Großgörschen 35

Großgörschen 35

Großgörschen 35 war eine von 1964 bis 1968 bestehende Selbsthilfegalerie Berliner Künstler in einer ehemaligen Fabriketage in Berlin-Schöneberg, benannt nach der Anschrift Großgörschenstraße 35. Sie gilt als eine der ersten so genannter Produzentengalerien und hatte Modellcharakter.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Unter dem Namen Großgörschen 35 schlossen sich 1964 in Berlin-Schöneberg sechzehn[1] Maler in einer Ausstellungsgemeinschaft zusammen:

Diese Künstler, die sich von ihrem Studium an der damaligen Hochschule der Künste Berlin kannten, hatten im Gegensatz zu einer Künstlergruppe wie z.B. Gruppe Zebra kein einheitliches künstlerisches Programm, das in einem Gründungsmanifest dargelegt wäre. Sie hatten jedoch ein gemeinsames Ziel: die „Überwindung gängiger Marktstrategien“, wie es Franz-Rudolf Knubel 1989 im Katalog zu der Ausstellung der Berlinischen Galerie Stationen der Moderne formulierte,[2] da sie auf dem damaligen offiziellen Kunstmarkt keine Chancen hatten.

Die Künstler mieteten in Schöneberg einen leerstehenden Gewerberaum (ehemalige Sargfabrik im Hinterhof), richteten ihn als Ausstellungsraum her und trugen die Finanzierung gemeinsam.

Gemeinsamkeiten bestanden in ihrer malerischen Ausbildung bei Lehrern wie Mac Zimmermann, Harry Kögler, Fred Thieler, Werner Volkert, Ludwig Gabriel Schrieber, Hann Trier, Max Kaus, Otto Coester, Ernst Fritsch. Es bestanden jedoch mehr „Gegenüberstellungen als Gemeinsamkeiten“[3], einige malten informell, andere noch oder wieder gegenständlich. Besonders die späteren, bezahlenden Gastaussteller lassen wenig von einer Verbindung mit den ersten „Großgörschenern“ (der Großgörschen-Bande) erkennen.

Das erste Jahr der Gruppe gilt als bedeutend, weil, Zitat nach Ursula Prinz, „sie die wichtigsten jungen Künstler der Zeit, die später zu unterschiedlichem Ruhm gelangen sollten, zusammenfaßte und bekannt machte.“ Und weiter: „Es war der Beginn einer Erneuerung der Kunst, die bis heute ihren Stellenwert in der neueren Kunstgeschichte nicht nur behalten hat sondern noch immer fortwirkt.“[4]

Nach einem Jahr bereits verließen Hödicke, Lüpertz und Wintersberger die Gruppe, während Gäste wie Bernd Koberling, Edwin Dickman und Eberhard Franke hinzukamen. Die Grenze zwischen Mitgliedern und Gästen war nicht immer abzustecken, so dass in vielen Künstlerbiografien der „Mythos“ von Großgörschen 35 nicht immer zu Recht verankert ist.

Eva und Lothar C. Poll stießen 1966 unterstützend dazu, Lothar C. Poll wurde 1966 ehrenamtlicher Geschäftsführer, die Gruppe wurde in das Vereinsregister eingetragen. Die fortschreitende Auflösung der Gruppe führte u.a. zur Gründung der Galerie Eva Poll in Berlin. Erst Jahre später haben sich einzelne Teilnehmer, darunter vor allem Sorge, Diehl, Petrick, Berges, Albert, die auch unter der Bezeichnung „Kritischer Realismus“ geführt werden, zur „Gruppe Aspekt“ zusammengeschlossen. Der Kunstkritiker Heinz Ohff, einer der wichtigsten damaligen Unterstützer, schreibt dazu im Magazin Kunst, 1976: „Aus Großgörschen wächst eine speziell Berliner Nachkriegskunstrichtung, der sowohl von Dada als auch von realistischer Tradition beeinflußte Kritische Realismus.“[5]

