Alexander Skriabin

Alexander Skriabin

Alexander Nikolajewitsch Skrjabin (russisch Александр Николаевич Скрябин, wiss. Transliteration Aleksandr Nikolaevič Skrjabin; * 25. Dezember 1871jul./ 6. Januar 1872greg. in Moskau; † 14. Apriljul./ 27. April 1915greg. ebenda) war ein russischer Pianist und Komponist.

Alexander Skrjabin, Aufnahme um 1900

Inhaltsverzeichnis

Leben

Skrjabin war der Sohn eines aus dem russischen Militäradel stammenden Juristen und Diplomaten. Seine Mutter, eine Konzertpianistin, starb ein Jahr nach seiner Geburt. Da sein Vater nach dem Tod seiner Frau eine diplomatische Ausbildung absolvierte, wuchs Skrjabin hauptsächlich bei seiner Tante Ljubow Skrjabina auf. Diese erteilte ihm auch den ersten Klavierunterricht, denn schon als Kleinkind zeigte sich eine große musikalische Begabung (bereits im Alter von fünf Jahren konnte er am Klavier einmal gehörte Melodien nachspielen sowie improvisieren). Im Alter von zehn Jahren wurde er auf eigenen Wunsch in die Moskauer Kadettenschule aufgenommen (sein Vater und seine Tante waren dagegen).

Von 1888 bis 1892 studierte Skrjabin am Moskauer Konservatorium: Komposition bei Anton Arenski und Sergei Tanejew sowie Klavier bei Wassili Safonow. Die Vorbereitung auf das Konservatorium hatte der zu dieser Zeit renommierteste Moskauer Privatmusiklehrer Nikolai Swerjow übernommen. Da Skrjabins Kompositionsstudium jedoch von Konflikten mit seinem Lehrer überschattet wurde, fasste er schließlich den Entschluss, keinen Abschluss als Komponist zu machen. 1892 beendete Skrjabin sein Klavierstudium mit der Kleinen Goldmedaille (sein Kommilitone Sergei Rachmaninow erhielt die Große Goldmedaille).

1894 lernte er Mitrofan Beljajew kennen, der sein Verleger und Mäzen wurde. Dieser organisierte erste Gastspiele im Ausland (1895/96), die ihn bald international bekannt machten. Bei seinen Auftritten spielte Skrjabin jedoch fast ausschließlich eigene Werke.

1897 heiratete er die Konzertpianistin Wera Issakowitsch, mit der er vier Kinder hatte. Von 1898-1903 war Skrjabin Klavierprofessor am Moskauer Konservatorium. Die materielle Belastung seiner Familie erforderte jedoch noch eine zusätzliche Tätigkeit als Inspektor für Musik am St. Katherina’s Institut in Moskau.

Im November 1902 (wenige Wochen nach der Geburt seiner ersten Tochter Rimma) lernte Skrjabin Tatjana de Schloezer kennen, die Schwester des Musikwissenschaftlers und Skrjabinforschers Boris de Schloezer. Sie wurde wenig später zu seiner Geliebten. 1904 folgte dann der lang ersehnte Umzug ins Ausland (Schweiz, Belgien, Italien, Frankreich). 1905 trennte er sich von seiner Frau Wera, die ihm jedoch die Scheidung verweigerte. Danach wurde Tatjana de Schloezer die offizielle Frau an seiner Seite, mit der er zwei Kinder hatte. Ihr früh verstorbener Sohn Julian schlug dieselbe Laufbahn wie sein Vater ein und hinterließ einige Kompositionen, die dem Spätwerk seines Vaters stilistisch nahe kommen.

Skrjabins Ansehen im Ausland und Russland begann, besonders nach der Uraufführung der 3. Symphonie am 29. Mai 1905 in Paris, zu wachsen. Die Erstaufführungen der 5. Klaviersonate in Moskau sowie dem Poème de l’extase in New York (1906) waren der Beginn eines „Triumphzuges“. Von seinen zahlreichen Gastspielen waren die in England 1911 von besonderer Bedeutung, da er dort in Kontakt mit englischen Theosophen kam.

Wenige Tage nach der New Yorker Premiere des „Promethée“ mit Lichteffekten erkrankte Skrjabin an einer Blutvergiftung, der er wenig später erlag. Nach seinem Tod blieb seine zweite Familie mittellos; sie erhielt jedoch vielfältige Unterstützung durch Freunde und Musiker.

