Gezeitenkraftwerk

Gezeitenkraftwerk

Ein Gezeitenkraftwerk ist ein Wasserkraftwerk, das potentielle und kinetische Energie aus dem Tidenhub des Meeres in elektrischen Strom wandelt.

Gezeitenkraftwerke entnehmen ihre Energie letztlich der Erddrehung mit Hilfe der Anziehungskraft des Mondes und der Sonne auf die Erde (siehe auch Gezeiten). Sie bremsen die Strömungsbewegung der Meere durch Gezeiten minimal ab. Das Abbremsen geschieht durch Stauung der auf- und ablaufenden Strömung und in der Folge durch die Nutzung der in dem gestauten Wasser enthaltenen potentiellen Energie durch Turbinen, die die durch sie generierte Rotationsenergie dann über elektrische Generatoren in elektrische Nutzenergie verwandeln. Im Verhältnis zur gesamten Abbremsung durch die natürliche Gezeitenreibung fällt dies nicht ins Gewicht, die Erde hat wegen ihrer hohen Masse eine sehr hohe Rotationsenergie.

Inhaltsverzeichnis

Staudamm-Bauweise

Bisher wurden Gezeitenkraftwerke immer mit einem Staudamm an Meeresbuchten oder in Ästuaren verwirklicht.

Funktionsweise

Funktionsweise eines Gezeitenkraftwerkes
Gezeitenkraftwerk in Annapolis Royal, Nova Scotia, Kanada

Gezeitenkraftwerke funktionieren nach dem Staudamm-Prinzip und werden an Meeresbuchten und in Ästuarien (Flussmündungen) errichtet, die einen besonders hohen Tidenhub (Differenz zwischen Hoch- und Niedrigwasserstand) aufweisen. Damit dieser wirksam werden kann, wird die entsprechende Bucht mit einem Deich abgedämmt. Im Deich befinden sich Wasserturbinen, die bei Flut vom einfließenden Wasser, bei Ebbe vom ausfließenden Wasser beschickt werden, weshalb die Turbinen in beiden Durchströmungsrichtungen arbeiten. Dies erreicht man, indem man die Rotorblätter umstellt. Da schon ein geringes Wassergefälle zur Stromerzeugung genutzt werden muss, kommen sogenannte Rohrturbinen zum Einsatz, deren bekanntester Vertreter die Kaplan-Turbine ist.

Ein solches Gezeitenkraftwerk kann auch überschüssigen Strom anderer Kraftwerke nutzen, um Meereswasser in den Stauraum zu pumpen. Damit kann beim späteren Rückfluss zusätzlich elektrischer Strom erzeugt werden. In diesem Fall wirkt das Gezeitenkraftwerk gleichzeitig als Pumpspeicherkraftwerk.[1]

Ökonomie und Ökologie

Fordert man ein Minimum an Tidenhub von 5 m, so gibt es ungefähr 100 geeignete Buchten auf der Erde, die für ein Gezeitenkraftwerk genutzt werden könnten. Nur die Hälfte dieser ließe einen wirtschaftlichen Einsatz zu. Da Ebbe und Flut alle 12 Stunden und 24 Minuten auftreten, kann die Leistung nicht gleichmäßig abgegeben werden. Verstärkt wird dieses Problem ungleichmäßiger Energiegewinnung zudem durch hohe Spring- und schwache Nipptiden. Der Betrieb mit Salzwasser bewirkt starke Korrosion der Turbinen; dies bedeutet erheblichen Wartungsaufwand, was wiederum die Wirtschaftlichkeit senkt.

Außerdem sind sie ökologisch nicht unproblematisch, da sie die Fauna und Flora der Küstengewässer beeinflussen. Die Ökosysteme an Küsten sind mit dem natürlichen 12-Stunden-Zyklus entstanden, aber hinter einem solchen Gezeitenkraftwerk sind die Phasen verschoben. Die Wanderung von Wassertieren aus und in die Bucht sowie in dort einmündende Flüsse wird behindert.

Solche Gezeitenkraftwerke mit einem Staudamm werden in Zukunft aufgrund der begrenzten möglichen Standorte und den hohen ökologischen Auswirkungen nur einen geringen Anteil zur Strombedarfsdeckung leisten können (siehe auch Weblinks).

Anlagen

Das erste und lange Zeit größte Gezeitenkraftwerk, das Gezeitenkraftwerk Rance, wurde ab 1961 an der Atlantikküste in der Mündung der Rance in Frankreich erbaut und 1966 eröffnet. Der Tidenhub beträgt in der Bucht bei St. Malo normal 12, manchmal auch 16 Meter. Der Betondamm ist 750 m lang, wodurch ein Staubecken mit einer Oberfläche von 22 km² und einem Nutzinhalt von 184 Mio. m³ entsteht. Der Damm besitzt 24 Durchlässe, in denen jeweils eine Turbine mit einer Nennleistung von 10 MW installiert ist. Die gesamte Anlage hat eine Leistung von 240 MW und liefert jährlich rund 600 GWh an elektrischer Energie. Dieses Kraftwerk arbeitet auch als Pumpspeicherkraftwerk.

Ein weiteres Gezeitenkraftwerk, das Gezeitenkraftwerk Annapolis, mit allerdings nur 20 MW befindet sich in Annapolis Royal an einer Nebenbucht der Bay of Fundy in Nova Scotia, Kanada. Es wurde 1984 in Betrieb genommen und diente in erster Linie der Forschung und Entwicklung. Es arbeitet im Ein-Richtungs-Betrieb und nutzt nur den Ebbstrom.

