Gustav Adolf Scheel

Gustav Adolf Scheel
Gustav Adolf Scheel

Gustav Adolf Scheel (* 22. November 1907 in Rosenberg, Baden; † 25. März 1979 in Hamburg) war ein deutscher Arzt und „Multifunktionär“ in der Zeit des Nationalsozialismus. Scheel war SA- und SS-Mitglied im Rang Obergruppenführer, Reichsstudentenführer, 1944 Reichsdozentenführer, Organisator des SD im Südwesten, Höherer SS- und Polizeiführer in Salzburg, Gauleiter in Salzburg ab November 1941, General der Waffen-SS und 1938 Mitglied des Reichstages (Wahlkreis Köln-Aachen). Als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD organisierte er im Oktober 1940 die Deportation der Karlsruher Juden. Seine SS-Mitgliedsnummer war 107.189. Durch Hitlers Politisches Testament formal dazu ernannt, war Scheel letzter Reichserziehungsminister.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Scheel, als Sohn eines evangelischen Pfarrers im nordbadischen Rosenberg geboren, besuchte in Mannheim das humanistische Karl-Friedrich-Gymnasium. Schon als Schüler engagierte er sich in nationalistischen Kreisen der deutschen Jugendbewegung.

Ab dem Sommersemester 1928 studierte er in Heidelberg Rechtswissenschaft, Volkswirtschaft und Theologie, um Pfarrer zu werden. Er intensivierte seine Mitarbeit in studentischen Zirkeln und trat im Wintersemester 1928/29 dem Verein Deutscher Studenten (VDSt) bei. Ein Jahr später war er Vorsitzender dieser Korporation.

1929 trat er dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB), am 1. Oktober 1930 der SA und am 1. Dezember 1930 der NSDAP bei. Er zog für kurze Zeit nach Tübingen und begann ein Medizinstudium, das er in Heidelberg fortsetzte. Nach Heidelberg zurückgekehrt, wurde er rasch zu einem der Hauptpropagandisten der Nationalsozialisten an der Hochschule. Als Hochschulgruppenführer des NSDStB leitete er die Kundgebungen der Heidelberger NS-Studenten gegen den Pazifisten Emil Gumbel, die 1932 zum Entzug von dessen Lehrberechtigung führten. Im Mai 1933 trat er als Redner bei der Heidelberger Bücherverbrennung auf.

Ebenfalls 1933 wurde Scheel Vorsitzender des Heidelberger AStA. In dieser Zeit wurde er Mentor von Hanns Martin Schleyer, der sich unter Scheels Anleitung der NSDAP und der SS anschloss.[1] Außerdem nahm Scheel in seiner Eigenschaft als Führer der Heidelberger Studentenschaft und Mitglied im Führungsstab des Rektors Einfluss auf die Berufungen und Personalpolitik der Universität.

1934 machte Scheel sein medizinisches Staatsexamen, wurde anschließend in die Bundesführung des NSDStB berufen und am 6. November 1936 zum Reichsstudentenführer ernannt – in dieser Eigenschaft Chef von NSDStB und Deutscher Studentenschaft in Personalunion. Scheel war seit 1935 verheiratet und Vater dreier Kinder.

Seit Juli 1934 Mitglied des SD, machte er innerhalb dieses NS-Geheimdienstes eine rasche Karriere. Zwischen 1935 und 1939 leitete er den SD-Oberabschnitt Südwest (Dienststelle: Stuttgart). Als ehemaliger Studentenfunktionär brachte er eine große Anzahl NS-Jungakademiker zum SD, die nach Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion hohe Positionen innehatten (Walter Stahlecker, Martin Sandberger, Erwin Weinmann, Albert Rapp, Erich Ehrlinger, Eugen Steimle). Alle genannten gingen danach den Weg über verschiedene Abteilungen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und wurden nach Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion Anführer verschiedener Einsatzgruppen.

