Geistertanz

Geistertanz

Der Geistertanz war ein religiöser Krisenkult der Indianer Nordamerikas der 1860er bis 1890er Jahre. Er trat in zwei Schüben auf und führte indirekt zum Massaker von Wounded Knee.

Er steht in der spirituellen und schamanistischen Tradition der nordamerikanischen Ureinwohner und stellt ein letztes, weitgehend friedliches Aufbäumen der Besiegten gegen die Unterwerfung und Zerstörung der indianischen Lebensgrundlagen und Stammeskultur innerhalb der USA dar. Der Geistertanz war nur eine von vielen, letztlich erfolglosen Restaurationsbemühungen, erreichte aber die größte Popularität und gilt deshalb heute in der allgemeinen Wahrnehmung irrtümlich als fester Bestandteil der indianischen Religion und Kultur.

Erster Geistertanz

In den 1860er Jahren erlebte der als Seher und Prophet geltende Wodziwob - ein Mitglied des im heutigen Bundesstaat Nevada beheimateten Stammes der Paviotso - ein spirituelles Trance-Erlebnis. In diesem Zustand hatte er eine Vision, in der ihm prophezeit wurde, die alten Zeiten und mit ihnen die indianische Lebensweise würden zurückkehren. Die Ahnen (die „Geister“) versprachen ihm, sie würden wiederkehren und die Erde würde sich in ein Paradies verwandeln. Die weißen Eroberer sollten verschwinden.

Als zentrales Mittel für dieses Ziel galt der zeremonielle Geistertanz. Hierbei wurde ein Kreis aus Männern und Frauen formiert, bei denen sich die Beteiligten an den Händen hielten und zum stetigen Schlag der Trommeln die vorgeschriebenen Geistertanzlieder, eine Folge von monotonen Beschwörungen, intonierten. Durch die gleichzeitige Seitwärts-Bewegung wurde der Kreis in Bewegung versetzt. Hieraus resultiert der in spiritueller Tradition der Beschwörung durch tagelange rituelle Tänze stehende Charakter des Geistertanzes. Erinnert sei nur an die ausdauernden Büffel-Tänze, in denen Männer und Heranwachsende tagelang unter Anleitung schamanischer Medizinmänner bis zur völligen Erschöpfung für das Kommen der zweimal im Jahr wandernden Büffelherden tanzten, die die vollständige Lebensgrundlage der Prärie-Indianer bildeten.

Durch die monotone rhythmische Trommelbegleitung, die gleichförmigen Bewegungen und die immer gleichen liedartigen Beschwörungen, verbunden mit der Erschöpfung der Tanzenden wurde der tranceartige Zustand erreicht, in dem die Lebenden die Welt der Toten betreten konnten. Die damit verbundene Verschmelzung beider Welten würde letztlich dazu führen, dass die Toten zurückkehren konnten.

Inhalt und Versprechen des Geistertanzes fiel in der Zeit des Niedergangs auf fruchtbaren Boden. Die Idee verbreitete sich Ende der 1860er-Jahre sehr schnell und führte zu einer stark motivierten religiösen Bewegung. Sie erreichte von Nevada aus Kalifornien und Oregon. Jeder Stamm schuf seine eigenen Elemente und Interpretationen des Tanzes. Die ursprüngliche Prophezeiung wurde mit deren Verbreitung durch andere ergänzt. Beispielsweise prophezeiten einige Stämme nicht nur die Rückkehr der Toten, sondern auch die Rückkehr der von den Eroberern zerstörten natürlichen Lebensgrundlagen.

Manchmal vereinte ein Tanz 5.000 bis 6.000 Indianer unterschiedlicher Stämme. Trotzdem kann nicht von einem panindianischen Kult gesprochen werden, da sich nicht alle indianischen Ethnien dem Geistertanz verschrieben hatten. Die erste Welle des Geistertanzes endete ca. 1872, als der Initiator Wodzivob die Idee widerrief und die Tänze letztlich auch erfolglos blieben.

Zweiter Geistertanz

Wovoka

Um 1890 erlebte der Geistertanz nach rund 20 Jahren eine starke Renaissance. Wieder lag der Ursprung bei den Paviotso. Diesmal war es ebenfalls ein schamanistisch ausgebildeter Mann aus dem Stamm der Paiute namens Wovoka, der die Idee wiederbelebte. Als Jack Wilson arbeitete er auf einer strenggläubigen Mormonen-Ranch. Derartig geprägt, übernahm er auch christliche Elemente wie die Apostel-Idee, um den Glauben bei den Stämmen zu verbreiten.

Die Prophezeiung ähnelte derjenigen von 1870: Die Zeit würde kommen, wo sich die Indianer, Lebende und Tote, vereinigen würden, um zusammen glücklich zu leben, ohne Tod, Unglück und Elend. Die riesigen Büffel- und Pferdeherden, die über Jahrhunderte die Lebensgrundlage der Prärieindianer dargestellt hatten, würden zurückkommen.

Der 1890er-Geistertanz breitete sich ebenfalls rasch nach Kalifornien und Oregon aus, ging dann aber weiter nach Idaho, Montana, Utah, Wyoming, Colorado, Nord- und Süd-Dakota, bis hin nach Nebraska, Kansas, Oklahoma und Kanada. New Mexico und Arizona berührte er gerade noch. Im Vergleich zum ersten Geistertanz erfasste er diesmal also auch die Stämme der Plains und einige des Südwestens. Wieder entwickelten sich mit der Verbreitung weitere Tänze und Prophezeiungen. Der Geistertanz passte sich den entsprechenden Stammesmythologien an.