Eine noch kleinere Versuchsanlage, das Gezeitenkraftwerk Kislaja Guba mit nur etwa 400 kW, existiert seit 1968 am Fjord Kislaja Guba (Saure Bucht) an der russischen Barentsee.

Seit längerem wird an der Bay of Fundy ein großes Gezeitenkraftwerk von 5.000 MW Leistung geplant, aufgrund der hohen Investitionen wurde es aber bisher nicht realisiert. Daneben bestehen auch Bedenken über die Auswirkungen eines derartigen Projektes; neben ökologischen Folgen (die Bay of Fundy ist ein wichtiges Fischereigebiet) wird auch befürchtet, dass der Gezeitenhub an der Gegenseite der Bucht durch einen Kraftwerksdamm verändert würde und dadurch Städte wie Boston überflutet werden könnten. Weitere kleinere Gezeitenkraftwerke gibt es in Russland bei Murmansk mit 0,4 MW und in China. Das größte chinesische Gezeitenkraftwerk befindet sich bei Jiangxia in der Provinz Zhejiang. Es wurde 1986 fertiggestellt und hat 10 MW Leistung. Inzwischen hat man von einem Dammprojekt in der Bay Of Fundy Abstand genommen und plant statt dessen mit auf dem Meeresgrund stehenden Turbinen. Laut der im Kraftwerk von Annapolis gezeigten Ausstellung (Stand Sep. 2011) fiel die Datenübertragung der 2009 zu Testzwecken aufgestellte 12 Meter durchmessende Turbine nach wenigen Tagen Laufzeit aus. Eine Untersuchung mit Unterwasserkameras blieb erfolglos, man konnte aufgrund der Störmung nur zwei der aus Verbundwerkstoffen bestehenden Turbinenblätter untersuchen. Diese zeigten dabei deutliche Beschädigungen. Da die Datenverbindung zu Anlage nicht mehr hergestellt werden konnte entschied man 2010 die Turbine komplett zu bergen. Wie sich nach der Auswertung der gespeicherten Daten zeigte, waren die Strömung am Grund der Bucht so stark, dass die Turbine innerhalb von drei Wochen alle Blätter verloren hatte. Nun sind Wissenschaftler dabei aufgrund der gewonnenen Daten eine neue Turbine zu entwickeln, die 2012 in den Test gehen soll.

Im Jahre 2011 wurde das Gezeitenkraftwerk Sihwa-ho in Südkorea 40 km südwestlich von Seoul mit 10 Turbinen zu je 25,4 MW (gesamt 254 MW) fertiggestellt. Es ist Bestandteil eines rund 13 km langen Damms, der eine natürliche Bucht vom Gelben Meer abtrennt und ursprünglich Brauchwasser für die umliegenden Gemeinden speichern sollte. Da das gespeicherte Wasser zu faulen begann, plante man um. Die nunmehr installierten Niederdruckturbinen der österreichischen Firma Andritz Hydro sind 22 Meter unterhalb des Wasserspiegels angebracht und nutzen die regelmäßig anfallende Kraft aus dem bei Ebbe abfließenden Meerwasser.[2]

Durch Sihwa wurde La Rance als das größte Gezeitenkraftwerk der Welt abgelöst.[3]

In Großbritannien ist unter dem Namen Severn Barrage der Bau eines besonders großen Gezeitenkraftwerkes geplant. An der Mündung des Severn zwischen Cardiff und Bristol soll eine 16 km lange Sperre durch den Bristolkanal errichtet werden. Die dort 216 geplanten Turbinen sollen insgesamt eine Leistung von 8500 MW erreichen und damit fünf Prozent des britischen Stromverbrauches abdecken. Der Standort ist günstig für ein Gezeitenkraftwerk aufgrund des hohen Tidenhubes von bis zu 15 Metern. Bisher sind für das Projekt Kosten in Höhe von 15 Milliarden Pfund (19 Mrd. Euro) veranschlagt. In Großbritannien wird dieses Großprojekt kontrovers diskutiert. Verschiedene Umweltgruppen wenden sich aufgrund der zu erwartenden Umweltschäden gegen den Bau des Severn Barrage.[4] Die Weiterverfolgung des Projektes wurde Ende 2010 von der britischen Regierung gestoppt, nachdem eine Machbarkeitsstudie Kosten von bis zu 34 Milliarden britische Pfund errechnete. [5]

Andere Bauformen

Heutzutage werden Gezeitenkraftwerke nach dem obigen Prinzip kaum mehr gebaut, da die ökologischen Einwirkungen zu stark sind. Man setzt auf sogenannte In-Flow-Gezeitenkraftwerke, bei welchen durch im Wasser angebrachte Turbinen Strom erzeugt wird. Diese können schraubenförmig oder windradähnlich sein oder andere Formen besitzen.

Sie werden im Artikel Meeresströmungskraftwerk genauer beschrieben.

Geschichte

Die Kraft des Tidenhubs wurde bereits im 17. Jahrhundert an der Kanalküste in England und Frankreich genutzt. Noch heute kann man dort an einigen Küstenabschnitten Gezeitenmühlen aus früheren Jahrhunderten sehen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Funktionsweise Gezeitenkraftwerk St. Malo www.poweron.ch
  2. Strom aus der Kraft der Wellen in: FAZ vom 26. Juli 2011, Seite T6
  3. Energiequellen mit Zukunft: Meereskraft für die Steckdose www.sueddeutsche.de, 8. Januar 2008
  4. Grüner Strom aus dem Watt: Großbritannien plant das größte Gezeitenkraftwerk der Welt www.spiegel.de, 4. August 2008
  5. [1]

Weblinks

 Commons: Gezeitenkraftwerke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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