Geodäte

Geodäte
Orthodrome: Kürzeste Verbindung auf einer Kugeloberfläche, aufgetragen über dem orthogonalen ebenen Gradnetz

Eine Geodäte (Pl. Geodäten), auch Geodätische, geodätische Linie oder geodätischer Weg genannt, ist die lokal kürzeste Verbindungskurve zweier Punkte.

Inhaltsverzeichnis

Lokale und globale Definition

Im euklidischen Raum sind Geodäten stets Geraden. Relevant ist der Begriff „Geodäte“ erst in gekrümmten Räumen (Mannigfaltigkeiten), wie zum Beispiel auf einer Kugeloberfläche oder anderen gekrümmten Flächen oder auch in der gekrümmten Raumzeit der allgemeinen Relativitätstheorie. Man findet die geodätischen Linien mit Hilfe der Variationsrechnung.

Die Einschränkung lokal in der Definition bedeutet, dass eine Geodäte nur dann die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten zu sein braucht, wenn diese Punkte nahe genug beieinander liegen; sie muss aber nicht den global kürzesten Weg darstellen. Jenseits des Schnittortes können mehrere Geodäten unterschiedlicher Länge zum gleichen Punkt führen, was die globale Minimierung der Länge verhindert. Beispielsweise ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf einer Kugel stets Teil eines Großkreises, aber die beiden Teile, in die ein Großkreis durch zwei Punkte unterteilt wird, sind beide Geodäten, obwohl nur einer der beiden die „global“ kürzeste Verbindung darstellt.

Beispiele für Geodäten verschiedener Räume

  • Im \R^n sind genau die geraden Strecken die Geodätischen.
  • Eine Geodätische auf der Sphäre ist stets Teil eines Großkreises; daran orientieren sich transkontinentale Flug- und Schifffahrtsrouten (siehe Orthodrome). Alle geodätischen Linien (bzw. Großkreise) auf einer Kugel sind in sich geschlossen – das heißt wenn man ihnen folgt, erreicht man irgendwann wieder den Ausgangspunkt. Auf Ellipsoid-Flächen dagegen gilt dies lediglich entlang der Meridiane und des Äquators (welche auf dem Ellipsoid einfache Spezialfälle der geodätischen Linie sind).
  • Im Sonderfall abwickelbarer Flächen (z. B. Kegel oder Zylinder) sind die Geodäten diejenigen Kurven, die bei der Abwicklung in die Ebene zu Geradenstücken werden.

Klassische Differentialgeometrie

Geodätische (rot) in einem zweidimensionalen, gekrümmten Raum, der in einem dreidimensionalen Raum eingebettet ist. (Modellierung der Gravitation über die Geodäten in der Relativitätstheorie)

In der klassischen Differentialgeometrie ist eine Geodätische ein Weg \gamma : I \to S auf einer Fläche S \subset \R^3, bei dem überall die Hauptnormale mit der Flächennormale zusammenfällt. Diese Bedingung ist genau dann erfüllt, wenn in jedem Punkt die geodätische Krümmung gleich 0 ist.

Riemannsche Geometrie

In der riemannschen Geometrie ist eine Geodätische durch eine gewöhnliche Differentialgleichung charakterisiert. Sei M eine riemannsche Mannigfaltigkeit. Eine Kurve \gamma \colon I \to M heißt Geodäte, wenn sie die geodätische Differentialgleichung

\nabla_{\dot\gamma}\dot\gamma=0

erfüllt. Dabei bezeichnet \nabla den Levi-Civita-Zusammenhang. Diese Gleichung bedeutet, dass das Geschwindigkeitsvektorfeld der Kurve längs der Kurve konstant ist. Dieser Definition liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Geodätischen des \R^n gerade die geraden Linien sind und deren zweite Ableitung konstant null ist.

