Gerard K. O'Neill

Gerard K. O'Neill
NASA-Illustration zweier O’Neill-Zylinder

O’Neill-Kolonien (auch O’Neill-Zylinder oder "Island Three") sind hypothetische Weltraumkolonien, die vom Physiker Gerard K. O’Neill vorgeschlagen wurden.

Lange Zeit schien die Erschließung des Sonnensystems nur über die Schritte Raumstation, Mondbasis und Planetenbesiedlung möglich. Das änderte sich, als der Physiker Gerard K. O’Neill von der Universität Princeton die Frage, ob die Besiedlung anderer Himmelskörper wirklich die beste Methode für die Erschließung des Sonnensystems sei, mit Nein beantwortete. Dieser Überlegungsansatz bildete den Grundstein für Pläne über künstliche Welten im All, die später unter dem Namen O’Neill-Kolonien bekannt werden sollten.

O’Neill und seine Anhänger entwarfen auf verschiedenen Konferenzen Kolonien unterschiedlicher Form und Größe, die alle eins gemeinsam hatten: ihre Loslösung von einem natürlichen Himmelskörper. Anders als normale Raumstationen sollten sie jedoch auch nicht einfach nur ein Ausgangspunkt für Forschung und Raumfahrt darstellen, sondern einen echten Lebensraum – ähnlich einer Stadt – bilden.

Neu waren O'Neills Projekte allerdings nicht. Hermann Oberth (1894-1989), »Vater der Weltraumfahrt«, hat bereits 1954 in seinem Buch »Menschen im Weltraum – Neue Projekte für Raketen-und Raumfahrt«, Düsseldorf 1954, interstellare Reisen durchs All mit riesigen Wohnwalzen angedacht.


Inhaltsverzeichnis

Aufbau

O’Neill-Kolonien
Entwickler Gerard K. O’Neill
Form Kugel oder Zylinder
Länge bis zu 30 km
Durchmesser bis zu 6,5 km
Einwohnerzahl zwischen 100 000 und mehreren Millionen
geschätzte Kosten 100 Milliarden bis 100 Billionen Dollar

Die Vorstellungen der O’Neill-Anhänger bezüglich der Größe dieser Stationen waren gigantisch, angefangen bei einer Hohlkugel für 100.000 Bewohner bis hin zu einem Zylinder von 30 km Länge und 6,5 km Durchmesser für Millionen von Menschen. Die Kolonien sollten ihren Bewohnern eine dauerhafte Heimat bieten. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass in der großzügigen Konstruktion neben landwirtschaftlichen Nutzflächen auch Parks, Seen und Häuser eingeplant waren.

Die Kolonien sollten riesige Fensterflächen besitzen, durch die dann mit Hilfe ebenso großer Spiegel das Sonnenlicht in das Innere der Kugel oder des Zylinders gelenkt werden würde. Damit ein dauerhaftes Leben im Weltall überhaupt möglich ist, muss eine künstliche Gravitation geschaffen werden. Diese sollte durch Rotation jeder Kolonie erreicht werden. Ein Mantel aus Mondgestein sollte zudem den notwendigen Schutz vor der im Weltraum gefährlichen Sonnenstrahlung gewährleisten.

Umsetzung

Aufgrund ihrer gigantischen Ausdehnung war es klar, dass die Konstruktion der Kolonie nur von einer Basis im Weltraum aus möglich sein würde. Auf diese Weise würde der äußerst kostspielige Transport der Materialien von der Erde aus zum Weltraum größtenteils umgangen werden. Die für den Bau benötigten Rohstoffe sollten vom Mond kommen, da dieser Transport aufgrund der viel geringeren Anziehungskraft des Mondes erheblich billiger wäre.

Im Konstruktionsatelier sollten die Rohstoffe dann weiterverarbeitet und zusammen mit anderen gelieferten Bauteilen zu den ersten kleinen Habitaten zusammengefügt werden. Diese Habitate sollten den Ausgangspunkt für den weiteren Ausbau der Kolonie bilden. Eine dann fertiggestellte Kolonie sollte wiederum als Basis für die Herstellung einer weiteren dienen, sodass sich in absehbarer Zeit eine Vielzahl dieser künstlichen Inseln im All befänden.

Standort

Wichtiges Element in der Planung der O’Neill-Kolonien war die Versorgung mit Rohstoffen vom Mond aus, zum Einen als Ausgangsprodukt für die Herstellung von Bauteilen, zum Anderen aber auch für den erwähnten Mantel aus Mondgestein, der vor der Sonnenstrahlung schützen sollte. Hierzu, so war die Idee, könnte auf dem Mond ein sogenannter Massenbeschleuniger errichtet werden. Er würde die benötigten Rohstoffe zum Bauplatz der Kolonien schleudern.

Hierbei ist es natürlich von Bedeutung, dass die geschleuderten Objekte und natürlich auch das Konstrukt selber an Ort und Stelle bleiben. Deshalb hat sich O’Neill für seine Kolonien einen besonderen Standort ausgesucht: die Gleichgewichts-, Librations- oder Lagrange-Punkte L4 und L5. An diesen Punkten halten sich in einem System zwischen zwei Körpern – also in diesem Fall zwischen Erde und Mond – die Fliehkraft des rotierenden Systems und die Anziehungskraft der beiden Körper die Waage. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ein an diesen Orten positioniertes Objekt an seiner Stelle bleibt.

