Hamburg-Sturmflut

Hamburg-Sturmflut
Überflutete Siedlung im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg nach dem Sturm, 1962

Die Sturmflut von 1962 war eine Katastrophe an der deutschen Nordseeküste und an den Unterläufen von Elbe und Weser. Insgesamt waren 340 Tote zu beklagen.

An der deutschen Nordseeküste östlich von Bensersiel und in den Flussläufen von Elbe und Weser und ihren damals noch ungesicherten Nebenflüssen wurden hohe, vorher nicht beobachtete Wasserstände erreicht. Vor allem an den seit der Hollandsturmflut des Jahres 1953 noch nicht erhöhten Deichen in diesen Flussgebieten kam es zu schweren Schäden und zahllosen Deichbrüchen, wohingegen die Seedeiche trotz schwerer Schäden bis auf wenige Ausnahmen den Fluten stand hielten.

Außergewöhnlich schwer betroffen waren die Großstädte Hamburg und Bremen. In Hamburg wurde vor allem der Stadtteil Wilhelmsburg durch Deichbrüche in Mitleidenschaft gezogen; dort starben die meisten der in Hamburg insgesamt zu beklagenden 315 Todesopfer. Als Bombengeschädigte des Zweiten Weltkrieges wohnten sie noch in einstöckigen Behelfsheimen der dortigen Kleingartengebiete.

Inhaltsverzeichnis

Chronik der Katastrophe

Überflutete Straßenkreuzung in Wilhelmsburg, 1962
Überflutete Wohnhäuser in Wilhelmsburg, 1962
Überflutete Straße in Wilhelmsburg, 1962
Zerstörte Siedlung in Wilhelmsburg, 1962
Sturmflut-Denkmal am durch die Flut entstandenen Hohenwischer Brack in Hamburg-Francop, 2006

Auslöser war das Sturmtief Vincinette über dem südlichen Nordpolarmeer, das in Richtung Deutsche Bucht zog. Am Donnerstag, dem 15. Februar, wurde um 21 Uhr erstmals eine Sturmwarnung für die Nordsee mit Stärke 9 über Norddeich-Radio gesendet und die Sturmsignale in Küstenhäfen gesetzt. In den späten Abendstunden wurde eine starke Windzunahme an der gesamten deutschen Küste beobachtet. Am 16. Februar erreichte das Sturmfeld des von Island aus über das Europäische Nordmeer nach Südschweden ziehenden Orkantiefs die Nordsee. In den Seegebieten der nördlichen Nordsee traten Windgeschwindigkeiten jenseits des Messbereiches der damaligen Windmessgeräte auf[1]. Infolge des Sturmes gerieten zahlreiche Schiffe in der Nordsee in Seenot und funkten SOS, im Binnenland waren bereits am Mittag erste Todesopfer zu beklagen. Am Mittag des 16. Februar wurde dann die deutsche Nordseeküste von einer ersten Sturmflut heimgesucht, die in den Strom- und Flussgebieten von Ems, Weser und Elbe sowie deren Nebenflüssen die von Sommerdeichen umgebenen Speicherpolder füllte. In den Mittagsstunden drehte der Sturm auf nordwestliche Richtungen und nahm weiter zu, so dass bei der dem Mittagshochwasser nachfolgenden Ebbe das Wasser nur unwesentlich fiel. In Bremen und Hamburg entsprach das gegen 20 Uhr eintretende Niedrigwasser etwa dem normalen Tidehochwasser. In den Abendstunden verschärfte sich nach dem Durchzug der Kaltfront des Tiefs in der nun einströmenden sehr labilen Kaltluft polaren Ursprungs die Wetterlage dramatisch. Mit Durchzug eines Höhentrogs nahm der Wind aus nordwestlichen Richtungen auch im küstennahen Binnenland noch einmal stark zu, gleichzeitig traten vermehrt Gewitter- und Graupelschauer auf. Infolgedessen wurde die bisher bestehende Sturmflutwarnung des Deutschen Hydrographischen Institutes deutlich verschärft. Statt einer Erhöhung des Nachthochwassers an der deutschen Nordseeküste von etwa 2,5 bis 3 m wurde nun von einer Erhöhung von 3, später von 3 bis 3,5 m gewarnt, dies allerdings ausschließlich über den Rundfunk, nicht über das Fernsehen.