Die zweite Geistertanzbewegung dauerte einige Jahre länger als die erste, fand jedoch ebenfalls ein abruptes Ende. Die nach ihrer Niederlage und Unterwerfung durch die Weißen in den Reservaten von South Dakota lebenden Lakota (Sioux) hatten die Bewegung übernommen und um weitere christliche Elemente wie den Erlösergedanken erweitert. Die ihres Landes beraubten Prärie-Indianer, die durch die Vernichtung der Büffelherden ihre Lebensgrundlage verloren hatten, lebten in den Reservaten unter schlechten Bedingungen. Die Stammesgesellschaft, in der Gruppen und Familienverbände in Zeltdörfern auf Wanderschaft zusammenlebten, befand sich durch die erzwungene Ansiedlung in Einzelfamilien in Auflösung. Angesehene Häuptlinge wie Tashunka Witko (engl. Crazy Horse) wurden ermordet oder hatten sich den Siegern unterworfen. Die einstigen Jäger waren von Lebensmittel-Lieferungen durch die Reservatsbehörden abhängig, die oft ausblieben und von schlechter Qualität waren. Hunger, Krankheiten, ungewohnte Nahrung, erzwungene Sesshaftigkeit und Untätigkeit des einstmals aus Jägern und Sammlern bestehenden kriegerischen Volkes führte dazu, dass sich der Geistertanz nicht nur verbreitete, sondern auch um den Gedanken des Widerstandes erweitert wurde. So trugen viele Tänzer stark bemalte Geistertanzhemden, die sie angeblich gegen die Kugeln aus Gewehren der Weißen schützen konnten. Die Vision, der Geistertanz würde die Weißen hinwegfegen, wurde offen ausgesprochen.

Nachdem der Geistertanz im Oktober 1890 in den Lakota-Reservaten begann und von den weiterhin angesehenen Anführern wie Sitting Bull propagiert wurde, der sich nach jahrelangem Exil in Kanada, mit einigen Getreuen ergeben hatte und nach zweijähriger Gefangenschaft in dem Reservat lebte, traten Spannungen auf. Die Reservatsbehörden sahen die Massenbewegung als politischen und religiösen Protest der 25.000 in Reservaten lebenden Sioux an und reagierten mit Zwangsmaßnahmen, um einen möglicherweise drohenden Aufstand bereits im Vorfeld zu ersticken.

Geistertanz bei den Oglala-Lakota im Pine-Ridge-Reservat

Präsident Benjamin Harrison ordnete eine Untersuchung durch die Armee an und veranlasste die Einschränkung der Essensrationen für unkooperative Indianer, was die Spannungen weiter verschärfte. James McLaughlin, Verwalter der Standing Rock Reservation, in der Sitting Bull lebt, hatte die Geistertänzer schon länger mit Argwohn betrachtet und befürchtete einen Aufstand. Sitting Bull, der sich mit kämpferischen Worten geweigert hatte, die Bewegung zu verbieten und als einer ihrer Führer galt, sollte durch die Stammespolizei in wohlüberlegter Provokation am 15. Dezember 1890 verhaftet werden. Als seine Getreuen gegen die grobe Behandlung des alten Mannes Widerstand leisten, wurde Sitting Bull von dem Indianer-Sergeant Red Tomahawk durch einen Kopfschuss getötet. Außer ihm starben weitere 14 Menschen - 5 Stammes-Polizisten und 7 Anhänger des alten Häuptlings, darunter auch Sitting Bulls 14 jähriger Sohn. Beim Abtransport wurde Sitting Bulls Leiche durch den Bruder eines getöteten Polizisten geschändet. Die Verweigerung der Beerdigung auf dem christlichen Friedhof sorgte für weiteren Unmut. Der tote Häuptling wurde schließlich auf dem Friedhof von Ford Yates in einer einfachen Holzkiste begraben.

Viele Lakota, darunter viele Geistertänzer flohen in die nahegelegenen Badlands. Unter den Flüchtenden befand sich auch Häuptling Big Foot mit Geistertanzanhängern aus dem Cheyenne-River-Reservat. Die Armee verfolgte Big Foot und seine Leute und stellte sie. Der als friedlich geltende Big Foot ergab sich, und die Gruppe sollte in das Pine-Ridge-Reservat überführt werden. Am 29. Dezember 1890 sollte Big Foots Gruppe in der Nähe des Wounded Knee Creek entwaffnet werden. Dabei fiel ein Schuss, wahrscheinlich versehentlich auf Seiten der Indianer. Die Soldaten der 7. Kavallerie schossen daraufhin wahllos auf die wehrlosen Indianer und verübten ein Massaker an Männern, Frauen und Kindern. Selbst nach Stunden wurden noch Verwundete getötet. Sogar die Pferde der toten Indianer wurden erschossen. Insgesamt starben an diesem Tag etwa 350 Indianer.

Literatur

  • James Mooney: The Ghost-Dance Religion and the Sioux Outbreak of 1890. The University of Chicago Press, Chicago 1970
  • Russell Thornton: American Indian Holocaust and Survival - A Population History Since 1492. University of Oklahoma Press, Norman 1987

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