Veröffentlichungen

GROSSGÖRSCHEN DRUCKE I, rote Leinenkassette mit aufgelegtem Deckeltitel, 32 x 33 cm, eine gefaltete Doppelseite Text und 12 signierte, datierte und nummerierte Originalgrafiken, Auflage: 50 Exemplare, zusätzlich 25 Exemplare I-XXV, Künstler: Ulrich Baehr, Werner Berges, Hans Jürgen Burgaller, Hans Jürgen Diehl, Leiv Warren Donnan, Hans-Georg Dornhege, Eduard Franoszek, Franz-Rudolf Knubel, Reinhard Lange, Wolfgang Petrick, Peter Sorge, Arnulf Spengler. Erste Veröffentlichung der GROSSGÖRSCHEN-DRUCKE, Berlin, September 1966

Die Ausstellungen

Zwischen dem 16. Juni 1964 und dem 11. Juli 1965 fanden in rascher Folge vierzehn[6] Ausstellungen, beginnend mit K.H. Hödicke, statt, die über Berlin hinaus viel Aufmerksamkeit erregten. Bis Ende 1968 folgten noch rund 36 weitere Ausstellungen.

Ausstellungsjahr 1964

  • Karl Horst Hödicke: Malerei und Graphik, 16. Juni - 6. Juli. Einzelausstellung, z.B. mit dem Werk: Windowpaines, hierfür Deutscher Kunstpreis der Jugend 1964, Mannheim
  • Graphik, Gemeinschaftsausstellung Lange, Petrick, Sorge, Spengler, Zeller
  • Edwin Dickmann, Eberhard Franke: Malerei, Graphik
  • Hans-Jürgen Diehl: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Ulrich Baehr: Malerei. Einzelausstellung

Ausstellungsjahr 1965

  • Bernd Koberling: Malerei. Einzelausstellung
  • Wolfgang Petrick: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Markus Lüpertz: Dithyrambische Malerei, z. B. mit dem Werk: Panzerknacker AG (aus der 1963 begonnenen Donald Duck Serie). Einzelausstellung
  • Lambert Maria Wintersberger: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Peter Sorge, Leiv Warren Donnan: Malerei, Graphik
  • Hans Jürgen Burggaller: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Arnulf Spengler: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Reinhard Lange: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Retrospektive 1964/65 - Ein Jahr Großgörschen 35. 24. September bis 24. Oktober 1965. Gruppenausstellung
  • Franz Rudolf Knubel: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Hans Georg Dornhege: Malerei, Graphik. Einzelausstellung

Ausstellungsjahr 1966

  • Eberhard Franoszek: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Leiv Warren Donnan, Markus Lüpertz: Frühling 66
  • Ulrich Baehr, 15. April - 8. Mai. Einzelausstellung
  • Hans-Jürgen Diehl, 21. Mai 1966 - 15. Juni. Einzelausstellung
  • Rühl: Malerei. Einzelausstellung
  • Peter Sorge: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Handzeichnungen der Gruppe
  • Werner Berges: Malerei und Graphik. Einzelausstellung
  • Siegfried Kischko: Handzeichnungen, 11. November - 27. November. Einzelausstellung
  • Reinhard Lettau: Lesung
  • Leiv Warren Donnan: Malerei, Graphik, 2. Dezember - 22. Dezember. Einzelausstellung
  • Oberbaumpresse: Lesung Peter Handke

Ausstellungsjahr 1967

  • Arnulf Rainer: Graphik. Einzelausstellung
  • Lesung: H. C. Artmann, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Gerhard Rühm
  • Hans Wilhelm Sotrop: Malerei und Handzeichnungen, 10. Februar - 26. Februar. Einzelausstellung
  • Erhart Wagner: Malerei, Reliefbilder, Plastik. Einzelausstellung
  • Hermann Albert: Malerei, 14. April - 30. April. Einzelausstellung
  • Siegfried Neuenhausen: Reliefbilder, Graphik. Einzelausstellung
  • Wolf Kahlen: Hommage a McLuhan, Raumsegmente und Umbilder, 2. Juni - 30. Juni. Einzelausstellung
  • Hommage à Axel Springer.
  • Peter Tuma: Graphik. Einzelausstellung
  • Graphik 67. Gemeinschaftsausstellung (Albert, Asmus, Barge, Berges, Peter Benkert, Burggaller, Damke, Donnan, Dornhege, Franoszek, Knopp, Kischko, Krüll, Kürschner, Lange, Nagel, Neuenhausen, Sorge, Spengler, Nikolaus Störtenbecker)
Auswärtig
  • Sezession Großgörschen 35 (Baehr, Berges, Diehl, Petrick, Sorge): Ausstellung Handzeichnungen. 11. März - 14. April. Galerie Junge Generation Hamburg
  • Handzeichnungen, Großgörschen 35. Ulrich Baehr u. a. Mai - Juni. Galerie für Graphikfreunde, Frankfurt, Main