Leben in der O’Neill-Kolonie

Das Innere einer O’Neill-Kolonie

Das Leben in den O’Neill-Kolonien ist von Autarkie gekennzeichnet. Die Bewohner sollen sich mit allen lebensnotwendigen Dingen selbst versorgen können.

Zur Nahrungsversorgung werden Mais-, Sojabohnen- und Luzernefelder auf der mittleren Ebene angelegt. Die Wasserversorgung erfolgt aus künstlich angelegten Teichen auf der obersten Ebene. So kann es optimal zur Bewässerung der Felder verwendet werden. Mit dem Rest des Wassers könnten dann die Nutztiere versorgt werden, deren Ställe sich auf der untersten Terrasse befänden. Ausgehend von einer Bewohnerzahl von 10.000 Kolonisten könnten dort etwa 60.000 Hühner, 30.000 Kaninchen und eine beträchtliche Anzahl von Rindern gehalten werden.

Anschließend würde das Wasser in einer Aufbereitungsanlage gereinigt und dem Kreislauf erneut zugeführt werden. So wäre eine gesunde Mischdiät möglich, die die Bewohner jeden Tag mit etwa 2400 Kilokalorien versorgen würde. Die Felder und Parks hätten zudem die Aufgabe, einen Großteil des Kohlendioxids aus der Luft aufzunehmen und Sauerstoff sowie Wasserdampf freizusetzen. Den restlichen Bedarf müsste dann die Hochtechnologie leisten.

Die in den landwirtschaftlichen Gebieten entstehende Feuchtigkeit könnte über Lufttrockneranlagen kondensiert werden und so den Trinkwasservorrat ergänzen. Ein komplexes Verfahren mit dem Namen Nassoxidation würde die Abwässer aus der Landwirtschaft und den Haushalten durch Druck und Erhitzen reinigen. Bei diesem Prozess würde Kohlendioxid freigesetzt, welches wiederum zur Förderung des Pflanzenwachstums eingesetzt werden könnte. Die festen Rückstände des Abfalls könnten zu Viehfutter und Kunstdünger weiterverarbeitet werden. Die Bewohner der Kolonie könnten ihren Lebensunterhalt als Bergbauleute auf dem Mond oder als Wissenschaftler und Techniker auf Weltraumstationen verdienen. Haupttätigkeitsfeld wäre aber wohl der Bau von Energiesatelliten, die als dichter Ring die Erde umgäben.

Realisierbarkeit

Als die Idee konkrete Pläne annahm, wurde von den Machern die Meinung verbreitet, dass ein Umzug ins All in nicht allzu ferner Zukunft vonstatten gehen könnte. Manche sahen die erste Kolonie bereits um die Jahrtausendwende den Weltraum bevölkern.
Diese Euphorie wurde von der Tatsache unterstützt, dass die benötigten Techniken bereits vorhanden oder in der Entwicklung waren. Der Optimismus ging sogar so weit, dass O’Neill und seine Mitarbeiter bereits erste Kostenabschätzungen und Zeitpläne für ein „Aussiedlerprogramm“ vorlegten. Sie gingen von Kosten in Höhe von 100 Milliarden Dollar, verteilt auf 20 Jahre aus.

Nach genauer Prüfung und kritischer Analyse ist man heutzutage jedoch der Auffassung, dass die von O’Neill gedachte Größenordnung nicht zu verwirklichen sei. Um überhaupt mit dem Bau einer ersten Station beginnen zu können, müssten tausende Tonnen Material ins Weltall (zur Errichtung einer Konstruktionsbasis) und auf den Mond (zur Errichtung des Massenbeschleunigers) gebracht werden. Zusätzlich müssten vom Mond Megatonnen Material zum Konstruktionsatelier gebracht werden. Allein für die Abschirmung gegen die Sonnenstrahlung würden 10 Millionen Tonnen Geröll vom Mond benötigt werden. So geht man heutzutage davon aus, dass die tatsächlichen Kosten mindestens um das Hundertfache, wenn nicht gar das Tausendfache höher wären, als von O’Neill behauptet.

Zukunft der Kolonie

Die vollständige Autarkie von der Erde würde auch eine weitgehende Unabhängigkeit in der Beziehung zu unserem Planeten mit sich bringen. Es wäre daher vorstellbar, dass sich die Bewohner der dritten oder vierten Generation nicht mehr an unsere Heimat gebunden fühlen und die Kolonie als Generationenschiff benutzen, um so die anderen Bereiche des Sonnensystems zu erforschen, oder sich sogar auf den Weg zu anderen Sternen zu machen.


Literatur

  • O'Neill, Gerard K. (1977), The High Frontier: Human Colonies in Space, William Morrow & Company, ISBN 0-688-03133-1.

Oberth, Hermann: »Menschen im Weltraum – Neue Projekte für Raketen- und Raumfahrt«, Düsseldorf 1954


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