In den Flüssen wurde bereits in den späten Abendstunden ein sehr starkes Ansteigen der Wasserstände beobachtet. Gegen 21 Uhr mussten die Fähren an der Unterweser und Unterelbe ihren Betrieb einstellen. Erst zu diesem Zeitpunkt erkannte man bei den zuständigen Behörden in Hamburg die drohende Gefahr. Gegen Mitternacht wurden vielerorts die Kronen der noch nicht erhöhten Deiche erreicht und überströmt, wenig später brachen an der Elbe im Alten Land und in Hamburg die ersten Deiche an der Süderelbe.

Infolge massiver Störungen der Kommunikationsverbindungen war es nicht möglich, genaue Hinweise über das Ausmaß der Katastrophe in Hamburg zu bekommen und Rettungs- und Evakuierungsmaßnahmen noch während der Katastrophe in koordinierter Form durchzuführen.

Die Rolle des Hamburger Senators Helmut Schmidt

Der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt koordinierte als Hamburger Polizeisenator (heute: Innensenator) die Rettungsmaßnahmen. Noch in den Nachtstunden vom 16. auf den 17. Februar eilte er von einer Sitzung der Landesinnenminister in Berlin zurück nach Hamburg und übernahm in den frühen Morgenstunden die Koordination der Rettungsmaßnahmen. Nach den bis dahin eingegangenen Meldungen war zu befürchten, dass die Sturmflut allein in Hamburg mehrere tausend Tote gefordert habe bzw. fordern würde, wenn nicht schnellstmöglich auch militärische Hilfe in Anspruch genommen werde. Da Helmut Schmidt zuvor als Abgeordneter des Bundestages mit Verteidigungsangelegenheiten[2] befasst war und die meisten Kommandierenden der NATO persönlich kannte, konnte er noch am Morgen des 17. Februar, obwohl verfassungsrechtlich nicht dazu befugt, NATO-Streitkräfte und hier insbesondere Pioniertruppen mit Sturmbooten sowie 100 Hubschrauber der Bundeswehr und der Royal Air Force anfordern, welche die ca. 25.000 zivilen Helfer u.a. des Deutschen Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerkes und der schon seit Beginn der Katastrophe im Dauereinsatz befindlichen Feuerwehren unterstützten.

Schäden

Schäden in der Fährstraße in Wilhelmsburg nach der Flut, 1962

Als unmittelbare Folge der Sturmflut waren 318 Tote (davon 5 Helfer), zigtausende Obdachlose und etwa 6.000 zerstörte Gebäude zu beklagen. Knapp ein Sechstel des Hamburgischen Staatsgebietes (120 km²) stand unter Wasser, die Verkehrswege in Richtung Süden waren unterbrochen, die Grundversorgung eingeschränkt. Insgesamt entstand ein Sachschaden von etwa einer Dreiviertelmilliarde D-Mark. Der Stadtteil Waltershof wurde nach der Flut als Siedlungsort aufgegeben.

Sonstige betroffene Gebiete

Auch in Bremen brachen Deiche, so wurde das Niederungsgebiet der Ochtum vollständig überflutet und Bremen vom Stadtteil Bremen-Huchting getrennt. Durch das Hochwasser starben in Bremen auf dem Stadtwerder sowie im Kleingartengebiet am Wardamm in Huchting sieben Menschen, hunderte Anwohner mussten Notunterkünfte aufsuchen. Infolge der Flut wurde in Bremen das Wohnen in den Überschwemmungsgebieten verboten. Der Bremer Senat unter Wilhelm Kaisen errichtete den betroffenen Bewohnern Ersatzdomizile in hochwassergeschützen Stadtgebieten (z.B. Flutgeschädigtensiedlung in Huchting).

In Bremerhaven (Bereich Deutsches Schiffahrtsmuseum) und in Weddewarden konnte der bedrohte Weserdeich mit Hilfe des Technischen Hilfswerkes und der amerikanischen Streitkräfte gehalten werden.