Ausstellungsjahr 1968

  • Joachim Palm, 12. Januar - 28. Januar. Zusammen mit Schönholz
  • Tilmann Lehnert: Lesung
  • Maina-Miriam Munsky: Malerei. Einzelausstellung
  • Gerhard Rühm: Lesung
  • Reinhard Lange: Blätter und Bilder, 8. März -24. März. Einzelausstellung
  • Eberhard Franoszek: Malerei, Graphik. Einzelausstellung
  • Michael Jens Barge, 10. Mai - 2. Juni. Einzelausstellung
  • Mienske Janssen: Malerei. Einzelausstellung
  • Heimrad Prem, Y. Fongi: Objekte, Bilder, Graphik
  • Gruppe Zebra Hamburg: Asmus, Nagel, Störtenbecker, Ullrich, September - Oktober. Wanderausstellung, Gäste
  • Retrospektive Grossgörschen 35. 31. Oktober - 24. November. Ehemalige Räume der Galerie des XX. Jahrhunderts, Jebensstraße Nr. 2

Literatur

  • Retrospektive 1964/65 - Ein Jahr Großgörschen 35. Fahle, Münster 1965. ([35 Bl.]) Ausstellung vom 24. September bis 24. Oktober 1965. (Der grüne Katalog).
  • Retrospektive Großgörschen 35. Großgörschen 35 Berlin und der Senator für Wissenschaft und Kunst, Berlin 1968. ([56 Bl.]). In den Räumen der Galerie des 20. Jahrhunderts 31. Oktober - 24. November 1968.
  • Heinz Ohff: Galerie Großgörschen, Berlin, Jebenstrasse (1.11.-24.11.). In: Das Kunstwerk. Kohlhammer, Stuttgart u.a., ISSN 0023-561x, 22, 1968/69, 5/6, S. 81
  • Die Kunst muss dem Bürger im Nacken sitzen, wie der Löwe dem Gaul: 8 Selbstorganisationsmodelle: Großgörschen 35 Berlin, Zehn Neun, Gruppe Werkstatt Hamburg, Zeltschule Hamburg, Edition Staeck, Reflection Press Albrecht D., Augenladen Bernhard Sandfort, 7. Produzentengalerie. 7. Produzentengalerie, Berlin 1975 ([62 S.]).
  • Heinz Ohff: Von Großgörschen zur Quergalerie: die Berliner Selbsthilfegalerien. In: Das Kunstwerk. Kohlhammer, Stuttgart u.a., ISSN 0023-561x, 38, 1985, 4/5, S. 136-143
  • Großgörschen 35 hat Geburtstag: 1964-1989, Galerie Eva Poll Berlin. Galerie Poll, Berlin 1989. ([20 Bl.]) (POLLeditionen; Bd. 21)
  • Edwin Dickman & Eberhard Franke und vierzig und ein Jahr Großgörschen 35: Ausstellung 15. Juli - 1. Oktober 2005, Galerie Taube. Galerie Taube, Berlin 2005([8 Bl.]). Mit einer vorläufig ersten Liste der Ausstellungen.
  • Ekhard Haack & Lothar C. Poll (Hrsg.): Schreiben für die Kunst. Lesebuch Heinz Ohff. Polleditionen, Berlin 2007, ISBN 978-3-931-75900-1, S. 114-115 (zur Ausstellung Hommage à Axel Springer, 1967)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Einige Quellen nennen: vierzehn
  2. Stationen der Moderne : die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Nicolai, Berlin 1989, ISBN 3-87584-256-1
  3. Retrospektive 1964/65 - Ein Jahr Großgörschen 35. 1965.
  4. Großgörschen 35 40 PLUS I MINUS Ein Stück West-Berlin 1964-1968 (Galerie Eva Poll), abgerufen 5. Juli 2010
  5. Heinz Ohff: Die Muse küsst den widerstrebenden Bären. In: Magazin Kunst. Mainz, ISSN 0340-1626, Jg. 16, 1976, Nr. 3 (Themenheft: Kunst in Berlin), S. 63-68, Zitat S. 66
  6. In anderer Zählung auch elf

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