Groß-Hamburg-Gesetz

Groß-Hamburg-Gesetz
Der farblose Bereich zeigt Hamburg in seinen ursprünglichen Grenzen, die eingefärbten Bereiche den erheblichen Gebietszuwachs durch 1937 eingemeindete Gebiete. (Dunkelbraun: die ehemals selbstständigen Städte. – Hellbraun: die umliegenden Gemeinden und Dörfer)

Mit Wirkung vom 1. April 1937 wurde das Gebiet Hamburgs durch das „Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen“, kurz Groß-Hamburg-Gesetz (erlassen von der Reichsregierung)[1], um volkswirtschaftlich wichtige Gebiete aus den benachbarten preußischen Landkreisen und (kreisfreien) Städten erweitert. Dazu gehörten die bis dahin preußischen Städte Altona/Elbe, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek sowie die hamburgische Stadt Bergedorf, die in der Folge zum 1. April 1938 Teil der Einheitsgemeinde Hamburg wurden und ihre Selbstständigkeit verloren. Einige kleinere hamburgischen Exklaven wurde im Gegenzug an Preußen abgetreten. Insgesamt vergrößerte sich die Fläche Hamburgs dadurch von 415 auf 745 km², die Einwohnerzahl erhöhte sich von 1,19 auf 1,68 Mio.[2] Im Folgeschritt wurde die Unabhängigkeit der Hansestadt 1938 im "Reichsgau Hamburg" den Reichsinteressen völlig untergeordnet, die Hamburgische Verfassung außer Kraft gesetzt.

Grenzstein zwischen Altona und Hamburg von 1896, der heute noch in der Brigittenstraße, nun im Stadtteil St. Pauli, gepflastert ist.

Das Gesetz regelte ebenfalls eine Reihe von weiteren Gebietsänderungen vor allem in Norddeutschland. Der Stadtstaat Lübeck wurde aufgelöst und der preußischen Provinz Schleswig-Holstein angegliedert. Eine Reihe von Exklaven im Grenzbereich zwischen Mecklenburg und Preußen wurden beseitigt, darunter der Domhof Ratzeburg. Oldenburg trat seine Exklave westlich von Lübeck an Schleswig-Holstein ab. Die preußische Stadt Wilhelmshaven kam zu Oldenburg. Die oldenburgische Exklave Birkenfeld wurde aufgelöst und Teil der preußischen Rheinprovinz.

Inhaltsverzeichnis

Zustandekommen des Gesetzes

Im Zuge der Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete sich eine verbitterte Konkurrenz zwischen der Hansestadt Hamburg und den angrenzenden preußischen Städten Altona, Wandsbek und Harburg. Erste Gespräche zwischen Hamburg und Preußen gab es bereits 1922, nachdem der Hamburger Senat in den Jahren 1915 und 1921 „Denkschriften über die Erweiterung des Hamburgischen Gebiets“ an die Reichsregierung in Berlin richtete. Wegen fehlender Kompromissbereitschaft des Ersten Bürgermeisters Carl Petersen konzentrierten sich 1927 die angrenzenden preußischen Gemeinden durch Eingemeindungen. Altona und Wandsbek vergrößerten sich, Harburg fusionierte zur Großstadt Harburg-Wilhelmsburg, und es entstanden die Großgemeinden Lokstedt und Rahlstedt sowie die Stadt Billstedt. Der Preußisch-Hamburgische Hafenvertrag von 1928 (vom 22. Dezember 1928, RGBl. 1929 II S. 1) erleichterte die Frachtabwicklung in den Häfen Altona, Hamburg und Harburg-Wilhelmsburg deutlich.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurde Petersen (DVP) am 5. März zum Rücktritt gezwungen. Die regionale Zusammenfassung von Wirtschaftszentren im Deutschen Reich gewann sofort eine neue Bedeutung im Sinne eines Vierjahresplans, allerdings auf Kosten der Autonomie der beteiligten Städte.

Auf Grundlage des Reichsstatthaltergesetzes vom 7. April 1933[3] wurden Hermann Göring zum Ministerpräsidenten von Preußen (am 10. April 1933) und Karl Kaufmann zum Reichsstatthalter von Hamburg (am 16. Mai 1933) ernannt. Den Hamburgischen Senat repräsentierte ab 18. Mai 1933 Carl Vincent Krogmann als Regierender Bürgermeister, einer Funktion, die vom Reichsstatthalter kontrolliert wurde.

Auf Grundlage des zweiten Reichsstatthaltergesetzes vom 30. Januar 1935[4] war der Senat funktionslos geworden und am 29. Juli 1936 übertrug Adolf Hitler die alleinige Führung der (bürgermeisterlosen) Hamburgischen Landesregierung dem Reichsstatthalter Karl Kaufmann. Dieser wiederum degradierte Krogmann am 30. Juli 1936 zum Leiter der Gemeindeverwaltung. Bereits im November 1936 kam es zu einem Treffen zwischen Göring, Kaufmann und Krogmann wegen verwaltungsrechtlicher Grenzprobleme zwischen Preußen und Hamburg.[5] Hermann Göring (gleichzeitig Beauftragter für den Vierjahresplan) erteilte Kaufmann gewisse Weisungsbefugnisse gegenüber seinen preußischen Dienststellen, um an Hamburg angrenzende preußische Gebiete für ein künftiges Groß-Hamburg zu beanspruchen.