Ist (U,x) eine Karte der Mannigfaltigkeit, so erhält man mit Hilfe der Christoffelsymbole \Gamma^m_{kl} die lokale Darstellung

\ddot x^m+\Gamma^m_{kl}\dot x^k\dot x^l=0

der geodätischen Differentialgleichung. Hier wird die Einsteinsche Summenkonvention verwendet. Die xm sind die Koordinatenfunktionen der Kurve γ: Der Kurvenpunkt γ(t) hat die Koordinaten (x^1(t), \dots, x^n(t)).

Aus der Theorie über gewöhnliche Differentialgleichungen lässt sich beweisen, dass es eine eindeutige Lösung der geodätischen Differentialgleichung mit den Anfangsbedingungen γ(t0) = p und \dot \gamma(t_0) = V \in T_pM gibt. Und mit Hilfe der ersten Variation von γ, lässt sich zeigen, dass die bezüglich des riemannschen Abstands d(.,.) kürzesten Kurven die geodätische Differentialgleichung erfüllen. Umgekehrt kann man zeigen, dass jede Geodätische zumindest lokal eine kürzeste Verbindung ist. Das heißt auf einer Geodätischen gibt es einen Punkt, ab der die Geodätische nicht mehr die kürzeste Verbindung ist. Ist die zugrundeliegende Mannigfaltigkeit nicht kompakt so kann der Punkt auch unendlich sein. Fixiert man einen Punkt und betrachtet alle Geodätischen mit Einheitsgeschwindigkeit, die von diesem Punkt ausgehen, so heißt die Vereinigung alle Schnittpunkt der Schnittort. Eine Geodätische mit Einheitsgeschwindigkeit ist eine Geodätische γ, für die \|\dot \gamma\| = 1 gilt.

Die Geodätengleichung

Mit Hilfe der Variationsrechnung lässt sich die Geodätengleichung herleiten. Ausgangspunkt ist dabei die Eigenschaft einer Geodäte, lokal die kürzeste Verbindung zweier Punkte zu sein. Im gekrümmten Raum fragen wir also nach derjenigen Kurve, deren Bogenlänge s bei gegebenen Anfangs- und Endpunkt ein Minimum annimmt, also

s=\int\limits_{P_A}^{P_E}\mathrm{d}s\ \stackrel{!}=\ \text{Extremum}.

Die Kurve sei mit dem Parameter λ parametrisiert und das Linienelement ist allgemein gegeben durch ds2 = gikdxidxk. Dabei erhält der Raum, welcher die Kurve beinhaltet, durch den metrischen Tensor gik ein Maß für Winkel und Abstände. Somit erhalten wir aus obigem Ansatz

s=\int\limits_{\lambda_E}^{\lambda_A}\frac{\mathrm{d}s}{\mathrm{d}\lambda}\mathrm{d}\lambda=\int\limits_{\lambda_E}^{\lambda_A}\sqrt{g_{ik}\frac{\mathrm{d}x^{i}}{\mathrm{d}\lambda}\frac{\mathrm{d}x^{k}}{\mathrm{d}\lambda}}\mathrm{d}\lambda=\text{Extremum}.

Diese Gleichung ist in ihrer Form analog dem Hamiltonprinzip mit einer Lagrangefunktion

\mathcal{L}=\sqrt{g_{ik}\frac{\mathrm{d}x^{i}}{\mathrm{d}\lambda}\frac{\mathrm{d}x^{k}}{\mathrm{d}\lambda}}=\sqrt{g_{ik}x'^{i}x'^{k}}=\sqrt{F},\quad\text{mit}\quad x'^{i}=\frac{\mathrm{d}x^{i}}{\mathrm{d}\lambda}.

Sie muss demnach die Euler-Lagrange-Gleichung erfüllen, also

\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}\lambda}\frac{\partial\mathcal L}{\partial x'^{i}}-\frac{\partial\mathcal{L}}{\partial x^{i}}=\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}\lambda}\left(\frac{1}{2\sqrt{F}}\frac{\partial F}{\partial x'^{i}}\right)-\frac{1}{2\sqrt{F}}\frac{\partial F}{\partial x^{i}}=0

Literatur

M. do Carmo: Riemannian geometry, Birkhauser, 1992, ISBN 0-8176-3490-8


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