Gedenkfeier

Zum Gedenken der Flutopfer fanden sich nach offiziellen Schätzungen über 150.000 Menschen am 26. Februar 1962 auf dem Hamburger Rathausmarkt zu einer großen Trauerfeier ein. Bundespräsident Heinrich Lübke und weitere Vertreter des Bundes und der Länder bekundeten ihre Anteilnahme. In einer Rede gedachte der damalige Erste Bürgermeister Paul Nevermann der Toten und dankte den Helfern. Für eine Schweigeminute ruhte jeglicher Verkehr im westlichen Norddeutschland.

Folgen

Denkmal mit den Höchstständen der Sturmfluten 1962 und 1976 in Hamburg-Nienstedten, 2008

Nach der Sturmflut wurden Katastrophenschutzpläne erarbeitet.

Eine Ingenieurskommission kam zu dem Schluss, dass vor allem bruchsichere Deiche erforderlich sind. Eine kurzfristige Überspülung zu niedriger Deiche sei nicht weiter gefährlich, da die Grabensysteme im Binnenland überströmendes Wasser abführen könnten.[3]

Die Sturmflut führte zu einer grundlegenden Planung des Küstenschutzes. Die Hochwasserschutzlinie wurde teilweise begradigt sowie Dämme neu gebaut. U. a. verlor der untere Süderelbearm (auch: Alte Süderelbe) seine Verbindung zum Mühlenberger Loch sowie zum Köhlbrand. Zahlreiche Deiche wurden verstärkt und auf Hamburger Gebiet sowie entlang der Unterelbe auf mindestens 7,2 m ü. NN deutlich erhöht. In Niedersachsen trat 1963 das Niedersächsische Deichschutzgesetz in Kraft, das 1965 zur Erhöhung und Verstärkung der etwa 575 km langen Küstendeiche in Niedersachsen führte. Dazu zählen auch die Deiche von etwa 35 km Länge auf den ostfriesischen Inseln. Obwohl eine weitere so genannte „Jahrhundertflut“ vom 3. Januar 1976 in Hamburg durchweg einen Meter höher auflief als 1962, hielten bis auf eine Stelle bei Hetlingen an der Unterelbe alle Deiche dem Wasserdruck stand. Bis 2010 soll durchgängig eine Mindesthöhe von 8,50 m – in Einzelfällen bis 9,00 m – erreicht sein.

Verarbeitung in den Medien

  • 1987, 25 Jahre nach der Katastrophe, strahlte das Fernsehen den Film Sturmflut (Regie: Lutz Büscher) aus.
  • 2005 entstand unter Federführung des NDR eine filmische Rekonstruktion der Ereignisse unter dem Titel „Die Nacht der großen Flut“, u.a. mit Ulrich Tukur als Helmut Schmidt [4].
  • Am 19./20. Februar 2006 strahlte der Privatsender RTL einen Zweiteiler unter dem Titel Die Sturmflut aus, der aber über weite Strecken ein reines Fantasieprodukt mit zahlreichen geschichtlichen Fehlern war.

Quellen

  1. "Windstärke konnte nicht mehr gemessen werden/Orkan fegte über MSB Meerkatze", Zeitungsausschnitt der Cuxhavener Nachrichten vom 7. März 1962 auf privater Webseite. Abgerufen am 20. August 2008.
  2. Lebenslauf von Helmut Schmidt auf der Webseite des Deutschen Historischen Museums. Abgerufen am 18. August 2008.
  3. Für diese Aussage fehlt ein Beleg.
  4. Fernsehfilm „Die Nacht der großen Flut (2005)“ auf german.imdb.com. Abgerufen am 18. August 2008.

Literatur

  • Hans Bütow (Hrsg.): Die große Flut in Hamburg. Eine Chronik der Katastrophe vom Februar 1962, Freie und Hansestadt Hamburg, Schulbehörde, o.J. (ca. 1963). 63 S., ohne ISBN
  • Alexander Schuller: Sturmflut über Hamburg. Die Nacht, in der eine Stadt ertrank – Ein Tatsachenroman, ISBN 3-453-40148-4
  • Uwe Sönnichsen / Hans-Werner Staritz: Trutz, blanke Hans – Bilddokumentation der Flutkatastrophen 1962 und 1976 in Schleswig-Holstein und Hamburg, ISBN 3-88042-055-6

Weblinks


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