Giraudoux

Giraudoux

Jean Hyppolyte Giraudoux (* 29. Oktober 1882 in Bellac, Haute-Vienne; † 31. Januar 1944 in Paris) war ein französischer Berufsdiplomat und Schriftsteller. Als dieser war er vor allem für die Entwicklung des französischen Theaters der Zwischenkriegszeit sehr bedeutsam.

Leben und Schaffen

Giraudoux wuchs auf als Sohn eines kleinen Beamten in südwestfranzösischen Kleinstädten. Dank eines Begabten-Stipendiums konnte er das Gymnasium in Châteauroux besuchen, danach die Vorbereitungsklassen des renommierten Pariser Lycée Lakanal (wo der bekannte Germanist Charles Andler sein Interesse für Deutschland weckte) und schließlich die Eliteschule für die Lehramtsfächer, die École Normale Supérieure, die er 1905 im Fach Deutsch als bester seines Jahrgangs abschloss. Es folgte ein längerer Deutschlandaufenthalt als Hauslehrer bei einer reichen französischen Familie in München.

Danach bewarb Giraudoux sich jedoch nicht, wie eigentlich geplant, um die Zulassung zum Gymnasialprofessor (agrégation), sondern ging als Französischlektor an die Harvard-University in die USA.

Nach seiner Rückkehr 1907 gab er die potenzielle Gymnasialkarriere endgültig auf und lebte in Paris schlecht und recht von seiner Feder. Insbesondere schrieb er Erzählungen, die 1909 als Provinciales gesammelt erschienen und ihm erste Anerkennung brachten. 1910 wurde er wenig belasteter Privatsekretär des Zeitungsmagnaten Bruneau-Varilla und publizierte Erzählungen und Literaturkritiken in dessen Zeitung Le Matin.

Nachdem er sich dank seiner Nähe zum Journalismus für Politik zu interessieren begonnen hatte, bewarb er sich 1911 für den diplomatischen Dienst und wurde in die Ausbildung aufgenommen. 1914 wurde er Soldat. Er wurde mehrfach verwundet und für Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet. 1917 publizierte er sein Kriegstagebuch als Lettres pour une ombre (=Briefe für/an einen Schatten). Die letzten Kriegsmonate verbrachte er als militärischer Ausbilder in Portugal, das rasch noch Deutschland den Krieg erklärt hatte und seine Armee modernisierte.

Von dort zurück, beendete und publizierte Giraudoux seinen ersten Roman, Simon le pathétique. In den nächsten 20 Jahren führte er ein Doppelleben als Diplomat (wobei er aber meist am Pariser Quai d'Orsay, im Außenministerium, arbeiten konnte) und als Autor. Als solcher verfasste er zunächst überwiegend Romane, die aber nur mäßig erfolgreich waren und heute kaum mehr gelesen werden.

1928 verarbeitete er seinen in Deutschland spielenden Roman Siegfried et le Limousin von 1922 zu einem Stück, das als Siegfried von dem bekannten Regisseur Louis Jouvet inszeniert wurde und als ein Signal zur Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen großen Erfolg hatte. Jouvet animierte nun Giraudoux zu weiteren Stücken, die tatsächlich in Serie folgten: 1929 Amphitryon 38, ein heiteres Stück um die Zeugung des Herkules durch den als Amphitryon maskierten Jupiter; 1931 Judith; 1933 Intermezzo; 1935 La Guerre de Troie n'aura pas lieu (Der trojanische Krieg findet nicht statt), ein komödienhaft beginnendes, sich aber zunehmend verdüsterndes Stück, das die Kriegsängste vieler Franzosen angesichts der Hitlerschen Aufrüstung und der wachsenden Destabilisierung Europas verarbeitet (und das, nachdem es ursprünglich optimistisch enden sollte, pessimistisch ausgeht); 1937 Électre, ein Stück, in dem sich die politische Polarisierung Frankreichs nach dem Wahlsieg der Volksfront vom Sommer 1936 spiegelt (und in dem die unnachgiebige Électre die dogmatisch-kompromisslosen Kommunisten inkarniert, die - wie der Autor befürchtet - weiter Obstruktion betreiben, auch wenn das Vaterland von außen angegriffen wird); 1939 Ondine, ein märchenhaftes, trauriges Stück, das die Ängste vieler Franzosen kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu reflektieren scheint und - wie viele seiner Werke - die tragische Verquickung von Nähe und Distanz im Verhältnis von Frankreich zu Deutschland verdeckt zum Thema nimmt.

Nach Kriegsbeginn wurde Giraudoux zum "commissaire général à l'Information" ernannt, einer Art Propaganda-Minister; er zog sich aber nach dem deutschen Angriff, dem "blitz allemand", im Mai 1940 und der Etablierung des Pétain-Regimes im Juni mehr und mehr ins Private zurück. In der relativen Normalität, die, trotz der deutschen Besatzung, von Herbst 1940 bis etwa Ende 1943 in Frankreich herrschte, publizierte er eine Sammlung von Vorträgen und Essais und schrieb er weitere Stücke: Sodome et Gomorrhe, L'Apollon de Bellac, La Folle de Chaillot (=die Verrückte von Ch.) und Pour Lucrèce (=für Lukrezia). Letzteres wurde 1943 sogar aufgeführt, während La Folle de Chaillot, eine bitter-melancholische Satire auf das Treiben der Spekulanten und Geschäftemacher im besetzten Paris, erst postum 1945 auf die Bühne kam.

Anfang 1944 starb Giraudoux an einer Lebensmittelvergiftung. Während sein Romanwerk auch zu seinen Lebzeiten nur mäßige Geltung erlangt hat, war sein Theater zwei bis drei Jahrzehnte lang äußerst erfolgreich. Es hat vor allem wegen seiner Sprache gewirkt, die in einer unverwechselbaren Mischung Witz und Tiefsinn, Banalität und Poesie vereint und spätere Dramatiker, z.B. Jean Anouilh, stark beeinflusst hat.

Im März 2008 erschien auf Deutsch erstmals das letzte noch von Giraudoux vollendete Manuskript, poetisch-lakonische Erinnerungen unter dem Titel Doppelmemoiren (ISBN 978-3-937834-25-2).[1]

Weblinks

Nachweise

  1. Deutschlandradio Kultur: „Erinnerungen eines Luftgeistes“, 6. März 2008

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