Gerhard Ritter

Gerhard Ritter

Gerhard Georg Bernhard Ritter (* 6. April 1888 in Sooden; † 1. Juli 1967 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Historiker und lehrte von 1925 bis 1956 in Freiburg im Breisgau.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Der Sohn des reformierten Pfarrers Gottfried Theodor Ritter besuchte das pietistische Evangelisch Stiftische Gymnasium in Gütersloh. Seine Brüder waren der Orientalist Hellmut Ritter und der Theologe Karl Bernhard Ritter. Nach dem Abitur studierte Gerhard Ritter ab 1906 an den Universitäten von München, Heidelberg, Leipzig und Berlin. Er promovierte bei Hermann Oncken über Die preußischen Konservativen und Bismarcks deutsche Politik 1858–1876. Nach der Promotion 1912 war Ritter als Gymnasiallehrer tätig. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Infanterieoffizier.

1919 heiratete Ritter Gertrud Reichardt, mit der er drei Kinder hatte. 1921 erfolgte seine Habilitation mit Studien zur Spätscholastik, erneut bei Oncken in Heidelberg, wo er vor und nach der Habilitation lehrte (1918–1923). Sein erster Ruf auf eine Professur führte ihn 1924 an die Universität Hamburg; bereits im Jahr darauf nahm er das Ordinariat an, das er bis zur Emeritierung an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg behielt (1925–1956). 1925 veröffentlichte Ritter eine Biografie von Martin Luther, die Luther positiv darstellte. Weitere Biografien verfasste er über den preußischen Staatsmann Karl Freiherr vom und zum Stein, den preußischen König Friedrich der Große, sowie in den 1950er Jahren über seinen Freund Carl Friedrich Goerdeler, der als Widerstandskämpfer nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet worden war. Ritter betrachtete die Erfassung von Geschichte als eine Kunst und bemühte sich, sich kreativ mit den menschlichen Subjekten der Vergangenheit zu identifizieren. Die Schwerpunkte seiner Arbeit bildeten die politische, militärische, und kulturelle Geschichte Deutschlands. Er war ein traditioneller Historiker des Deutschen Idealismus und Historismus. Anstelle einer „Geschichte von unten“ betonten diese Richtungen hauptsächlich die besondere Bedeutung politischer und militärischer Ereignisse sowie die Handlungen „großer Männer“.

Nach 1945 engagierte sich Ritter als Vorsitzender im Deutschen Historikerverband bei der Neukonstituierung des Faches und in der Besetzung der Lehrstühle in Westdeutschland. Dabei sorgte er für eine konservative Linie in seinem Sinne. Auch zum Geschichtsunterricht trug er maßgeblich bei. Er unterstützte die Wiedergründung des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands 1949 und wirkte auf die Herausgabe neuer Geschichtslehrbücher ein. Sie sollten die deutsche Geschichte zwischen „Selbstentehrung“ und „Selbstüberhebung“ darstellen. Auch wandte er sich 1962 gegen das neue Fach Gemeinschaftskunde sowie methodische Neuerungen wie die Gruppenarbeit, die für ihn zum „uferlosen Geschwätz“ führen müssten. Seine in GWU veröffentlichte Meinung prägte die konservativen Geschichtslehrer stark. [1]

Ritter starb 1967 in Freiburg im Breisgau.

Politische Position

Ritter gehörte zu den Nationalkonservativen und war seit 1929 Mitglied der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP).[2] Er befürwortete für Deutschland eine monarchische Staatsform. Am Anfang der NS-Zeit billigte Ritter das neue Regime und seine Außenpolitik. Jedoch wandte er sich von den Nationalsozialisten ab, weil er gegen die Kirchenverfolgung war. Ritter war selbst Lutheraner und schloss sich der Bekennenden Kirche an. Diese versuchte sich den Bemühungen der Nationalsozialisten, die Kirchen gleichzuschalten, zu entziehen. Ritter gehörte der konservativen Opposition an und war in den Staatsstreich vom 20. Juli 1944 gegen Hitler eingeweiht. Nach dessen Scheitern wurde er vorübergehend festgenommen.