Musik und Einflüsse

Neuerungen

Skrjabin wird als außergewöhnlich guter Pianist angesehen, der als Erwachsener jedoch ausschließlich seine eigenen Werke in der Öffentlichkeit spielte. Ferner komponierte er Musik nur für „sein“ Instrument, das Klavier, und symphonische Musik. In frühen Jahren war seine Musik noch sehr an der Frédéric Chopins und Franz Liszts orientiert, später lernte er die Musik Richard Wagners kennen, entwickelte seine Tonsprache aber schon bald über die Chromatik von Wagners Tristan und Isolde hinaus. Er folgte einem harmonischen System, das nicht mehr auf Dur-Moll-tonalen Bindungen fußt, sondern auf der Verwendung eines auf Quartschichtungen basierenden Akkordes, des so genannten „mystischen Akkords“ oder auch „Prometheus-Akkords“ (letztere Benennung nach dem Orchesterwerk Promethée – Le Poème du Feu op. 60). Die Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa hat Skrjabins sogenannte Klangzentrumstechnik - eine atonale Kompositionstechnik - als Vorform der Zwölftontechnik beschrieben. Des Weiteren hat er die Klaviersonate weiterentwickelt, indem er sie zur Einsätzigkeit führte. Diese Entwicklung kann man an seinen Sonaten gut nachvollziehen. Die fünf Sätze der 1. Sonate sind schon eng miteinander verschränkt sowie auf den letzten ausgerichtet; ab der 5. Sonate wird die Einsätzigkeit zur Regel. Gleiches Prinzip der Verlagerung zur Einsätzigkeit gilt auch für seine Orchesterwerke.

Theosophie

Aufgrund der Erkrankung seiner rechten Hand (Überbeanspruchung) 1891 und einem Rückfall 1893, der fast zu einem Nervenzusammenbruch geführt hätte, bildeten sich bei Skrjabin erste Zweifel an Gott und der Religion. Wenige Jahre später lehnte er den orthodoxen Glauben vollkommen ab. 1903 beginnt er vermehrt philosophische Werke und griechische Mythen zu lesen, sowie enge Verbindungen zu theosophischen Kreisen zu pflegen (Skrjabin war Mitglied der Theosophischen Gesellschaft Adyar in Belgien, die unter der Leitung von Jean Delville stand.) [1] [2]

Der Synästhet Skrjabin

Die Musik genügte ihm bald als Ausdruck seiner philosophischen Ideen nicht mehr. Er war Farb-Synästhesie begabt, das heißt: bestimmte Tonarten bzw. Töne waren für ihn mit speziellen Farbwahrnehmungen verknüpft (vgl. auch untenstehende Abb.). Da er aber kein absolutes Gehör besaß, stellten sich die Farbwahrnehmungen nur dann ein, wenn er einen bestimmten Ton (oder Akkord) las, schrieb oder spielte. Die Partitur seines letzten vollendeten Orchesterwerkes Promethée. Le Poème du feu sieht eine separate Stimme für ein speziell zu konstruierendes Farbenklavier vor. Zu seinen Lebzeiten waren die vorgesehenen Farbeffekte nur unvollkommen realisierbar. Erst die moderne Lichttechnik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlaubte in einzelnen Aufführungen deren adäquate Umsetzung.

Das „Mysterium“

Zum Ende seines Lebens beschäftigte ihn mehr und mehr die Idee eines multimedialen „Mysteriums“. Dieses sollte alle Sinne ansprechen als Symphonie aus Wort, Ton, Farbe, Duft, Berührungen, Tanz und bewegter Architektur. Dieses Gesamtkunstwerk, das eine Synthese sämtlicher Künste darstellen sollte und ungesehenen Ausmaßes war, wollte er in Indien (Indien war für Skrjabin das Land der Magie und Mystik) unter einer Halbkugel mit 2.000 Mitwirkenden so lange immer wieder aufführen, bis die gesamte Menschheit das sogenannte Mysterium erlebt hätte und in kollektive Ekstase versetzt worden wäre. Dies, so glaubte Skrjabin, hätte die Menschheit auf eine höhere Bewusstseinsstufe gehoben, mit ihm selbst als der messianischen Figur in ihrer Mitte. Skrjabin empfand sich selbst als eine Art Messias: Seine Geburt an Weihnachten nahm er als Zeichen der Auserwähltheit wahr. Auch sein früher Tod am Dienstag der Osterwoche wurde von Vielen symbolisch verstanden. Sein Schaffen wurde ebenfalls als Prophezeiung eines drohenden Weltkataklysmus wahrgenommen, den er mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch miterlebte. Eine Blutvergiftung wegen eines Abszesses auf der Oberlippe bereitete 1915 den Mysterium-Plänen jedoch ein jähes Ende. Er konnte lediglich den Text und einige musikalische Bruchstücke vor seinem Tod entwerfen.