Bei der Reichstagswahl am 29. März 1936 bewarb er sich erfolglos um ein Mandat.

Scheel stritt schon 1933 vehement für die Ausschließung von „Studenten jüdischer Abstammung“ von der „Nutznießung sozialer Einrichtungen an der Universität“. Im Sommer 1940 war er Befehlshaber der Sipo (Sicherheitspolizei) und des SD bei der Zivilverwaltung im Elsass und plante hier das KZ Natzweiler-Struthof als erstes KZ auf französischem Boden (2. Juli 1940): … unliebsame Elemente.. zu entfernen, macht die sofortige Errichtung von zwei Durchgangslagern und einem Konzentrationslager erforderlich. … Ein KZ für etwa 200 Personen ebenfalls in der Nähe Straßburgs. … In das KZ sollen Personen aufgenommen werden, die voraussichtlich für längere Zeit in diesem Lager verbleiben müssen … Den in ein … KZ einzuliefernden Personen ist bei ihrer Abholung aus den Wohnungen etwa eine Stunde Zeit zum Einpacken der mitzunehmenden Sachen zu lassen. … Mit der Durchführung der Festnahmeaktionen ist sofort nach Errichtung der Lager zu beginnen. Die gesamte SS-Gewalt im Elsass lag in seinen Händen. Seit dem 30. Juni waren zwei Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei mit einer Gesamtstärke von 260 Mann im Einsatz, die zunächst Haussuchungen bei Juden vornahmen, wobei allein in Straßburg über 400 jüdische Wohnungen beschlagnahmt, und das heißt die Bewohnerinnen und Bewohner deportiert wurden.

Im Oktober 1940 organisierte er die Deportation der Karlsruher Juden im Zuge der Wagner-Bürckel-Aktion.

Sein weiterer Aufstieg innerhalb des NS-Unterdrückungsapparates blieb rasant. 1941 war er bereits SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei. Scheel war vom 1. Mai 1941 bis 24. November 1941 Höherer SS- und Polizeiführer Alpenland und wurde am 27. November 1941 als Gauleiter und Reichsstatthalter des Reichsgaus Salzburg eingesetzt. Nach Aufdeckung von Widerstandsgruppen in Salzburg organisierte er dort eine groß angelegte Verhaftungswelle und mehrere Hinrichtungen von Eisenbahnern.

1943 setzte er sich beim Vorgehen gegen die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ dafür ein, dass deren Mitglieder „nicht als Studenten hingerichtet“ würden, sondern als „asoziale ehemalige Wehrmachtsangehörige“. Seiner Ansicht nach hätten diese „Verbrecher“ nicht das Bild der Studentenschaft beflecken dürfen.

Ab Ende Juni 1944 wurde Scheel als „Reichsdozentenführer“ Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes. Er trat hier die Nachfolge von Walter Schultze an.

Als nationalsozialistischer „Multifunktionär“ hatte Scheel (außer den schon genannten) folgende Funktionen inne:

Führer der Heidelberger Studentenschaft, Ehrensenator der Universität Heidelberg, Führer der SD-Schule Berlin, Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in Stuttgart, Führer des NS-Altherrenbundes, Vorsitzender des Reichsstudentenwerks, Präsident des Deutschen Studienwerks für Ausländer, Mitglied der Reichsarbeitskammer, Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD beim Chef der Zivilverwaltung im Elsaß, Mitglied des Reichstages, Führer des SD-Oberabschnitts Süd (München), Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD bei den höheren SS- und Polizeiführern Süd und Main, Höherer SS- und Polizeiführer, Führer des SS-Oberabschnitts Alpenland (Salzburg).

Als sich 1944/45 Deutschlands Niederlage abzeichnete, wurde er noch Führer des Volkssturms im Gau Salzburg. Am 29. April 1945 bestimmte ihn Adolf Hitler in seinem Testament zum Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Laut dem Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher hat Scheel auf dessen Bitten zu Kriegsende den Befehl zur Verteidigung der Stadt Salzburg widerrufen und damit die Zerstörung der Stadt verhindert.