Nach Kriegsende schrieb Ritter sein Werk Europa und die deutsche Frage. Er lehnte die These ab, dass das Dritte Reich die unumgängliche Kulmination der gesamten deutschen Geschichte sei. Ritter glaubte eher, dass der Nationalsozialismus nur ein Teil eines allgemeinen Trends war. Nicht nur Deutschland, so Ritter, strebte nach dem Totalitarismus. Es sei unrecht, die Deutschen zu heftig zu kritisieren. Nach Ritters Auffassung war die Schwäche der Weimarer Republik ihre überschüssige Demokratie. Eine kraftlose Demokratie ließ sich von den Appellen des „Packs“ übernehmen. Hätte das Kaiserreich, welches Ritter befürwortete, den Ersten Weltkrieg überstanden, wäre der Nationalsozialismus nicht an die Macht gekommen.

Fischer-Kontroverse

Ritter wurde deswegen der vehementeste Kritiker Fritz Fischers, der Kontinuitätslinien zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus hergestellt hatte. Ritter lehnte kategorisch Fischers Behauptungen ab, dass hauptsächlich Deutschland die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg tragen müsse. Diese Diskussion wurde zum Bestandteil der historiografisch bedeutsamen Fischer-Kontroverse. Gerhard Ritter, der sein Lebenswerk gegen die deutsche Kriegsschuldthese in Gefahr sah, bezeichnete Fischers Buch Griff nach der Weltmacht als Gipfel in einer politisch-historischen Modeströmung unserer Tage, womit er die angebliche Selbstverdunkelung des deutschen Geschichtsbewußtseins seit 1945 meinte.[3]

Ritter kritisierte an Fischers Methode, er habe nicht zwischen einzelnen Träumen beziehungsweise Hoffnungen und ernsten Zielen, zwischen taktisch richtigen Ambitionen von Diplomaten und nackten Forderungen der Alldeutschen und Militärs unterschieden. Ritters 3. und 4. Band von Staatskunst und Kriegshandwerk wurden quasi eine Apologie Bethmann-Hollwegs und eine einzige Schematisierung der innerdeutschen Politik im Weltkrieg: - der guten Staatskunst Bethmann-Hollwegs wird das böse Kriegshandwerk Erich Ludendorffs entgegengestellt. Ritters Kritik an Fischers Untersuchungen blieb jedoch grundsätzlich im Biografischen. Die Fehler der deutschen Diplomatie und Staatsführung tat Ritter als bloße, von den Militärs aufgezwungene, Formfehler ab.[4]

Fischer meinte sogar leicht polemisch, Ritter stelle Bethmann-Hollweg als eine Art Widerstandskämpfer gegen Kaiser, Militär, Industrielle, Parteiführer, Junker, Alldeutsche und konservative Presse dar. Ritter distanzierte sich bei extremen Randerscheinungen verbal vom deutschen Imperialismus und Militarismus, um so die Hauptkräfte der deutschen Geschichte als gemäßigt zu retten.[5]

Werke

  • Luther (1915)
  • Stein. Eine politische Biographie (1931)
  • Die Heidelberger Universität im Mittelalter (1386-1508). Ein Stück deutscher Geschichte I (1936; 2. Aufl. 1986)
  • Friedrich der Große (1936)
  • Machtstaat und Utopie (1940)
  • Die Weltwirkung der Reformation (1941)
  • Geschichte als Bildungsmacht (1946)
  • Der neue Geschichtsunterricht (1947)
  • Die Dämonie der Macht (1947, 5. umgearbeitete Auflage des Buches Machtstaat und Utopie)
  • Vom sittlichen Problem der Macht (1948, 2. Aufl. 1961)
  • Die Neugestaltung Deutschlands und Europas im 16. Jahrhundert (1950)
  • Carl Friedrich Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung (1954; 3. Aufl. 1956)
  • Der Schlieffenplan. Kritik eines Mythos. Mit erstmaliger Veröffentlichung der Texte. Verlag Oldenbourg, München 1956.
  • Lebendige Vergangenheit (1958)
  • Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus“ in Deutschland. 4 Bände (1954–1968)

