Gesellschaftsroman

Gesellschaftsroman

Der Gesellschaftsroman ist ein Genre des Romans, bei dem das gesellschaftliche Leben des Menschen und seine Wechselwirkung mit Natur und Gesellschaft geschildert wird.

Vom historischen Roman unterscheidet sich der Gesellschaftsroman durch die Darstellung zeitgenössischer Zustände und Entwicklungsprozesse. Im Gegensatz zum Bildungsroman und zum biographischen Roman wird der Entwicklung der Geschehnisse weniger Raum zugestanden. Vielmehr wird den Teilelementen, unabhängig von ihrer Funktion und objektiven Wertigkeit, mehr Beachtung geschenkt. Der Gesellschaftsroman setzt in seinem Ursprung in sich differenzierte Gesellschaft voraus oder gründet sich auf epochale Umstrukturierungen.

Die Grundlage für den Gesellschaftsroman, dessen Anfänge bis ins 18. Jahrhundert Englands zurückreichen, schufen Daniel Defoe, Henry Fielding, Samuel Richardson, Laurence Sterne, Tobias Smollett, indem sie die sich zunehmend entfaltende englisch-bürgerliche Gesellschaft realistisch abbildeten. Im 19. Jahrhundert wurde der Gesellschaftsroman in Frankreich zum wichtigen Instrument des kritischen Realismus. Émile Zola, Gustave Flaubert, Honoré de Balzac und Stendhal waren maßgeblich an der Weiterentwicklung des Gesellschaftsromans beteiligt. Im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsroman bildete sich in dieser Zeit auch die Aufteilung der Romane heraus. Zyklus, Trilogie und Tetralogie wurden zu beliebten Verfahren der Gestaltung.

In Deutschland versuchte Johann Wolfgang von Goethe mit „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ 1821 den Bildungsroman zum Gesellschaftsroman zu erweitern und im 19. Jahrhundert benutzten Karl Gutzkow, Karl Ludwig Immermann, Gustav Freytag und Theodor Fontane das Genre. Karl Gutzkow prägte 1850 im Vorwort zu „Die Ritter vom Geiste“ den Begriff „Roman des Nebeneinander“. In Spanien wurde der Gesellschaftsroman durch B. Perez Galdos, M. de Unamuno, V. Blasco Ibáñez gepflegt. In Italien taten sich Autoren wie G. Verga, L. Pirandello, I.Svevo, C. Malaparte besonders hervor.

Einen erneuten Aufschwung erfuhr der Gesellschaftsroman nach dem als epochale Wende wahrgenommenen Ersten Weltkrieg. In Deutschland bedienten sich vor allem bürgerlich-humanistische Schriftsteller, wie Robert Musil, Thomas Mann, Joseph Roth, Hermann Broch und Heimito von Doderer des Genres. Eine Sonderform des Gesellschaftsromans ist der Großstadtroman, zum Beispiel Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin, der von Andrei Belys Roman „Petersburg“ beeinflusst wurde.

Martin Kluger bezeichnet die von Kritikern gelobte TV-Serie The Wire als Gesellschaftsroman.[1]

Vertreter

Einzelnachweise

  1. Richard Kämmerlings, Ein Balzac für unsere Zeit, FAZ, 14. Mai 2010

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