Scheel galt in der Nachkriegszeit trotz seiner schweren Verbrechen als „Vorzeige-Nationalsozialist“, der die Studenten und Universitäten umsorgt und landesväterliche Züge aufgewiesen habe. In der jüngeren Forschung wird er differenzierter bewertet. Wegen fehlender Skandale und Affären und seiner Ablehnung von Korruption wird er günstiger als andere NS-Größen beurteilt. Auch die ihm zugute geschriebene Rettung Salzburgs wird meist positiv vermerkt.

Nach 1945

Nach der kampflosen Übergabe Salzburgs an die Amerikaner am 4. Mai floh Scheel. Er soll in jenen Tagen auch dem Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, der mit Hitler-Deutschland kooperiert hatte, die Flucht in die Schweiz ermöglicht haben. [2] In St. Veit stellte Scheel sich jedoch am 14. Mai 1945 den Amerikanern und wurde interniert. Nach mehreren Stationen in Lagern und Gefängnissen wurde er am 24. Dezember 1947 aus der Haft entlassen. Auf eigenen Antrag wurde er erneut interniert und nach Heidelberg zur Entnazifizierung verlegt. Von der dortigen Spruchkammer wurde er 1948 zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt und als „Hauptschuldiger“ eingestuft, man entzog ihm die ärztliche Approbation. Am 24. Dezember 1948 wurde er nach einem Berufungsverfahren als „Mitschuldiger“ eingestuft. Zu seinen Gunsten hatte unter anderem der Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher interveniert, da Scheel zum Ende des Krieges auf sein Bitten den Befehl zur Verteidigung der Stadt ignoriert und damit die drohende Zerstörung verhindert hatte. Scheel erhielt daraufhin die Approbation wieder und wurde entlassen.

Er arbeitete anschließend zunächst als Nachtarbeiter im Hamburger Hafen und war ab Sommer 1949 Arzt in einem Hamburger Krankenhaus, dann Assistenzarzt am Rautenberg-Krankenhaus in Hamburg.

1951 bis 1953 gehörte er zusammen mit anderen NS-Größen wie Werner Best zum „Naumann-Kreis“ und wurde im Januar 1953 von der britischen Polizei wegen des Verdachts des Aufbaus einer Geheimorganisation verhaftet und später deutschen Behörden übergeben. Ein Freund von ihm war in jener Zeit Alfred Eduard Frauenfeld.[3] Ein halbes Jahr verbrachte Scheel im Zuchthaus Werl und Gefängnis Karlsruhe. Am 17. Juni 1953 wurde er aus der Haft entlassen. Sein Verfahren wurde am 3. Dezember 1954 eingestellt.

Vom Februar 1954 bis zum 8. April 1977 war er niedergelassener Arzt in Hamburg. Scheel war mit Hanns Martin Schleyer bis zu dessen Tod eng befreundet.

Literatur

  • Birgit Arnold, „Deutscher Student, es ist nicht nötig, daß Du lebst, wohl aber, daß Du Deine Pflicht gegenüber Deinem Volk erfüllst.“ Gustav Adolf Scheel, Reichsstudentenführer und Gauleiter von Salzburg, in: Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hrsg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg, Konstanz 1997, S. 567-594.
  • Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 3. Aufl., DTV, München 1988, ISBN 3-608-91805-1
  • Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten. Droste Verlag, Düsseldorf, 1986. ISBN 3-7700-0710-7
  • Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wisssenschaftspolitik, Heidelberg 2004, S. 146.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ausführlicher dazu Lutz Hachmeister: Schleyer. Eine deutsche Geschichte. München 2004.
  2. www.spiegel.de
  3. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2007, S. 162. (Quelle: BA N 1080/272.)

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