Insgesamt zeigt Skrjabins Spätwerk eine stilistische Entwicklung auf, die - trotz seines kurzen Lebens - eine Einreihung Skrjabins in die wichtigen Neuerer der Musik der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts rechtfertigt.

Familie

Skrjabin war mit Tatiana de Schloezer (1883-1922), der Schwester des Musikwissenschaftlers, Übersetzers und Skrjabinforschers Boris de Schloezer, verheiratet. Skrjabins Sohn, Julian Skrjabin (1908-1919), schlug dieselbe Laufbahn wie der Vater ein, verstarb jedoch früh; Skrjabins Schwiegersohn, Wladimir Sofronizki (1901-1961), trat dessen Nachfolge an und galt als einer der authentischsten Skrjabin-Interpreten.

Nach einer in der Sekundärliteratur zuweilen auftauchenden, jedoch nicht klar belegten Angabe (z.B. [3]) soll Molotow – dessen Geburtsname Skrjabin lautete und der unter Stalin zum Außenminister der Sowjetunion aufstieg – ein Neffe Alexander Skrjabins gewesen sein.

Quellen

  1. Fashionable Occultism: The World of Russian Composer Aleksandr Scriabin: [1]
  2. Jean Delville - Painting, Spirituality, and the Esoteric: [2]
  3. Friedrich Saathen: Von Kündern und Ketzern. Biographische Studien zur Musik des 20. Jahrhunderts. Böhlau, Wien 1986. ISBN 3-205-05014-2

Werke

Klaviatur mit Ton - Farbe - Zuordnung nach Skrjabin
Die Tonarten und Farben nach dem Quintenzirkel angeordnet
  • 3 Sinfonien
    • Sinfonie Nr. 1 in E-Dur, op. 26
    • Sinfonie Nr. 2 in c-moll, op. 29
    • Sinfonie Nr. 3 in c-moll, op. 43
  • 2 Sinfonische Dichtungen
    • Le Poème de l'Extase op. 54
    • Promethée. Le Poème du feu op. 60, die im Hinblick auf das geplante Mysterium ein sogenanntes Farbenklavier verlangt, mit dem der gesamte Konzertsaal ausgeleuchtet werden sollte. Dieses Instrument wird in der Partitur "Luce" (ital.: Licht) genannt und ist zweistimmig notiert.
  • 1 Klavierkonzert
  • Neben 2 frühen Sonaten 10 mit Opuszahlen versehene Klaviersonaten, die zu den wichtigsten Beiträgen ihrer Gattung zählen. Die Sonaten 5-10 sind einsätzig (ab Nr. 6 in neuem harmonischen System)
  • weitere Klavierwerke, meist in Miniaturform und in Zyklen zusammengefasst
    • Mehrere Serien von Préludes, darunter 24 Préludes op. 11 (In starker Anlehnung an Chopin)
    • Poèmes (von Skrjabin entwickelte Gattung)
    • Etüden (von Chopin inspiriert)

Hörbeispiele

Im Januar 1910 nahm Skrjabin 9 eigene Werke für Welte-Mignon auf:

  • Prélude Op. 11, No. 1 * anhören?/i
  • Prélude Op. 11, No. 2 * anhören?/i
  • Mazurka Op. 40, No. 2 * anhören?/i

Literatur

  • Sigfried Schibli Alexander Skrjabin und seine Musik. Piper, München/Zürich, 1983. ISBN 3-492-02759-8.
  • Ludwig Finscher (Hg.): MGG - Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil Bd. 15, 2.neubearbeitete Auflage, Bärenreiter, Kassel/Basel
  • Stanley Sadie (Hg.): The New Grove - Dictionary of Music and Musicians, volume 23, 2nd edition, Oxford University Press, Oxford, 2001
  • Hanns-Werner Heister und Walter-Wolfgang Sparrer (Hg.): "Komponisten der Gegenwart", edition text+kritik

Weblinks


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