ein deutscher NS-Funktionär und nach 1945 Manager und Wirtschaftsfunktionär. Er war von 1973 bis 1977 deutscher Arbeitgeberpräsident und Vorsitzender des BDI.

Seine Entführung und Ermordung durch die Rote Armee Fraktion (RAF) während des so genannten Deutschen Herbstes war der Höhepunkt einer der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schleyer war der einzige Sohn des Landgerichtsdirektors Ernst Schleyer und dessen Frau Helene (geborene Rheitinger). In der Geburtsurkunde wird sein erster Vorname Hans mit nur einem n eingetragen. Er selbst schrieb zeitlebens aber Hanns Martin Schleyer.

Zeit des Nationalsozialismus

Nach dem Abitur, das er 1933 in Rastatt ablegte, studierte Schleyer Rechtswissenschaft an der Universität Heidelberg. Dort trat er – nachdem er als Schüler bereits Mitglied der Schülerverbindung „Teutonia 1842 zu Rastatt“ geworden war – 1934 dem Corps Suevia bei.[2] Im Frühjahr 1935 warf Schleyer seinem Corps, als dieses sich weigerte, jüdische Altherren auszuschließen, „mangelnde nationalsozialistische Gesinnung“ vor, und trat unter öffentlichem Protest aus.[3], woraufhin er vom Corpsburschen-Convent der Suevia „c. i.“ exkludiert wurde („c. i.“ – „exclusio cum infamia“, also Ausschluss mit Schimpf und Schande). Während der Auseinandersetzung um das Heidelberger Spargelessen vertrat er entschieden den Standpunkt des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes. Erst nach dem Krieg wurde er wieder in das Corps aufgenommen, später auch Vorsitzender des Altherrenvereins und am 15. Oktober 1977 zum Ehrenmitglied gewählt[4].

Nach Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend ab 1931 wurde er am 1. Juli 1933 Mitglied der SS (Nr. 227.014).[5] Während des Studiums engagierte er sich in der NS-Studentenbewegung und fand im Heidelberger Studentenführer und späteren Gauleiter Gustav Adolf Scheel einen ersten wichtigen Mentor. Schleyer wurde Funktionär in der nationalsozialistischen Studentenschaft. Er trat am 1. Mai 1937 in die NSDAP ein (Nr. 5.056.527)[5] und wurde ab dem Sommersemester desselben Jahres Leiter des Heidelberger Studentenwerkes. 1938 beendete er sein Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen. Nach dem Anschluss Österreichs war er ab dem Sommersemester 1938 auf besonderen Wunsch Scheels, mittlerweile Reichsstudentenführer, Leiter des Studentenwerks an der Universität Innsbruck. 1939 erfolgte dort seine Promotion zum „Dr. jur.“ nach österreichischem Recht. Ab Sommer 1940 leistete er seinen Wehrdienst in der Endphase des Westfeldzugs und danach im besetzten Frankreich ab, aus dem er wegen einer im Herbst 1940 erlittenen Verletzung schon im Mai 1941 als dienstuntauglich entlassen wurde.[6]

Im Juli 1941 übernahm Schleyer die Leitung des Studentenwerks der „Deutschen Karls-Universität in Prag“, nach der Sonderaktion Prag waren 1939 im Protektorat Böhmen und Mähren alle tschechischen Universitäten geschlossen worden.

Am 1. April 1943 trat er als Sachbearbeiter in den „Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren“ ein. Der Verband war unter anderem für die „Arisierung“ der tschechischen Wirtschaft und die Beschaffung von Zwangsarbeitern für das Deutsche Reich zuständig. Hier wurde er dann später Leiter des Präsidialbüros und persönlicher Sekretär des Präsidenten Bernhard Adolf.[7]

Nachkriegszeit

Anfang Mai 1945, bei oder kurz vor Ausbruch des tschechischen Aufstandes, verließ Schleyer Prag und floh zu seinen Eltern nach Konstanz. Hier wurde er am 18. Juli 1945 vom französischen Militär verhaftet und kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Aufgrund seines SS-Rangs als Untersturmführer blieb er drei Jahre lang in Baden interniert. Am 24. April 1948 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er zunächst als Minderbelasteter eingestuft. Hiergegen legte Schleyer Widerspruch ein, im Revisionsverfahren wurde er im Dezember 1948 als Mitläufer eingestuft. Schleyer hatte bei seinen Angaben zur Person einen niedrigeren Dienstgrad angegeben, um das mögliche Strafmaß zu reduzieren: Aus seinem SS-Rang des Untersturmführers machte er den Rang Oberscharführer.[8]

Am 1. März 1949 begann er seine Tätigkeit als Referent bei der Industrie- und Handelskammer Baden-Baden.

