Gesamtschuldner

Gesamtschuldner

Die Gesamtschuld (im österreichischen und schweizer Recht auch Solidarschuld) ist ein Rechtsbegriff des Schuldrechts.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsklärung

Der Gesamtschuldner wird im § 421 BGB wie folgt definiert:

Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), so kann der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet.

Die Gesamtschuld ist eine von verschiedenen Möglichkeiten der Beteiligung mehrerer Schuldner an einem Schuldverhältnis. Vereinfacht ausgedrückt besteht dann eine Gesamtschuld, wenn ein Gläubiger eine Leistung nur einmal verlangen kann, zu der vollen Leistung jedoch mehrere natürliche oder juristische Personen als Schuldner verpflichtet sind.

Jeder Schuldner hat also für die gesamte Schuld aufzukommen und nicht etwa nur für einen Teil davon. In dieser Situation kann sich der Gläubiger aussuchen, welchen Schuldner er in Anspruch nimmt (Paschastellung). Die Erfüllung eines Gesamtschuldners wirkt entlastend auch für die anderen.

Entstehungsgeschichte

Der Begriff ist eine Übersetzung des römisch-rechtlichen Begriffs der Correalobligation, der aber die Fälle einschließt, die im gemeinen Recht (das vor dem BGB in Deutschland galt) Solidarobligationen genannt wurden[1].

Abgrenzung

Nicht in allen Fällen, in denen einem Gläubiger im Hinblick auf eine Leistung mehrere Schuldner gegenüber stehen, handelt es sich um eine Gesamtschuld. Daneben gibt es andere Arten des Verhältnisses mehrerer Ansprüche eines Gläubigers gegen verschiedene Schuldner, die mit anderen Rechtsfolgen verbunden sind:

  • die Teilschuld, bei der jeder Schuldner, auch im Außenverhältnis, nur für seinen Anteil einzustehen hat.
  • gesamtschaftliche Schuld, bei der jeder Schuldner zum Zusammenwirken mit den anderen Schuldner verpflichtet ist.
  • die Abtretung der Ersatzansprüche, nach der ein schadensersatzpflichtiger Schuldner sich vom Gläubiger dessen Rechte im Hinblick auf die zu ersetzende Sache oder das zu ersetzende Recht abtreten lassen kann § 255 BGB

Zweck der Gesamtschuld

Zweck der Gesamtschuld ist es in bestimmten Fällen, in denen mehrere Schuldner an der Entstehung eines Schuldverhältnisses beteiligt sind, dem Gläubiger die Möglichkeit der Durchsetzung seiner Forderung zu erleichtern und besser zu sichern. Dies wird dadurch erreicht, dass der Gläubiger nicht jeden einzelnen Schuldner auf den Teil der Schuld in Anspruch nehmen muss, den dieser im Innenverhältnis zu den anderen zu leisten verpflichtet ist. Vielmehr kann der Gläubiger jeden einzelnen der mehreren Schuldner auf die ganze Leistung in Anspruch nehmen.

Rechtsfolgen der Gesamtschuld

Soweit ein Schuldner an den Gläubiger den von ihm geschuldeten Teil leistet, erlischt auch die Forderung des Gläubigers gegen den oder die anderen Gesamtschuldner (§ 422 BGB); soweit ein Gesamtschuldner mehr leistet als er im Innenverhältnis zu den anderen zu leisten verpflichtet ist, kann er das von den anderen gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 BGB als Regress zurückverlangen; zur Verstärkung dieses Regressanspruchs geht auch die (Teil-)Forderung des Gläubigers gegen die anderen samt den dafür bestellten Sicherheiten (§ 401 BGB) auf ihn über; die Forderung des Gläubigers gegen die anderen Gesamtschuldnern erlischt also nicht, soweit ein Gesamtschuldner über seinen Anteil hinaus an den Gläubiger geleistet hat, weil sie insoweit auf den leistenden Gesamtschuldner übergeht.

Voraussetzungen der Gesamtschuld

In welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen eine derartige Gesamtschuld mit mehreren Schuldnern auf der Passivseite entsteht, ergibt sich weder aus § 421 BGB noch allgemein aus einer sonstigen Regelung des Gesetzes. Es gibt nur einige Vorschriften, die für bestimmte Fälle eine Gesamtschuld anordnen, z. B. §§ 427, 769, 840 BGB u. a., aber diese Vorschriften bilden keine geschlossene Zahl.

