Großes Kantō-Erdbeben

Großes Kantō-Erdbeben

Das Große Kantō-Erdbeben (jap. 関東大震災, Kantō daishinsai) ereignete sich am 1. September 1923 um 11:58 Uhr in der Kantō-Ebene auf der japanischen Hauptinsel Honshū und forderte etwa 142.800 Todesopfer.[1]

Inhaltsverzeichnis

Beben und Feuer

Schäden in Yokohama

Das Beben der Oberflächenmagnitude MS = 7,9[1] zerstörte die japanische Hafenstadt Yokohama und große Bereiche des benachbarten Tokio, insbesondere sämtliche Stadtviertel westlich des Kaiserpalasts. Das Hypozentrum lag etwa bei 35° 18′ N, 139° 30′ O35.3139.5-25000 in einer Tiefe von rund 25 km. An der Nordküste der Sagami-Bucht wurde ein Aufstieg der Landmasse um etwa 2 m festgestellt, der horizontale Versatz betrug auf der Halbinsel Bōsō rund 4,5 m. Als direkte Folge des Bebens wurde in der Sagami-Bucht ein Tsunami mit einer Wellenhöhe bis zu 12 m ausgelöst.[1]

Die bei Erdbeben oft folgenden Großbrände wüteten aus mehreren Gründen hier besonders heftig: Zum Zeitpunkt des Bebens wurde in den meisten Haushalten gerade auf Holz- und Gasfeuerstellen das Mittagessen vorbereitet, die sehr dichte Bebauung mit traditionellen Holzhäusern begünstigte das Übergreifen des Feuers und starker Wind aufgrund eines nahenden Taifuns trieb die Feuer an.

Die wohl schlimmste Tragödie ereignete sich auf dem Gelände eines Militärdepots im Stadtbezirk Honjo, wo über 30.000 Menschen, die vor dem Feuer Schutz gesucht hatten, von einem Feuersturm eingeschlossen und getötet wurden. Da das Erdbeben auch die Hauptwasserleitungen zerstört hatte, dauerte es fast zwei Tage, die Brände zu löschen. Weit mehr als die Hälfte aller Wohnhäuser fielen dem Feuer zum Opfer.[1] Durch die Zerstörungen wurden etwa 1,9 Millionen Menschen obdachlos, und die Gesamtschäden wurden auf die damals nahezu unvorstellbare Summe von über einer Milliarde US-Dollar geschätzt.

Ein Schock des Bebens war, dass nicht nur traditionelle japanische Holzhäuser, sondern auch viele der neuen, im westlichen Stil erbauten Häuser zerstört wurden. Die Backsteinbauten waren zwar einigermaßen feuerresistent, hielten aber den Erdbebenstößen nicht stand. Einzig einige moderne Bauten aus Stahlbeton konnten der Katastrophe widerstehen, weswegen dieses Material zum dominierenden Baustoff in Japan werden sollte.

Fremdenfeindliche Ausschreitungen

Nach dem Beben rief das Innenministeriums den Notstand aus und wies die Polizei an, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. In der Anweisung wurde ausdrücklich vor Brandstiftung und Plünderungen durch koreanische Einwanderer gewarnt. Entsprechende Gerüchte verbreiteten sich schnell in der verängstigten Bevölkerung und führten zu zahlreichen schweren Übergriffen gegen Koreaner und diejenigen Japaner (z.B. Bewohner von Okinawa), die aufgrund ihres Akzents dafür gehalten wurden.

Teilweise wurden die Ausschreitungen von Polizei und Militär geduldet oder sogar unterstützt. In anderen Fällen wurden Koreaner in Polizeirevieren von den Beamten vor aufgebrachten Menschenmengen geschützt und ein hoher Polizeibeamter soll öffentlich Wasser aus einem Brunnen getrunken haben, der angeblich von Koreanern vergiftet worden war.

Laut einer Untersuchung des Innenministeriums wurden bei den Ausschreitungen 293 Personen getötet, davon 231 Koreaner, 3 Chinesen und 59 Japaner. Schätzungen gehen aber von bis zu 6.600 Opfern aus. Es gab später 362 Anklagen wegen Mord, versuchtem Mord, Totschlag oder Körperverletzung, von denen sich aber keine gegen Angehörige von Polizei oder Armee richtete, und die zumeist nur zu niedrigen Strafen führten.

Wiederaufbau und Vorbeugung

In einem kaiserlichen Edikt vom 12. September 1923 heißt es: „Tokyo soll wie bisher Hauptstadt bleiben; deshalb soll es wiederaufgebaut werden und dabei gilt es, nicht nur Altes wieder herzustellen, sondern eine neue Ordnung zu schaffen, die eine Entwicklung in die Zukunft ermöglicht.“

Nach dem Edikt des Kaisers kam es zu einem umfassenden Wiederaufbauprogramm mit einem Umfang von ca. 1,5 Milliarden Yen. Die wichtigsten Maßnahmen waren ein Schuldenmoratorium, das Schulden aus der Kanto-Ebene zunächst aussetzte und die Ausgabe von Erdbeben-Anleihen im Wert von 430 Millionen Yen für den Wiederaufbau.

Der Wiederaufbau zog sich bis zum Anfang der 1930er Jahre hin. Zu den Wiederaufbaumaßnahmen gehörten breitere Straßen und neue Brücken, Parks und eine bessere und vor allem feuerfeste Infrastruktur von Krankenhäusern, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen (z.B. dem Tsukiji-Fischmarkt). Durch Bodenumlegungen wurde versucht zu verhindern, dass sich erneut verwinkelte Holzhausviertel mit engen Gassen bilden, was allerdings nur teilweise erreicht wurde.

Zum Gedenken an dieses Erdbeben wurde 1960 in Japan der 1. September zum Katastrophenvorsorgetag erklärt, um die Menschen an die Notwendigkeit vorbeugender Maßnahmen zu erinnern. Tokio befindet sich auf einer tektonischen Verwerfung, die bisher im Schnitt alle 70 Jahre von größeren Erdbeben betroffen war.

Quellen und Einzelnachweise

  1. a b c d Seismologische Fakten und Schadensbilanz der USGS
  • Uta Hohn: Stadtplanung in Japan. Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur, Dortmund 2000. ISBN 3-929797-67-4

Siehe auch

Weblinks


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