Glosse (Gedichtform)

Glosse (Gedichtform)

Die Gedichtform der Glosse wurde von den Brüdern August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel in Deutschland bekannt gemacht, ursprünglich stammt sie aus Spanien. Ihre Strophenform heißt Dezime.

Die Glosse hat vier Strophen zu je zehn Zeilen, die das folgende Reimschema aufweisen:

                                 a b a b a 
                               - - - - - - -
                                 c d c c d    oder
                                 c c d d c


Die Besonderheit der Glosse liegt darin, dass dem ganzen Gedicht ein Motto vorangestellt ist, das auch von einem anderen Dichter stammen kann - im folgenden Beispiel von Ludwig Tieck. Und dieses Motto wird in den Endzeilen jeder Strophe wiedergegeben und dadurch neu interpretiert (glossiert).

Beispiel 1: (Ludwig Uhland, Der Rezensent)

Süße Liebe denkt in Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles, was sie will, verschönen.
Schönste! Du hast mir befohlen
Dieses Thema zu glossieren;
Doch ich sag es unverhohlen:
Dieses heißt die Zeit verlieren,
Und ich sitze wie auf Kohlen.
Liebtet ihr nicht, stolze Schönen!
Selbst die Logik zu verhöhnen,
Würd ich zu beweisen wagen,
Daß es Unsinn ist zu sagen:
Süße Liebe denkt in Tönen
Zwar versteh ich wohl das Schema
Dieser abgeschmackten Glossen,
Aber solch verzwicktes Thema,
Solche rätselhaften Possen
Sind ein gordisches Problema.
Dennoch macht' ich mir, mein Stern!
Diese Freude gar zu gern.
Hoffnungslos reib ich die Hände,
Nimmer bring ich es zu Ende,
Denn Gedanken stehn zu fern.
Laß, mein Kind, die span'sche Mode!
Laß die fremden Triolette!
Laß die welsche Klangmethode
Der Kanzonen und Sonette!
Bleib bei deiner sapph'schen Ode!
Bleib der Aftermuse fern
Der romatisch süßen Herrn!
Duftig schwebeln, luftig tänzeln
Nur in Reimchen, Assonänzeln,
Nur in Tönen mag sie gern.
Nicht in Tönen solcher Glossen
Kann die Poesie sich zeigen;
In antiken Verskolossen
Stampft sie besser ihren Reigen
Mit Spondeen und Molossen.
Nur im Hammerschlag und Dröhnen
Deutschhellenischer Kamönen
Kann sie selbst die alten, kranken,
Allerhäßlichsten Gedanken,
Alles, was sie will, verschönen.


Beispiel 2: (Miguel de Cervantes, in dem Roman Don Quijote)

Si mi fue tornase a es,
sin esperar más será,
o viniese el tiempo ya
de lo que será después...!
Al fin, como todo pasa,
se pasó el bien que me dio
fortuna, un tiempo no escasa,
y nunca me le volvió,
ni abundante ni por tasa.
Siglos ha ya que me vees,
fortuna, puesto a tus pies:
vuélveme a ser venturoso,
que será mi ser dichoso
si mi fue tornase a es.
No quiero otro gusto o gloria,
otra palma o vencimiento,
otro triunfo, otra vitoria,
sino volver al contento
que es pesar en mi memoria.
Si tú me vuelves allá,
fortuna, templado está
todo el rigor de mi fuego,
y más si este bien es luego,
sin esperar más será.
Cosas imposibles pido,
pues volver el tiempo a ser
después que una vez ha sido,
no hay en la tierra poder
que a tanto se haya estendido.
Corre el tiempo, vuela y va
ligero, y no volverá,
y erraría el que pidiese,
o que el tiempo ya se fuese
o viniese el tiempo ya.
Vivir en perpleja vida,
ya esperando, ya temiendo,
es muerte muy conocida,
y es mucho mejor muriendo
buscar al dolor salida.
A mí me fuera interés
acabar, mas no lo es,
pues, con discurso mejor,
me da la vida el temor
de lo que será después.


Cervantes-Gedicht übertragen von Ludwig Tieck:

Ging’ mein War in Ist nur ein,
würd’ ich aller Angst befreit,
oder käme schon die Zeit
dessen, was wird künftig sein.
Wie sich alles einst beendet,
endigte das Gut, vom Glück
mir einst reichlich zugewendet,
niemals kam es mir zurück,
weder groß noch klein gesendet.
Schon seit Jahren, Glückesschein,
muss ich kniend vor dir sein;
sende mir das Gut hernieder,
denn mein Sein wär’ glücklich wieder,
ging’ mein War in Ist nur ein.
Nein, ich will sonst kein Vergnügen,
keine Freude, kein Entzücken,
nicht Triumphe, kein Besiegen,
nur mich wieder zu beglücken,
wie sich’s vormals mochte fügen.
Bringst du mich, o Glück, so weit,
ist gemildert alles Leid,
ausgelöscht die Glut im Herzen,
tilgest du mir bald die Schmerzen,
würd’ ich aller Angst befreit.
Unding ist nur mein Verlangen,
denn die Zeit zum Sein zu bringen,
wenn sie einmal ist vergangen,
das kann keiner Macht gelingen,
so weit reicht kein Unterfangen.
Sie flieht zur Vergangenheit,
wo sie niemals Rückkehr beut,
der irrt, wer den Wunsch erlesen,
wäre doch die Zeit gewesen
oder käme schon die Zeit.
Leben ein verwirrtes Leben,
bald im Hoffen, bald im Zagen,
heißt im bittern Tode schweben,
besser gleich den Tod zu wagen,
Ausgang seinem Schmerz zu geben
Enden wäre gut für mein
Elend; dennoch darf’s nicht sein,
denn mit besserm Überlegen
gibt mir Leben das Erwägen
dessen, was wird künftig sein.

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