Gesetzesvorbehalt

Gesetzesvorbehalt
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Gesetzesvorbehalt ist die in modernen Verfassungen vorgesehene Möglichkeit, Grundrechte in zulässiger Weise einzuschränken. Indem die einschränkende Regelung einem förmlichen Gesetz vorbehalten ist, kann sie nicht etwa in Form einer Rechtsverordnung, eines Verwaltungsaktes der Exekutive oder eines Urteils der Justiz geschehen. Es handelt sich zugleich um eine Kompetenzzuweisung an das demokratisch in besonderer Weise legitimierte, nach öffentlicher Diskussion entscheidende Parlament (Parlamentsvorbehalt), von dem man besonderen Schutz der Grundrechte erwartet.

Die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte sind unter dem Grundgesetz zum umfassenderen Vorbehalt des Gesetzes erweitert worden.

Inhaltsverzeichnis

Arten

Ein Vorbehalt kann in allgemeiner Form (einfacher Gesetzesvorbehalt) gestaltet sein. Diese Gesetzesvorbehalte gelten dann überwiegend unbeschränkt.

„In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG)
„Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden“ (Art. 8 Abs. 2 GG)
„Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.“ (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG)

Oder in qualifizierter Form: Diese Gesetzesvorbehalte werden näher bestimmt und beschränkt.

„Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.“ (Art. 11 Abs. 2 GG)
„Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“ (Art. 14 Abs. 3 GG)

Einfache und qualifizierte Gesetzesvorbehalte können das Grundrecht unmittelbar einschränken („self-executing“) oder die Verwaltung erst zu Eingriffen ermächtigen (Eingriffsermächtigung).

Entstehung

In einem absolutistischen Staat konnte der Monarch frei wählen, ob er sich zur Ausübung seiner Herrschaft der Form des Gesetzes, der Verordnung oder des Einzelaktes bediente.

Im Zeitalter des Konstitutionalismus, der die Macht des Monarchen durch eine Verfassung beschränken wollte, wurde die Gesetzgebung allein dem Parlament zugewiesen. Damit waren Grundrechte als Bestandteil der Verfassung außerhalb der Reichweite von Monarch und Exekutive. Daraus entstand aber die Frage, wann ein Gesetz notwendig sei und wann die vom Monarchen geleitete Verwaltung selbst tätig werden dürfe. Zur Abgrenzung dieser Zuständigkeitsfrage wurde die Freiheit-und Eigentums-Formel entwickelt: Ein Gesetz (und damit die Mitwirkung der Volksvertreter) ist dann erforderlich, wenn in Eigentum und Freiheit der Bürger eingegriffen werden sollte. Durch die Mitwirkung des Volkes an der Gesetzgebung sah man Eigentums- und Freiheitsrechte der Bürger als ausreichend gesichert an.

Grenzen der Einschränkbarkeit: Schrankenschranken

Allerdings ist der deutsche Gesetzgeber unter dem Grundgesetz nicht mehr frei, Grundrechte durch Gesetze einzuschränken. Die Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur hatten gezeigt, dass selbst einer demokratischen Mehrheit dauerhafte Machtgrenzen gesetzt werden müssen. Demnach binden die Grundrechte nicht mehr nur Verwaltung und Gerichte, sondern auch den zu ihrer Einschränkung befugten Gesetzgeber (Art. 1 III GG). Dieser ist darüber hinaus an die Verfassung gebunden (Art. 20 III GG). Dies geschieht durch sog. Schrankenschranken: dem Gesetz, das die Grundrechte beschränkt (Schranke), sind selbst Schranken gesetzt (Schrankenschranken). Dazu gehören insbesondere:

  • das Zitiergebot: das einzuschränkende Grundrecht muss benannt werden (Art. 19 I, 2 GG)
  • die Wesensgehaltsgarantie: das einzuschränkende Grundrecht darf in seinem Kern nicht angetastet werden (Art. 19 II GG)
  • das Verbot des Einzelfallgesetzes (Art. 19 I, 1 GG)
  • das Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsprinzip)
  • Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz
  • Bindung durch die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht – sie bedürfen ihrerseits nicht einer einfachgesetzlichen Transformation in praktikables Recht, sie sind es
  • Schutz- und Achtungsanspruch der Menschenwürde.

Zugleich wurde mit dem Bundesverfassungsgericht ein Organ geschaffen, das die Einhaltung dieser Regelungen effektiv überwachen kann. Verstößt ein einschränkendes Gesetz gegen die Schrankenschranken, ist es verfassungswidrig und damit für nichtig zu erklären. Diesem Konzept des Grundgesetzes mag man ein Defizit an Demokratie vorwerfen. Demgegenüber ergibt sich aber ein erheblicher Gewinn an Rechtsstaatlichkeit.

Verwandte Prinzipien

Eine abgeschwächte Form des Gesetzesvorbehalts ist der Rechtssatzvorbehalt, der kein formelles Parlamentsgesetz, sondern jede Rechtsnorm (Gesetz im materiellen Sinne) ausreichen lässt. So steht etwa die Allgemeine Handlungsfreiheit unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, kann also auch durch Rechtsverordnung oder Satzung beschränkt werden.

Andere Grundrechte sehen gar keinen Vorbehalt vor (Kunstfreiheit, Religionsfreiheit). Diese Grundrechte sind vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Es bestehen nämlich Schranken, die in der Natur der Grundrechte angelegt sind: Aus dem Prinzip der Einheit der Verfassung können auch vorbehaltlose Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden (verfassungsimmanente Schranken, vgl. Praktische Konkordanz). Solch kollidierendes Verfassungsrecht sind insbesondere Grundrechte Dritter und außerdem andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter. Nach herrschender Meinung ist auch in solchen Fällen eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die zwischen den widerstreitenden Prinzipien abwägt (BVerfGE 108, 282 - Kopftuch). Der Grund für dieses Erfordernis ist nicht etwa ein Gesetzesvorbehalt, der ja gerade fehlt, sondern das weitergehende Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes.

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