Nachlass

Ein Teil des Nachlasses von Gerhard Ritter wird als Depositum im Hessischen Staatsarchiv Marburg (Bestand 340 Ritter b) aufbewahrt.[6]

Literatur

  • Ulrich Bayer: Gerhard Ritter (1888–1967). In: Johannes Ehmann (Hrsg.): Lebensbilder aus der evangelischen Kirche in Baden im 19. und 20. Jahrhundert. Band II: Kirchenpolitische Richtungen. Verlag Regionalkultur, Heidelberg u.a. 2010, S. 391-415, ISBN 978-3-89735-510-1.
  • Christoph Cornelißen: Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert. Droste, Düsseldorf 2001, ISBN 3-7700-1612-2.
  • Christoph Cornelißen: Ritter, Gerhard Georg Bernhard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, S. 658–660 (Onlinefassung).
  • Konrad Fuchs: Gerhard Ritter. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 8, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-053-0, Sp. 412–414.
  • Michael Matthiesen: Verlorene Identität. Der Historiker Arnold Berney und seine Freiburger Kollegen 1923 - 1938. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001 ISBN 3-525-36233-1 (Ritter als Unterstützer des ab 1933 als Jude verfolgten Prof. Berney).
  • Zur Kritik an Gerhard Ritters politisch-philosophischer Position siehe: 1) Johan Huizinga, In de schaduwen van morgen, Kap. 14 (deutsch: Im Schatten von morgen, in: Ders.: Schriften zur Zeitkritik, Pantheon-Verlag 1948); 2) Julius Ebbinghaus, Philosophie der Freiheit, Bonn 1988, S. 11 ff.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bärbel Kuhn: Historische Bildung als Welt- und Menschenkunde.
  2. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 488.
  3. Karl-Heinz Janßen: Gerhard Ritter: A Patriotic Historian's Justification. In: H.W. Koch: The Origins of the First World War. Great Power Rivalry and German War Aims. Verlag Macmillan, London 1993, ISBN 0-333-37298-0, S. 292-318, hier: S. 293; und Gregor Schöllgen: „Fischer-Kontroverse“ und Kontinuitätsproblem. Deutsche Kriegsziele im Zeitalter der Weltkriege. In: Andreas Hillgruber, Jost Dülffer (Hrsg.): Ploetz: Geschichte der Weltkriege. Mächte, Ereignisse, Entwicklungen 1900-1945 Freiburg/Würzburg 1981, ISBN 3-87640-070-8, S. 163-177, hier S. 169.
  4. Karl-Heinz Janßen: Gerhard Ritter: A Patriotic Historian's Justification. In: H.W. Koch: The Origins of the First World War. Great Power Rivalry and German War Aims. Verlag Macmillan, London 1993, ISBN 0-333-37298-0, S. 292-318, hier: S. 304; und Imanuel Geiss: Die Fischer-Kontroverse. Ein kritischer Beitrag zum Verhältnis zwischen Historiographie und Politik in der Bundesrepublik. In: Imanuel Geiss: Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main 1972, S. 108-198, hier: 163.
  5. Fritz Fischer: Twenty-Five Years Later: Looking Back at the „Fischer Controversy“ and Its Consequences. In: Central European History 21 (1988), S. 207-223, hier: S. 211; und Imanuel Geiss: Die Fischer-Kontroverse. Ein kritischer Beitrag zum Verhältnis zwischen Historiographie und Politik in der Bundesrepublik. In: Imanuel Geiss: Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main 1972, S. 108-198, hier: 169.
  6. Übersicht über den Bestand Familienarchiv Ritter (340 Ritter b) Hessisches Archiv-Dokumentations- und Informations-System. Abgerufen am 3. Juli 2011

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