Am 26. Januar 1937 wurde das Groß-Hamburg-Gesetz.[1] erlassen. Mit Wirkung zum 1. April 1937 wurde das Hamburgische Stadtgebiet um die bis dahin preußischen Städte Altona/Elbe, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek sowie die hamburgische Stadt Bergedorf erweitert. Dafür setzte das in Artikel 1 des Groß-Hamburg-Gesetzes bereits angekündigte „Reichsgesetz über die Verfassung und Verwaltung der Hansestadt Hamburg“[6] die Hamburgische Verfassung zum 1. April 1938 außer Kraft. Beide Gesetze wurden von Hermann Göring als preußischem Ministerpräsidenten mitunterzeichnet. Zum Groß-Hamburg-Gesetz und dessen Umsetzung wurden acht Verwaltungsvorschriften im Zeitraum 15. Februar 1937 bis 24. Mai 1939 erlassen.[7]

Gebietsänderungen in Hamburg

Politische Grenzen in Norddeutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Gebietsgewinne Hamburgs

Zur Eingemeindung gelangten im Einzelnen:

  • die seit 1868 unter Hamburger Verwaltung stehende selbstständige Stadt Bergedorf wurde gewöhnlicher Stadtteil Hamburgs

Die im § 1 Abs. 1 Großhamburg-Gesetz genannten Gemeinden wurden mit der Stadt Hamburg und den beim Lande Hamburg verbleibenden Gemeinden zu einer Gemeinde zusammengeschlossen; sie führte ab 1. April 1937 die Bezeichnung "Hansestadt Hamburg".

Gebietsabtretungen Hamburgs

Im Tausch dafür gingen die Hamburgischen Exklaven an Preußen, und zwar

weitere Gebietsänderungen

in Schleswig-Holstein und Oldenburg

Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz verlor auch Lübeck seine territoriale Eigenständigkeit und wurde zu einem Teil von Schleswig-Holstein. Der oldenburgische Landesteil Lübeck, das ehemalige Fürstbistum Lübeck/Fürstentum Lübeck, kam als Kreis Eutin ebenfalls zu Schleswig-Holstein.

Die preußische Stadt Wilhelmshaven und die oldenburgische Stadt Rüstringen wurden zur oldenburgischen Stadt Wilhelmshaven vereinigt.

Die oldenburgische Exklave Landesteil Birkenfeld an der Nahe (heute Rheinland-Pfalz) wurde der preußischen Rheinprovinz als neuer Landkreis Birkenfeld zugeordnet.

Die mecklenburg-strelitzschen Exklaven in Schleswig-Holstein wie der Domhof in Ratzeburg und einige Gemeinden wurden in den Kreis Herzogtum Lauenburg integriert.

Die Lübecker Exklaven in Schleswig-Holstein wurden Bestandteil der Kreise Eutin und Herzogtum Lauenburg.

in Mecklenburg

Mecklenburg erhielt die Lübecker Exklaven dort im Tausch gegen seine Exklaven im Kreis Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein.

Ebenfalls wurden mehrere Gebietsveränderungen im Süden und Osten Mecklenburgs im Groß-Hamburg-Gesetz geregelt.[1] Mecklenburg trat seine Exklaven Schönberg (Dosse), Rossow und Netzeband an Preußen ab. Im Gegenzug erhielt es eine zu Preußen gehörende Enklave um Duckow, Zettemin und Rottmannshagen. Auch die beiden kleinen Orte Groß Menow und Quasliner Mühle kamen zu Mecklenburg. Vor allem im Raum Templin wechselten einige Seen die Landeszugehörigkeit.

Verwaltungsgliederung innerhalb des Landes Hamburg

Seit 1937 erfuhr die innere Gliederung Hamburgs zahlreiche Veränderungen:

  • 1. April 1937 – 31. März 1938: fünf selbstständige Städte (Hamburg, Altona, Harburg-Wilhelmsburg, Wandsbek und Bergedorf) sowie der Landkreis Hamburg mit 44 Gemeinden
  • 1. April 1938 – 31. März 1939: ein Stadt- (Hansestadt Hamburg) und ein Landbezirk Hamburg
  • 1. April 1939 – 14. November 1943: Aufteilung in zehn Verwaltungskreise, von denen fünf ausschließlich zum Stadtbezirk, die fünf anderen teils zum Stadt-, teils auch zum Landbezirk Hamburg gehörten. Diese waren unterteilt in insgesamt 110 Bezirke mit 178 Ortsteilen.[8] (Mitte 1943 war die gesamte kommunale Infrastruktur kriegsbedingt kollabiert)
  • 15. November 1943 - 10. Mai 1951: Aufteilung in sechs Kreise, die in insgesamt 23 Ortsämter gegliedert waren.
  • 11. Mai 1951 - 31. Januar 2007: Sieben Bezirke mit sieben Kerngebieten und 15 Ortsamtsgebieten