Zum 1. Oktober 1951 wechselte er als Sachbearbeiter zur Daimler-Benz AG. Hier übernahm er im Mai 1953 die Leitung des Hauptsekretariats und war zugleich Assistent des Vorstandsvorsitzenden Fritz Könecke. Durch Protektion Köneckes stieg er rasch auf; ab dem 1. Januar 1956 war er Leiter der Personalabteilung, und zum 1. Januar 1959 wurde er als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand berufen. Ab dem 1. Oktober 1963 war er dann ordentliches Vorstandsmitglied, zuständig für das Ressort Personal- und Sozialwesen. Von 1968 bis 1971 war ihm außerdem das Ressort Unternehmensplanung übertragen, das er aber wegen der Wahl von Joachim Zahn zum Vorstandsvorsitzenden – ein Amt, das Schleyer ebenfalls anstrebte – abgab.

Bundeskanzler Helmut Schmidt (links) empfängt 1974 Hanns Martin Schleyer

Nach dieser Niederlage konzentrierte sich Schleyer, der anders als Zahn den Ausbau der Nutzfahrzeugsparte bei Daimler forcieren wollte, verstärkt auf seine Arbeit für die Arbeitgeberverbände. Von 1962 bis 1968 war er Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg. Am 6. Dezember 1973 wurde Schleyer zum Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gewählt. Ab dem 1. Januar 1977 amtierte er zusätzlich als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

1970 trat Schleyer in die CDU ein. Am 12. Februar 1970 wurde er zum Ehrensenator der Universität Innsbruck ernannt.

Schleyer war auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Pegulan-Werke AG, die sein Studienfreund und Corpsbruder Fritz Ries nach dem Krieg aufbaute.[9]

Durch seine harte Haltung in den Arbeitskämpfen der 1960er Jahre – umstritten sind etwa die Aussperrungen 1963 – und seine nationalsozialistische Vergangenheit avancierte Schleyer zum Feindbild für die Gewerkschaften und die gesamte Linke. Er beklagte die mangelnde unternehmerische Freiheit im Nachkriegsdeutschland und sah noch in den 1970er Jahren in der Mitbestimmung ein kommunistisches Machwerk.[10]

Entführung und Ermordung

Hauptartikel: Schleyer-Entführung

Am 5. September 1977 – während des sogenannten „Deutschen Herbsts“ – wurde Schleyer in Köln-Lindenthal von dem RAF-Kommando „Siegfried Hausner“ entführt. Sein Fahrer und drei Leibwächter in einem nachfolgenden Auto wurden erschossen; Schleyer selbst wurde verschleppt. Schleyers Entführer forderten von der Bundesregierung die Freilassung von elf in der BRD inhaftierten RAF-Mitgliedern. Die Regierung unter der Führung von Kanzler Helmut Schmidt entschied sich, nicht auf die Forderungen der Entführer einzugehen. Sie blieb auch nach der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut" am 13. Oktober 1977 bei ihrer harten Haltung. Die „Landshut" wurde fünf Tage später auf dem Flughafen Mogadischu von der Grenzschutzgruppe 9 gestürmt und die Geiseln befreit. In derselben Nacht begingen in der JVA Stuttgart drei RAF-Gefangene Selbstmord (Todesnacht von Stammheim). Das RAF-Kommando ermordete daraufhin Schleyer, dessen Leiche am 19. Oktober 1977 in Mülhausen (Frankreich) im Kofferraum eines Audi 100 aufgefunden wurde.[11] Die Identität des Mörders wird von den noch lebenden Beteiligten der Entführung bis heute geheim gehalten. Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel und in einer TV-Dokumentation schilderte das Ex-RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock im September 2007, dass Rolf Heißler und Stefan Wisniewski die Täter gewesen seien.[12]

Von den 20 identifizierten Personen des Täterkreises wurden 17 gefasst und rechtskräftig verurteilt, zwei bei der Verhaftung erschossen. Lediglich eine Person konnte nicht gefasst werden und gilt als verschollen.