Grund und Maß der anteiligen Haftung im Innenverhältnis

Zur wichtigsten Frage der Gesamtschuld, in welchem Verhältnis die Gesamtschuldner im Innenverhältnis zueinander verpflichtet sind, gibt § 426 Abs. 1 S. 1 BGB nur die im Zweifel geltende Hilfsregel: „… zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.“ Etwas anderes kann vorrangig fort diese Hilfsregel durch Parteivereinbarung oder durch Gesetz (z. B. § 840 Abs. 2 und 3 BGB) oder durch allgemeine Rechtsgrundsätze bestimmt sein (z. B. § 254 BGB). Die vorrangigen Grundsätze der Bestimmung des Anteils der Gesamtschuld im Innenverhältnis ergeben sich aus den Gründen, aus denen mehrere Schuldner einem Gläubiger als Gesamtschuldner verbunden sind. Da es dafür aber drei verschiedene Gründe gibt, gibt es notwendigerweise auch drei verschiedene Grundsätze des Innenausgleichs. Bei gleichgründigen Gesamtschulden (§ 427 BGB) bestimmt sich der grundsätzlich vorrangig aus der Vereinbarung der Parteien; bei Schadenersatzgesamtschulden bestimmt es sich aus den Tatbeiträgen (Kausalität und Verschulden) der Mit- oder Nebentäter (§ 254 BGB) und bei Sicherungsgesamtschulden aus dem Sicherungszweck.

Zurechnung auf andere Gesamtschuldner

Problematisch ist auch die Frage, ob und inwieweit das Verhalten eines Gesamtschuldners den anderen Gesamtschuldnern rechtlich zugerechnet werden kann, z. B. ob, wenn ein Schuldner mit der Leistung in Verzug gerät demzufolge dem Gläubiger ein Schaden entsteht, auch die anderen Mitschuldner den entstandenen Schaden zu ersetzen haben; oder ob, wenn von mehreren Mietern, die als Gesamtschuldner eine Wohnung gemietet haben, einer den Vermieter schwer beleidigt, der Vermieter auch den anderen Mietern aus wichtigem Grunde gemäß § 543 BGB wirksam kündigen kann; oder ob, wenn ein Mandant eine Anwaltssozietät mit der Erhebung einer Klage beauftragt und ein Sozius schuldhaft eine Pflicht verletzt, die den Verlust des Prozesses zur Folge hat, auch die anderen Sozien dem Mandanten zum Schadenersatz verpflichtet sind, vgl. § 425 BGB.

Beispiel

Mieter A, B und C haben gemeinsam für 1000 Euro (pro Monat) eine Wohnung bei V gemietet. C hat für die Mietzinsforderung einen Bürgen D beigebracht. Intern haben sie vereinbart, dass jeder ein Drittel der Miete übernehmen soll. A, B und C haften als Gesamtschuldner, der Bürge D haftet nachrangig und ist deshalb kein Gesamtschuldner. Vermieter V kann also A, B und C für die ganze Miete in Anspruch nehmen. Zahlt nun A 600 Euro, so beträgt die Restschuld nur noch 400 Euro. Dies wirkt für A, B und C gleichermaßen; A kann sich gegen V nicht darauf berufen, dass er im Innenverhältnis nur zu einem Drittel der Mietzahlung verpflichtet sei.

Durch seine Leistung erhält A nun:

  • Einen normalen Anspruch nach § 426 I gegen B und C, gerichtet auf Befreiung von der restlichen Verbindlichkeit und Ausgleich des bereits über den Innenanteil hinaus Bezahlten.
  • Gemäß § 426 II den Mietzinsanspruch in Höhe von erfüllten 600 Euro von V kraft Gesetz (cessio legis). Dieser ist durch die Bürgschaft des D gesichert!

Mahnt V nun nur B, und setzt ihn dadurch in Verzug, wirkt dies nur gegenüber ihm (B). V kann also nicht ohne weiteres Verzugsschäden (Inkasso- und Rechtsanwaltskosten, Verzugszinsen) gegenüber A und C geltend machen, sondern muss diese unabhängig in Verzug setzen. Erwirkt V in der Folge durch einen Gerichtsprozess einen Zwangsvollstreckungstitel gegen B, so wirkt dieser auch nur gegen B. Wartet er im Anschluss einige Jahre, ist die Schuld von A und C (und in der Folge auch die Bürgschaft des D) durch Verjährung wertlos geworden, wohingegen der Titel gegen B 30 Jahre wirkt.

Standardanwendungsfall

Ein tägliches Beispiel für die Gesamtschuld stellt zB. den Abschluss eines Mietvertrages mit mehreren (Haupt)mietern dar. Haben mehrere Mieter den Vertrag abgeschlossen, kann sich der Vermieter an irgendeinen der Mieter wenden und den vollen Mietzins verlangen.

Literatur

  • Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch. 63. Auflage. München 2004
  • Horst Ehmann: Gesamtschuld, 1972.

siehe auch

Gestörte Gesamtschuld

Quellen

  1. Sonja Meier: Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, hrsg. von R. Zimmermann u. a. Bd. 2, 2007, Anm. zu §§ 420 ff
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