Zudem kam es in diesem Rahmen zu einer Veränderung von Stadtteilgrenzen, die im Wesentlichen an die Grenzen zwischen den NSDAP-Distrikten angeglichen wurden; als Beispiel sei auf den „Gebietstausch“ zwischen Altona-Altstadt (Verlust der östlichen Gebiete bis zur Großen Freiheit und am Schulterblatt) und Sankt Pauli (Verlust der Gebiete um Pinnasberg und St.-Pauli-Kirche) verwiesen.

Revisionsbemühungen

Nach 1945 gab es ernsthafte Versuche, die Folgen des Gesetzes zumindest teilweise zu revidieren und den ehemals selbstständigen Städten eine größere Autonomie zu sichern: Insbesondere in Harburg und Altona wurden solche Forderungen laut und waren dort überaus populär; außerdem deckten sie sich mit den Zielen der britischen Besatzungsmacht nach einer stärkeren Dezentralisierung. Für Harburg wurde im Sommer 1946 ein Ausschuss aus örtlichen und Hamburger Partei- und Gewerkschaftsvertretern eingesetzt, um diesbezügliche inhaltliche Fragen einer Klärung näherzubringen.

Nach der ersten Bürgerschaftswahl am 13. Oktober 1946 trat diese Frage für den Senat aber mehr und mehr in den Hintergrund, in erster Linie unter der Ansage, dass für den Wiederaufbau und die Verbesserung der Lebensverhältnisse in der zerbombten Stadt eine Konzentration aller Kräfte Vorrang genießen müsse.

In diesem Zusammenhang sei auf die ambivalente Haltung der ehemaligen Bürgermeister Walter Dudek (Harburg) bzw. Max Brauer (Altona) hingewiesen, die in ihrer neuen Rolle im Hamburger Senat in dieser Frage eine Stellung bezogen, die ihrer vorherigen entgegengesetzt war. Altonas späterer Bezirksleiter August Kirch hingegen setzte sich noch 1950 dafür ein, wenigstens den historischen Grenzverlauf zwischen Altona und Hamburg wiederherzustellen.

Angesichts der minimalen bezirklichen Eigenständigkeit aufgrund des Verfassungskonstrukts der Einheitsgemeinde Hamburg stoßen Wünsche nach weitergehender Autonomie vor allem in Harburg und Altona (beispielhaft seien die Wählergemeinschaft Harburg und die Initiative Altonaer Freiheit genannt) bis in die Gegenwart lokal auf nennenswerte Zustimmung.

Der Versuch der Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit Lübecks scheiterte 1956 vor dem Bundesverfassungsgericht (Lübeck-Urteil).

Siehe auch

Literatur

  • Peter Guttkuhn: Vor 40 Jahren: Als Lübeck „übergeleitet“ wurde; Vaterstädtische Blätter, Lübeck, 28 (1977), S. 135
  • Hartmut Hohlbein (Hg.): Vom Vier-Städte-Gebiet zur Einheitsgemeinde. Altona, Harburg-Wilhelmsburg, Wandsbek gehen in Groß-Hamburg auf; Hamburg 1988
  • Holger Martens: Hamburgs Weg zur Metropole. Von der Groß-Hamburg-Frage zum Bezirksverwaltungsgesetz; Hamburg 2004; ISBN 3-935413-08-4
  • Gerhard Schneider: Gefährdung und Verlust der Eigenstaatlichkeit der Freien und Hansestadt Lübeck und seine Folgen; Lübeck: Schmidt-Römhild, 1986; ISBN 3-7950-0452-7
  • Dr. William Boehart: Das Groß-Hamburg-Gesetz - Ein Rückblick 70 Jahre danach. In Lichtwark-Heft Nr. 71, November 2006. Verlag HB-Werbung, Bergedorf. ISSN 1862-3549.

Einzelnachweise

  1. a b c Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen vom 26. Januar 1937, Art.1 (RGBl. 1937 I S. 91)
  2. Geschichtlicher Abriss zum Groß-Hamburg-Gesetz
  3. Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich (Reichsstatthaltergesetz) vom 7. April 1933, § 5 (RGBl. 1933 I S. 173)
  4. Zweites Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1935, §§ 4, 10 (RGBl. 1935 I S. 65)
  5. Hamburg und seine arme Nachbarin, Welt-online vom 20. Februar 2011
  6. Reichsgesetz über die Verfassung und Verwaltung der Hansestadt Hamburg“ vom 9. Dezember 1937, Art. 1 und 2 (RGBl. 1937 I S. 1327)
  7. Verwaltungsvorschriften zum Groß-Hamburg-Gesetz; ElbVwHHmbV heute noch gültig
  8. Rückblick auf 70 Jahre Verwaltungsgliederung

Weblinks


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