Nach Schleyers Tod

Gedenkstelle in Köln

Vor der Beerdigung Schleyers auf dem Ostfilderfriedhof in Stuttgart-Sillenbuch fand am 25. Oktober 1977 in Stuttgart unter großer Aufmerksamkeit der Medien ein Staatsakt statt, bei dem fast alle führenden deutschen Politiker anwesend waren.[13] Die Beileidsbekundung von Bundeskanzler Helmut Schmidt bei Schleyers Witwe wurde teils auch als eine Art Entschuldigung verstanden – die Angehörigen Schleyers waren mit der harten Haltung der Bundesregierung nicht einverstanden. Sie hatten bereits ein Lösegeld von 15 Millionen DM bereitgestellt. Als dessen Übergabe durch die Behörden verhindert wurde, stellte Schleyers Sohn Hanns-Eberhard einen Antrag auf Anordnung der Freilassung der RAF-Häftlinge beim Bundesverfassungsgericht, der wenige Stunden vor Ablauf des letzten RAF-Ultimatums abgelehnt wurde.

1977 gründeten der BDA und der BDI die Hanns Martin Schleyer-Stiftung, die heute hauptsächlich junge Wissenschaftler im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften fördert. In Stuttgart-Bad Cannstatt wurde 1983 die Hanns-Martin-Schleyer-Halle eingeweiht. In vielen Städten Westdeutschlands wurden Straßen nach Schleyer benannt.

Familie

Hanns Martin Schleyer war über seinen Großvater verwandt mit dem Schöpfer der Plansprache Volapük, dem Prälaten Johann Martin Schleyer.

Seit dem 21. Oktober 1939 war Schleyer mit Waltrude Schleyer (geborene Ketterer, * 1916; † 21. März 2008), der Tochter des Arztes Emil Ketterer (SA-Obergruppenführer und Stadtrat in München) verheiratet. Aus ihrer Ehe gingen vier Söhne hervor: Hanns-Eberhard (* 1944), Arnd (* 1949), Dirk (* 1952) und Jörg (* 1954).

Schleyers Witwe und vor allem sein Sohn Hanns-Eberhard, der von 1989 bis 2009 Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks war, haben sich immer wieder als Vertreter der RAF-Opfer in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet, etwa in der Diskussion um eine Ausstellung über die RAF, die von Januar bis Mai 2005 in Berlin stattfand.

Literatur

Filme

Weblinks

 Commons: Hanns Martin Schleyer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Willi Winkler: Die Geschichte der RAF, 2. Aufl., Hamburg 2008, S. 349.
  2. Kösener Corpslisten 1960, 67, 1085
  3. Nadine Chmura: Biographie: Hanns Martin Schleyer. Deutsches Historisches Museum, abgerufen am 25. Dezember 2008.
  4. Armin Danco: Gelbbuch des Corps Suevia zu Heidelberg. 3. Auflage, Heidelberg 1985, S. 229.
  5. a b Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 525.
  6. Lutz Hachmeister: Schleyer. Eine deutsche Geschichte, München 2004, S. 173–176
  7. eine Veröffentlichung im Bestand der DNB
  8. Aus dem Tod heraus erklärt sich nichts, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 2004, Nr. 71, Seite L16.
  9. Heinz-Klaus Mertes: Der Bund fürs Leben. In: manager magazin 06/1975, S. 74–77.
  10. Hermann G. Abmayr in: Freitag 2007 Nr. 51/52, S. 22
  11. Dokumentation des BMI „Entführung und Ermordung von Dr. Hanns Martin Schleyer“
  12. Patricia Dreyer: Boock nennt Namen von Schleyers mutmaßlichen Mördern. In: Der Spiegel. 7. September 2007, abgerufen am 25. Dezember 2008.
  13. knerger.de: Das Grab von Hanns Martin Schleyer

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